Ob Geburtstag, Weihnachten oder Ostern, sie hatte immer nur einen Wunsch: eine Krone. Nicht weil sie sich wie eine Prinzessin fühlen wollte. Für die Zähne. „Bis es irgendwann geheißen hat: ‚Das schaffen wir nicht mehr.‘ Ich hatte keine reichen Eltern.“ Karin Prutsch ist am Land aufgewachsen, als sie in ihrer Jugend Zahnschmerzen bekam, hatte sie nur vermeintlich Glück: Zum ersten Mal gab es eine junge Zahnärztin im Ort, es war ihre erste Praxis. Prutsch wurde schnell zum Stammgast dort. Ständig fielen ihre Füllungen wieder raus, die Zahnärztin sagte ihr, sie habe schlechtes Zahnmaterial. Sie brauche Kronen.
Aber auch die teuren Kronen sind immer wieder rausgefallen, ihre Zähne waren zerstört. „Ich hatte Schmerzen ohne Ende“, erzählt Prutsch. Die Ärztin wusste nicht mehr weiter, Prutsch wandte sich an eine Zahnklinik. 17 Wurzelspitzen mussten ihr entfernt werden. „Es war eine schlimme Zeit mit vielen Operationen, manche mehrstündig“, erzählt sie. „Bei einer haben sie gesagt, sie wissen nicht, ob mein Gesicht erhalten bleibt oder ob man einen Teil vom Kiefer wegnehmen muss. Da war ich 19“, erzählt sie. Dadurch wäre sie entstellt gewesen. „Sie haben mir gesagt, ‚Sie sind noch so jung, vielleicht gibt es in zehn, zwanzig Jahren in der plastischen Chirurgie was, das man machen kann – noch gibt es nichts.‘“ Diesmal hatte sie wirklich Glück: Ihr Gesicht blieb ganz.
Prutsch, mittlerweile Jus-Studentin in Graz, wandte sich an die Schlichtungsstelle des Landes Steiermark. „Aso, als Jusstudentin glauben Sie, das geht so einfach, Sie werden schon sehen, sie werden nichts kriegen“, habe man ihr dort gesagt. 130.000 Schilling hat sie letzten Endes bekommen. Und sich selbst ein Versprechen gegeben: „Die werden mich noch kennenlernen.“ Sie spezialisierte sich auf Medizinrecht und gilt heute als erste Anlaufstelle, wenn es um Behandlungsfehler geht. „Es sind so viele“, sagt sie. Auf der Couch lagern Stapel von Akten, „erst heute ist wieder ein neuer Fall gekommen, verstorben wegen Medikamentenverwechslung.“
Die Schicksale, von denen sie erzählt, erschüttern. Von einer 23-jährigen Frau, der ein Tumor in einem Eileiter diagnostiziert wird. Entfernt wird allerdings der falsche Eileiter. Sie steht nun vor einer existenziellen Frage: Soll sie versuchen, schnell schwanger zu werden, neues Leben in die Welt setzen und damit ihr eigenes riskieren, sollte sich der Tumor schnell ausbreiten? Oder den zweiten Eileiter entfernen lassen und sich damit abfinden, niemals schwanger werden zu können? Prutsch erzählt von einer Frau, deren Mutter und Schwester beide an Brustkrebs gestorben sind. Sie lässt sich regelmäßig röntgen, die Befunde sind laut dem Labor unauffällig. Sie selbst aber ertastet einen Knoten. Das Labor sagt, da ist nichts; sie fühlt den Knoten wachsen. Irgendwann wechselt sie das Labor. Dort heißt es: Biopsie, sofort. Krebs, bösartig. Ihr werden beide Brüste entfernt, die Eierstöcke, die Eileiter. Chemotherapie, Bestrahlung, alles. „Ob sie es überleben wird, wissen wir noch nicht“, sagt Prutsch.
8,2 Tage verbringt ein Österreicher laut aktuellen Zahlen durchschnittlich jährlich im Spital; 6,5-mal geht er pro Jahr zu einem Arzt. Viel zu oft, sagt Karin Prutsch, vertrauen die Österreicher bei diesen Besuchen immer noch den behandelnden Ärzten blind. „Natürlich soll und darf man vertrauen, aber wenn ich Dinge hinterfrage und mich aktiv einbringe, steigt die Chance, dass man Behandlungsfehler vermeidet.“ Behandlungsfehler sind vielfältig: Sie können offensichtlich sein – das klassische Beispiel ist das falsche amputierte Bein –, sie können aber auch in übersehenen Diagnosen oder falschen Medikamente bestehen.
Vor allem aber sind Behandlungsfehler ein Thema, das totgeschwiegen wird. Und das ist das große Problem: Es gibt keine Studien zu Behandlungsfehlern, es gibt kaum Ärzte, die selbst zugeben, einen Fehler gemacht zu haben, und es gibt noch weniger Krankenhausträger, die sich zu strukturellen Problemen bekennen. Es sind Einzelfälle, die durch die Medien gehen; und in ihrer Masse darauf hindeuten, dass es ein größeres Problem gibt. Die Herzchirurgie in Graz etwa, wo es zu mehreren Todesfällen kam. Oder den Fall des 17 Monate alten David, der bei einer unnötigen Operation im Landeskrankenhaus Salzburg verstorben ist. Was es nicht gibt, ist eine breite Diskussion über diese Einzelfälle hinaus: Wie viele dieser Fehler wären vermeidbar gewesen, und wie? Wie steht Österreich im internationalen Vergleich da? Wie groß ist das Risiko für Patienten, wenn sie sich in ein Krankenhaus begeben? Wie sollten Ärzte und Spitäler mit diesen Fehlern umgehen? Und wer hilft den betroffenen Patienten?
Behandlungsfehler sind schwierig festzumachen: Nicht jede unerwünschte Nebenwirkung einer Behandlung ist gleich ein Behandlungsfehler. Komplikationen können immer auftreten, auch wenn ein Arzt alles richtig gemacht hat. „Viele Dinge, die wie Fehler ausschauen, sind in Wirklichkeit Komplikationen“, sagt Karin Prutsch. „Früher dachte ich immer, dass es ein Behandlungsfehler sein muss, wenn bei einer Operation zum Beispiel ein Darm perforiert wird. Ist aber nicht so, das kann auch schicksalhaft passiert sein.“ Die perfekte Operation, sagt Rainald Seitelberger, der Leiter der Salzburger Herzchirurgie, gibt es nicht. Das mache Behandlungsfehler gerade im chirurgischen Bereich zu einem komplizierten Thema: „Der Übergang von einem ungeschickt gesetzten Schnitt zu einem falschen ist fließend“, sagt er. Die kritische Frage ist, zumindest im juristischen Sinne: War die Behandlung lege artis, also nach den Regeln der ärztlichen Kunst?
Das Problem ist: Für Laien ist das nur sehr schwer festzumachen. Gabriele W. ging 2014 zu einem Vorsorgeröntgen, wo ein gutartiger Knoten in ihrer Brust erkannt wurde. Sie solle in einem halben Jahr wieder zur Kontrolle kommen. Ihre Hausärztin rät ihr: „Wäre das meine Brust, würde ich mir das gleich nochmal anschauen lassen.“ Das rettet ihr vielleicht das Leben: Bei einer Magnetresonanz wird Brustkrebs der höchsten Stufe festgestellt. Am Röntgeninstitut sagt man ihr: Fehler sind menschlich. So etwas passiert. Sie wird ins Spital überwiesen, wo sie operiert wird. „Nach der Operation war meine Brust rot und heiß, sie haben mir gesagt, das sei ganz normal und haben mich nach Hause geschickt.“ Am nächsten Tag hatte sie 40 Grad Fieber; und einen Abszess.
„Im Spital haben sie mir gratuliert, ich sei die Erste seit über einem Jahr, die nach dieser Operation einen Abszess bekommt.“ Auch ihr Oberarm fühlt sich taub an, auch das sei normal, wird ihr gesagt. Es könne bis zu einem Jahr dauern, bis das Gefühl im Arm wieder zurück sei. Fünf Jahre später ist es noch immer nicht wieder da. „Beim Neurologen haben sie mir gesagt, dass der Nerv beschädigt wurde.“ Sind bei der Behandlung von Frau W. Komplikationen aufgetreten, oder ist sie Opfer eines Behandlungsfehlers geworden? Sie wird für immer mit der Ungewissheit und der Versicherung der Ärzte leben müssen, dass sie keinen Fehler begangen haben. „Man ist ja nach so einer Diagnose auch gar nicht in der Lage, etwas zu tun. Das geht psychisch gar nicht, dass man dagegen vorgeht“, sagt sie.
Laut einer Metastudie des deutschen Aktionsbündnis für Patientensicherheit treten bei 5 bis 10 Prozent der Behandlungen von Krankenhauspatienten unerwünschte Ereignisse auf – die nicht unbedingt zu einem Schaden führen müssen. Ein tatsächlicher Behandlungsfehler liegt bei einem Prozent der Behandlungen vor. 0,1 Prozent aller Behandlungen führen zu einem durch Behandlungsfehler bedingten Todesfall. Anders formuliert klingt das bedrohlicher: Einer von hundert in ein Spital eingelieferten Patienten erleidet einen Behandlungsfehler, einer von tausend stirbt daran. Pro Tag werden in Österreich durchschnittlich rund 7.000 Menschen in ein Spital eingeliefert.
Es gibt noch erschreckendere Studien. Im Mai 2016 geht eine der Johns-Hopkins-Universität in Washington DC um die Welt: In den USA seien ärztliche Behandlungsfehler nach Herzerkrankungen und Krebs die dritthäufigste Todesursache – 10 Prozent der Todesfälle in den Vereinigten Staaten sollen darauf zurückzuführen sein, dass Ärzte ihre Patienten falsch behandeln. Das sind rund 250.000 Tote jedes Jahr. Die Definition von Behandlungsfehlern wird von den Autoren der Studie relativ weit gefasst: Sie verstehen darunter nicht nur falsch gesetzte Schnitte bei Operationen oder die Vergabe von falschen Medikamenten, sondern auch falsche Einschätzungen oder vermeidbare ungewollte Konsequenzen des ärztlichen Handelns. Die US-amerikanische Definition von Behandlungsfehlern hält Rainald Seitelberger, der Leiter der Salzburger Herzchirurg, für absurd: „Ein Kollege aus den Staaten hat mir von einem Fall erzählt, bei dem ein Mann in einer schwersten Notfallsituation einer Operation mit einer Mortalitätsrate von 50 Prozent unterzogen wurde. Er hat die Operation perfekt überlebt und geklagt, weil der Schnitt am Brustbein schief gesetzt war.“
Aber egal welche Studie man hernehme: „Jede Fluglinie würde sofort in Konkurs gehen, wenn sie solche Todesraten hätte“, sagt Gerald Bachinger. Er ist der Sprecher der österreichischen Patientenanwälte; jedes Bundesland hat diese Institution, an die sich Patienten wenden können, wenn sie glauben, dass bei ihrer Behandlung etwas schiefgegangen ist. (Zusätzlich bietet die Ärztekammer Patientenschlichtungsstellen in fast allen Bundesländern an.) „Wenn man die deutsche Metastudie auf Österreich umlegt, kommt man auf 3.000 bis 4.000 Todesfälle pro Jahr aufgrund von Behandlungsfehlern“, sagt Bachinger. Verkehrstote gab es in Österreich 2019 genau 410. Er muss sich auf Studien aus vergleichbaren Ländern beziehen, weil es hierzulande komplett im Dunkeln liegt, wie häufig Behandlungsfehler auftreten.
„Das, was bei den rechtsfolgenden Einrichtungen landet, ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Bachinger. Zumeist, glaubt er, werden Behandlungsfehler einfach vertuscht. „Der Laie weiß nicht, ob ein Behandlungsfehler aufgetreten ist. Der Vater hat eine schwere Operation und stirbt, der nette Oberarzt erklärt, dass eine Komplikation aufgetreten ist, die nicht verhindert werden konnte.“ An konkreten Beispielen hat das Addendum vorliegenden Dokumenten zufolge der mittlerweile pensionierte Oberarzt Arnulf Benzer an der Universitätsklinik in Innsbruck in internen Mails kritisiert – dort sollen Behandlungsfehler systematisch vertuscht worden sein .
Bachinger fordert, dass es endlich eine Studie zu Behandlungsfehlern in Österreich geben soll. Er ist nicht der Einzige, der die mangelnde Datenbasis kritisiert. „Das Motto ist: Es kann nicht sein, was nicht sein darf“, sagt der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. Man neige im Gesundheitswesen mittlerweile dazu, so wenige Daten wie möglich zu erheben: „Wir dezimieren die Datenlage immer weiter, bis es nur noch Gesundheitswesen 0 oder 1 gibt – Gesundheitswesen vorhanden oder nicht. Da steht dann 1. Damit ist alles bestens.“ Letzten Endes schneide sich die Politik damit aber ins eigene Fleisch. Denn anstatt mit einer soliden Datenbasis argumentieren zu können, sei das Gesundheitswesen nun immer wieder mit tragischen Einzelfällen konfrontiert.
Solchen, wie sie Karin Prutsch immer wieder an die Medien trägt. „Ich bin irrsinnig froh, wenn Medien über Einzelschicksale berichten“, sagt sie. Weil damit aufgezeigt werde, was alles schiefgehen kann. Sie will Patienten mündiger gegenüber den Ärzten machen; sie dazu bringen, mehr zu hinterfragen, zweite Meinungen einzuholen. Auf den ersten Blick wirkt das so, als würde sie an der falschen Stelle ansetzen. Denn warum beim Patienten beginnen und nicht beim Gesundheitssystem? Prutsch ist Pragmatikerin, und sie spricht mit der Erfahrung unzähliger Leidensgeschichten: „Die meisten, die zu mir kommen, sagen, dass sie schon vorher so ein komisches Gefühl hatten.“ Und wenn sich das System nicht ändere, müsse sich eben der Patient ändern.
Aber warum ändert sich nichts im System? Bereits 1999 erschien in den USA „To Err Is Human“: Der Report plädiert für eine neue Fehlerkultur. „Fehler können vermieden werden, indem man Systeme schafft, in denen es für Menschen schwierig ist, falsche Dinge zu tun, und einfach ist, die richtigen Dinge zu tun.“ Das Problem ist nicht der einzelne Behandlungsfehler, der sich nie komplett vermeiden lassen wird. Das Problem ist ein Arbeitsumfeld, dass diese Fehler entstehen lässt.
Brigitte Ettl, Präsidentin der Plattform Patientensicherheit und selbst Ärztin, sagt: Die Dinge ändern sich bereits. „In den Achtzigern hat man über Behandlungsfehler nicht einmal ansatzweise sprechen dürfen, da sind solche Fälle nicht einmal in der Direktion gelandet, und der Umgang mit Patienten war praktisch nicht vorhanden.“ Es seien oft ganz simple Dinge, die getan werden können, um Fehler zu vermeiden – etwa Menschen mit demselben Nachnamen nicht ins selbe Zimmer zu legen. Oder das Bein zu markieren, das amputiert werden soll. Bei Operationen werde mittlerweile fast überall mit Checklisten gearbeitet. „Auf null werden wir nie kommen. Aber das, was man vermeiden kann, muss vermieden werden“, sagt sie.
Nicht nur für die Patienten, auch für die Ärzte. „Ein heftiger Fehler belastet 99 Prozent der Menschen. Ein paar Skrupellose gibt es sicher, aber die meisten leiden“, sagt Gesundheitsökonom Pichlbauer. Er beklagt, dass die Schuld für Behandlungsfehler immer auf die unterste Ebene abgeschoben werde: auf die behandelnden Ärzte. Auch wenn die Fehler vielleicht den Umständen geschuldet sind – eben etwa schlechten Arbeitsabläufen in der Klinik selbst. „Das Personal muss den Betrieb aufrechterhalten, und die machen das mit den Mitteln, die sie haben. Das ist ein großes Problem“, sagt Brigitte Ettl. In Österreich gibt es zwar ein Gesetz, das eine fehlerhafte Organisation in der Verantwortung sieht, aber: „Ich kenne nur wenige Fälle, wo die Organisation und nicht der behandelnde Arzt geklagt wurde. Hinter dem Fehler steht ja oft eine Kette an Ereignissen“, sagt sie.
Kritisch seien vor allem solche Stationen und Kliniken, in denen es geringe Fallzahlen für bestimmte Operationen und eine geringe Auslastung insgesamt gibt. In Graz wurde etwa im Jahr 2016 auf der Herzklinik nur eine Herztransplantation durchgeführt – und der Patient verstarb. Die Geburtenstation in Schladming hatte eine Auslastung von lediglich 38 Prozent – dort kam es zu mehreren mutmaßlichen Behandlungsfehlern, nun stehen drei Krankenschwestern und ein Arzt vor Gericht .
Wie kommt man von diesem Status quo zu einem System, das Fehler akzeptiert und versucht, alles Menschenmögliche zu tun, um aus diesen Fehlern zu lernen? Denn eine offene Fehlerkultur kann auch für mehr Verunsicherung sorgen – mehr Behandlungsfehler würden bekannt, Patienten könnten Angst vor Behandlungen bekommen, Ärzte Angst um ihren Job. „Eine Fehlerkultur zu entwickeln, ist extrem schwer. Wenn man bei jedem Fall ‚Blame & Shame‘ betreibt, brennt die Republik“, sagt Ernest Pichlbauer. Auch Patientenanwalt Bachinger will möglichst weit weg von einem Schulddenken und dem Strafrecht: „Der Sanktionsgedanke führt dazu, dass noch mehr gemauert wird.“ Und vertuschte Behandlungsfehler lösen eine Schweigespirale aus: Wenn ein Fehler nicht zugegeben wird, kann er in Zukunft auch nicht vermieden werden – es kann kein System geschaffen werden, in dem es schwieriger wird, die falschen Dinge zu tun.
2009 wurde deshalb CIRS, das steht für Critical Incident Report System, ins Leben gerufen, in dem freiwillig und anonym medizinische Zwischenfälle gemeldet werden können: Medizinisches Personal berichtet da teilweise über potenziell dramatische Zwischenfälle wie jenen, bei dem ein OP-Assistent begonnen hat, einen Patienten auf der falschen Seite aufzuschneiden. Aber nicht alle Einträge wirken konstruktiv. Ein Arzt klagt einfach nur darüber, dass Bodengummimatten „lose über den Stiegen beim Eingang“ liegen, über die ältere Patienten wiederholt stolpern würden. Der Eintrag liest sich passiv-aggressiv:
Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden?
Die Matten entfernen.
Was war besonders gut:
Die Matten entfernen.
Was war besonders ungünstig:
Die Matten sind noch dort.
Eigener Ratschlag (take-home-message):
Die Matten entfernen.
Abseits von Meldungen frustrierter Ärzte ohne hohes Lernpotenzial gibt es am CIRS aber noch weitere Kritik: Dass die Einträge anonym sind, hat den Nachteil, dass der Lerneffekt beschränkt sein kann, weil niemand weiß, wo der Fehler aufgetreten ist. Und Rainald Seitelberger erzählt von Einzelfällen, bei denen die Anonymität ausgenutzt wurde, „um interne Konflikte auszutragen“.
CIRS ist nicht die einzige Möglichkeit, Behandlungsfehler zu deponieren. In der Kages, der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft, gibt es beispielsweise die Möglichkeit, Beinahe-Zwischenfälle anonym in einem Briefkasten zu melden. „Ich habe aber auch Informationen von Leuten, die sagen, sie trauen sich nichts reinzugeben, weil teilweise hauptsächlich nachgeforscht wird, von wem das kommen könnte“, sagt Karin Prutsch. Heißt: Es wird nicht versucht, den Systemfehler zu beheben, sondern die Person ausfindig zu machen, die auf den Fehler hingewiesen hat. Viele Krankenhausangestellte seien froh, wenn gehäufte Behandlungsfehler in den Medien landen: „Die sagen dann wirklich, ‚Gott sei Dank ist jemand von außen gekommen und hat das gestoppt.‘“ Es seien oft die dahinterstehenden Organisationen, die Behandlungsfehler vertuschen wollen, sagt Patientenanwalt Bachinger: „In vielen Organisationen wird versucht, in intransparenter Weise einen Deckel draufzuhalten auf alles, was schiefgelaufen ist.“
Ärzte sind in Österreich dazu verpflichtet, gegen Behandlungsfehler versichert zu sein. Weswegen sie diese Fehler meist gar nicht zugestehen dürfen. „Behandlungsfehler zugeben darf ein Arzt sowieso nicht, wenn es nicht mit der Versicherung abgesprochen ist“, sagt Anwältin Prutsch. Während Patienten fürchten, dass Behandlungsfehler als Komplikationen abgetan werden, haben Ärzte Angst, dass Patienten aus Komplikationen Behandlungsfehler machen: „Nach Operationen kommt es manchmal zu Wundheilungsstörungen und wir sind oft mit der Frage konfrontiert: ‚Was habt ihr falsch gemacht?‘“, sagt Rainald Seitelberger. Aber er sagt auch: Eine Aufklärung des Patienten hinsichtlich der Risiken sei zwar vorab sowieso vorgeschrieben, aber „da gibt es sicher noch große Defizite“ – es gehe nicht nur darum, dass diese Informationspflicht erfüllt wird, sondern auch darum, auf welche Art und Weise sie passiert. „Wir bemühen uns daher sehr um eine offene und ausführliche Kommunikation mit den Patienten, aber auch mit den Angehörigen“, sagt Seitelberger.
Prutsch dagegen erlebt immer wieder, dass von Klinik und Ärzten gemauert wird: Wenn sie sich dazu entschließt, mit ihren Klienten den Gang vor Gericht anzutreten, „bekomme ich nicht immer alle Unterlagen, die Patienten bekommen sie oft gar nicht, mit irgendwelchen Begründungen.“ Teils würden Befunde fehlen, teilweise würden sie erst im Gerichtsverfahren auftauchen. Gerade bei gravierenden Schadensfällen würden die Krankenhausträger keinerlei Einlenken zeigen und durch alle Instanzen gehen. „Wenn der Patient nicht den Atem hat mitzugehen, haben sie schon gewonnen. Da geht es um einen Gesamtschaden in Millionenhöhe. Da rechnen sie oft damit, dass die Patienten nicht die Kraft haben.“
Richard Zaiser, COO des Unternehmens MV Prozessfinanzierung, das sich auf unter anderem auf Behandlungsfehler spezialisiert hat, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Wir versuchen uns zuerst außergerichtlich zu einigen, aber damit haben wir bisher keine positiven Erfahrungen machen können“, sagt er. „Die Standardantwort ist immer, dass man nichts falsch gemacht hätte.“ Und er sieht noch ein weiteres Problem: Dass das Schmerzensgeld im Falle eines Urteils meist „bei weitem nicht angemessen“ ausfällt. „Nach einer Totgeburt durch einen Behandlungsfehler haben die Eltern 20.000 Euro für ihren Schockschaden bekommen“, erzählt er. Das sei viel zu wenig. „20.000 Euro sind für die Versicherung nichts, für die Eltern ist das ein Schock, der sich durch das ganze Leben zieht.“