Nach den Morden an vier Frauen in den vergangenen zwei Wochen, einer davon begangen von einem syrischen Asylberechtigten, will Innenmister Herbert Kickl straffällige Asylwerber schneller in ihre Herkunftsländer abschieben. Selbst bei Syrern schloss er das nicht aus: Es gelte, „ein bisserl kreativ“ zu sein.
Dabei ist die internationale Rechtslage zu dieser Frage klar: Niemand kann in ein Land abgeschoben werden, in dem ein ernsthaftes Risiko droht, gefoltert, unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden.
Zwar gestattet die Genfer Flüchtlingskonvention Abschiebungen in gefährliche Länder, wenn Flüchtlinge aufgrund ihres Verhaltens ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das gilt etwa bei rechtskräftigen Verurteilungen für Delikte wie Mord, schwere Körperverletzung, bewaffneter Raub oder Vergewaltigung.
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte allerdings einen strengeren Maßstab festgelegt: Das Verbot von derartigen Abschiebungen gilt nach Artikel 3 Europäischer Menschenrechtskonvention bedingungslos, also unabhängig vom (Fehl-)Verhalten Betroffener. Schwerverbrecher sind ebenso geschützt wie Terroristen. Dieselben Rechtsregeln finden sich auch in anderen menschenrechtlichen Verträgen wie dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder der UN-Antifolterkonvention. Außerdem ist ein absolutes Abschiebungsverbot auf europarechtlicher Ebene und in den einschlägigen Asyl-Richtlinien festgelegt.
Offen bleibt, was Innenminister Kickl mit Kreativität und Prüfung der Sinnhaftigkeit völkerrechtlicher Verpflichtungen gemeint hat. Die entscheidende Frage besteht darin, ab wann genau ein „ernsthaftes Risiko“ (serious risk) im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorliegt.
So hat sich die Abschiebungs- und Rechtspraxis im Zusammenhang mit Afghanistan in den vergangenen Jahren stark verändert: Seitdem die EU im Oktober 2016 eine Kooperationsvereinbarung mit Afghanistan geschlossen hat, sind Abschiebungen wesentlich einfacher geworden. Auch österreichische Gerichte erachten die dortige Sicherheitslage oft nicht mehr als Hindernis, seit 2017 schiebt Österreich wieder nach Afghanistan ab, im Jahr 2018 waren bis November (die letzten Zahlen werden vom Innenministerium derzeit aufbereitet und sind noch nicht verfügbar) 166 Afghanen betroffen.
Offen bleibt, ob sich diese Entwicklung nun auch im Zusammenhang mit syrischen Asylwerbern wiederholen könnte. Mittlerweile gilt ein „Sieg” des syrischen Regimes – mit iranischer und russischer Unterstützung – schließlich als gewiss, auch ein endgültiges Ende der Gebietskontrolle des sogenannten Islamischen Staats wird erwartet. Experten wie jene der International Crisis Group gehen von einem fragilen Gleichgewicht der unterschiedlichen ausländischen Akteure aus, befürchten aber auch neue Kämpfe zwischen der Türkei und von ihr unterstützten islamistischen Milizen, den syrischen Kurden und Assads Truppen. Ein solcher Konflikt und das daraus entstehende Chaos könnte auch dem „Islamischen Staat“ nützen.
Ob es dazu kommt, lässt sich derzeit freilich nicht sagen. Syrien, Russland und auch die USA haben jedenfalls keinerlei Interesse an einer türkischen Invasion. Sollten sie eine solche abwenden können – etwa durch Garantien, die Autonomie und Schlagkraft der syrischen Kurden gering zu halten – könnte Syrien 2019 in eine Phase relativen Friedens eintreten. Innenminister Kickl betont schon jetzt, dass nicht alle syrischen Gebiete vom Krieg betroffen sind.
Syrien wird dadurch jedoch nicht automatisch zu einem sicheren Land. Assad ist international noch immer über weite Strecken isoliert, kein Land schiebt nach Syrien ab. Zwar hat Assad jenen, die desertiert oder vor dem Militärdienst geflohen sind, Amnestie angeboten. Wie ernst er dieses Angebot meint, darf allerdings hinterfragt werden, es gibt gegenwärtig Warnungen, dass Syrer, die wieder ins Land einreisen wollen und den Militärdienst noch nicht abgeleistet haben, an der Grenze sofort eingezogen werden. Zudem hat Assad im Vorjahr ein Gesetz zur Enteignung von syrischen Flüchtlingen erlassen.
Gleichzeitig könnten insbesondere jene, die aus früheren Hochburgen der Gegner Assads stammen, als Anhänger der Opposition gebrandmarkt und bestraft werden. Jamil al-Hassan, Chef des Sicherheitsdienstes der syrischen Luftwaffe, gab im Juli 2018 bekannt, dass ein Syrien mit 10 Millionen vertrauenswerten Einwohnern besser sei als eines mit 30 Millionen „Vandalen“: „Nach acht Jahren wird Syrien die Anwesenheit von Krebszellen nicht akzeptieren, und sie werden vollständig entfernt.“
Entsprechende Fahndungslisten gibt es bereits, faire Verfahren sind nicht zu erwarten. Sobald ein ernsthaftes Risiko besteht, gefoltert oder unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden, darf man also auch kriminell geworden Syrer nicht in ihre Heimat abschieben.
Bleibt die Frage nach den (rechtlichen) Konsequenzen: Zum einen könnte die Europäische Kommission Österreich wegen der Verletzung von EU-Recht klagen. Zum anderen könnten Betroffene vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, der eine Abschiebung entsprechend beurteilen müsste. Dabei ist zu bedenken, dass Österreich sich im Gegensatz zu manch anderen Mitgliedern der Europäischen Menschenrechtskonvention traditionell stets an EGMR-Urteile hält. Eine offene Nicht-Umsetzung wäre ein weiterer Tabubruch.