Weiße Wände und gelbe Bettwäsche prägen das Bild der Notaufnahme. Im Wartebereich sitzen gelangweilte Patienten, dazwischen ein alter Mann im Rollstuhl. An der Wand steht ein Transportbett, eine alte Frau liegt darin und wartet auf eine Krankenschwester, einen Arzt oder Pfleger. Auf der Straße vor der Station steht ein Rettungswagen, auch dieser Patient ist alt, trägt eine Sauerstoffmaske, hat allerdings keine offenen Verletzungen. Als Erstes wird er wohl von der Triageschwester begutachtet, sie wird entscheiden, wie dringend er im Vergleich zu den wartenden Patienten behandelt werden muss.
Dieses Bild hat wenig mit dem zu tun, das die meisten Menschen aus Fernsehserien kennen: immer freundliche Ärzte, die in Notaufnahmen Tag für Tag ein Leben nach dem anderen retten. In der Realität prägen kleine Verletzungen, Standarddiagnosen wie Grippe und bürokratische Probleme den Alltag. Außerdem lange Arbeitstage und Druck. Falsche Eigeneinschätzungen von Patienten erschweren die Arbeit, Diskussionen über Betten und Ressourcen kosten unnötig Zeit. Addendum hat mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Ambulanzen und Notaufnahmen in Österreich gesprochen. Pfleger, Assistenzärzte, Oberärzte und Abteilungsleiter haben uns erzählt, was ihren Arbeitsalltag ausmacht.
Die wichtigsten Probleme sind bekannt: zu viele Patienten, zu wenig Ressourcen. Vom Pfleger bis zum Abteilungsleiter beobachten die Mitarbeiter dafür mehrere Gründe: Patienten kommen am Wochenende, statt während der Arbeitswoche zum Hausarzt zu gehen. Andere wissen um ihre Krankheiten, zögern Arztbesuche allerdings hinaus, bis sie sofortige Behandlung benötigen – und diese Behandlung nur noch in der Notaufnahme geleistet werden kann.
Ebenfalls ein Problem sind Hausärzte, die ihre Patienten an das Krankenhaus überweisen, weil Ärzte und Patienten dort schnellere Behandlungen erwarten können. Wer lange genug im Wartezimmer sitzt, kann innerhalb eines Tages ein Röntgen erhalten, statt bei einem Diagnosezentrum wochenlang auf den Termin zu warten. Effizient ist das alles nicht. Schließlich sollten Ambulanzen und Notaufnahmen für tatsächliche Notfälle zur Verfügung stehen und nicht mit Routineuntersuchungen ausgelastet werden – besonders wenn der Patient schon mit der Diagnose seines Arztes ankommt.
Alle Gesprächspartner schildern, dass viele Patienten nicht wüssten, wann und warum sie die Notaufnahme besuchen sollen. Brustschmerzen, starke Bauchschmerzen oder Atemnot, auch Verletzungen, sind Gründe für einen Krankenhausbesuch. Wer allerdings einen Bluterguss präsentiert und eine Diagnose dafür möchte, muss damit rechnen, von Pflegern und Ärzten ratlos angesehen zu werden; ebenso Patienten, die das Krankenhaus eine Woche nach einer Grippeerkrankung besuchen, um sicherzugehen, dass sie wieder gesund sind – oder einfach vor dem Urlaub noch schnell eine Routineuntersuchung wollen.
Einer der Gründe für solche Besuche ist Unwissenheit. Patienten wüssten gar nicht, was der Auftrag des Krankenhauses ist, sondern würden dorthin gehen, weil es offen hat und sie einen Arzt sehen wollen. In der Salzburger Universitätsklinik waren beispielsweise 60 Prozent der Patienten nach Erstbegutachtung nicht dringend behandlungsdürftig und wären damit auch in der Praxis eines Allgemeinmediziners gut aufgehoben gewesen. Zumindest für die Versicherungen ist das ein gutes Geschäft, sie bezahlen für eine Behandlung in der Ambulanz de facto nichts, diese Untersuchungen werden nur über jährliche Pauschalen bei den Versicherungen abgerechnet .
Diese Patienten erwarten, in Ambulanzen und Notaufnahmen eingehend untersucht zu werden. Doch auch im Fall von ernsthaften Erkrankungen oder Verletzungen zieht sich bei Ambulanz-Mitarbeitern ein Eindruck durch: „Patienten erwarten sich eine Art Rundum-Service, weil sie Steuern zahlen. Sie haben eigentlich nichts, bestehen aber auf immer mehr Untersuchungen. Das führt dazu, dass wir für jeden diesen Rundum-Service erbringen müssen, obwohl dann schlimmstenfalls ein Herzinfarkt auf dem Gang auf seine Diagnose wartet.“
Ein weiterer Grund dafür, dass Patienten warten müssen, ist Personalmangel. Die Patientenzahlen sind gestiegen, die der Ärzte pro Dienst oft allerdings nicht. Dieser Ärztemangel entstand unter anderem dadurch, dass seit 2015 nur noch 48 Stunden Arbeit pro Woche erlaubt sind. Diese Arbeitszeitverkürzung bedeutet, dass mehr Personal nötig wäre, Überstunden wurden in vielen Krankenhäusern wegen der rechtlichen Folgen verboten. Für Ärzte, heißt es, habe das teilweise eine positive Auswirkung auf die Lebensqualität.
Manche Krankenhausbetreiber haben Personal aufgestockt, um zumindest die Dienstpläne befüllen zu können. Der steigende Patientenandrang führe aber dazu, dass innerhalb eines Dienstes immer mehr Arbeit anfalle, Pausen gingen sich nicht mehr aus. Dadurch entsteht für manche Krankenhäuser ein neues Problem: Die öffentlichen Krankenanstalten waren früher in vielen Bundesländern beliebte Arbeitgeber, jetzt verlieren sie diesen Ruf. Angestellte berichten von steigendem Druck, auch in 24-Stunden-Diensten sei es oft nicht möglich, zwischendurch kurze Pausen zu machen. In manchen Krankenhäusern würden Dienste trotz Krankheit abgearbeitet, bis zum Kollaps. Diese Gesprächspartner erzählen auch, dass sie Dienste für kranke Kollegen übernehmen, das Gehalt für diese Dienste bekämen sie im Nachhinein von kranken Kollegen – die offiziell nie krank waren – überwiesen.
Dazu kommt ein weiteres Problem: zunehmende Übergriffe von Patienten. Im Wiener Wilhelminenspital wurden Selbstverteidigungskurse für Mitarbeiter eingeführt, in den Tiroler Landesklinken erhielten Anfang Mai alle Sicherheitsmitarbeiter Bodycams.
Einschlägige Zahlen werden allerdings nicht systematisch erhoben. Recherchen zeigen einen großer Unterschied zwischen einzelnen Krankenhäusern. In ländlicheren Gebieten oder kleinen Krankenhäusern beschränken sich die Vorfälle auf angetrunkene Patienten, die typischerweise in den Nächten an Wochenenden nicht länger auf ihre Behandlung warten wollen. Ganz anders sei die Situation in großen Krankenhäusern. Dort, so erzählt man, hätten bis vor wenigen Jahren regelmäßig Einsätze von Sonderkommandos stattgefunden, Ärzte sollen auch mit Messern attackiert worden sein. Solche Vorfälle werden vom Betreiber heute dementiert, auch die betroffene Gewerkschaft möchte zu den früheren Aussagen von Mitarbeitern nicht mehr Stellung nehmen.
In jedem Krankenhaus gibt es unterschiedliche Ambulanzen und Schwerpunkte, Mitarbeiter kommen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, Patienten kommen mit unterschiedlichen Verletzungen, Krankheiten und Vorgeschichten. Mit den Notaufnahmen haben sie gemeinsam, dass zu viele Patienten hinkommen. So viele, dass der Arbeitsalltag trotz der gesetzlichen Arbeitszeitenverkürzung psychisch und physisch belaste und das Personal an seine Grenzen komme. Besonders dann, wenn Patienten eigentlich zum Hausarzt gehen sollten. Wenn sie das täten, würde das aus Sicht der Ärzte einen entscheidenden Vorteil bringen: „Wir hätten dann auch die Ressourcen, um uns wirklich um die Notfälle zu kümmern, damit niemand auf dem Gang sterben muss.“