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Fälschen mit System
20. Februar 2019 System AKH Lesezeit 13 min
Der Fall Gnant geht in die nächste Runde: Nachdem der Leiter der Chirurgie am Wiener AKH wegen gefälschter Protokolle fristlos entlassen wurde, strebt der Brustkrebsspezialist eine Rückkehr als Forscher an der Meduni an. Jetzt wurde der Arzt wegen Betrugs bei der Wiener Staatsanwaltschaft angezeigt. Hat der Klinikleiter bewusst Protokolle gefälscht oder einen Systemfehler übersehen? Eine Suche nach Antworten.
Dieser Artikel gehört zum Projekt System AKH und ist Teil 1 einer 4-teiligen Recherche.
Bild: Matt Observe | Addendum

Update am 21. Mai 2019: Die Medizinische Universität Wien teilt in einer Stellungnahme mit, sich außergerichtlich mit Michael Gnant geeinigt zu haben. Der ehemalige Klinikleiter darf keine Leitungsfunktion mehr übernehmen, aber seine Forschungstätigkeiten wieder aufnehmen (vollständige Stellungnahme). 

Es war ein anonymes Schreiben an die Wiener Patientenanwaltschaft, das die Karriere von Brustkrebsspezialist Michael Gnant und den Ruf seines Arbeitgebers, der Medizinischen Universität Wien, ins Wanken brachte. Der Leiter der Chirurgie verlor im Herbst 2018 seinen Job, weil er dazu angeordnet haben soll, OP-Protokolle absichtlich zu fälschen. Dass dabei jemand zu Schaden kam oder Gnant sich finanziell bereicherte, ist bislang nicht belegt. Die Staatsanwaltschaft Wien nahm in einem ersten Schritt keine Ermittlungen auf, weil kein strafrechtlicher Anfangsverdacht gegeben war. Mitte Februar langte eine Anzeige wegen Betrugs ein, ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wurde aufgenommen, bestätigt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Außerdem prüft die Ärztekammer seine Vertrauenswürdigkeit – eine negative Entscheidung würde den Arzt die Zulassung in Österreich kosten, in einem Disziplinarverfahren des Wissenschaftsministeriums geht es außerdem um seinen Beamtenstatus. Seine Kündigung und Entlassung ficht Gnant vorm Arbeits- und Sozialgericht an. Ob das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zu Verzögerungen in der Causa führen wird, ist offen. „Es hängt vom Richter ab, ob das Verfahren am Arbeits- und Sozialgericht unterbrochen wird“, sagt Gnants Anwalt Stefan Prochaska dazu.

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Die erste Verhandlung

Die erste Verhandlung am Arbeits- und Sozialgericht Ende Jänner gewährte Einblick in die Beziehung der Meduni und einem ihrer ehemaligen Spitzen-Arbeitskräfte Michael Gnant. „Sie kennen einander ja, oder?“ Die Frage der Richterin in Saal 15 beantwortet Meduni-Rektor Markus Müller klar: „Ja, natürlich. Wir kennen uns sogar sehr gut“, man habe in den letzten Jahren erfolgreich zusammengearbeitet. „Ich habe als Rektor aber eine Verantwortung und es gibt gewisse Akten, an denen komme ich nicht vorbei. Nach Rücksprache mit Rechtskundigen gab es dienstrechtlich keine andere Alternative, als diesen Schritt zu setzen.“ Schließlich stehe auch die internationale Reputation der Medizinischen Universität auf dem Spiel.

Michael Gnant gesteht Fehlverhalten ein, auch, dass er als ehemaliger Leiter der Chirurgie als solcher in der Verantwortung einer korrekten Dokumentation gestanden hat. „Ich habe nicht alles richtig gemacht, bin aber auch nicht der Schuft, der betrogen und getäuscht hat“, eröffnet er seine Wortmeldung bei Gericht. „Ich glaube, es lässt sich ein Weg finden, dass ich an die Uni zurückkehre, in Stille, und das tue, was ich gut kann, und die Dinge, wo ich nicht fehlerfrei agiert habe, nicht mehr mache.“ Müller müsste, um Gnants Ruf als Forscher zu rehabilitieren, die Kündigung und die Entlassung zurücknehmen. Den Ausgang des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft einmal ausgenommen.

Die erste Verhandlung soll, so wünscht es sich die Richterin jedenfalls, auch die letzte sein. Sie hofft auf einen außergerichtlichen Vergleich zwischen dem Kläger, Michael Gnant und der Beklagten, der Medizinischen Universität Wien. „An mir wird das nicht scheitern“, antwortete Michael Gnant damals. Wie wahrscheinlich das aus heutiger Sicht ist, bleibt fraglich. Die Anzeige wegen Betrugs könnte die Chance auf einen außergerichtlichen Vergleich mindern und  das Verfahren am Arbeits- und Sozialgericht verzögern. Um den Fall in seiner gesamten Dimension zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück.

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Der Fall Gnant – Chronologie der Ereignisse
18: April 2018

Ein anonymes Schreiben langt bei der WPPA (Wiener Pflege und Patientenanwaltschaft) ein. Im Anhang sind vier Patientenakten inklusive OP-Protokollen aus dem AKH und anderen Spitälern – wie dem Goldenen Kreuz –, die auszugsweise Diskrepanzen zwischen OP-Berichten und Protokollen der Pflege bei Brustkrebs-Operationen – offenlegen. Der Autor spricht von Betrug – und bezieht sich auf Anweisungen an die Pflege, dieses System, das über lange Jahre schon betrieben wird, nicht mehr zu unterstützen.

Die Patientenanwältin Sigrid Pilz leitet das Schreiben an den Wiener Krankenanstaltverbund (KAV), dieser startet eine Interne Revision.

April 2018

Die WPPA bringt eine Anzeige bei der Wiener Staatsanwaltschaft ein. Diese beginnt jedoch keine Ermittlungen, da kein strafrechtlicher Anfangsverdacht besteht.

5. Juli 2018

Die „Stabsstelle Interne Revision“ gibt die Ergebnisse zur Sonderprüfung der anonymen Vorwürfe in einem Statusbericht bekannt. Der KAV untersuchte 269 Operationen im Zeitraum von Anfang Mai 2017 bis Ende April 2018. Bei 46 Operationen von Gnant gibt es in 43 Fällen Diskrepanzen. In einem Fall stimmen die Protokolle überein, zwei Operationen sind nicht beurteilbar.

11. Juli 2018

Die Medizinische Universität Wien setzt eine Sonderkommission zur Klärung der Vorwürfe rund um Gnant ein.

20. Juli 2018

Dem beschuldigten Mediziner wird, nachdem die Meduni-Sonderkommission erstmals getagt hatte, der oben erwähnte KAV-Revisionsbericht ausgehändigt.

25. Juli 2018

Michael Gnant nimmt in einem Brief an die Meduni erstmals schriftlich zu den Anschuldigungen Stellung. Die in dem anonymen Schreiben enthaltenen Vorwürfe seien schlicht unwahr. Der anonyme Brief sei in offenkundig verleumderischer Absicht erstellt worden, und das unter Verwendung rechtswidrig beschaffter Unterlagen.

7. August 2018

Gnant legt die Leitung des OP-Managements zurück.

6. September 2018

Gnants Anhörung gegenüber der Sonderkommission der Meduni findet statt. „Er gab nun zu, immer dann, wenn er die letzten Jahre als Operateur ausgeschrieben war, bisweilen selbst operiert zu haben, oft aber nur zu Beginn der Operation“, heißt es im vertraulichen Abschlussbericht der Soko.

2. Oktober 2018

Die Sonderkommission beendet ihre Arbeit mit der Empfehlung, Gnant sofort zu suspendieren, wenn nicht sogar zu entlassen, und ein Disziplinarverfahren einzuleiten.

Am gleichen Tag suspendiert die Meduni Gnant und beendet das Dienstverhältnis mit Gnant mittels Kündigung mit 31. März 2019.

8. November 2018

Die Meduni entlässt Gnant fristlos.

Mitte Februar 2019

Bei der Staatsanwaltschaft Wien langt eine Anzeige gegen Gnant wegen Betrugs ein. Die Staatsanwaltschaft nimmt ein Ermittlungsverfahren auf.

In der Angelegenheit um Operationsprotokolle am AKH Wien ist es zu einer außergerichtlichen Einigung zwischen der Medizinischen Universität Wien und dem Chirurgen und ehemaligen Leiter der Universitätsklinik für Chirurgie, Prof. Michael Gnant, gekommen.

Der Chirurg ist dafür verantwortlich, dass er in OP-Protokollen als Haupt-Operateur aufscheint, obwohl er nicht selbst operiert hat, und dass Patientinnen darüber im Unklaren gelassen wurden. Eine weitere Tätigkeit des Chirurgen in einer universitären Leitungsfunktion an der Medizinischen Universität Wien ist daher ausgeschlossen.

Da es sich bei dem betroffenen Chirurgen auch um einen international bekannten Forscher handelt, haben sich die Medizinische Universität Wien und Prof. Gnant geeinigt, dass er sich in den nächsten Jahren auf seine Tätigkeit als Forscher (vorerst im Rahmen einer Forschungskarenz) konzentrieren wird und er sich an der Medizinischen Universität Wien weder in der klinischen Routine noch als Operateur betätigen wird.

Michael Gnant
Brustkrebsspezialist

KAV und Sonderkommission: Wer die Vorwürfe gegen Gnant wie prüfte

Im anonymen Schreiben, das an die Wiener Pflege- und Patientenanwaltschaft (WPPA), ging, ist von Betrug die Rede. Und von einem „sehr mächtigen Chef“, der Allgemeinchirurgie. Er habe dazu angeordnet, seinen Namen einzutragen, sei aber selbst nicht im Operationssaal gewesen, wie die Protokolle der OP-Schwestern beweisen. Gnant habe außerdem seine Mitarbeiter unter Druck gesetzt, so zu agieren. Diese hätten dem aus Angst um die eigene Karriere Folge geleistet. Am 8. November 2018 wurde Gnant fristlos entlassen. Wenn das einem der renommiertesten Forscher der Meduni passiert, der zudem in einigen leitenden Funktionen tätig war, erregt das Aufsehen.

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Das anonyme Schreiben an die Patientenanwältin

Der Beschuldigte soll eigenen Angaben zufolge angeboten haben, diese Vorwürfe aufzuarbeiten. Sein Anwalt behauptet, die Patientenanwaltschaft hätte ihn nach Einlangen dieses anonymen Schreibens kontaktieren müssen: „Michael Gnant wurde als Betroffener von der Patientenanwaltschaft in keiner Weise eingeladen, zu den konkreten Fällen Stellung zu nehmen – weder vor noch nach Kontaktaufnahme der Patientenanwaltschaft mit den Patientinnen.“ Die Patientenanwaltschaft lässt diesen Vorwurf unbeantwortet.

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Die „Interne Revision“ des KAV verglich in ihrem Bericht die Unterlagen der protokollierenden Teams, die der Ärzte, der Pflege und der Anästhesisten. Bei Gnant gab es bei 46 Brustkrebsoperationen Diskrepanzen: Das Pflegepersonal hat anders protokolliert als die Ärzte. Laut Statusbericht des KAV war dieser Unterschied in den übrigen Protokollen der Chirurgie nicht festzustellen. Die Vermutungen, warum das so passiert ist, reichen von systematischer Anordnung durch Gnant bis hin zu systemimmanenten Problemen, die entstehen, weil unterschiedliche Teams protokollieren und weil die Dokumentation sowie die interne Software „AKIM“ zusätzlich umständlich im schon stressigen Alltag der Ärzte sei.

Im Fall der Diskrepanzen bei Gnant ist ein Muster deutlich erkennbar, weil in einem Großteil der Fälle dieselbe Person nicht nur an seiner statt operiert, sondern Gnant selbst auch als ersten Operateur eingetragen hat. Operateurin E. erklärte gegenüber der Sonderkommission, ihr sei gesagt worden, man mache das so. Für Chirurgen aus dem AKH-Umfeld ist, dem Vernehmen nach, beides denkbar: Zufall und Systematik. Es sei für alle sicht- und erkennbar gewesen, dass Operateurin E. statt Gnant operiert habe – vielen Patientinnen habe sie sich persönlich vorgestellt und sie informiert. Das OP-Team werde mit dem Operationstermin eingetragen, ohne in allen Fällen schon zu wissen, wer tatsächlich operieren wird. Der behandelnde Arzt, also in dem Fall Gnant, wird als Verantwortlicher an die Stelle des ersten Operateurs geschrieben. Beim nachfolgenden Vidieren jedenfalls achte man weniger auf das OP-Team, sondern vor allem auf die medizinischen Inhalte zur Operation. Der Bericht kann im AKIM darüber hinaus auch ohne eine weiteren Überprüfung des OP-Teams abgelegt werden. Gnant jedenfalls sagt im Gespräch mit Addendum, er habe nicht gewusst, dass es Protokolle mit seinem Namen gäbe, und das einzig Intentionelle sei ein „Back-up-System“ gewesen, das er, nachdem die Zeit zum Operieren immer weniger geworden war, etabliert habe.

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Die Tatsache, dass Gnant nicht nur Klinikleiter, sondern auch Leiter des Operationsmanagements war, macht seine Behauptung, nicht von den Fehlern bei der Protokollierung gewusst zu haben, jedenfalls angreifbar. Im Rechtsstreit mit der Meduni zielt der Arzt jedenfalls nicht auf eine Rückkehr in eine Leitungsfunktion ab, sondern auf die Forschung. Für diese Strategie könnte die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wenig förderlich sein. Gnants Anwalt ist sich jedenfalls sicher, dass diese zweite Anzeige, wie auch die erste, ohne Folgen für seinen Mandanten bleiben wird.

Nach wie vor bleibt Gnant dabei, dass das ihm unterstellte Ausmaß nicht stimmt. Nur bei 22 von jenen 43 Fällen mit Protokollproblemen sei er nicht im OP-Saal gewesen. Die übrigen 21 Operationen habe er zur Gänze oder teils selbst durchgeführt, zumindest sei er aber im Operationssaal gewesen. Die Protokollierung sei fehlerhaft, weil das System keine Möglichkeit biete einzutragen, ob man als Operateur im Hintergrund anwesend ist oder nur teilweise operiere.

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Der Krankenanstaltenverbund schreibt in seinem Bericht weiters, man habe innerhalb der Chirurgie auch andere Abteilungen untersucht und derartige Abweichungen nicht gefunden. Eine bis 2011 rückwirkende Untersuchung der Protokolle seitens des KAV habe die Universität weiter in ihrem Vorgehen bei der Entlassung Gnants bestärkt, lässt die Meduni auf Anfrage von Addendum ausrichten. Und dass zwar Abweichungen gefunden wurden, die Dokumentation aber grundsätzlich ordnungsgemäß erfolgte. Zum Beispiel wurde zu spät vidiert, nicht aber, wie in der Causa Gnant, die entscheidende Funktion des hauptverantwortlichen ersten Operateurs falsch eingetragen.

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Fehlerhafte Protokolle auch in anderen Bereichen

Der Fall Gnant umfasst zwei grundlegende Aspekte: zum einen die der systematischen Falschprotokollierung des Klinikleiters, zum anderen generelle Probleme bei der Protokollierung am AKH aufgrund des internen Systems. Eine umfassendere Analyse der Ärztlichen Direktion von Dezember, die Addendum vorliegt, kommt zu dem Schluss, dass in 40 Prozent von 1.739 Operationen Diskrepanzen zwischen den Protokollen der Ärzte und der Pflege bestehen. Untersucht wurden die Abteilungen Allgemeinchirurgie, Thoraxchirurgie, Plastische Chirurgie, Transplantationschirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Neurochirurgie und Urologie. Und die Abweichungen betreffen – das steht im Widerspruch Analyse des KAV – auch die Funktionszuordnung der Operateure, jedoch nicht des ersten Operateurs, wie bei Gnants Protokollen. Um diesen Umstand zu verbessern, sollen zukünftig die Terminplanung und die OP-Teamerfassung unabhängig voneinander eingetragen werden können, demnach sieht man also seitens der Ärztlichen Direktion schon Handlungsbedarf und Dokumentationsprobleme. Schon jetzt soll die gemeinsame Erfassung des OP-Teams von Ärzten und der Pflege nach dem Vieraugenprinzip und auf einem Blatt Papier im OP-Saal stattfinden, heißt es aus dem AKH-Umfeld. Mit der Causa Gnant habe das alles aber nichts zu tun, lässt die Sprecherin der Ärztlichen Direktion ausrichten.

Von generellen Dokumentationsproblemen will man seitens Meduni jedenfalls nichts wissen. Auf diese Analyse von Addendum mehrfach angesprochen, bleibt die Meduni dabei: Gnant sei ein „gravierender Einzelfall“ aufgrund des Musters der Falscheintragungen. Es gebe keine generellen Probleme in der Dokumentation. Der Meduni-Sprecher erwähnt in diesem Zusammenhang Versuche Dritter, „die vorliegende Causa durch völlig unzutreffenden Hinweis auf generelle Dokumentationsproblem“ zu relativieren. Die Frage, ob damit auch die Auswertung der Ärztlichen Direktion gemeint sei, lässt der Sprecher unbeantwortet.

Überhaupt liege aber, so der Sprecher gegenüber Addendum, die ordnungsgemäße Dokumentation sowie die Bereitstellung einer entsprechenden Infrastruktur in der Verantwortung des KAV – dem Träger des AKH. Und der wiederum beantwortet die Frage nach Dokumentationsmängeln mit dem Hinweis, „das Krankenhaus Informations- und Dokumentationssystem des AKH Wien (AKIM) beruht auf dem national und international am häufigsten eingesetzten Softwaresystem SAP i.s.h. med. Dieses System wird in vielen Krankenhäusern, vor allem auch in Universitätskliniken, eingesetzt, und entspricht dem Stand der Technik in der IT-Branche im Health Care-Bereich.“ Man arbeite an Weiterentwicklungen.

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Bericht der Sonderkommission

Der KAV, der als Betreiber des AKH also für die ordungsgemäße Dokumentation und auch die Infrastruktur dazu zuständigt ist, deckt allerdings noch nicht alle Zuständigkeiten ab. Interessanterweise hat die Meduni, nach Auskunft, „allein schon aus datenschutzrechtlichen Gründen keinen Zugriff auf die OP-Dokumentation. Die Universität trifft allerdings eine personalrechtliche Verpflichtung bei gezieltem Fehlverhalten von einzelnen Universitätsangehörigen.“ Also prüfte neben dem KAV auch Gnants Arbeitgeber die Causa selbst und richtete dafür eine Sonderkommission ein. Unter den Mitglieder war Wolfgang Schütz, der ehemalige Rektor der Meduni. Michael Gnant stellt die Unabhängigkeit der Sonderkommission infrage, und erklärt dies im Gespräch mit Addendum durch persönliche Differenzen.

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Das Rektorat sieht Gnants Kritik an der Soko als eine „irrelevante Schutzbehauptung“, weil Gnant von Schütz persönlich als Professor berufen und in Folge als Klinikleiter eingesetzt wurde. Auffallend jedenfalls ist, dass die Sonderkommission Gnants Argument, dass das interne Protokollierungssystem falsch verwendet wurde, nach der Befragung von zwei Klinikleitern als nichtig erklärt – einer ein pensionierter Vorgänger Gnants, der andere sollte später die Nachfolge von einem von Gnants Ämtern antreten. Dabei beschweren sich intern die Ärzte am AKH schon lange über das Softwaresystem und dessen mangelhafte Benutzerfreundlichkeit, wie einige gegenüber Addendum behaupten. Gegen zwei Operateure wurden dienstrechtliche Schritte seitens der Sonderkommission empfohlen. Inwiefern die Meduni dieser Empfehlung nachgekommen ist, bleibt auch nach Anfrage offen.

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Finanzielle Bereicherung und Betrug bisher nicht nachgewiesen

Ein wesentliches Motiv, das Michael Gnant unterstellt wird, ist die finanzielle Bereicherung, sie kann in unterschiedlichen Formen auftreten. Den Vorwurf der „Kuvertmedizin“ weist Gnant zurück.

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Bei der „Kuvertmedizin“ lässt sich ein Arzt, zum Beispiel im Rahmen einer Voruntersuchung in einer Privatordination, vom Patienten ohne Rechnung Geld geben, unter der Annahme des Patienten, so eine bessere Behandlung oder einen früheren OP-Termin zu bekommen. Mit oder ohne Kuvert geht es dennoch dann auch um die Frage, was dem Patienten in dieser Situation suggeriert wird. Ob man selbst operiert oder jemand anderes. Wie sich das bei Gnant verteilt ist noch unklar. Ein Arzt verdient in einer Privatordination an den Honoraren – im Fall Gnant waren es rund 200 Euro. Eine seiner Patientinnen gab an, fünf Termine mit Nachsorge gehabt zu haben, in ihrem Fall belaufen sich seine Einnahmen also auf rund 1.000 Euro.

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Gnant und das Goldene Kreuz

In dem oben beschriebenen anonymen Schreiben, dem OP-Protokolle beigelegt waren, wird dargelegt, dass Gnant in zwei nahezu zeitgleichen Operationen als Operateur auftaucht – im AKH und in der 1,2 Kilometer entfernten Privatklinik Goldenes Kreuz. Dieser Hinweis konnte mangels Zuständigkeit nicht von der Internen Revision des KAV geprüft werden, wie es im Bericht des KAV heißt. Im Untersuchungszeitraum soll er im Abgleich mit einer Abwesenheitsliste die die Sonderkommission der Internen Revision des KAV zur Verfügung gestellt haben soll, fünf Tage abwesend gewesen sein. Die Prüfer werfen außerdem die Frage auf, ob die falsche Protokollierung mit Abwesenheiten und Anwesenheiten im Goldenen Kreuz zusammenhängt – eine Abwesenheitsliste liegt dem Bericht der Sonderkommission jedenfalls nicht bei. „Eine 5-tägige Abwesenheit ist von Michael Gnant allerdings nicht nachvollziehbar“, lässt das Büro der Rechtsvertretung von Gnant ausrichten.

Sein Anwalt Stefan Prochaska erklärt dazu, dass der Brustkrebsspezialist zwischen Mai 2017 und April 2018 60.000 Euro Umsatz aus Wahlarzthonoraren erwirtschaftete. Laut eigenen Angaben ist Gnant vier Stunden wöchentlich in seiner Privatordination und operiert – ebenfalls vier Stunden pro Woche – im Goldenen Kreuz. Dort gibt es ein chirurgisches Board, in dem neben Gnant weitere Chirurgen sitzen, die die ebenfalls in den Prüfberichten auftauchen. Damit das AKH, wie auch das Goldene Kreuz, zertifizierte Brustgesundheitszentren führen dürfen, muss jeder behandelnde Chirurg nachweislich mindestens 30 Patienten pro Jahr operiert haben. Zudem ergaben Addendum-Recherchen, dass jährlich insgesamt mindestens 100 Patientinnen behandelt werden müssen. Ebendiese Zertifizierung führt die Sonderkommission als mögliches Motiv für eine Fälschung von Protokollen an.

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Ärztekammer prüft Vertrauenswürdigkeit

Neben der Staatsanwaltschaft und dem Arbeitsgericht beschäftigt der Fall Gnant aktuell zwei weitere Institutionen: den Ehrenrat der österreichischen Ärztekammer, der Gnants Vertrauenswürdigkeit mit „allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln“ prüfen will. Und die Disziplinarkommission des Wissenschaftsministeriums, von beiden erfolgte aber noch keine Kontaktaufnahme, so Gnants Rechtsvertreter. Ende Dezember hat die Meduni Disziplinaranzeige erstattet. Diese betrifft Gnants Beamtenstatus: Seit 1990 war Gnant als Beamter im öffentlichen Dienst und als solcher der Meduni zugewiesen. Seit 2004 war er zudem Angestellter der Meduni. Zwischen 2004 und 2008 wurde der Beamtenstatus deshalb karenziert, danach erfolgte eine Freistellung als Beamter auf unbestimmte Zeit für Zwecke der Forschung und Lehre und unter Entfall der Bezüge. Nur ein Disziplinarverfahren könnte den Beamtenstatus nun aufheben. Aus der Disziplinarkommission des Wissenschaftsministeriums heißt es, dass es noch ein Jahr dauern könnte, bis das Verfahren überhaupt anläuft.

Vor dem Arbeitsgericht treffen der ehemalige Chirurgieleiter Michael Gnant und Meduni-Rektor Markus Müller im März wieder zusammen. Davor gibt es Gespräche zwischen den beiden, das erste soll noch im Februar stattfinden. Der eine will schnellstmöglich wieder zurück in die Forschung, der andere die Reputation seines Institutes retten, ein aufwendiges, langes Verfahren könnte diese noch weiter schädigen. Und die Richterin drängt – warum auch immer – auf einen Vergleich.

Nicht auszudenken, was passierte, wenn in einem Gerichtsprozess die ganze Wahrheit und also das gesamte System ans Tageslicht käme. Weil viele Wissende geladen würden. Als Zeugen. Unter Wahrheitspflicht. 

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Das Addendum-Team, September 2020