Wer seine Informationen über die sogenannte Rettungsaktion österreichischer Arbeitsplätze beim Möbelhändler Kika-Leiner aus den österreichischen Medien bezogen hat, „weiß“ über den Verkauf einer Luxusimmobilie in der Wiener Mariahilfer Straße Folgendes: Am Weihnachtsabend 2017 melden sich Finanzberater bei dem erfolgreichen Immobilieninvestor René Benko, um ihn für den Kauf einer Immobilie in bester Citylage zu gewinnen. Mariahilfer Straße 10–18, das Wiener Aushängeschild von Kika-Leiner, auch Flagshipstore genannt. Der zweitgrößte Möbelhändler des Landes ist aufgrund von Bilanztricks seines weltweit agierenden Mutterkonzerns Steinhoff unverschuldet in finanzielle Schieflage geraten, rund 5.500 Mitarbeiter fürchten um ihre Löhne und Gehälter, viele davon um ihren Job. In so einer Situation ist der neue Kanzler gefragt, auch der neue Justizminister involviert sich.
Sebastian Kurz und Josef Moser lassen, so wird es später medial berichtet werden, zwischen den Weihnachtsfeiertagen eigens das zuständige Bezirksgericht aufsperren und einen leitenden Beamten aus dem Urlaub zurückholen, um diesen Benko-Deal grundbücherlich besichern zu lassen. Benko und seine Anwälte arbeiten sowieso rund um die Uhr, weil sie nur wenige Tage Zeit haben, um die 60 Millionen Euro – im Sinne einer österreichischen Lösung – bereitzustellen. Noch am 29. Dezember 2017 wird eine Tochterfirma einer von Benko gegründeten Privatstiftung als neue Eigentümerin mit Brief und Siegel eingetragen. Erst Tage später erfährt die Öffentlichkeit von dieser „hochdramatischen Rettungsaktion“, die beinahe einem verspäteten Weihnachtswunder gleiche.
Der Muttergesellschaft Steinhoff liegt kurz nach Weihnachten 2017 ein weiteres Offert für das architektonisch wertvolle Haus in der Mariahilfer Straße 10–18 vor, in dem Kika-Gründer und Erfolgsmanager Herbert Koch nach wie vor eine der stilvollsten Dachterrassenwohnungen Wiens bewohnt. Diese österreichische Gesellschaft deponiert schriftlich, für das Gebäude 90 Millionen Euro auf den Tisch legen zu wollen, wie Addendum aus Bankenkreisen in Frankfurt und in London erfuhr.
Warum wurde das schöne, unbelastete Objekt nicht überhaupt breiter angeboten? Hätten sich nicht viele Immobilienentwickler für das Gründerzeithaus (7.371 Quadratmeter Grundfläche, derzeit mehr als 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche) interessieren müssen? Kika-Leiner, seit Sommer 2018 im Eigentum von René Benkos Signa-Gruppe, hält dazu fest, man habe ja die drohende Insolvenz abwehren müssen. Und erklärt, es habe kein zweites – verbindliches – Angebot für diese Immobilie über 90 Millionen gegeben: „Kein anderer Interessent hat uns außerdem zusichern können, dass die Zahlung des Kaufpreises spätestens am 29.12.2017 valutagerecht gutgebucht wird, damit wir alle Gehaltszahlungen sicherstellen können.“
Dass die Immobilie offenbar sehr günstig ihren Besitzer gewechselt hat, zeigt sich bei einem Blick ins Grundbuch: Am 29. Dezember 2017 wird der Verkauf besiegelt. Am 18. April 2018 lässt der Käufer, eine Firma im Eigentum einer Benko-Privatstiftung, für die Mariahilfer Straße 10–18 ein Pfandrecht der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich in das Grundbuch eintragen. Dessen Höhe: 95 Millionen Euro.
Ein Sprecher von Sebastian Kurz teilte zur Frage, wer an den Kanzler an den Weihnachtsfeiertagen herangetreten sei, um den 60-Millionen-Deal prompt grundbücherlich besichern zu lassen, mit: „Der Zugang der Bundesregierung ist, eine serviceorientierte Verwaltung anzubieten. Das gilt insbesondere für Bürgerinnen und Bürger und natürlich auch für Unternehmen, wenn es um die Rettung von heimischen Arbeitsplätzen geht.“
Die 60 Millionen aus dem Hause Benko waren, wie sich bald herausstellen sollte, allerdings zu wenig Kapitalzufuhr, um Kika-Leiner dauerhaft aus den Liquiditätsengpässen zu manövrieren. Bald schon musste sich wieder der Kanzler einschalten. Und dafür sorgen, dass Benko im Juni 2018 den Kika-Leiner-Konzern auffangen konnte.
Wieder greift Kurz zum Telefon. Diesmal ruft der Bundeskanzler laut Medienberichten wenige Stunden vor einer drohenden Insolvenz sogar einen Mitbieter aus Graz an, um persönlich zu intervenieren. Diesmal ist der Käufer aber nicht Benkos Privatstiftung, sondern das Signa-Konglomerat.
Das Bundeskanzleramt lässt dazu ausrichten: „Das Ziel der Bundesregierung ist immer, Arbeitsplätze in Österreich zu erhalten. Es wurde bei unterschiedlichen Gesprächspartnern geworben, dass es zu keiner Zerschlagung des Unternehmens kommt, bei der nur die Immobilien zu Geld gemacht werden, sondern es ging vor allem darum, dass die Arbeitsplätze und Verkaufshäuser erhalten bleiben. Nach dem erfolgten Verkauf wurde René Benko auch eindringlich darum gebeten, die Arbeitsplätze zu erhalten.”
Benko war auch zu diesem Zeitpunkt kein rechtlicher Vertreter der Signa, er hat in der Gruppe laut Firmenbuch seit Jahren keine offizielle Organfunktion mehr inne.
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Kanzler Kurz lässt übrigens ausrichten, dass René Benko – entgegen der Darstellung in manchen Online-Medien – nicht sein Berater sei, nur ein „großer Unternehmer“. Auch beim öffentlichkeitswirksamen Einstieg von Benkos Signa in Kurier und Krone, der im November 2018 erfolgte und im Dezember von der Wettbewerbsbehörde durchgewunken wurde, will der Regierungschef keine Rolle gespielt und vorab auch nicht von einer Kaufabsicht durch Benkos Signa gewusst haben. Offiziell heißt es: „Hier stellt sich die Situation gänzlich anders dar, da es nie um den Erhalt von Arbeitsplätzen in Österreich ging. Daher erfolgte auch keine Involvierung.“
Detail am Rande: Das Bundeskanzleramt teilte mit, dass Herr Benko kein finanzieller Unterstützer der ÖVP sei. Danach hatte Addendum gar nicht gefragt.