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Das AKH und die Spenderlungen
25. November 2019 System AKH Lesezeit 15 min
Der Wiener Chefchirurg Walter Klepetko soll Spenderlungen an Patienten aus Ländern vergeben haben, mit denen es keine vertraglichen Vereinbarungen gab – und davon finanziell profitiert haben. Addendum hat die Vorwürfe umfassend dokumentiert.
Dieser Artikel gehört zum Projekt System AKH und ist Teil 3 einer 4-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Update 16. Dezember:

Die WKStA hat gegen Walter Klepetko ein Ermittlungsverfahren aufgrund des Vorwurfs der Bestechlichkeit eingeleitet.

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Walter Klepetko

Im Oktober machte der Leiter des Wiener Lungentransplantationszentrums, Walter Klepetko, Schlagzeilen: Er soll Spenderorgane im Widerspruch zu gültigen Vereinbarungen vergeben haben.

Dabei war der renommierte Thoraxchirurg – 2014 erhielt er für seine medizinischen und wissenschaftlichen Leistungen das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich –, der auch Niki Lauda eine Lunge transplantiert hat, als Leiter der Universitätsklinik für Chirurgie angetreten, um deren guten Ruf wiederherzustellen, der gerade schwer geschädigt worden war: Klepetkos Vorgänger, der Brustkrebsspezialist Michael Gnant, war entlassen worden – die Entlassung wurde später zurückgenommen – , weil er die Fälschung von OP-Protokollen angeordnet haben soll. „Durch diesen Einzelfall hat der Ruf der gesamten Chirurgie vollkommen zu Unrecht gelitten“, sagte Klepetko über seinen Vorgänger. Nun stehen nicht minder schwere Vorwürfe gegen ihn selbst im Raum.

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Was wird Walter Klepetko vorgeworfen?

  • Die kurze Antwort: Klepetko soll als Leiter des Lungentransplantationszentrums in Wien Spenderlungen an Patienten aus Ländern vergeben haben, mit denen es keine vertraglichen Vereinbarungen gab; davon soll er finanziell profitiert haben. Zur langen Antwort.

Wie funktioniert das Organvermittlungsnetzwerk Eurotransplant?

  • Die kurze Antwort: Österreich ist eins von acht Mitgliedsländern von Eurotransplant (ET). Wird in einem der Mitgliedstaaten ein Spenderorgan frei, wird in allen nach einem passenden Empfänger gesucht. Bei der Organvermittlung gelten in ET-Mitgliedsländern bindende Regeln. Zur langen Antwort.

Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen dem ET-Mitgliedsland Österreich und den südosteuropäischen Ländern, die nicht ET-Mitglied sind?

  • Die kurze Antwort: Sogenannte Twinning-Agreements ermöglichen eine Zusammenarbeit mit Ländern, die nicht Mitglieder des ET-Netzwerks sind. Ihnen liegen Verträge zugrunde, die zum einen beinhalten, dass solche Beziehungen selbsttragend sein müssen, also genauso viele Organe aus den Ländern kommen müssen, wie an sie abgegeben werden. Zum anderen muss die Entwicklung der Organtransplantation in jenen Ländern vorangetrieben werden. Beide Bedingungen wurden nicht erfüllt, die Verträge wurden daher nach ihrem Auslaufen 2017 nicht verlängert. Zur langen Antwort.

Hat Klepetko nicht nur gegen ET-Regeln verstoßen, sondern sich auch bereichert?

  • Die kurze Antwort: Addendum liegen Honorarnoten vor, die belegen, dass der Chirurg bis zu rund 17.000 Euro für Transplantationen am Zentrum in Wien verrechnet hat; und zwar an ausländische staatliche Versicherungen und auch Selbstzahler. Laut Insidern ist das dreimal so viel, wie für eine Operation in Österreich verrechnet werden darf, und demnach nicht angemessen. Zur langen Antwort.

Was wusste Klepetkos Dienstgeber, der Rektor der Medizinischen Universität Wien?

  • Die kurze Antwort: Rektor Müller wusste seit 2016 über die Vorgänge am Wiener Lungentransplantationszentrum und die Kritik, die es seitens ET dazu gab, Bescheid, machte ihn 2019 aber trotzdem zum Leiter der Chirurgie. Die MUW betont, nicht der gesetzlich zuständige Krankenanstaltenträger zu sein, und auch nicht Vertragspartner von ET – sie ist aber Klepetkos Dienstgeber. Zur langen Antwort.

Was wird Walter Klepetko vorgeworfen?

Im Oktober ging bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft eine anonyme „Sachverhaltsdarstellung“ ein, die den Leiter des Transplantationsprogramms Walter Klepetko schwer belastet. Er soll regelwidrig Spenderlungen vergeben und dafür überteuerte Honorare verlangt haben. Im Schreiben heißt es wörtlich:

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„Wir wenden uns mit der Bitte an Sie, einen nationalen und internationalen Transplantationsskandal aufzuzeigen. Die nachfolgenden Missstände in der Vermittlung von Spenderlungen bestehen in Wien an der Abteilung für Thoraxchirurgie der Medizinischen Universität Wien seit vielen Jahren und wurden trotz wiederholter Ermahnungsschreiben der internationalen Organvermittlerorganisation Eurotransplant über Jahre nicht korrigiert. Diese systematische Verletzung der Vermittlungsregelungen sind mit der lukrativen Transplantation von ausländischen Privatpatienten durch Ausstellung von nicht legitimen und völlig überteuerten privaten Arzthonoraren verknüpft. […] Wir versichern Ihnen, dass wir uns in dieser Sache bereits mehrfach an die dienstvorgesetzten Stellen gewandt haben, die nötigen Konsequenzen aber nicht gesetzt wurden; jetzt, nachdem uns die finanziellen Implikationen bekannt gemacht wurden, sehen wir mit diesem Schritt die wichtigste aber auch wirkungsvollste Möglichkeit dieses kriminelle und verwerfliche Verhalten zu verfolgen und Konsequenzen einzuleiten.“

Seit zehn Jahren soll es „dieses System“ dem Vernehmen nach schon gegeben haben. Den Anstoß für die aktuellen Ermittlungen liefert ein Vorfall Anfang Oktober 2019: die Transplantation einer Lunge aus Griechenland an einer griechischen Patientin am AKH in Wien. Mit Griechenland gab es zu diesem Zeitpunkt kein Abkommen, und die Patientin, die das Organ erhalten hat, sei nur vier Stunden auf der Warteliste gestanden. Im Durchschnitt warten Patienten mehrere Monate auf ein Organ, jedes Jahr sterben etwa hundert, weil sie kein Organ bekommen. Wäre alles regelkonform abgelaufen, so der Vorwurf, hätte ein anderer Patient die Spenderlunge bekommen müssen, einer aus einem Eurotransplant-Mitgliedsland.

Neben der Korruptionsstaatsanwaltschaft prüfen auch eine von der Medizinischen Universität Wien (MUW) eingesetzte Expertenkommission und der Ehrenrat der Ärztekammer die Vorwürfe. AKH und MUW lassen wissen, dass sie die Vorwürfe sehr ernst nehmen und in drei bis vier Monaten zu einem Ergebnis kommen wollen.

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Wie funktioniert das Organvermittlungsnetzwerk Eurotransplant?

Die Eurotransplant International Foundation mit Sitz in den Niederlanden ist die zentrale Vermittlungsstelle für Organspenden in den acht Mitgliedstaaten Österreich, Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Ungarn und Slowenien. Rund 136 Millionen Menschen leben im Einzugsgebiet dieses Netzwerks. Diese Größe bedeutet eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit, für ein verfügbares Organ einen passenden Patienten zu finden. Wenn in einem der Länder ein Spenderorgan frei wird, wird ein Empfänger nicht nur im selben Land, sondern in allen teilnehmenden Ländern gesucht. Rund 7.000 Organe werden nach ET-Angaben jährlich über Eurotransplant vermittelt. Auf der zentralen Warteliste stehen 15.000 Patienten, die durchschnittliche Wartezeit beträgt mehrere Monate.

Da Österreich Teil dieses Netzwerks ist, kann es nicht autonom entscheiden, an wen ein Spenderorgan geht. Diese Vermittlung übernimmt Eurotransplant.

Dessen Mitglieder müssen gewisse Kriterien erfüllen: Transparenz darüber, wie die Patienten, die auf der Warteliste stehen, für eine Transplantation ausgewählt werden, Nachvollziehbarkeit der Entstehung dieser Wartelisten und eine Mindestanzahl an Spenderorganen pro Million Einwohner und Jahr.

Eurotransplant hat eine zentrale Warteliste, die mit den nationalen Wartelisten der Transplantationszentren synchronisiert ist. Auf der Warteliste in Wien finden sich auch Patienten, die nicht aus dem ET-Raum stammen. Das dürfte seit Auslaufen der sogenannten Twinnig-Vereinbarungen mit Nicht-ET-Ländern (siehe unten) eigentlich nicht mehr der Fall sein, allerdings kann es sein, dass es sich dabei um Patienten handelt, die noch während der bestehenden Vereinbarung auf die Liste kamen und nach Auslaufen aus humanitären Gründen nicht einfach von der Liste gestrichen wurden.

Ausgeglichene Organbilanz

Prinzipiell wird versucht, Organe im Herkunftsland zu vergeben. Gibt es dort keinen passenden Empfänger, wird das Organ im gesamten Netzwerk angeboten. Insgesamt soll die Bilanz aber ausgeglichen sein. Im Normalbetrieb bedeutet das: Bekommt ein österreichischer Patient ein Organ aus Deutschland, wird beim nächsten verfügbaren Organ aus Österreich vorrangig ein deutscher Empfänger gesucht. In Fällen, in denen kein bestimmtes Land Vorrang hat oder in denen es zeitlich eng wird und man Gefahr läuft, das Organ nicht mehr verwenden zu können, wechselt der Vergabeprozess in die „rescue allocation“. Das bedeutet, dass alle Zentren, die Teil des ET-Netzwerks sind, über die Verfügbarkeit eines Organs benachrichtigt werden, worauf das Organ nach dem Prinzip „first come first served“ vergeben wird. Erhält ein Transplantationszentrum nach Prüfung der internen Unterlagen den Zuschlag, können die Ärzte das Organ an einen Patienten auf ihrer Warteliste vergeben.

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Damit ein Organ einem anderen Menschen eingepflanzt werden kann, müssen bestimmte medizinische Voraussetzungen erfüllt sein, so müssen etwa Blutgruppe und Gewebemerkmale zueinander passen.

Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen dem ET-Mitgliedsland Österreich und den südosteuropäischen Ländern, die nicht ET-Mitglied sind?

Die Grundidee der Twinning-Agreements war, Know-how im Bereich der Organtransplantation in Partnerländer zu transferieren, damit dort auf längere Sicht die Selbstversorgung in der Transplantation von Organen gewährleistet werden kann. Auf diese Grundidee bezog sich auch Walter Klepetko in einem Brief, den er an ET richtete: „Twinning Agreements“, schreibt er dort, „sind sehr wichtig und wertvoll. Für Twinning Partner, um die Lungentransplantation lokal voranzutreiben und auch für ET und ihrer Rolle als Leuchtturmorganisation in der Organtransplantation und ihre Weiterentwicklung.“

In Praxis allerdings hat diese „medizinische Entwicklungshilfe“ nicht stattgefunden. Eine Studie, die das Europäischen Direktorat für die Qualität von Medizin im Jahr 2018 durchgeführt hat, besagt, dass bis auf Ungarn und Estland bis 2017 – als die letzten Verträge ausliefen – in den Twinning-Partnerländern Österreichs keine lokalen Lungentransplantationen durchgeführt wurden. Quellen aus dem AKH zufolge sollen sich am Transplantationszentrum in Wien kaum je medizinische Kollegen aus den Twinning-Partnerländern eingefunden haben, und auch die Vorstellung, dass Klepetkos Mitarbeiter im Ausland gewesen sein sollen, um ihr Wissen weiterzugeben, halten Insider angesichts der Ressourcenknappheit am AKH für höchst unwahrscheinlich. Das AKH lässt in diesem Zusammenhang wissen, dass man sich bis zum Abschluss der Prüfung durch die Expertenkommission nicht mehr zu diesem Fall äußere. Sowohl die MUW als auch das AKH verweisen auf gemeinsam ausgesendete Pressemeldungen vom 19. und 21. Oktober.

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Das Twinning-Agreement mit Griechenland ist 2017 abgelaufen. Trotzdem bekam am 8. Oktober 2019 eine griechische Patientin in Wien eine Lunge aus Griechenland transplantiert. Um das möglich zu machen, wurde das Spenderorgan Eurotransplant gemeldet und hätte eigentlich dem gesamten Eurotransplant-Raum angeboten werden müssen. Wäre alles mit rechten Dingen zugegangen, so der Vorwurf, hätte das Organ an einen anderen Empfänger gehen müssen; an einen Patienten aus einem Eurotransplant-Mitgliedsland. Im Durchschnitt warten Patienten monatelang auf ein Spenderorgan, jährlich sterben etwa hundert, weil sie kein Organ bekommen.

Die Ärzte in Wien wussten jedenfalls bereits vorab von der Spenderlunge, weil sie von ihren griechischen Kollegen davon in Kenntnis gesetzt wurden. Damit, so lautet der Vorwurf, wurde der Kern der „rescue allocation“, demzufolge alle Zentren zeitgleich Information über ein Spenderorgan enthalten, damit sie die gleiche Chance auf das Organ haben, ausgehebelt. Wegen der Vorab-Information hätten die anderen Zentren, die Teil des ET-Netzes sind, keine Chance auf das Spenderorgan gehabt. Warum man die Transplantation in Wien und nicht in Griechenland durchgeführt hat, wurde in den Tagen des Bekanntwerden der Geschichte diskutiert: Die griechischen Ärzte hätten darum gebeten, die Operation sei sehr komplex gewesen. Das allerdings bezweifeln Insider: Sie habe nur wenige Stunden gedauert, was gegen die Komplexität spreche. Die Medizinische Universität Wien setzte eine Expertenkommission ein, um diesen Fall und die damit aufgetauchten Vorwürfe im Detail zu prüfen. 

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Twinning-Agreements mit Wien

Dass die Twinning-Agreements eine negative Organbilanz zur Folge haben und damit die festgelegten Kriterien nicht erfüllen, war jedenfalls schon 2016 bekannt, wie eine rege und durchaus kontroversielle Korrespondenz zwischen Walter Klepetko und Eurotransplant zeigt, in die auch Klepetkos Dienstgeber, der Rektor der Medizinuniversität Markus Müller, involviert war. Klepetko wollte damals Twinning-Agreements verlängern, obwohl sie deutlich negative Salden aufwiesen und daher bei weitem nicht „self sufficient“ waren, etwa jenes mit Rumänien. Das wurde ihm Anfang Februar 2016 von Eurotransplant untersagt, und er wurde darauf hingewiesen, dass auch andere Agreements, nicht nur das mit Rumänien, nicht selbsttragend sind. Klepetko selbst sprach freilich nach Bekanntwerden des Griechenland-Falls im Herbst 2019 davon, dass er selbst für die Beendigung der Abkommen gesorgt habe.

Zugleich empfahl Eurotransplant dem Leiter des Wiener Transplantationszentrums, keine Patienten aus Ländern anzunehmen, die negative Salden mit dem ET-Raum aufweisen.

Klepetko entgegnete auf die wiederholten Vorhalte von Eurotransplant, dass er zu anderen Schlussfolgerung komme: Die Beziehungen seien sehr wohl selbsttragend, wenn man die „overall balance“ betrachte. Klepekto kommt auf ein Plus von 81 Organen im Zeitraum 2005–2015 und betont noch einmal die Wichtigkeit der Twinning Agreements für die Entwicklung der Organtransplantation. Freilich kommt diese positive „overall balance“ nur unter Einrechnung jener Spenderlungen zustande, die aus Ungarn kamen, was allerdings nicht zulässig ist, weil erstens jedes Land für sich „self sufficient“ sein muss, und zweitens, noch wichtiger, Ungarn seit 2012 Mitglied von Eurotransplant ist.

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Die Zahlen des Transplantationsberichts 2018 zeigen: Zwischen 2014 und 2018 wurden österreichischen Empfängern in Wien und in Innsbruck insgesamt 351 Lungen transplantiert. Aus Bozen kamen zehn Empfänger und neun Lungen, aus Trient kam eine Lunge und kein Empfänger. Aus Ungarn kamen 51 Empfänger und 133 Lungen; 191 andere ausländische Empfänger bekamen eine Lunge aus diesem Pool transplantiert, ohne dass aus deren Ländern Lungen zur Verfügung gestellt wurden. Das bedeutet: Österreich ist self sufficient – die Zahl der transplantierten Österreicher deckt sich mit dem Spendenaufkommen aus Österreich. Und es bedeutet im Umkehrschluss, dass das Plus an 82 Spenderlungen (133 Lungen – 51 Empfänger), die aus dem ET-Mitgliedsland Ungarn ans Wiener Transplantationszentrum kamen, nicht für  Patienten aus dem ET-Raum verwendet wurden, sondern eben für 191 Patienten aus nicht ET-Ländern. Wien hat als ET-Mitglied Lungen aus dem ET-Mitgliedsland Ungarn bekommen, die dann über Wien an nicht ET-Empfänger vergeben wurden. Das aber ist nach dem ET-Regulativ eindeutig nicht zulässig.

Durch Twinning-Agreements mit Wien kamen 43 Spenderlungen zusätzlich in den ET-Raum, doch 80 Empfänger wurden transplantiert. Das ergibt eine Differenz von 37 Lungen, die dem ET-Pool verloren gegangen sind – zum Schaden der österreichischen Patienten und zum Schaden von ET. In den Jahren 2012 bis 2015 ist über Wien ein Minus von 60 Lungen entstanden.

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Dass Lungen in den Nicht-ET-Raum gingen, zeigt auch der Jahresbericht des Wiener Lungenzentrums von 2018. Während 2018 rund 81 Prozent der Transplantationen an Österreichern durchgeführt wurden, war es 2016 nur rund die Hälfte gewesen. Damals wurden sehr viele Lungen an Patienten mit noch aktiven, aber auslaufenden Twinning-Agreements transplantiert: Bulgarien, Griechenland, Serbien, Slowakei. Die Verträge mit Rumänien liefen 2015 aus, 2017 gab es noch aufrechte Verträge für Transplantationen an Patienten aus Zypern, Griechenland und der Slowakei.

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Die Situation nach 2017

Es gab auch nach Auslaufen der letzten Twinning-Agreements 2017 Versuche, neue Partnerschaften zu etablieren. Die Nachfolgevereinbarungen zu den Twinning Agreements heißen Teach and Training Agreements (TTA), eine bewusste Umbenennung, die den Ausbildungsaspekt gegenüber dem Organaustausch-Aspekt stärken soll; ein TTA mit Griechenland kam aber nie zustande. Interne Unterlagen zeigen, dass Walter Klepetko versucht hat, ein TTA mit Bulgarien zustandezubringen, das wurde aber, wie erwähnt, von der ärztlichen Direktion des AKH unter Hinweis auf die herrschende Ressourcenknappheit abgelehnt. Lungentransplantationen sind aufwendige und langwierige Operationen, man befürchtete dadurch lange Wartezeiten für die eigenen Patienten etwa bei der Operation von Lungentumoren. Auf diese Ressourcenknappheit war der Transplantationsexperte Klepetko von der AKH-Leitung zumindest zweimal brieflich hingewiesen worden, hatte aber an seiner Praxis, Patienten aus Ländern anzunehmen, die weder dem ET-Raum angehörten noch Ländern mit Twinning- oder TTA-Abkommen, festgehalten.

Während das AKH also Anfang 2019 Klepetkos Bemühungen um neue Abkommen ablehnte, erklärten MUW und AKH kürzlich gemeinsam, dass das Wiener Lungentransplantationsteam über Jahre den strukturierten Aufbau neuer Transplantprogramme in anderen Ländern durchgeführt und Patienten aus diesen Ländern transplantiert habe. Die Gesamtbilanz des Organaustausches sei dabei immer positiv gewesen, was auch zu einer Senkung der Wartelistenmortalität für Österreicher auf 1,3 Prozent geführt habe. Diesen Aussagen stehen Erfahrungsberichte von Beteiligten, sowie bereits erwähnte Studie des Europäischen Direktorats für die Qualität gegenüber. Der Behauptung einer positiven Gesamtbilanz des Organaustausches widersprechen die Daten von ET,  und auch die Mortalität liegt laut Transplantbericht 2018 bei 6 Prozent und nicht bei 1,3 Prozent.

Zudem wurden die Aktivitäten des Lungen-Transplantationsteams am AKH Wien Ende 2017 einem umfassenden Audit unterzogen, wie es auf Nachfrage seitens MUW-Pressestelle heißt. Warum es danach trotzdem zu der Transplantation an der griechischen Patientin und den Vorwürfen einer systematischen Verletzung der Organvergabe gekommen ist, bleibt offen.

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Hat Klepetko nicht nur gegen ET-Regeln verstoßen, sondern sich auch bereichert?

Honorarnoten, die der Addendum-Redaktion vorliegen, legen eine finanzielle Bereicherung durch den Chirurgen nahe.

So hat Klepetko etwa einer ungarischen Versicherung Anfang 2019 rund 17.623 Euro für eine Transplantation an einem Sonderklasse-Patienten Anfang 2019 verrechnet. Die gleiche Summe entrichtete ein Selbstzahler Anfang des Jahres. Zwei Fünftel des Honorars gehen dabei an den Chirurgen, der Rest wird zwischen dem AKH und Klepetkos Team aufgeteilt. Dieser Schlüssel gilt für alle Sonderklassepatienten auf allen Abteilungen: 65 Prozent machen die ärztlichen Honorare des Teams aus, 12 Prozent der Infrastrukturbeitrag für das AKH, 20 Prozent für den Abteilungsleiter.

An dieser Stelle droht Walter Klepetko erneut Ungemach: Denn bei Transplantationen darf, auch nach den expliziten Bestimmungen der Twinning-Vereinbarungen, die wiederum an die Regeln innerhalb der ET angelehnt sind, nicht auf Profit abgezielt werden. Man kann die explizite Formulierung dieses Grundsatzes etwa im Vertrag mit Griechenland nachlesen, der bis 2017 gegolten hat. Selbst bei neutraler bis wohlwollender Betrachtung lässt sich die Tatsache, dass an ausländische Patienten mit weniger gut ausgestatteten Sozialversicherungssystemen und einem geringeren Lebensstandard Sonderklasse-Honorare verrechnet wurden, die fast um das Dreifache über dem liegen, was man in Österreich maximal verrechnen kann, schwer als vertragskonform darstellen. In den Verträgen steht nämlich auch ausdrücklich, dass maximal jene Kosten verrechnet werden dürfen, die auch im Land selbst anfallen.

Dass man auch in diesem Bereich so streng ist, hat einen guten Grund: Die Möglichkeit der finanziellen Bereicherung in einem Austauschnetzwerk für Organe hätte wohl weitreichende Implikationen: Wer genug Geld hat, kann sich ein neues Organ und damit ein besseres oder längeres Leben leisten. Das widerspricht den gängigen Vorstellungen einer egalitären Gesellschaft, in der medizinische Ressourcen ausschließlich nach medizinischen Kriterien vergeben werden sollten.

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Nach dem Wiener Krankenanstaltenrecht sind derartige Honorarnoten hingegen zulässig – vorausgesetzt, es wurde eine Gesamtsumme für alle medizinischen Leistungen mit dem Patienten vereinbart, die auf sämtliche involvierte Ärzte aufgeteilt wird. Das teilte die österreichische Ärztekammer auf Nachfrage mit. Das Krankenanstaltenrecht besagt außerdem, dass der leitende Arzt bei Sonderklassepatienten ohne inländische Privatkrankenversicherung frei bestimmen darf, was verrechnet wird. Bei Patienten mit inländischer, also österreichischer, Privatkrankenversicherung hingegen gelten die von der Ärztekammer verhandelten Tarife.

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Was wusste Klepetkos Dienstgeber, der Rektor der Medizinischen Universität Wien?

Nimmt man alle Handlungsstränge der Causa Klepetko zusammen, zeigt sich am Ende auch ein eklatantes Kompetenzverteilungsproblem: Österreich hat wie die anderen ET-Mitgliedsländer die Organverteilung an Eurotransplant ausgelagert, allerdings hat die Eurotransplant-Stiftung keinerlei Verfügungsgewalt gegenüber dem Wiener Transplantationszentrum. Ähnliches gilt für das Verhältnis zwischen dem AKH und der Medizinuniversität: Die ärztliche Direktion hat keine Weisungsbefugnis, da es sich beim Leiter der Gesamtchirurgie nicht um einen AKH-Dienstnehmer handelt, sondern um einen MUW-Angestellten. Die MUW wiederum betont, sie sei „weder der gesetzlich zuständige Krankenanstalten-Träger in dieser Angelegenheit der Krankenversorgung, noch Vertragspartner von Eurotransplant. Fachaufsicht, Anordnungsbefugnis und Verantwortung für Fragen der Krankenversorgung liegen bei der ärztlichen Direktion des AKH Wien“. AKH und die MUW betonen in einer gemeinsamen Presseaussendung, man halte sich an alle international vereinbarten Regeln, und dass die erhobenen Vorwürfe äußerst ernst genommen und einer weiteren Prüfung unterzogen werden. Drei bis vier Monate soll diese Prüfung durch eine internationale Expertenkommission, deren Mitglieder nicht bekannt sind, dauern. Darüber hinaus äußere man sich aktuell nicht mehr.

Der Fall Klepetkos weist etliche Ähnlichkeiten zu jenem seines Vorgängers Michael Gnant auf. Mit Gnant löste man den Konflikt nach anfänglich harten Bandagen überraschend außergerichtlich. Er hatte seine Entlassung vor dem Arbeits- und Sozialgericht angefochten, diese wurde zurückgenommen. Gnant wird voraussichtlich als Forscher an die Universität zurückkehren, die Staatsanwaltschaft ermittelt noch wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs. Der damaligen Entlassung Gnants – er war als Gesamt-Leiter der Chirurgie auch Klepetkos Vorgesetzter – ging, wie bei Klepekto, eine Prüfung durch eine Kommission voraus. Gnant vermutete damals, wie auch Klepetko heute, eine Intrige. Plötzlich werden systembezogene Anschuldigungen und Vorwürfe ins Treffen geführt, die schon seit Jahren Bestand haben sollen. Ein arbeitsgerichtliches Verfahren im Fall Gnant hätte wohl die Chance auf eine restlose öffentliche Aufklärung der Hintergründe gebracht. Möglicherweise wollte man mit der außergerichtlichen Einigung genau das verhindern. 

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