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Grenze Österreich (Bild: Marco Rossi)
Praktische Alternativen
1. Oktober 2017 Asyl Lesezeit 4 min
Auf Grundlage der Eindrücke, die er während der vergangenen Wochen an unterschiedlichen neuralgischen Punkten der Flüchtlingskrise in Italien aufgesucht hat, gibt unser Gastautor Georg Gassauer einige Empfehlungen zur Verbesserung des Asylsystems und zur Vermeidung künftiger Risiken.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Asyl und ist Teil 19 einer 28-teiligen Recherche.
Grenzkorridor zwischen Österreich und Slowenien || Bild: Marco Rossi | Addendum

Georg Gassauer war als freier Wissenschafter 60 Tage in Italien. Schwerpunkt seiner Recherchen war die Frage, welche Auswirkungen die offensichtlichen Informationsasymmetrien zwischen Behörden, Migranten und Bevölkerung haben. Sein Paper wird demnächst am Liechtenstein Institute on Self-Determination an der Princeton University erscheinen. Für Addendum hat er als Gastautor einige Beiträge verfasst, die auf diesen Recherchen basieren.

Zunächst muss man sich damit abfinden, dass es keine Patentlösung gibt. Die Migrationskrise ist der neue Normalzustand, und man wird ihren Auswirkungen nicht entkommen. Sie hat uns alle erreicht und unser aller Leben maßgeblich verändert. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es keinen Urzustand gibt, zu dem wir zurückkehren könnten. Vielmehr entwickelt die Krise sich ständig weiter und verändert ihre Dynamik. Daher ist es notwendig, proaktiv zu handeln, um dieses Phänomen anzugehen und in entsprechende Bahnen zu lenken. Das kann allerdings nur funktionieren, wenn wir zuerst die Ziele definieren und erst dann die dazu notwendigen Lösungen suchen – und nicht andersherum Lösungen ohne Ziele erarbeiten.

Spinnen wir diesen Gedanken weiter: Das Endziel sollte die Beibehaltung des Rechts auf Asyl und der Idee des politischen Asyls an sich sein. Allerdings müssen wir das System entlasten und innerhalb der nächsten vier Jahre die Zahl derjenigen, die bereits hier sind und warten (weil Verfahren anhängig sind), um ein Drittel verringern. Daher ist es einerseits notwendig, realistische Alternativen für diejenigen zu schaffen, die ohne Asylgrund im System stecken. Andererseits muss sichergestellt werden, dass das Asylwesen nur jenen offensteht, die wirklich Schutz brauchen.

Informationskampagnen

Auf individueller Ebene würden neue, gemeinsam mit professionellen Werbeagenturen in den Heimatländern erarbeitete Informationskampagnen die Wissenslücken der durchreisenden Migranten schließen. Dieses Video- und Audio-Material (eine hohe Anzahl der neu Angekommenen kann kaum in ihrer Muttersprache lesen und schreiben) würde über die Kommunikationskanäle der auf dem Weg nach Europa befindlichen Migranten verbreitet werden und sie über ihre rechtlichen Möglichkeiten, die Aussichten auf Asylgewährung sowie Alternativen und Gefahren informieren. Somit könnte man, mittelfristig gesehen, die Zahl derer senken, die sich tatsächlich auf den Weg begeben.

Zweitens empfiehlt sich eine soziale und politische Strategie, die die Diaspora-Gruppen in das Krisenmanagement ernsthaft miteinbezieht und sie über ihre Verantwortung als Bewohner – manchmal auch Bürger – des jeweiligen Aufnahmelandes besser aufklären. Damit würde sichergestellt, dass die zuvor genannten Informationen auch tatsächlich bei den Neuankömmlingen ankommen und von diesen ernst genommen werden. Im Moment wird das Potenzial der Diaspora als Mittel zur Konfliktvermeidung nicht ausreichend genützt.

Schließlich würden Auftritte und Reden von maßgeblichen, bekannten (politischen) Entscheidungsträgern in den betroffenen Gebieten dabei helfen, Unwahrheiten in vielen Kommunen der Empfangsstaaten richtigzustellen.

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Ein neues Berufsfeld

Auf institutioneller Ebene wäre es notwendig, neue Ausbildungen, z.B. (FH-)Studiengänge für das zu schaffende Berufsfeld des „Asyl-Sachbearbeiters“ anzubieten. Ziel wäre, die nationalen und regionalen Asylbehörden mit professionellen Mitarbeitern zu beschicken und so auch Zeit zu sparen, die für die interne Ausbildung und Rekrutierung neuer Beamter verlorengeht. Ein integraler Bestandteil der Kurse wäre das Erlernen orientalischer Sprachen und eine Ausbildung in kulturbezogener Mediation. Eine weitere Ausbildung zum „Asyl und Notfall-Dolmetscher“ würde auf Migranten zweiter und dritter Generation abzielen, um die Sprachkenntnisse zu professionalisieren und das vorhandene kulturelle Kapital der Diaspora zu nutzen. Mit einer internationalen Ausrichtung würde das Ziel beider Kurse darin bestehen, unmittelbare Unterstützung zu leisten und Österreichs Interessen in Fragen europäischer und internationaler Migration (beispielsweise an den Außengrenzen) zu vertreten. Letztendlich würden damit die zeitnahen Übersetzungsvorgänge zwischen Sachbearbeitern, Bewerbern und Juristen erheblich gestrafft.

Entlastung durch Arbeitsvisa

Da viele junge Asylwerber in erster Linie auf der Suche nach Arbeit oder Ausbildung gekommen sind, würde die Chance auf ein einmaliges mehrjähriges EU-Arbeitsvisum für diejenigen, die bis zum Jahr 2017 angekommen sind, das Asylsystem unmittelbar entlasten. Im Gegenzug verzichtet der Asylwerber auf Familienzusammenführung, auf eine permanente Aufenthaltsgenehmigung und einen verlängerten Aufenthalt. Außerdem muss er sich zur freiwilligen Rückkehr bereit erklären, wobei es keine Toleranz und keine Ausnahmen geben darf. Um eine schnelle Rückkehr in die Ursprungsländer zu ermöglichen, müssen außerdem die jeweiligen Wirtschaftsbeziehungen gefördert und effiziente Programme zur wirtschaftlichen (Wieder-)Integration der Heimkehrenden geschaffen werden.

Wer nach 2017 ankommt, erhält kein derartiges Arbeitsvisum mehr; für diese Neuankünfte müssen abgeschlossene und sehr gut durchdachte Siedlungen errichtet werden, in denen ihre Gesundheit, Identität und ihre Kompetenzen streng geprüft werden. Dabei kann man sich das Camp-Modell der türkischen Behörde für Katastrophen- und Notfallmanagement zum Vorbild nehmen und strukturierte Integrations- und Ausbildungsprogramme einführen, um die neu Angekommenen langsam auf das potenzielle Leben in Europa vorzubereiten und zukünftigen Arbeitgebern die Möglichkeit zu geben, hoch qualifizierte Kandidaten zu finden. Außerdem braucht es eine Aufteilung nach ethnischen Zugehörigkeiten, um die oft zu außerordentlich hoher Gewalt führenden Konflikte zwischen den unterschiedlichen Gruppen zu vermeiden. Sofern diese Camps bei der Bevölkerung entsprechend beworben und erklärt werden, könnte in lokalen Gemeinden langsam das Vertrauen zurückkehren, dass die Behörden den Einlass und Verbleib von Migranten im Griff haben. 

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