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Föderalismus: Wenn mit dem Tod die Gleichheit endet
9. Juni 2018 Bestattung Lesezeit 5 min
Österreich leistet sich neun unterschiedliche Bestattungsgesetze. Das führt unter anderem dazu, dass Vorarlberger kremierte Tote aus der Schweiz importieren, und die Bestattung Wien – über Niederösterreich und ganz legal – das eigene Gesetz umgeht.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Bestattung und ist Teil 4 einer 11-teiligen Recherche.

Der Tod müsse ein Wiener sein, mutmaßte Georg Kreisler und lag damit zumindest teilweise richtig. Der Tod ist nämlich auch Vorarlberger und Burgenländer – unter anderem. Weil der österreichische Föderalismus den Landtagen an Kompetenzen zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel überantwortet, ist die Gesetzgebung zum Bestattungswesen konsequenterweise eine ihrer wichtigeren Aufgaben. Folgerichtig kann der Österreicher im Inland auf neun Arten unter die Erde gebracht werden – oder auch nicht.

Nicht in allen Bundesländern müssen Tote nämlich zwangsläufig beerdigt werden. Es gibt Sonderbestattungsformen, wie das Ausstreuen der Asche oder deren Aufbewahrung im eigenen Haus. Was erlaubt ist und was nicht, unterscheidet sich zum Teil erheblich.

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Was ist eine Leiche?

Dass der Tod ein großer Gleichmacher sei, trifft in Österreich auch nur bedingt zu. Gestorben wird überall zwischen Boden- und Neusiedler See, danach sind die Toten aber alles andere als gleich. Das beginnt schon bei der Frage, was überhaupt eine Leiche ist.

Leiche im Sinne dieses Gesetzes ist der Körper eines toten Menschen.
§ 4 Niederösterreichisches Bestattungsgesetz 2007

Im Burgenland, in Kärnten und Vorarlberg sind beispielsweise Fehlgeburten keine Leichen und nicht der Totenbeschau zu unterziehen. In den übrigen Bundesländern gelten Fehlgeburten hingegen als Leichen, für die eine Totenbeschau vorgeschrieben ist, in Wien mit der Einschränkung, dass diese bei Föten „unter einer Scheitelsteißlänge von 120 mm“ entfällt. In allen Bundesländern können Fehlgeburten wie auch Totgeburten aber bestattet werden, in der Steiermark besteht sogar eine Pflicht dazu.

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Fehlgeburten sind nach dem Hebammengesetz tote Föten, die unter 500 Gramm wiegen. Totgeburten hingegen wiegen 500 Gramm oder mehr.

Tote und ihre Beschauer

Die Arbeit der Totenbeschauer – in allen Bundesländern müssen es Ärzte sein – die auch selbstständig tätig sein dürfen, unterscheidet sich hingegen nur wenig. Die Vorschriften machen hier hauptsächlich semantische Unterschiede. In Niederösterreich soll der Totenbeschauer feststellen, „ob die Merkmale des eingetretenen Todes an der Leiche vorhanden sind“, in Tirol ist zunächst zu untersuchen, „ob die zu beschauende Person wirklich tot ist“. Je nach Land haben sie schließlich einen Totenbeschauschein, eine Todesbescheinigung oder einen Totenbeschaubefund auszustellen.

Wann die Totenbeschau stattzufinden hat, ist wiederum so unterschiedlich geregelt, dass das in einem Bundesland vorgeschriebene Vorgehen in einem anderen mitunter illegal wäre. So ist die Totenbeschau etwa in der Steiermark „ehestmöglich“ durchzuführen, in Salzburg hingegen „nicht vor Ablauf von drei Stunden nach dem vermutlichen Eintritt des Todes“.

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Jedermann hat sich einer Leiche gegenüber so zu verhalten, dass die Pietät nicht verletzt wird.
§ 2 Vorarlberger Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen

Aufbahrungsvorschriften

Was nach dem Tod eines Menschen geschieht, unterscheidet sich je nach kultureller und religiöser Prägung des Verstorbenen. Die Bestattungsgesetze der Länder orientieren sich weitgehend an katholischen bis säkularen Abläufen.

Ein Problemfeld ist die Aufbahrung der Leichen, die aus sanitätspolizeilichen Gründen problematisch sein kann. In Wien ist sie außerhalb von Aufbahrungshallen und Gotteshäusern verboten, einzige Ausnahme bilden Aufbahrungen durch Gebietskörperschaften, etwa bei Staatsbegräbnissen.

Die anderen Bundesländer überlassen die Entscheidung, ob ein Leichnam zu Hause aufgebahrt werden darf, den Bürgermeistern, Totenbeschauern oder Bestattern. Die Steiermark verbietet den Vorgang zwar grundsätzlich in Ballungsräumen, wertet aber den Verbleib der Leiche im Sterbehaus für zwölf Stunden nicht als Aufbahrung.

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Feuerbestattung und Pockentote

Die Unterschiede im Bestattungsrecht der Länder mögen zahlreich sein, der größte Kulturkampf um den Umgang mit dem Tod ist jedoch seit Jahrzehnten beendet. Die katholische Kirche verbot ihren Gläubigen bis 1963 die Feuerbestattung, konservativ regierte Bundesländer erlaubten sie daher lange Zeit nicht. Mittlerweile sind Krematorien überall legal.

Viele noch immer bestehende Unterschiede im Bestattungsrecht lassen sich durch die lange Rechtsentwicklung erklären. Die Materie war schon zur Zeit der Monarchie Landessache, im Burgenland hingegen galten noch bis 1970 Teile des königlich-ungarischen Sanitätsgesetzes.

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Das Überbringen von Leichen in photographische Ateliers ist verboten.
§ 22 Abs 3 oberösterreichisches Leichenbestattungsgesetz

Die Rechtslage wird auch nicht immer den Gegebenheiten angepasst. So müssen in Wien Leichen von Menschen mit tödlichen Infektionskrankheiten kremiert werden, worunter laut Gesetz auch die laut WHO seit 1980 ausgerotteten „Blattern (Pocken)“ fallen.

Die Oma am Kaminsims

Uneinigkeit besteht nach wie vor in der Frage, was mit der Asche zu geschehen hat. Sechs Bundesländer erlauben die Mitnahme von Urnen nach Hause unter verschiedenen Auflagen, wobei eine pietätvolle Aufbewahrung jedenfalls garantiert sein muss.

In Kärnten, Tirol und Vorarlberg ist eine Urnenmitnahme grundsätzlich nicht möglich. In Tirol und Vorarlberg darf aber ein kleiner Teil der Asche zur Erinnerung mitgenommen werden. Das westlichste Bundesland erlaubt außerdem ausnahmsweise eine Aufbewahrung der ganzen Urne zu Hause, wenn diese aus einem Land eingeführt wird, in dem das erlaubt ist. Das führt dazu, dass teilweise die sterblichen Überreste von in Vorarlberg kremierten Personen offiziell in der Schweiz übergeben werden, um sie wieder einzuführen und mit nach Hause nehmen zu können.

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Die Kompetenzverteilung führt nicht nur beim Leichentransport, der ebenfalls verschiedenen Bestimmungen unterliegt, zu Problemen . Die unterschiedlichen Vorschriften haben auch eine Art Bestattungstourismus mit teils merkwürdigen Konstellationen entstehen lassen.

So verbietet Wien zwar Seebestattungen auf der Donau, die gemeindeeigene Bestattung bietet sie aber in Kooperation mit einem niederösterreichischen Unternehmen im Nachbarbundesland an. An der Tatsache, dass die der Donau übergebenen sterblichen Überreste danach mitunter wieder durch Wien schwimmen, kann aber auch der österreichische Föderalismus nichts ändern. 

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