Der Fall Eduard Lopatka ist noch viel weitreichender als die bislang bekannten Vorwürfe. Vor allem das Gebaren von Eduard Lopatka als Arzt haben die Behörden, trotz zahlreicher Vorwürfe und Indizien, nie wirklich untersucht.
Eine österreichische Rechercheplattform. Wir arbeiten datenbasiert, recherchieren investigativ und verarbeiten unsere Ergebnisse in allen Darstellungsformen. Addendum ist auch mehr als nur eine Website. Wir publizieren Print, online, TV, Social Media und Podcasts.
Seit 7. Jänner 2020 wird Österreich zum ersten Mal von einer Bundesregierung aus ÖVP und Grünen regiert. Im Nationalrat brachte dies jedoch keine Änderung: In 98 Prozent der Abstimmungen votierten Grüne und ÖVP für dieselben Anträge. Die aktuelle Bundesregierung ist daher genauso stabil wie frühere Bundesregierungen, denn die wenigen Abstimmungen, in denen zwischen den beiden Parteien kein Konsens erzielt wurde, fanden noch vor der Ernennung und Angelobung der türkis-grünen Regierung statt. Seit ihrer Angelobung kam es zwischen den beiden Regierungsparteien zu keiner Abweichung mehr.
Lebensläufe wie der von Marian Kočner werden sonst eher in Hollywood geschrieben als fünfzig Kilometer östlich von Wien. Der Sohn eines Maurers und einer Volksschullehrerin steigt vom Politikjournalisten zum Multimillionär mit besten Kontakten nach ganz oben auf. Bis erste Vorwürfe laut werden. Von Mafia-Verbindungen ist die Rede. Medien beginnen, das Attribut „kontroversiell“ vor seinen Namen zu rücken. Und er wird als Auftraggeber eines Doppelmordes angeklagt. Am Abend des 21. Februar 2018 fallen in einem kleinen Haus in einem westslowakischen Dorf drei Schüsse. Zwei Kugeln treffen den 27-jährigen Investigativ-Journalisten Ján Kuciak im Vorzimmer. Seiner gleichaltrigen Verlobten Martina Kušnírová schießt der Mörder in der Küche in den Kopf. Beide sind auf der Stelle tot. Es ist das Werk eines Profis. Der Auftragskiller, ein ehemaliger Soldat, läuft aus dem Haus und flieht mit seinem Komplizen, einem früheren Polizisten. Für ihre Tat erhalten sie jeweils 20.000 Euro. Der Journalistenmord mitten in der EU, gerade einmal eine halbe Stunde Fahrzeit von der österreichischen Grenze entfernt, schockiert ganz Europa und wirft dunkle Schatten auf ein Land, das so nahe ist, aber selten auf unserem Radar auftaucht. Im Jänner 2020 beginnt das Verfahren gegen die zwei mutmaßlichen Täter, ihren Vermittler, eine geheimnisvolle Verbindungsfrau und eben gegen Marian Kočner, den mächtigen Millionär, der als Auftraggeber angeklagt ist. „Freispruch aus Mangel an Beweisen“ lautet nach 23 Verhandlungstagen das überraschende erstinstanzliche Urteil in dem Monsterprozess. Ein ganzes Land bleibt geschockt zurück. Es hat nun einen erwiesenen Auftragsmord ohne verurteilten Auftraggeber.
Impfaktionen, Führerscheinuntersuchungen oder Kontrollen von Lokalen. Das sind in der Regel die Aufgaben der Gesundheitsämter. Sie verfolgen auch nach, wer bei meldepflichtigen Krankheiten wie Keuchhusten, Hepatitis oder Masern mit wem Kontakt hatte. 2019 gab es deshalb rund 17.000 Kontakte zwischen Patienten und Gesundheitsämtern. 2020 mussten allein wegen COVID-19-Erkrankungen 28.000 Patienten erfasst und nachverfolgt werden – zusätzlich zum Tagesgeschäft. Und die vierte Phase der Pandemie, wie Gesundheitsminister Rudolf Anschober die Zeit seit September nannte, wird durch einen Anstieg an Neuinfektionen wieder mehr Patienten zu den Gesundheitsämtern bringen. Addendum hat deshalb versucht herauszufinden, was die Probleme der Gesundheitsämter in den ersten Monaten der Epidemie waren und was das jetzt für den Herbst bedeuten könnte. Denn nur bei größeren Clustern, die mehr als ein Bundesland betreffen, übernimmt die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) die Nachverfolgung. Fünf Probleme bereiten den Gesundheitsämtern aber besondere Probleme:
Der Verfassungsgerichtshof prüft den Gesetzgeber. Das ist das Erbe des in der Staatsrechtslehre so bezeichneten Kelsenianischen Modells der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Sie ist eine österreichische Erfindung, auf die man stolz sein kann. Viele Staaten der ganzen Welt sind ihr gefolgt. Der Gedanke, dass die von einem demokratisch legitimierten Parlament erlassenen Gesetze einer Prüfung durch Gerichte zugänglich sein sollen, deren demokratische Legitimation im besten Fall eine mittelbare ist, stößt mancherorts nach wie vor auf Kritik. Mit dem Demokratiekonzept der skandinavischen Staaten oder der Schweiz sind sie unvereinbar.
Frühjahr 2020. Das neue Coronavirus hält Regierungen auf dem ganzen Kontinent in Atem, die EU-Mitgliedstaaten bereiten sich auf Ausgangsbeschränkungen und das Niederfahren der Wirtschaft vor. Am Freitag, den 13. März wird in Brüssel in einem Bürogebäude unweit der EU-Kommission ein Brief aufgesetzt.
Inhalt: Europa (und damit auch Österreich) geht mittelfristig ein wertvoller Rohstoff des Gesundheitssystems aus: Blutplasma. Das, so die Autoren, könnte Leben kosten. Europa müsse gegensteuern. Die Gewinnung des menschlichen, überaus wertvollen, Rohstoffs stärker fördern.
Noch am selben Tag ergeht das Schreiben via E-Mail und mit dem Vermerk „Dringlich“ an hochrangige Empfänger. Darunter: EU-Kommissare und die Europäische Arzneimittelagentur EMA. In den nächsten Tagen folgen die Regierungen der Mitgliedstaaten, am 19. März landet er im Postfach der Sektion „Gesundheitssystem“ im Wiener Gesundheitsministerium.
„Das Parlament ist der zentrale Ort jeder Demokratie. Hier sollen die Interessen möglichst vieler BürgerInnen vertreten sein“, liest man auf der Website des österreichischen Bundes- und Nationalrats. Doch ist das mit den aktuellen Mandataren möglich? Einen Querschnitt der Bevölkerung findet man im Parlament jedenfalls nicht: Die meisten Abgeordneten widmen sich hauptberuflich der Politik, gefolgt von Selbstständigen und öffentlich Bediensteten. Andere stammen aus Interessenvertretungen wie der Arbeiterkammer oder dem österreichischen Gewerkschaftsbund. Arbeiter und Angestellte gibt es wiederum nur wenige.
Das Parlament und die Politik als Parallelwelt, die sich vom „gemeinen Wahlvolk“ entfremdet hat und eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorcht? Derartige Kritik ist nicht neu. Der deutsche Soziologe und Mitbegründer der modernen Politikwissenschaft Robert Michels sprach in seiner Soziologie des Parteiwesens schon 1925 von der „Unmöglichkeit der Existenz einer Idealdemokratie“, gar einer „oligarchischen Krankheit der demokratischen Parteien“. Vier Jahrzehnte später folgte ihm der deutsche Philosoph Karl Jaspers nach, als er von den Bürgern als „Untertanen, nicht Träger des Staates“ sprach: „Sie wählen alle vier Jahre eine ihnen vorgelegte Liste, aber wissen nicht eigentlich was. Denn sie haben sich zu fügen. Zunächst den Vorschlägen der Parteien, dann der Obrigkeit, die sich für ihre Autorität auf das Volk beruft, das sie gewählt habe.“
Überflutungen in Niederösterreich, Sturm und Hagel in der Steiermark, Muren nach Starkregen in Kärnten: Diesen Sommer fühlt es sich an, als ob ein schweres Unwetter auf das nächste folgt. Aber für welche Regionen und Gemeinden sind diese Extremwetterereignisse kein Einzelfall? Wo häufen sich Gewitter schon immer? Und wo bündeln sich starke Niederschläge? Zur Beantwortung dieser Fragen haben Meteorologen des Wetterdienstes UBIMET für Addendum exklusiv Daten von Messstationen, Satelliten und Radar der vergangenen 13 Jahre ausgewertet (2007–2019). Es zeigen sich klare regionale Muster, welche Gemeinden häufiger von Unwettern getroffen werden. Die Ergebnisse der Spezialauswertung des Unternehmens hinter der Österreichischen Unwetterzentrale sehen Sie in drei Teilbereiche aufgeschlüsselt:
„Koste es, was es wolle.“ – Das versprach Bundeskanzler Sebastian Kurz in den ersten Tagen des Lockdowns. Um jeden Preis sollte nach Ansicht der Bundesregierung der Verlust von Arbeitsplätzen verhindert werden. Das erst wenige Tage zuvor am Samstag, den 14. März, beschlossene Soforthilfepaket im Umfang von 4 Milliarden Euro wurde um weitere 34 Milliarden Euro aufgestockt. Seither wurden noch zahlreiche weitere Maßnahmen beschlossen, wie die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie, Hotels und die Kultur oder zumindest verlängert, wie die Kurzarbeiterregelung und der Härtefallfonds. Das von der türkis-grünen Regierungskoalition vereinbarte Gesamtvolumen für die Stabilisierung der Wirtschaft und der Einkommen sowie für die Wiederankurbelung der Konjunktur liegt damit mittlerweile bei mindestens 50 Milliarden Euro.
Wie Addendum berichtete, haben politische Beschlüsse des Gemeinderats Michelhausen ein Grundstück von Bürgermeister Rudolf Friewald jahrelang aufgewertet. Im Jänner 2014 schenkt Friewald das Grundstück seiner Tochter, die es am selben Tag für rund eine Million Euro, schätzungsweise die Hälfte des Marktwerts, an eine GmbH von Friewalds Freund, Partei- und ehemaligem Gemeinderatskollegen Jörg Leitzinger verkauft. Die Leitzinger Immobilien GmbH verkauft das Grundstück im Februar 2018 um 4,5 Millionen Euro an eine Investmentgesellschaft ICAP Capital Partners GmbH und macht damit mehrere Millionen Euro Gewinn.
Nach Veröffentlichung dieses Sachverhalts ist Addendum weiteren Recherchehinweisen von Bewohnern der Gemeinde Michelhausen nachgegangen. Ein Ergebnis dieser Recherchen war, dass viele Bewohner des Wohnparks Tullnerfeld beim Grundstückserwerb vertraglich dazu verpflichtet wurden, sich an das „bestehende Fernwärmenetz der Gemeinde Michelhausen anzuschließen“.
Am 2. Juli, zu Beginn der Sommerferien, stellte die Bundesregierung ihre Corona-Sensoren noch etwas schärfer. Flankiert von Spitzenleuten aus seinem Ressort trat Gesundheitsminister Rudolf Anschober wie so oft in diesem Jahr vor die Fernsehkameras und kündigte an, die Zahl der Testungen auf SARS-CoV-2 deutlich zu erhöhen.
Anschober sprach damals von einem „Quantensprung“. Das war keine Übertreibung, denn die mithilfe der Tests erhobene Zahl an Neuinfektionen ist für viele Regierungen weltweit jener Indikator, auf dessen Basis weitere, zum Teil die bürgerlichen Freiheiten betreffende, Entscheidungen getroffen werden. Die Überlegung dahinter: Mehr Tests liefern bessere Daten. Und bessere Daten ermöglichen bessere Entscheidungen.
Doch die Aussagekraft dieser Daten steht nun zusehends in der Diskussion. Einen weiteren Beitrag dazu liefert eine breit angelegte Untersuchung sogenannter „Corona-Labors“, die vor dem Sommer auf Wunsch des Gesundheitsministeriums durchgeführt wurde. Das stark vereinfachte Fazit der Studie lautet: Verlässlichkeit sieht anders aus. So wurde mehr als jede dritte (37 Prozent) nur schwach mit Viren belastete Probe überhaupt nicht erkannt. Bei Proben mit mittlerer Viruslast waren es immerhin noch 3 Prozent.
Die Schlagzeilen lassen Schlimmes vermuten. „Schiefe Optik: Mann von Kanzler-Büroleiterin produziert neuerdings Schutzmasken“, titelte der FPÖ-nahe „Wochenblick“. „Masken-Connection ins Kanzleramt“, schrieb das vom ehemaligen Politiker Peter Pilz gegründete zackzack.at.
Die Geschichte hinter dem Aufruhr: Im niederösterreichischen Wiener Neudorf begann eine „Hygiene Austria LP“ frühzeitig in der Corona-Krise damit, [qvv_internallink number="80" project="109"]maschinell Masken herzustellen[/qvv_internallink]. Hinter dem eiligst gegründeten Unternehmen stecken der Faserfabrikant Lenzing und die Unterwäsche-Marke Palmers. Letztere gehört zu einem Viertel einem Grazer Geschäftsmann. Und dieser wiederum ist der Ehemann von Lisa Wieser, welche die Büroleiterin und eine der engsten Vertrauten von Sebastian Kurz ist.
Es ist still geworden um die Identitäre Bewegung. Gab es vor einigen Jahren gab es noch viel (Medien-)Rummel rund um sie und ihren Frontmann Martin Sellner, war die Löschung ihrer Social-Media-Kanäle eher eine Randnotiz. Wenn man heute auf YouTube nach „Martin Sellner“ sucht, findet man einige Videos mit ihm (etwa Interviews auf Oe24) oder über ihn, nicht aber von ihm. Sein Kanal, dem gut 100.000 User gefolgt waren, existiert nicht mehr. Sellner selbst meinte dazu, sein Anwalt sei „bereits aktiv“. Dazu, ob Plattformen wie YouTube und Co. völlig autonom über Löschungen entscheiden dürfen, gibt es unterschiedliche Ansichten.
Das Ende von Sellners Kanälen scheint jedenfalls das Ende eines Prozesses zu sein, der mit dem Terroranschlag in Christchurch vom März 2019 begonnen hat. Einige Wochen später folgte eine gemeinsame Stellungnahme von Facebook, Microsoft, Google, Twitter und Amazon, der Christchurch Call to Action. Darin gelobten die fünf Konzerne, „sicherzustellen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Hass und Extremismus zu bekämpfen, der zu terroristischer Gewalt führt“. Schließlich wurden sie schon lange dafür kritisiert, ihr Geschäftsmodell auf hochproblematischen – wenn auch nicht illegalen – Inhalten aufzubauen. Klicks vor Moral sozusagen.
Auf der Hilm kommt es zu merkwürdigen Ereignissen. Es wimmelt nur so von magischen Wesen in dem Waldgebiet nahe des Ortes Dechantskirchen in der Steiermark. Wichtel, Elfen und Druiden habe er dort gesehen, aus Zweigen baute er den Wichteln kleine Hütten. Als er mit seiner Freundin dort spazierte, wies er sie an aufzupassen, damit sie die kleinen Wesen nicht von den Blüten schüttle. Einmal, erzählte er, sei ein grüner Teufel auf seinem Bauch gesessen, der sei so schwer gewesen, dass er ihn weder wegschieben noch herunterheben habe können. Und die Druiden, die hätten ihm prophezeit, dass er, Eduard Lopatka, einen großen Auftrag zu erfüllen habe. Dass die Leute noch schauen würden, wozu er imstande sei.
Nun bekommt Österreich also doch eine Corona-Ampel. Während Gesundheitsminister Rudolf Anschober sich noch im April strikt gegen eine Regionalisierung der Corona-Schutzmaßnahmen aussprach, kündigte er nun für September ein regionales Ampelsystem an.
Bereits ab Mitte August startet eine erste Testphase, im September soll sie dann in Regelbetrieb gehen, so Anschober. Die Ampel hat das Ziel, der Bevölkerung auf den ersten Blick – ähnlich der Lawinenwarnungen – mit „Rot über Orange und Gelb bis Grün“ zu vermitteln, wie hoch das Corona-Risiko auf Bundesebene und in den einzelnen Bundesländern jeweils aktuell ist.
Das erklärte Ziel der Bundesregierung war es eigentlich, von Bundeskanzler Sebastian Kurz so bezeichnete „Balkanneuinfektionen“ zu verhindern. Dazu sollte die Einreise aus bestimmten Staaten verschärften Beschränkungen unterliegen. Die von Gesundheitsminister Anschober verordnete Novelle jener Regelung, mit der die Einreise nach Österreich während der Corona-Krise geregelt werden soll, wirft jedoch verfassungsrechtliche Bedenken auf.
Über das Für und Wider der Maskenpflicht wird seit Beginn der Corona-Pandemie heftig gestritten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) änderte erst Anfang Juni ihren Standpunkt zum Tragen von Schutzmasken von Skepsis hin zu einer klaren Empfehlung. Zuvor war die Haltung der WHO, dass nur Kranke sowie medizinisches und Pflegepersonal Masken tragen sollten. Bis heute gibt es allerdings keine wissenschaftliche Einigkeit über ihren Einfluss auf das Infektionsgeschehen. Die Corona-Datenbank der WHO, die aktuell rund 44.000 Studien und wissenschaftliche Artikel umfasst, enthält 577 Arbeiten, die sich mit Nutzen und Risiken des Mund-Nasen-Schutzes auseinandersetzen. Während viele Studien zu dem Ergebnis kommen, die Maskenpflicht können zu einer Verlangsamung des Infektionsgeschehens beitragen, gibt es zahlreiche andere, die zu deutlich pessimistischeren Einschätzungen kommen.
Vor dem Recht kommt die Pressekonferenz. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) liest, mit denen Teile jener Verordnung rückwirkend für gesetzwidrig erklärt wurden, die das Betreten öffentlicher Orte verbot und das Schließen bestimmter Geschäfte während der Corona-Krise vorsah.
Die Höchstrichter dürften beim Lesen des Aktes erstaunt gewesen sein, den das Gesundheitsministerium ihnen zur Prüfung seiner Verordnung aufgrund des COVID-19-Maßnahmengesetzes übermitteln musste. Anstatt einer nachvollziehbaren legistischen Vorarbeit für eine Änderung jener Verordnung, mit der das öffentliche Leben Österreich lahmgelegt worden war, fanden sie ein Pressebriefing für die Bundesregierung.
Beinahe ungläubig resümieren die Richter in ihrem Erkenntnis, was der Akt „unter der Rubrik ,Sachverhalt‘“ festhielt: Der Entwurf für die Novelle, mit der die schrittweise Öffnung nach dem Lockdown eingeleitet werden sollte, sei „auf Basis dieses Briefing-Papiers ... der regierungsinternen Koordination zugeführt worden.“ Im Briefing wurden die einzelnen Maßnahmen zwar Punkt für Punkt aufgezählt, eine sachliche Begründung dafür gab es jedoch nicht:
Auf den ersten Blick ist Wolfgang R. nur einer von vielen, die im Internet ihren Krempel verkaufen. Ein Fahrrad um 99 Euro, Autoreifen mit rostigen Stahlfelgen um 25 Euro, ein Samsung-Handy um 30 Euro. Dazu Fotos, kurze Sätze, ein paar Rechtschreibfehler, eine Telefonnummer.
Solche Angebote finden sich auf der Online-Plattform „willhaben“ tausende und abertausende. So gesehen wirkt Wolfgang R. wie jemand, der mit ein paar alten Fundstücken vom Dachboden etwas Geld dazu verdienen will. Wären da nicht die Annoncen, die er Ende Februar online stellte.
Denn auf einmal bewarb er auch hochwertige Atemschutzmasken der Kategorie FFP3 um 14,90 Euro, Schutzbrillen um 2,25 Euro – oder sogar eine halbe Millionen OP-Masken um 200.000 Euro.
Sein Telefon habe nicht mehr aufgehört zu klingeln, sagt Wolfgang R. Bis zu hundert Leute hätten ihn jeden Tag angerufen. Einmal war dann ein Beamter des Justizministeriums darunter. In Wien habe man die Anzeige auf willhaben gelesen, man brauche die Masken dringend. „Da war ich schon nervös“, sagt Wolfgang R. Er sei nur ein Bauernbub aus dem Innviertel, aufgewachsen zwischen „vier Kühen, zwei Kälbern und zwei Säuen“. Und nun bestellte die Republik bei ihm.
Als am ersten Juli der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer vor die Presse trat und ankündigte, dass in fünf Bezirken die Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen für eine Woche geschlossen werden, gab es in ganz Oberösterreich lediglich 190 Infizierte. Verantwortlich für den Corona-Ausbruch war keine Schule, sondern ein Cluster rund um eine Freikirche in Linz. Geschlossen wurden dennoch die Schulen. Für Geschäfte und die Gastronomie in der betroffenen Region hatte der Vorfall hingegen keinerlei Folgen.
Bildungsminister Heinz Faßmann sieht darin zwar „kein Role-Model für den Herbst“, wirklich sicher ist es aber noch nicht, wie der Unterricht nach den Sommerferien im September für die rund 1,2 Millionen Schüler in Österreich weitergehen wird. Auf Anfrage heißt es dazu aus dem Bildungsministerium: „Aus heutiger Sicht werden die Schulen im Herbst regulär öffnen.“ Mit „heutiger Sicht“ sind die jeweils aktuellen Infektionszahlen gemeint. Doch genau das ist das Problem. Denn wenn der Krisenstab der Bundesregierung zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Infektionsgeschehen in Österreich nicht einverstanden ist, könnten Schulen entweder wieder nur eingeschränkt oder auch gar nicht öffnen.
Die Polizei soll Verbrechen untersuchen und keine Krankheiten, so lautet der Tenor der Oppositionsparteien zu jener Änderung des Epidemiegesetzes, die von den Regierungsparteien ÖVP und Grüne im Schnellverfahren durchs Parlament gebracht werden soll. Ihr Plan: Exekutivbeamte sollen Personen befragen, die sich mit COVID-19 angesteckt haben oder angesteckt haben könnten. Auf diese Weise sollen Cluster und Infektionsketten schneller als bisher aufgespürt werden, bevor weitere Menschen angesteckt werden.
Helfer für so ziemlich alles
Die Polizei, das ist für die meisten Menschen der Staat schlechthin. Dabei handelt sie in den wenigsten Fällen selbst als Behörde, oft unterstützt sie mit ihrem Einschreiten nur andere. Sie ist ein sogenanntes Hilfsorgan – für Gerichte, Bezirkshauptmannschaften und andere Institutionen.
„Gib Dein Bestes! Spende Blut.“ Mit diesem Satz wirbt das Rote Kreuz in Österreich um Blutspender. Die gleichnamige Internetplattform richtet sich ausdrücklich an junge Menschen. Die Botschaft für die künftigen Spender ist klar erkennbar: Für etwas Zeit und einen Stich in die Vene wird man zum Helden.
Zahlreiche Blutspender erzählen auf der Website ihre Geschichten. „Mit geringem Aufwand Leben retten“, berichtet eine Julia K. über ihr persönliches Motiv zur Teilnahme. Eva D. verbindet ihre Entscheidung mit einem Slogan, für den das Rote Kreuz im ganzen Land bekannt ist: „Ich spende Blut aus Liebe zum Menschen.“ Und ein David C. teilt mit, dass er der Empfängerorganisation großes Vertrauen entgegenbringt: „Rotes Kreuz: Wo meine Spenden zu 100 Prozent bei den Opfern ankommen.“
Wie viele bestätigte Fälle gibt es in meiner Gemeinde? Wie viele davon sind noch krank? Gab es schon Todesfälle? Wer Antworten auf diese Frage sucht, der stößt bei den verantwortlichen Stellen an Grenzen. Addendum hat in den vergangenen Monaten alle Wege ausgelotet, um diese Informationen zu erhalten. Es ist die Geschichte eines Scheiterns.
Und das, obwohl die Entwicklung der Zahl der Neuinfektionen ein wichtiger Baustein politischer Entscheidungen waren: Zuerst führte das exponentielle Wachstum zu mehrwöchigen Ausgangsbeschränkungen, dann führte die Stabilisierung zu ersten Lockerungen. Und nun entscheidet die Entwicklung der täglichen Neuinfektionen darüber, ob es weitere Lockerungen gibt oder striktere Maßnahmen eingeführt werden sollen.
Anfang April hat Addendum das erste Mal um regionale Daten gebeten – darunter auch zu Tests, demografischen Informationen der Erkrankten auf Bezirksebene oder zu Anrufen bei der Hotline 1450. Diese Anfragen sind bis heute offen. Deshalb haben wir neben offiziellen Medienanfragen zwei neue Wege gesucht, um die Daten zu erhalten. Erstens haben wir zwei Forschungsanträge gestellt, um Zugang zur COVID-19-Datenplattform zu erhalten, gestellt. Zweitens haben wir Anfragen nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) an das Ministerium und acht Bundesländer übermittelt. Einen Monat später scheint klar: Wir werden die zahlreichen Wünsche unserer Leserinnen und Leser nach besseren, klaren, umfangreicheren Daten weiterhin mit unserer Standardantwort beantworten müssen – „Danke für die Frage, mangels Daten können wir Ihnen leider keine Antwort darauf geben.“
„Überlegen Sie sich gut, wie tief Sie in der Sache graben wollen.“ Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer hat sich im Lauf der vergangenen Jahre den Ruf erarbeitet, in öffentlichen Debatten auch die heißesten Eisen tabulos anzusprechen. Als wir im Zuge der Recherchen für das vorliegende Projekt mit ihm über die Preispolitik des Roten Kreuzes bei Blutkonserven sprechen, sagt er: „Wenn man dort reingreift, dann können Sie davon ausgehen, dass viele wild um sich schlagen.“
Was Pichlbauer beschreibt, ist ein für Steuer- und Kassenbeitragszahler undurchschaubares und wenig transparentes System. „Insider wissen, dass es in diesem Spiel nur darum geht, wie das Geld aus anderen Bereichen in das defizitäre Rettungswesen geht.“ Einer dieser „anderen Bereiche“ ist die Versorgung der Republik mit Blutkonserven, auf die das Rote Kreuz inzwischen ein Quasi-Monopol hat. Es geht um eine Dienstleistung, die für das gesamte Gesundheitssystem von eminent wichtiger Bedeutung ist. „Deshalb“, sagt Pichlbauer, „habe ich in dieser Sache ausnahmsweise eine höhere Toleranzgrenze.“
„Hey, liebe IKEA-Kunden …“ Diese Geschichte führt weit weg von den Ballungszentren, in denen sich die Einrichtungshäuser der Schweden befinden und beginnt mit einem Rätsel. Man folgt ihm, wenn man die „Wohnst du noch oder lebst du schon“-Musterwohnungen hinter sich lässt, auch die acht Stück Köttbullar mit Kartoffelpüree, Erbsen und Preiselbeeren um 4,99 Euro verweigert und sich an Decke Gurli, Lampe Lersta und Geschirrset Färgrik vorbei ins eigentliche Herz des Möbelhauses drängt. Dort, im zentralen Mitnahmelager, stapeln sich in langen Gängen die Kartons mit den Möbelteilen, aus denen, Geschick und Geduld vorausgesetzt, daheim das entsteht, was im Schauraum ausgestellt ist. Das dafür verwendete Holz stammt zu 60 Prozent aus Osteuropa und Russland. Schon lange vor der Wende war es für die Schweden attraktiv, wenngleich nicht immer unter rühmlichen Voraussetzungen, zeigte sich doch, dass IKEA etwa Möbel aus der DDR bezog, die von politischen Häftlingen gezimmert worden waren.
Am 3. Juni veröffentlichte die europäische Statistikbehörde Eurostat Verkaufszahlen von Pestiziden. In Österreich, so heißt es in der Meldung der Behörde, wurden 2018 um 53 Prozent mehr Pflanzenschutzmittel abgesetzt als noch 2011. Nur in Zypern sei der Anstieg mit plus 94 Prozent noch stärker. Am selben Tag titelte ORF.at: „Starker Anstieg bei Pestizidverbrauch“. Ähnliche Schlagzeilen produzierten die Kronen Zeitung und die Kleine Zeitung. Und die SPÖ-Landwirtschaftssprecherin Cornelia Ecker kommentierte per Aussendung: „Das ist ein Skandal“.
Aber warum sollte ausgerechnet im „Bioweltmeister-Land“ Österreich der Einsatz von Pestiziden innerhalb weniger Jahre derart in die Höhe schnellen?
Das Ding kam der Angelika K. gleich komisch vor. Es fühlte sich nicht richtig an. Zum Beispiel die Gummibänder: Sie wurden an den Ohren befestigt, nicht fest hinter dem Kopf, wie sie es gewohnt war. Oder das Vlies: Es passte sich nicht ans Gesicht an, lag nicht dicht auf der Haut auf.
Kurz: Die Ärztin traute der Atemschutzmaske nicht, die ihr Arbeitgeber für sie besorgt hatte. In der Zeitung konnte sie lesen, dass das Rote Kreuz im Namen der Regierung rund 20 Millionen Masken bestellt hatte, deren erste gelieferte Charge sich bei Prüfung als teilweise untauglich erwies.
In der Migrationspolitik wird kaum ein Thema so emotional diskutiert wie die Familienzusammenführung. Im Zuge der Krise an der türkisch-griechischen Grenze Mitte März lehnte Österreich mit diesem Argument die zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen aus den überfüllten Lagern ab. Die deutsche Bundesregierung gab wiederum vor Kurzem bekannt, etwa 400 Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen zu wollen.
Immer wieder wird die Befürchtung geäußert, dass zusätzlich zu den zahlreichen Menschen, die in Ländern wie Österreich und Deutschland in den letzten Jahren Asyl bekommen haben, mehrere zehntausend Familienmitglieder aufgenommen werden müssen. Allerdings ist das österreichische Zahlenmaterial dazu äußerst dürftig.
Der Versuch, an verlässliche Daten zum Thema Familienzusammenführung zu kommen, gestaltete sich als Behörden-Spießrutenlauf: Das Außenministerium verwies uns an das Innenministerium, das Innenministerium wieder an das Außenministerium, das die Visumsanträge für Familienzusammenführungen in den Botschaften und Konsulaten entgegennimmt.
Dort kann man uns allerdings nur sagen, wie viele Anträge in den letzten Jahren gestellt wurden – nicht aber, wie viele auch tatsächlich bewilligt wurden.
So ist die Zahl der von den österreichischen Vertretungen im Ausland geführten Verfahren nach 2015 – damals gab es in Österreich 89.098 Asylanträge – in der Tat merklich angestiegen, nämlich auf mehr als das Vierfache des Vorjahres. 2019 wurden beispielsweise 9.723 Asylanträge gewährt, denen 1.332 Anträge auf Familienzusammenführung gegenüberstehen.
Angaben dazu, aus welchen Ländern die Antragsteller auf Visa zur Familienzusammenführung stammen, fehlen jedoch. Ebenso kann das Außenministerium nicht sagen, in welchen ausländischen Vertretungen die Anträge gestellt werden und von wem: Alter oder Geschlecht der Antragsteller werden statistisch nicht erfasst.
Walter Klepetko, Leiter der Universitätsklinik für Chirurgie und bis 2018 Leiter des Lungentransplantationsprogramms an der Medizinischen Universität Wien (MUW), soll gegen international geltende Regeln der Organvermittlung verstoßen und sich dabei finanziell bereichert haben. So kann man die Vorwürfe, die Ende des vergangenen Jahres medial gegen ihn erhoben wurden, grob zusammenfassen. Addendum hat diese ausführlich dokumentiert.
Zur Erinnerung: Basis dieser Vorwürfe sind zum einen die Zahlen der Organisation Eurotransplant (ET). Die Eurotransplant International Foundation mit Sitz in den Niederlanden ist die zentrale Vermittlungsstelle für Organspenden in den acht Mitgliedstaaten Österreich, Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Ungarn und Slowenien. Rund 136 Millionen Menschen leben im Einzugsgebiet dieses Netzwerks. Laut ET-Zahlen soll es in der Region, für die Walter Klepetko zuständig war, im Zeitraum 2012–2018 zu einem Abfluss von insgesamt rund 90 Organen zum Nachteil von Patienten des ET-Raumes gekommen sein, obwohl das Regelwerk besagt, dass Organe, die aus einem ET-Land in den Verbund hineinkommen, ebenso wieder in den Verbund zurückfließen müssen. In einzelnen Fällen sollen zudem Honorare in der Höhe von rund 18.000 Euro pro Transplantation verrechnet worden sein.
Als am 16. März das ganze Land in den Notbetrieb ging, blieb in den Verteilzentren der Post alles beim Alten. Statt weniger fiel dort bald mehr Arbeit an, da sich Einkäufe ins Internet verlagerten und die Paketmengen stiegen. Das galt gerade für zwei der wichtigsten Verteilzentren, aus denen die Bundeshauptstadt beliefert wird. Eines befindet sich in Wien-Inzersdorf, das andere am Nordrand der Stadt, im niederösterreichischen Hagenbrunn. Bis zu 13.500 Pakete laufen dort jeweils pro Stunde über die Förderbänder. Die Post muss alles unternehmen, um ihren Versorgungsauftrag als Teil der kritischen Infrastruktur des Staates aufrechtzuerhalten. Doch zwei Monate später findet sie sich in einem Worst-case-Szenario wieder. In Hagenbrunn haben sich 100 der etwa 300 Mitarbeiter mit dem Virus angesteckt, in Inzersdorf sind es 79. Während überall im Land die Zahl der Neuinfektionen stark sinkt, werden die Corona-Cluster der Post zu den größten der vergangenen Wochen. Infizierte Mitarbeiter tragen das Virus in 50 Familien hinein, in denen es laut einem Bericht der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) zu 80 weiteren Ansteckungen kommt.
Oft erreichen die aufkommenden Fragen die Grenzen dessen, was bekannt ist. Manche Informationen finden ihren Weg nicht in das zuständige Ministerium, sondern werden nur in den Bundesländern gesammelt. Andere Informationen sind bekannt, werden aber trotz Nachfrage nicht weitergegeben. Es kam vor, dass einfache Fragen wochenlang nicht beantwortet werden – beispielsweise dazu, wie es dazu kommt, dass in einzelnen Bezirken weniger erkrankte Personen registriert waren als davor.
Da mehr als drei Monate nach Auftreten des ersten Falls weiterhin wesentliche Informationen zurückgehalten werden, sammelt Addendum in diesem Artikel unbeantwortete Fragen. Wenn Sie Hinweise darauf haben, wo wir Antworten finden könnten, freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme.
Emad F. trägt nicht so gerne Maske. Er verkauft sie lieber. Die grünen, die aussehen, als könnte sie der Chefarzt bei einer Operation tragen. Die weißen, die eher Chemielabor-Charme versprühen. Weinrote oder schwarze Modelle mit Ventil für die Modebewussten.
So liegen sie in den Regalen, Schachtel neben Schachtel, es sind tausende. Eine Ware, die in den vergangenen Wochen von Shanghai über New York bis Addis Abeba zu horrenden Preisen gehandelt wurde. So wertvoll, dass ein paar Diebe sogar versucht haben sollen, bei ihm einzubrechen. Ein Wachmann habe sie in die Flucht geschlagen. F. lobte ein Kopfgeld aus.
Aber vielleicht hat er sich diese Geschichte auch nur ausgedacht wie andere auch. Emad F. trägt zwar nicht gerne Maske. Doch das heißt nicht, dass er nichts zu verbergen hat.
Es ist ein sonniger Dienstagnachmittag in der ersten Maiwoche, über die Mariahilfer Straße flanieren die Menschen. In der Hausnummer 72 führt der Handyshop-Betreiber F. an Regalen voller Masken vorbei in ein karges Hinterzimmer. An den Wänden stapeln sich die Boxen: Masken aus China, Schutzbrillen aus Taiwan, importiert über die Slowakei, England, Bulgarien. Er weiß nicht, wie viel er in den vergangenen Monaten gekauft und verkauft hat. Es müssen Millionen gewesen sein. Obwohl Masken in der Krise kaum zu bekommen sein sollen.
Europa ist zum Seuchenherd in der Corona-Pandemie geworden. Der Kontinent mit den besten Gesundheitssystemen der Welt verzeichnet aktuell 140.000 COVID-19-bedingte Tote, und damit mehr als doppelt so viele wie die USA. Mindestens 12 Millionen Menschen haben in der EU entweder bereits ihre Arbeit verloren oder werden dies als Folge der Krise bis zum Jahresende tun. Noch vermag keiner die volkswirtschaftlichen Schäden seriös zu beziffern. Klar ist aber, dass es sich um den schlimmsten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg handelt und dadurch neue Schulden in Billionenhöhe entstehen. Damit wird eine Frage immer drängender: Hätte sich die Corona-Pandemie in Europa, wenn schon nicht aufhalten, dann zumindest abschwächen lassen? Und wer trägt die Verantwortung dafür, dass das nicht geschah?
Lieber Herr Fleischhacker,
die Lebensweisheit „hinterher sind immer alle klüger“ gilt natürlich auch für diese Pandemie. Aber nur, wenn alle hinterher klüger sind und somit etwas gelernt haben, können wir zukünftige ähnliche Herausforderungen besser bewältigen. Deshalb ist es so wichtig zurückzuschauen, kritische Fragen zu stellen, Entscheidungen zu evaluieren, vergangene Geschehnisse besser zu verstehen. Schauen wir also einmal kurz zurück auf meine drei persönlichen Schlüsselmomente.
Beginnen wir mit den Ereignissen in der Provinz Bergamo mit 1,1 Millionen Einwohnern. Nach einer eher schwachen Virensaison im Winter 2019/2020 konnte sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 im Jänner und Februar unerkannt in Norditalien verbreiten. Die anfängliche These, dass die relativ kleine chinesische Community für die Einschleppung verantwortlich war, hat sich bis heute nicht bestätigt. Der erste Tote Italiens wurde in Bergamo am 21. Februar registriert. Was in den darauffolgenden Wochen passierte, kann rückblickend nur als unglücklicher Teufelskreis bezeichnet werden. Zuerst füllten viele kranke hochbetagte Menschen die in den letzten Jahren finanziell ausgehungerten Krankenhäuser der Region. Anfangs dachten die Ärzte noch an eine verspätete Grippewelle. Als die Kapazitätsgrenzen erreicht waren, beschloss die Regionalregierung am 8. März, dem Tag des Lockdowns in der Lombardei, Patienten mit milden Symptomen in die Altersheime zu verlegen. Jedes Heim erhielt pro COVID-19-Patient 150 Euro am Tag. Die Folge war, dass Krankenhäuser und Altersheime zu Hotspots wurden und die Zahl der infizierten Personen aus der Hochrisikogruppe exponentiell stieg. Zusätzlich wurden zahlreiche Rettungskräfte, Pflegepersonen und Ärzte infiziert. Die Krankenversorgung kollabierte, und weil die lokalen Bestatter streikten, wurden die Toten mit Militärlastern weggeführt. Die zugehörigen Bilder gingen um die Welt und hatten eine nachhaltige Wirkung. In keiner einzigen anderen Stadt in Norditalien, inklusive Mailand, kam es zu ähnlichen Szenarios. Aber diese Aspekte wurden und werden nicht beachtet, warum auch immer. Hinterher sind nicht immer alle klüger.
„Bitte keine anonyme, von oben verordnete Gedenkstätte.“ Das ist der Wunsch des lokalen Bürgermeisters Christian Aufreiter (SPÖ), der in der zurückgehaltenen Machbarkeitsstudie gleich zu Beginn zu finden ist. Es ist ein Satz mit Symbolwirkung. Denn das Verhältnis dieses Ortes zu seiner Vergangenheit ist noch immer ein schwieriges. Dass diese lange kaum aufgearbeitet wurde, holt den Ort und seine Einwohner heute wieder ein.
In Gusen soll ein neuer Gedenkort entstehen – als Erinnerung an das ehemalige Lager, von dem heute kaum noch etwas übrig ist. Die Studie, die das Innenministerium nicht veröffentlichen wollte, soll eine Entscheidungsgrundlage dafür liefern. Darin werden konkrete Grundstücke genannt, die von der Republik „für die geplante Nutzung einer Gedenkstätte sinnvollerweise angekauft werden sollen”. Diese Liegenschaften werden heute als Wohn- und Firmenfläche genutzt.
Lieber Herr Sprenger, ich bin froh, wenn das alles bald einmal vorbei ist. Nicht, weil ich es im Ausnahmezustand besonders schlecht aushalten würde, ganz im Gegenteil: An meiner persönlichen Lebenssituation habe ich nichts auszusetzen. Wir haben einen Garten, der Sohn tut sich leicht in der Schule, die Tochter vermisst zwar den Kindergarten, ist aber ansonsten guter Dinge. Aber abgesehen davon, dass ich mir vorstelle, wie es nach eineinhalb Monaten Familien gehen muss, die über weniger luxuriöse Quarantänebedingungen verfügen, ermüdet mich der öffentliche Diskurs zunehmend.
Lieber Herr Sprenger,
ich fürchte, ich muss ein bisschen mit Ihnen schimpfen. Seit zwei Wochen will ich Sie dazu bewegen, als Gast in einen unserer Corona-Talks auf ServusTV zu kommen, jedes einzelne Mal lehnen Sie ab. Es sei noch nicht so weit, sagen Sie, erst wenn wir wissen, wie hoch die Herdenimmunität in Österreich schon ist, könne man im „Glaubenskrieg“ zwischen den Vertretern der Containment-Strategie und jenen der Herdenimmunität-Strategie eine Position beziehen. Aber muss man das überhaupt? Inzwischen wird wohl jedem klar sein, dass man, selbst wenn man „The Hammer & The Dance“ spielt, Wege suchen müssen, um die ursprünglich dafür vorgesehene Zeit von bis zu 18 Monaten radikal zu verkürzen. Die gesundheitlichen und sozialen Folgen der tiefen Depression, auf die wir schon jetzt zusteuern, werden sonst nicht weniger dramatisch sein – sogar was die Sterbezahlen angeht – als die die Folgen der Virus-Ausbreitung.
Professor Giesecke, Österreich erwacht gerade aus einem mehrwöchigen Lockdown. Was halten Sie davon, dass Österreich und viele andere Länder auf der Welt Lockdowns vollzogen haben? Warum hat Schweden einen anderen Weg eingeschlagen?
Am 26. Februar wird ein Anwalt im Wiener Spital Rudolfstiftung positiv auf das Virus SARS-CoV-2 getestet. Er liegt zu diesem Zeitpunkt bereits seit zehn Tagen im Spital – mit der Diagnose Grippe. Wie er sich angesteckt hat, ist bis heute nicht bekannt. Alle Besucher und neunzig Angestellte des Spitals werden unter Quarantäne gestellt, alle Tests verlaufen negativ. Nicht getestet werden seine Arbeitskollegen – schließlich ist der Mann bereits seit zehn Tagen im Spital und war schon lange nicht mehr im Büro.
Schon tags zuvor, am 25. Februar, wurden zwei Fälle in Tirol bekannt, die ersten in Österreich: Eine 24-jährige Angestellte eines Hotels und ihr gleichaltriger Freund werden positiv getestet, sie waren in Italien, haben einen leichten Verlauf und dürften niemanden angesteckt haben. Nur wenige Tage, bevor der Fall bekannt wird, hat Bundeskanzler Sebastian Kurz in dem Hotel übernachtet, das nach Bekanntwerden der Fälle gesperrt wird. Das Paar wird am 6. März aus dem Spital entlassen. Als erste Patienten in Österreich gelten die beiden als geheilt.