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Wettlauf um die Körper
8. Juni 2018 Bestattung Lesezeit 12 min
Mit dem Tod werden Menschen auch zu Geschäftsfällen. Wer eine Leiche abholt, hat gute Chancen auf weitere Aufträge. Beispiele zeigen: Der Wettkampf um die Toten wird mit allen Mitteln geführt. Manchmal auch mit fragwürdigen.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Bestattung und ist Teil 3 einer 11-teiligen Recherche.

Wenn Sie mich fragen, ich seh’ das so: Der Körper meiner Mutter wurde von einem Bestatter aus dem Spital entführt und erst nach Bezahlung eines Lösegelds wieder freigelassen.“ Vier Monate nach dem Tod seiner Mutter Silvia ist Richard Schütz immer noch aufgebracht. Um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat er ihre Sterbedokumente und mehrere Rechnungen auf dem Tisch ausgebreitet.

„Ja, ich geb’ zu, diese Darstellung ist drastisch und bewusst übertrieben“, sagt er. „Ich will niemandem Strafbares vorwerfen, aber ehrlich: Es beschreibt am besten, was mir, dem einzigen Hinterbliebenen meiner Mutter, passiert ist.“

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Hunderte Millionen Euro schwerer Markt

Schütz’ Geschichte ist kein Einzelfall. In ganz Österreich konkurrieren Bestattungsunternehmen darum, den Auftrag für das Begräbnis für diesen oder jenen Verstorbenen zu bekommen. Der größte und damit stärkste Hebel ist der Zugang zur Leiche: Wer – buchstäblich – als erster die Hand auf ihr hat, der hat gute Chancen, zu weiteren Geschäftsabschlüssen (Abschiedsfeier, Begräbnis, Kremation etc.) zu kommen. Der Markt ist groß. 2017 verzeichnete die Statistik Austria 83.270 Todesfälle in Österreich. Bei Kosten ab 3.000 Euro und mehr wird schnell die Dimension des Kuchens klar.

Im Fall von Richard Schütz erscheint der Ablauf besonders interessant. Er selbst schwört nämlich Stein und Bein, sowohl dem städtischen Spital (SMZ Ost), als auch der Gesundheitsbehörde (MA 15) ausdrücklich mitgeteilt zu haben, dass seine Mutter von einem privaten – gemeint war einem anderem Unternehmen als der stadteigenen Bestattung Wien – abgeholt werden solle.

Tatsächlich kam es so: Anstatt des beauftragten Privatbestatters holte die Bestattung Wien die Leiche von Schütz’ Mutter und schickte ihm schließlich eine Rechnung von über 1.000 Euro extra. Erst durch ihre Bezahlung sollte Schütz den Körper seiner Mutter aus der Verwahrung des Marktführers – gewissermaßen – auslösen können. Was war geschehen?

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Der Spitalsbetreiber, der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), verwies uns bei unserer Rückfrage an die MA 15 und wollte keine Stellungnahme abgeben.

Leichenschwund im SMZ Ost

Am 6. Februar 2018 verstarb Silvia Schütz. Zeitpunkt des Todes: 11.07 Uhr. Wenige Monate vorher war bereits Richard Schütz’ Vater verstorben. Schon sein Begräbnis hatte eine private Bestattungsfirma abgewickelt. Aufgrund Schütz’ persönlicher Freundschaft zu einem Mitarbeiter dieser Firma war ausgemacht, dass die Beerdigung der Mutter nun deutlich weniger kosten würde. „Ihr Körper sollte nur, so wie der des Vaters, noch eine Zeit lang in der Kühlung des Spitals verbleiben“, sagt Schütz. „Bis ich das Geld für die Beerdigung zusammen hatte.“

Der junge Mann ist alleinstehend und Klimaanlagentechniker. Seine Eltern hinterließen nicht ausreichend Barmittel, weshalb er das fehlende Geld zur Begleichung der Begräbniskosten direkt von seinen nächsten Monatslöhnen abzweigen musste. Das dauerte schon beim Vater einige Wochen: Mehrere Tausend Euro für gleich zwei Begräbnisse innerhalb weniger Monate aufzutreiben, das war finanziell fordernd.

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Sterbeurkunde von Richard Schütz’ Mutter

Nach der Auszahlung des nächsten Monatslohns trennen sich schließlich die Erzählversionen. Schütz nämlich sagt, die MA 15 habe sich Anfang März 2018 bei ihm gemeldet und wollte wissen, wer denn nun die Leiche abholen werde. „Ein Privatbestatter.“ Er, Schütz, habe dies genau so und deutlich gesagt. Der MA 15, und auch dem Spital. Die Frau am Telefon habe ihm sogar bestätigt, „dass sie also ,privat‘ dazuschreibe“. Umso überraschter war er, als er eine Woche nach dem Telefonat vom beauftragten Privatbestatter einen Anruf aus der Kühlkammer des SMZ Ost erhielt. Der Körper seiner Mutter sei nicht mehr da.

Es stellte sich heraus, dass die Bestattung Wien diesen kurz zuvor abgeholt hatte. Und ihn erst dann ausfolge, wenn Schütz dafür bezahle. Immerhin 1.033,94 Euro für eine Dienstleistung, die er, wie er selbst sagt, nie beauftragte. Für eine Autofahrt einer Toten vom SMZ Ost zur Kühlkammer am Zentralfriedhof. Der Routenplaner veranschlagt für die knapp 15 Kilometer 25 Minuten Fahrzeit.

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Auf der Rechnung, die der Privatbestatter von Richard Schütz ausgestellt hat, ist der Durchlaufposten für die nicht von ihm beauftragten Dienstleistungen der Bestattung Wien vermerkt.

Was ist ein Sozialbegräbnis?

Für sogenannten Sozialbegräbnisse gibt es in Wien den Fachausdruck des „Begräbnis auf Anordnung der Sanitätsbehörde“. Ein solches wird von der Magistratsabteilung 15 (Gesundheitsdienst) in Auftrag gegeben, wenn sich kein Angehöriger findet, der einen Leichnam bestatten lässt. Nach Auskunft der MA 15 versucht die Behörde im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch selbst Hinterbliebene auszuforschen.

Exklusiver Auftragnehmer für Sozialbegräbnisse ist die Bestattung Wien. Dafür verrechnet das Unternehmen 1.260 Euro für die Dienstleistung und 1.680 Euro für Grabstelle.

Pro Jahr veranlasst die MA 15 etwa 800 entsprechende Bestattungen. 2016 (aktuellere Daten liegen nicht vor) waren es 827. Das entspricht einem Nettoumsatz von 2,43 Millionen Euro.

Diesen Ablauf beschreibt Birgit Fykatas in einer gänzlich anderen Variante. Sie ist Amtsärztin beim Wiener Gesundheitsdienst und sagt, dass laut Akt nicht die MA 15 Richard Schütz angerufen hat, sondern umgekehrt. Und dass – im Widerspruch zu seiner Aussage – Schütz selbst um ein sogenanntes Sozialbegräbnis für seine Mutter angesucht habe. Also eine einfache Beerdigung eines Verstorbenen auf Kosten der Allgemeinheit. „Dazu“, sagt Fykatas, „gibt es eine Notiz der Sachbearbeiterin.“

Weil beide Seiten an ihrer jeweils eigenen Version festhielten, konnten wir nicht verlässlich klären, welche näher an der Realität war. Allerdings erschien uns das von der MA 15 angeführte Ansuchen Schütz’ um ein Sozialbegräbnis zumindest unlogisch. Denn: Wenn es so war, warum sollte er nur wenige Tage später eine selbst zu bezahlende Privatbestattung mit der Abholung des Leichnams seiner Mutter beauftragen?

Letztendlich sagt Fykatas während eines Gesprächs mit uns: „Wir werden nun die Kosten für Dienstleistungen, die in unserem Auftrag abgearbeitet wurden, übernehmen.“ Für Richard Schütz ein unerwartetes Happy End. Das offenkundig systemische Problem wird dadurch jedoch nicht behoben.

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Aus der Auftragsbekanntmachung für Wiener Sozialbegräbnisse: Offiziell hatte man mit wenigstens drei Geboten gerechnet. Tatsächlich nahm nur die Bestattung Wien die Eingangshürde. Zufall?

Vielmehr sieht es auf dem größten Sterbemarkt Österreichs, in Wien (2017: 16.424 Tote), bei kritischer Betrachtung so aus, als ob die Rechtslage den örtlichen Marktführer, der über die Stadtwerke dem gesetzgebenden Rathaus gehört, in die Karten spielt. Nach dem Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz hat der Magistrat nämlich, wenn sich sonst kein Angehöriger findet, die Bestattung einer Leiche in Form eines Sozialbegräbnisses zu veranlassen.

Alleiniger Vertragspartner nach einer in der Branche umstrittenen Ausschreibung: Die Bestattung Wien, die die pietätvollen, aber äußerst schlichten Begräbnisse dem Rathaus für durchschnittlich 2,5 Millionen Euro pro Jahr abwickelt.

Unpräzises Gesetz

Im Fall von Richard Schütz argumentiert die Gesundheitsbehörde jedoch auch mit dem Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz. Dieses schreibe eine Beerdigung innerhalb von fünf Tagen nach der Anzeige des Todes vor. Bei ihm sei dieser Zeitraum mit knapp sechs Wochen ohnedies weit überschritten worden. Aus Verständnis für seine Situation.

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Unter Punkt „Allgemeine Bestimmungen“ steht unter § 19 Absatz 5 im Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz:

Ist nach Ablauf von fünf Tagen ab Ausstellung der Todesbescheinigung die Bestattung einer Leiche von niemandem veranlasst worden, hat der Magistrat die Bestattung (Erd- oder Feuerbestattung) in einer Bestattungsanlage zu veranlassen. Fällt das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, endet die Frist am nächsten Werktag. Die Stadt Wien hat die Kosten der Bestattung nur dann und nur so weit zu tragen, als sie weder durch Dritte zu leisten sind noch in der Verlassenschaft ihre Deckung finden.

Tatsächlich ist die entsprechende Bestimmung im Landesgesetz stark dehnbar. Und das wird auch so genutzt. Offenbar je nach Belieben und Geschäftsfall. Im Text steht nämlich nur, dass die Behörde die entsprechende Bestattung innerhalb von fünf Tagen „zu veranlassen“ habe. Wann die Leiche tatsächlich beizusetzen ist, ist nicht festgeschrieben. Die Bestattungsgesetze anderer Bundesländer sind in diesem Punkt klarer.

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Ein weiterer Fall einer verschwundenen Leiche

So kann es in Wien einerseits passieren, dass ein 59-Jähriger in einem Hospiz verstirbt, ein Sozialbegräbnis inklusive Armengrab bekommt, und die erst nachträglich verständigte Mutter „mehrere tausend Euro“ dafür zahlen muss, wenn sie ihren Sohn ins Familiengrab überführen will. Die Kronen Zeitung berichtete im Februar 2018 über den Fall. Die MA 15 argumentierte das schnelle Begräbnis wieder damit, dass „Verstorbene aus Seuchenschutzgründen innerhalb von fünf Tagen bestattet werden müssen“. Doch genau genommen – siehe oben – steht das so nicht im Gesetz. Entsprechend halten sich auch die Behörde und Bestattung Wien nicht immer an die – vermutlich zum Selbstschutz – behauptete Vorgabe, denn:

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Im Steiermärkischen Leichenbestattungsgesetz ist – im Gegensatz zu jenem für Wien – genau festgelegt, wann die Beerdigung eines Körpers durchzuführen ist. Und nicht nur, wann diese „zu veranlassen“ sei:

§ 23

Zeitpunkt der Bestattung

Eine Leiche ist frühestens nach Vorliegen des Totenbeschauscheines und vor Ablauf von sieben Tagen nach dem Eintritt des Todes zu bestatten. Ein längerer Aufschub der Bestattung ist nur zulässig, wenn sanitätspolizeiliche Bedenken nicht dagegenstehen bzw. wenn durch geeignete Konservierungsmaßnahmen eine ausreichende Verzögerung des Zerfalles der Leiche gewährleistet ist. Dieser Aufschub ist der Gemeinde des Aufbahrungs- bzw. Aufbewahrungsortes der Leiche anzuzeigen.

Muss es wirklich immer schnell gehen?

Wenn sich niemand beschwert, oder eine teure Umbettung unwahrscheinlich ist, kann es auch länger dauern. Ebenfalls im Rahmen des Gesetzes. Wie etwa beim – zumindest finanziell – nicht besonders erfolgreichen Konzeptkünstler Manfred S. Er verstarb mittellos am 6. Oktober 2017. Die Beisetzung erfolgte jedoch erst am 16. November um 8.10 Uhr auf dem Wiener Zentralfriedhof. Sechs Wochen nach dem Tod. Ohne Eile. Nach Auftrag und auf Kosten der MA 15.

Der auf unterschiedliche Art und Weise erlangbare Zugang zur Leiche kann jedoch auch mit anderen Methoden versilbert werden. Die Suche nach warnenden Beispielen führte uns von Wien in den gebirgigen Westen des Landes, nach Tirol; genau genommen nach Innsbruck. Dort wurde in aller Stille von einem Gericht präzise dokumentiert, wie Bestattungsunternehmen versuchen, durch behördliche Aufträge – zum Beispiel von Staatsanwaltschaften – zu weiteren Vertragsabschlüssen zu kommen. Etwa der Ausrichtung des Begräbnisses.

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Herwig Bichler
Der 46-Jährige ist eigentlich Jurist. Sein Professor an der Uni Innsbruck motivierte ihn einst dazu, sich im Rahmen seiner Dissertation den Bestattermarkt unter dem Brennglas des Wettbewerbsrechts anzusehen. Die dabei entdeckten Missstände weckten Bichlers Kampfgeister. Er machte die Befähigungsprüfung für das Gewerbe und wechselte die Branche. Seither ist er nicht nur selbst Bestatter, sondern bietet Interessierten eine Art Gründerservice an. Unter den Alteingesessenen hat er sich damit viele Feinde gemacht.

Dürfen Bestatter Kunden keilen?

Insbesondere bei Todesfällen im öffentlichen Raum und bei Zwischenfällen, bei denen die Todesursache nicht klar ist, werden Bestatter von den Behörden mit dem ersten Transport einer Leiche beauftragt. Weil Angehörige jedoch in den seltensten Fällen genau wissen, wie nach einem Todesfall zu verfahren ist, können aktive Kontaktaufnahmen durch Bestatter so schnell den Eindruck erwecken: „Das gehört schon so.“

Um in dieser emotionalen Ausnahmesituation vorschnelle und unlautere Geschäftsabschlüsse zu vermeiden, hat das Wirtschaftsministerium sogenannte Standesregeln für Bestatter verordnet. Darin ist – zumindest auf dem Papier – klar geregelt, dass Bestatter behördlich erteilte Aufträge nicht als Basis für weitere Geschäfte nutzen dürfen. So steht da etwa:


§ 4. Die Bestatter verhalten sich im Geschäftsverkehr mit Auftraggebern insbesondere dann standeswidrig, wenn sie

(…)

7. Privatpersonen zur Erlangung eines Bestattungsauftrages ohne an sie gerichtete Aufforderung kontaktieren;

(…)

9. in der Absicht, Bestattungsaufträge zu erhalten, den Anschein erwecken, in behördlicher Funktion zu handeln oder hoheitliche Tätigkeiten zur Erlangung eines Bestattungsauftrages mißbrauchen;

(…)

10. behördliche Anordnungen zum Anlass nehmen, über diese Anordnungen hinausgehende Leistungen zu erbringen;

Konkret geht es um zwei Tote, die ein damals neu gegründetes Bestattungsunternehmen im Auftrag der Angehörigen aus der Gerichtsmedizin abholen und bestatten sollte, und die nicht mehr da waren, weil sie ein anderer Bestatter ohne Legitimation bereits in seine eigene Kühlkammer überführt hatte. Und bei den Hinterbliebenen proaktiv um deren Beerdigung keilte. Zumindest sehen das Herwig Bichler und das Gericht so.

Bichler ist gelernter Jurist, Quereinsteiger, und gilt unter den Alteingesessenen der Branche als Enfant terrible. Im Rahmen seiner Dissertation an der Uni Innsbruck – er beschäftigte sich darin mit dem Bestattungswesen – bemerkte er nämlich, dass da, wie er es ausdrückt, „einiges im Argen liegt“. Und beschloss, es selbst besser zu machen. Selbst in das Gewerbe einzusteigen. Der Gegenwind war (und ist) mancherorts ein Orkan.

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Zwei Leichen im falschen Keller 

Der Fall der Innsbrucker Leichenentwendungen ist eine bemerkenswerte Geschichte. Wie in jeder größeren Stadt gibt es auch in der Tiroler Landeshauptstadt einen sogenannten Bestatter-Journaldienst. Er wird von mehreren Unternehmen abwechselnd beschickt und steht den Behörden für akute Transporte von Toten in die Gerichtsmedizin als Ansprechpartner zur Verfügung. Herwig Bichlers Unternehmen war damals nicht Teil dieses Jouraldienstes.

Dafür ein eingesessener Bestatter, nennen wir ihn B. Dieser hatte zuvor im Auftrag der Behörden die Körper von Markus F. (Suizid) und Maria S. (Tod im Pflegeheim) in die Gerichtsmedizin gebracht. Die Aufträge für die Beerdigung erhielt jedoch Bichler von den Angehörigen. Allein: Er kam nicht an die Leichen. B. hatte diese nämlich zuvor eigenmächtig aus der Gerichtsmedizin in seine eigene Kühlung überführt, die Angehörigen angerufen und – so stellte es die Justiz fest – in weiterer Folge um den Auftrag für die Beerdigung geworben.

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Das Erstgericht bezweifelt, dass B. nur zu Zwecken der „Information“ bei Hinterbliebenen anruft.

Bichler ging vor Gericht und klagte auf Unterlassung. B.s Vorgehen widerspreche eindeutig den Standesregeln. Zwei Instanzen bestätigten seine Vermutung. Im Zuge der Verfahren kamen Details ans Tageslicht, die zeigen, wie leicht es für Bestatter sein kann, die emotionale Ausnahmesituation von Hinterbliebenen nach dem Tod eines Verwandten auszunutzen.

Im Verhandlungssaal stellte es B. zunächst so dar, dass er die Leichen nur deshalb in die eigene Kühlkammer geholt habe, um den Hinterbliebenen die „relativ teuren“ Kosten für die weitere Aufbewahrung der Toten in der Gerichtsmedizin zu ersparen. Die anschließenden Anrufe dienten lediglich einer „pietätvollen Information“ und nicht der standeswidrigen Erlangung eines Auftrags.

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Tatsächlich gibt es hier kaum einen Unterschied. Die Gerichtsmedizin verrechnet pro Tag in der Kühlung sechs Euro mehr, was bei einer normalen Liegezeit von wenigen Tagen finanziell kaum ins Gewicht fällt.

Bestatter erzählen, dass in der Branche viel über Absprachen über den Abtransport von Toten aus Pflegeheimen gesprochen wird. Nachzuweisen ist das bisher nicht.

Im Urteil wird zweifelsfrei standeswidriges Verhalten festgestellt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Ansicht.

Tatsächlich war es wohl etwas anders. Die betroffenen Angehörigen (F.s Mutter und und S.’ Sohn) erinnerten sich nämlich unter Wahrheitspflicht genau daran, dass Mitarbeiter der Firma B. telefonisch nicht nur über den Verbleib der Leichen „informierten“, sondern versuchten, Aufträge zu erlangen. Zwar wurden diese nicht erteilt, aber dennoch von B. durchgeführt und verrechnet. S.’ Körper ging trotz des Hinweises, dass Bichler mit der Beerdigung beauftragt war, ins Krematorium. B. schickte die Rechnung dem Sozialamt.

F.s Mutter hingegen ließ sich das nicht gefallen und zahlte einfach nicht. Warum auch, schließlich hatte sie eigentlich einen anderen, nämlich Herwig Bichler, beauftragt. B. hingegen war dreist genug, F. zu klagen – und verlor.

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Einzellfälle, oder ein System?

Für die Richterin, die Bichlers Unterlassungsklage unter der Aktenzahl 59 Cg 32/13a verhandelte, waren die Indizien derart erdrückend, dass sie sogar darüber orakelte, ob es sich hier womöglich nicht nur um einzelne Fälle, sondern um eine „ständige Geschäftspraxis“ handle.

Es spricht einiges dafür, dass das für Teile der gesamten Branche gilt: der Umstand nämlich, dass Bestatter in ganz Österreich die merkwürdigsten Wege finden, um über den Zugang zu Leichen zu weiteren Aufträgen zu kommen. Beweise dafür sind jedoch schwer zu bekommen. Einige kritische Stimmen gibt es dennoch innerhalb dieses sonst recht verschwiegenen Gewerbes.

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„Absprachen mit Pflegeheimen“

Peter Schauer ist Geschäftsführer der Feuerbestattung Oberösterreich. Er sagt zum Beispiel, „dass die Absprachen mit Pflegeheimen zur Vermittlung von Sterbefällen allgegenwärtiges Thema in der Branche“ sind. Ähnliches erzählt Heinrich Altbart von der Bestattung Altbart in Wien.

Ihm seien aus einer Pflegehaus-Kette mehrere Fälle bekannt, in denen das Personal eigenmächtig einen offenbar vom Haus bevorzugten Bestatter rief. Dieser kam stets – obwohl der Tod viel früher eintrat – am Wochenende, konnte so den erheblich teureren Wochenendtarif verrechnen. In der Meinung, dass das das übliche Prozedere sei, hätten die Angehörigen immer bezahlt.

„Bis auf einmal“, erinnert sich Altbart. „In diesem Fall war der verantwortliche Hinterbliebene ein Rechtsanwalt. Der hatte in der Ausnahmesituation – wohl aus beruflicher Erfahrung – die nötige Coolness und verweigerte die Zahlung mit der Begründung, dass er keinen Auftrag erteilt habe.“ Diese Nerven haben in so einer Situation wohl die wenigsten. 

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