Knapp jeder zweite Flüchtling aus 2015 hat zur Zeit einen Job“. Mit dieser Schlagzeile eröffnete am Sonntag die Zeit im Bild 2 des ORF. Wenige Minuten später, um Punkt 22.27 Uhr, verbreitete die Austria Presse Agentur eine Meldung zur Sendung, die praktisch alle Nachrichtenredaktion des Landes erreichte.
Bis Montagmorgen hatten viele von ihnen den Inhalt wortgleich übernommen (z. B. hier, hier, hier oder hier). Und einiges aus den Daten des Arbeitsmarktservice (AMS) ausgelassen, das zum Verständnis der Erfolgsmeldung notwendig gewesen wäre. Und selbst AMS-Chef Johannes Kopf war im Studiogespräch nicht präzise.
APA0274 5 WI 0333 II/AI So, 28.Jul 2019
Arbeitslosigkeit/Arbeitsmarkt/Arbeitsvermittlung/AMS/Österreich
44 Prozent der Flüchtlinge von 2015 haben inzwischen einen Job
Utl.: Kopf geht von der Hälfte mit Arbeit bis 2020 aus – Aktion 20.000 könnte für ein Drittel zu einem dauerhaften Job geführt haben
Wien (APA) -Von den 2015 nach Österreich gekommenen Flüchtlingen, die berechtigt sind in Österreich zu arbeiten, haben 44 Prozent inzwischen einen Job, berichtet die Zeit im Bild am Sonntag. AMS-Chef Johannes Kopf sagte in der Sendung, er sei zuversichtlich, dass bis 2020, also fünf Jahre nach ihrer Ankunft in Österreich, die Hälfte Arbeit gefunden haben wird.
Andererseits sind neun Prozent aller Arbeitslosen in Österreich Flüchtlinge (29.561). Flüchtlinge nehmen aber nicht den Österreichern den Job weg, sagte Kopf. Denn sie kommen in der Regel nur in „Einstiegsbranchen“, etwa der Landwirtschaft oder in Bauhilfsberufen zum Einsatz. Am Bau tun sie sich oft schwer, weil sie von Zuwanderern aus der EU verdrängt werden. Österreich habe in den vergangenen zehn Jahren 400.000 Menschen aus der EU aufgenommen, erinnerte Kopf.
Grundsätzlich wäre es gut, wenn Flüchtlinge – wie auch arbeitslose Österreicher – verstärkt im Westen nach Arbeit suchen würden, wo es eine viel niedrigere Arbeitslosigkeit gibt, sagte Kopf. Viele Flüchtlinge finden aber über ihre Landsleute Arbeit und Wohnung, das sei wiederum in Wien einfacher. Dass die Zahl der Arbeitssuchenden Syrer stärker zurückgeht als die der Afghanen habe damit zu tun, dass letztere im Schnitt später nach Österreich gekommen sind und auch erst jetzt nach Abschluss ihrer Asylverfahren Arbeit suchen dürfen.
Die ZiB legte auch vorläufige Schätzungen vor, wonach je nach Region zwischen einem Viertel und einem Drittel jener Menschen, die an der Aktion 20.000 teilgenommen haben, anschließend in eine dauerhafte Beschäftigung übernommen worden seien. Kopf sagte, sollte ein Drittel einen Job gefunden haben, wäre das zwar ein Erfolg für die Arbeitslosenversicherung, für die Öffentlichkeit sei es aber nur dann ein Erfolg, wenn die neuen Arbeitsplätze „am ersten Arbeitsmarkt“, also im nicht von der öffentlichen Hand geförderten Bereich liegen. Darum bemühe sich das AMS, Zahlen dazu werde es aber erst im Herbst geben.
(Schluss) tsk/mhh
APA0274 2019-07-28/22:27
Was genau fehlte? Die exakte Datenbasis in absoluter Größe und Definition, von der die Rede war. Im konkreten Fall die Antwort auf die Frage: 44 Prozent wovon? Das erfuhr man weder im Beitrag samt Studiogespräch der ZIB 2, noch im Vorab-Bericht der ZIB 1. Und auch nicht in der folgenden Nachberichterstattung von APA, Online-Medien und Zeitungen, die sich alle auf den ORF-Bericht und die AMS-Auswertung beriefen. Publikum, User und Leser erhielten dabei widersprüchliche Informationen und Hinweise, die entweder leicht misszuverstehen oder falsch waren.
Der Kurier bezog sich auf seinem Facebook-Kanal auf „Asylwerber aus 2015“, die ZIB 2 relativierte den Inhalt ihrer Schlagzeile im folgenden Beitrag auf jene Personen, „die Asyl oder subsidiären Schutz bekommen haben“. Die APA (und die von ihr belieferten Medien) beriefen sich im Fließtext der Meldung auf „2015 nach Österreich gekommene Flüchtlinge, die berechtigt sind in Österreich zu arbeiten“. Doch nichts davon entsprach den Daten der AMS-Analyse.
Etwas mehr als zwei Stunden zuvor wurden der lange ZIB 2-Beitrag und das Studiogespräch mit Johannes Kopf mit einem kurzen Beitrag in der ZIB 1 angekündigt. Was die Ergebnisse der AMS-Auswertung betrifft, war dieser etwas präziser, vermittelte, dass jährlich „zwischen 4000 und 5000“ Flüchtlinge einen Job annahmen. Die Basiszahlen erfuhr man jedoch auch hier nicht, und in der Berichterstattung anderer Medien blieb dieser Beitrag unberücksichtigt.
Sollten der verlinkte ZIB 1-Beitrag für Sie nicht mehr abrufbar sein: Der ORF muss seine Inhalte nach sieben Tagen aus der TV-Thek nehmen. Das über die APA verbreitete Transkript des Beitrags können sie hier nachlesen.
Asylwerber kamen 2015 nämlich 89.098 nach Österreich. 44 Prozent davon (39.203) wären tatsächlich außergewöhnlich, nur hat das AMS diese Gruppe nicht untersucht. Und jene, die 2015 Asyl oder subsidiären Schutz bekommen haben und arbeitsberechtigt waren, müssen nicht zwangsläufig die selben Personen sein, die damals im Zuge der großen Migrationsbewegung nach Österreich kamen. Es ist sogar eher unwahrscheinlich, denn: Der Großteil ihrer Asylverfahren, darauf deuten die ab 2016 stark steigenden Zahlen des Innenministeriums hin, wurde nämlich erst in den Folgejahren rechtskräftig abgeschlossen.
Warum das so ist, ist leicht zu erklären. Die vielen Verfahren brauchten Zeit. Mehr als die Hälfte der fast 90.000 Asylwerber kam erst in den letzten vier Monaten des Jahres 2015. Deren Verfahren dauerten – alleine in der ersten Instanz, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – im Schnitt über acht Monate. Zumindest berichtete das Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka dem Parlament. Gehen die Verfahren in die zweite Instanz, kann es noch erheblich länger dauern.
Selbst AMS-Chef Johannes Kopf antwortete auf die Frage, ob er sein Ziel, nach fünf Jahren „50 Prozent der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren“ erreichen würde, mit dem Satz: „Von denen, die 2015 gekommen sind (das waren 89.098, Anm. d. Red.), werden wir wohl nächstes Jahr über die 50 Prozent kommen.“ Erst einen Tag später, als alle Medien bereits berichteten, präzisierte er seine Interview-Antwort via Twitter.
Summe der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren zur Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz nach Kalenderjahr:
2013: 6.146
2014: 13.364
2015: 18.906
2016: 28.022
2017: 30.865
2018: 20.905
Quelle: Asylberichte des Innenministeriums
Zeit im Bild-Produktionen sind über die ORF-TV-Thek nur sieben Tage lang abrufbar. Über diesen Link finden sie das via APA verbreitete Transkript des Interviews.
Wir wollten von Johannes Kopf erfahren, warum ihm im ORF-Interview offensichtlich ein Fehler passierte, ersuchten beim AMS um ein 10 bis 15-minütiges Telefonat mit ihm. Wir warteten zwei Tage. Am ersten, hieß es, sei es schwer möglich und wir wurden auf den zweiten vertröstet. Am zweiten dann die nächste Absage: Johannes Kopf sei „dicht getaktet, müsse auch noch zum ORF“. Ein Telefonat werde sich nicht ausgehen.
Die Antwort: 44 Prozent (eigentlich sind es 44,1 Prozent) von 9.526 Personen. Das entspricht 4.201 Jobs, um die sich die Debatte dreht. Zahlen, die alle recherchierenden Journalisten kennen, da sie das AMS nach eigenen Angaben auf Anfrage verschickt. Das vollständige Datenset des Arbeitsmarktservice können Sie hier selbst einsehen:
Der Hintergrund des Papiers: Um die Wirksamkeit seiner Tätigkeit in dem Bereich zu messen, führt das AMS seit 2015 drei Kontrollgruppen mit gleichbleibenden Personen. Diese Kontrollgruppen werden Monat für Monat beobachtet. Auf die Daten der „Kontrollgruppe 1“ beziehen sich alle genannten Berichte.
Dieser Gruppe zugeordnet wurden vom AMS nur Personen, die zwischen Jänner und Dezember 2015 ihren Aufenthaltsstatus erhielten (also rechtskräftig Asyl oder subsidiären Schutz bekamen), und zusätzlich zwischen Jänner 2015 und Juni 2016 beim AMS als arbeitslos oder in Schulung aufschienen. Seither wird ihr aktueller Jobstatus monatlich ausgewertet. Wie viele der 9.526 Mitglieder der Kontrollgruppe tatsächlich 2015 ins Land kamen, weiß jedoch niemand. Auch das AMS nicht. Unter ihnen müssen sich auf Grund der langen Verfahrensdauern (siehe oben) jedoch jede Menge Personen befinden, die ihre Asylanträge in den Jahren davor stellten, als erstens erheblich weniger Flüchtlinge kamen, und zweitens ihre Zusammensetzung nach Herkunft und Bildungsstand eine andere war.
Wenn überhaupt, dann lassen eher die Kontrollgruppen 2 und 3 (siehe dazu die verlinkte AMS-Originalunterlage) Rückschlüsse auf die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge von 2015 zu. Sie beobachten nämlich jene Personen, die 2016 und 2017 ihren Aufenthaltsstatus bekamen und arbeitslos waren.
Auf Grund der stark steigenden Zahl rechtskräftiger Bescheide bei den Asylbehörden in diesen Jahren liegt der Schluss nahe (aber auch das ist nicht nachweisbar), dass in diesem Zeitfenster die Mehrzahl der Asylanträge von 2015 abgearbeitet wurde. Allerdings fällt in diesen Gruppen der Arbeitsmarkterfolg geringer aus: In Gruppe 2 (Aufenthalt seit 2016) hatten Ende Juni 2019 39,8 Prozent (oder 4.615 von 11.596 beobachteten Personen) eine Arbeit. In Gruppe 3 sind es 35,2 Prozent (3.095 von 8.794).
Vor dem großen Migrationsjahr wurde keine entsprechende Wirkungskontrolle in diesem Feld durchgeführt.