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Wenn der Staat den letzten Willen versagt
12. Juni 2018 Bestattung Lesezeit 4 min
Herr Carl hatte lebenslang eine enge Beziehung zum Wasser. Er liebte das Segeln und den Neusiedler See. Er äußerte einen letzten Wunsch: Nach seinem Tod sollte seine Asche im Neusiedler See verstreut werden. Doch die geltenden Gesetze machten seinen Wunsch unmöglich.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Bestattung und ist Teil 7 einer 11-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Jährlich versterben in Österreich etwa 80.000 Personen. Für die Hinterbliebenen bedeutet ein Todesfall einen emotionalen Ausnahmezustand. Gleichzeitig müssen eine Reihe trauriger Pflichten erledigt und mögliche Wünsche der Verstorbenen berücksichtigt werden. Die Tochter von Herrn Carl (Name der Redaktion bekannt), wir nennen Sie Frau B., setzte sich vergangenes Jahr, unmittelbar nach dem Ableben ihres Vaters, mit einem privaten Bestattungsinstitut in Verbindung, um das Notwendige zu veranlassen. Sie wusste über die Wünsche ihres Vaters Bescheid. Aber sie hatte keine Vorstellung davon, wie schwierig es sein würde, diese zu erfüllen.

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Urnenaufbewahrung zu Hause

Selbst für die Aufbewahrung einer Urne außerhalb eines Friedhofs sind in Wien einige bürokratische Hürden zu nehmen.

Trotzdem ist ein klarer Trend zu „Heimbestattungen“ in Österreich feststellbar. In den vergangenen zehn Jahren wurden laut der zuständigen Magistratsabteilung 40 in Wien 3.179 Anträge auf „Urnenaufbewahrung zu Hause“ gestellt.

Um in Wien eine Urne überhaupt ausgehändigt zu bekommen, muss ein Antrag auf eine Privatbegräbnisstätte bei der MA 40 gestellt werden. Der Antrag zur Urnenaufbewahrung zu Hause muss mindestens einen Monat vor der beabsichtigten Errichtung der Privatbegräbnisstätte gestellt werden.

Weiters müssen die oder der Eigentümer der Liegenschaft oder Wohnung dem Aufbewahrungsort zustimmen sowie ein maßstabgerechter Plan mit Kennzeichnung des Aufstellungsortes der Urne dem Antrag beigelegt werden.

Nach Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz WLBG § 28 (8) ist bis zur Genehmigung der Bestattung in einer Privatbegräbnisstätte die Leichenasche in einer Bestattungsanlage unterzubringen. Die gesetzliche Frist bis zur Ausstellung des Bescheids beträgt zwei Wochen.

Allerdings muss bei einer privaten Urnenaufbewahrung eine Urne des Bestattungsinstituts erworben werden. Dabei ist die Auswahl recht groß, die Preise jedoch auch.

Die Urne wird versiegelt, sodass eine Öffnung des Behältnisses feststellbar ist. Bei der Kremierung wird dem Sarg ein feuerfestes Plättchen mit einer eingravierten Nummer beigelegt, um die korrekte Zuordnung der Asche sicherzustellen. Anschließend wird die Asche in eine sogenannte Aschekapsel aus Aluminium gefüllt, verschlossen und mit einem Sticker markiert. Erst danach kommt diese Kapsel in eine Überurne, also das sichtbare Behältnis.

Ob die Urne den Hinterbliebenen auch ohne Bestattungszeremonie unmittelbar nach der Einäscherung übergeben werden kann, wollte uns das Krematorium Wien nicht verraten. Die Urne kann jedoch laut MA 40 nach der Übernahme durch die Hinterbliebenen zur privaten Urnenaufbewahrung auch ohne Leichenwagen nach Hause verbracht werden.

Der letzte Wunsch des Herrn Carl

Dem Wiener Bestattungsinstitut gegenüber äußerte Frau B. den Wunsch ihres Vaters nach einer Einäscherung. Danach wollte sie die Urne übernehmen, um die Asche im Beisein der Familie im Neusiedler See zu verstreuen. Ohne lange Zeremonie. Ohne viel Schmerz. Wie vom Vater erbeten.

Zu ihrer Überraschung erfuhr Frau B. vom Betreuer des Instituts, dass dem Wunsch ihres Vaters aus mehreren Gründen nicht entsprochen werden könne. Denn grundsätzlich gilt in Österreich die Bestattungspflicht.

Die einzige Möglichkeit einer „Wasserbestattung“ in Österreich ist in der Donau. Möglich ist das in Niederösterreich in der Wachau, oberhalb und unterhalb von Wien bis Fischamend und Hainburg. Für jede Beisetzung wird die Zustimmung der jeweiligen Gemeinde benötigt. Die Asche wird dabei in einer speziellen Seeurne dem Donaustrom übergeben.

Alternativen wie Obstgartenfriedhof, Weingartenbestattung, Urnenhain oder Donaubestattung entsprachen aber nicht dem letzten Willen von Herrn Carl und kamen daher für seine Tochter nicht infrage.

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Nach erfolgreicher Bescheiderstellung könnte Herr Carls Tochter die Urne zwar mit nach Hause nehmen, müsste sie jedoch ausnahmslos an jenem Ort ihres Heims verwahren, den sie bei der Antragstellung zur Privatbegräbnisstätte samt Lageplan und Zustimmung des Wohnungseigentümers angegeben hat.

Der Inhalt einer Urne darf nicht umgefüllt werden und auch nicht verloren gehen. Dies „könnte“ laut MA 40 eine Verwaltungsübertretung darstellen. Jede Nichteinhaltung der Vorschriften zur Verwahrung der Asche ihres Vaters würde eine Verwaltungsstrafe nach sich ziehen.

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Urnenpolizei

Ein Blick in das Wiener Leichen- & Begräbnisgesetz fördert interessante Kompetenzen für die Beamten der MA 40 zutage. Nach Paragraf 26 des WLBG unterliegen alle Privatbegräbnisstätten der Aufsicht des Magistrats, der auch die Einhaltung der Rechtsvorschriften an Ort und Stelle zu überprüfen hat. Die Organe des Magistrats sind jederzeit berechtigt zu überprüfen, ob die Privatbegräbnisstätten diesem Gesetz entsprechen.

Weiters hat der Rechtsträger einer Privatbegräbnisstätte den Organen des Magistrats jederzeit Zutritt zu der Privatbegräbnisstätte zu gewähren, Kontrollen durchführen zu lassen, erforderliche Auskünfte zu erteilen sowie erforderliche Unterlagen, wie Übersichtsplan und Aufzeichnungen, vorzulegen. Paragraf 36 des Wiener Leichen- und Bestattungsgesetzes sieht bei einer festgestellten Verwaltungsübertretung Geldstrafen bis zu 20.000 Euro vor.

In der Praxis erfolgten derartige Überprüfungen in den vergangenen zehn Jahren, laut Auskunft der MA 40, in Wien allerdings erst 79-mal. Erstaunlicherweise wurde im gesamten Zeitraum keine einzige Übertretung festgestellt. Somit gibt es auch keine Erfahrungswerte, welche Konsequenz der Verlust, das Umfüllen oder das Ausstreuen der Asche für die Hinterbliebenen hätte.

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Wie sich die Zahl der Einäscherungen in Österreich insgesamt entwickelt, ist im Video zu sehen.

Die Geschichte von Feuerbestattungen ist keine einfache: Warum diese Methode zunächst verpönt war und heutzutage immer beliebter wird, erklärt Krematoriumsbetreiber Peter Schauer im Video.

Blowing in the Wind

Alleine der Konjunktiv der Verwaltungsübertretung lässt für den sorgfältigen Leser Interpretationsspielraum zur Strenge der vielleicht zu Unrecht gewählten Begriffsbezeichnung „Urnenpolizei“ zu.

Frau B. hat sich übrigens außerordentlich positiv über die Beratung und Betreuung durch das private Bestattungsinstitut geäußert. Dennoch wurde die Asche ihres Vaters in einer kurzen Zeremonie auf einem Friedhof am Rande Wiens beigesetzt.

Den geliebten Neusiedler See sah Herr Carl nicht mehr. 

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