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Sarg, Marke Eigenbau
10. Juni 2018 Bestattung Lesezeit 2 min
„Wenn ich mir das Sargdesign anschaue, dann ist das einfach nicht mehr ‚State of the Art‘“, sagt Romana Maschek. Sie fertigt die Särge ganz individuell und gemeinsam mit den Hinterbliebenen. Wir haben sie mit der Kamera dabei begleitet.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Bestattung und ist Teil 5 einer 11-teiligen Recherche.
Bild Philipp Horak | Addendum

Reduziert auf seine unmittelbare Funktion, ist ein Sarg nicht mehr als das Behältnis eines Leichnams – eine Totentruhe. Gleichzeitig ist es die letzte Ruhestätte für geliebte Menschen, die man verloren hat. Manchen Hinterbliebenen wird unwohl bei dem Gedanken, ihre Liebsten in einer einfachen braunen Holzkiste zur letzten Ruhe zu betten. Auch Romana Maschek waren die handelsüblichen Särge zu unpersönlich.

„Alles war entweder nur braun oder weiß, Hochglanz oder matt. Es war mir alles viel zu unpersönlich. Ich habe meine Eltern in so etwas nicht drinnen liegen sehen.“

Sie recherchierte, suchte im Internet nach Angeboten, bei denen sie mehr tun konnte, als nur auf eine Stelle in einem Produktkatalog zu deuten – ohne Erfolg. Deswegen schritt die Ingenieurin für Holzbau selbst zur Tat. Sie beschloss, mit den eigenen Fertigkeiten diese letzten vier Wände für ihre Mutter zu gestalten. Den Rohsarg erstand sie direkt bei einem Krematorium. Farben, Bezüge und Stoffe suchte sie sich selbst zusammen. So entstand ihr erster Sarg im eigenen Wohnzimmer.

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Ich möchte auf mich hören dürfen, denn ich bin die Hinterbliebene.
Romana Maschek
Christine Nenning und Romana Maschek, die Gründerin des Sargateliers
Die Sargbauerinnen beim Aufsetzen eines individualisierten Sargdeckels. Links daneben ein unbearbeiteter Rohsarg.
Die studierte Holzbauingenieurin Romana Maschek beim Einarbeiten einer Sargpolsterung
Letzte Feinarbeiten an einer Sargkufe
Der Sarg
Was den Sarg im modernen Sinne von einem gemeinen Schrank unterscheidet, ist sein emotionaler Charakter als zentraler Bestandteil unserer Sepulkralkultur – dem Zusammenspiel aus Riten und dem gesellschaftlichen Umgang mit Trauer, Tod und Totenkult. Die Bezeichnung Sarg leitet sich aus dem altgriechischen sarkophágos ab. Dessen eigentliche Bedeutung macht den makabren Sprachsinn der hellenistischen Epoche deutlich, heißt es doch wörtlich übersetzt „Fleischfresser“.

Kitschromane für den Sarg

Die Besonderheit in ihrem Atelier: Hinterbliebene können dort nicht nur einen individuellen Sarg anfertigen lassen, sondern ihn unter Anleitung der Sargbauerinnen selbst gestalten. Es wird gestrichen, es wird genäht, gestaltet und zugeschnitten. Alles in Handarbeit. Vorab sprechen die Sargbauerinnen mit ihren Kunden über den Verstorbenen. Dahinter steht die Erfahrung, die Maschek bei ihrem selbst gestalteten Sarg machte: den Bewältigungsprozess durch unmittelbare Beschäftigung mit den Vorlieben und Abneigungen des Toten anzustoßen – welche Farbe soll der Sarg bekommen, was für ein Muster hätte dem Verstorbenen gefallen, hatte er ein liebstes Bild, ein favorisiertes Kleidungsstück oder vielleicht sonst ein Accessoire, das man ihm in den Sarg mit hingeben könnte?

„Meine Mutter zum Beispiel hat irrsinnig gerne solche Kitschromane gelesen, und da habe ich ihr den Innenraum mit Seiten aus diesen Büchern ausgekleidet, damit sie was zu lesen hat“, erzählt Maschek. Nicht selten sind es auch die Stoffe von Vorhängen oder Tischdecken, den oft und gerne gebrauchten Haushaltsmaterialien, die die Hinterbliebenen in den Sarg einarbeiten. Oder kleine Botschaften und letzte Briefe, die in das Kopfpolster eingelassen werden.

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Mehr als eine Totentruhe

Dieses Zusammensetzen eines Charakterbildes in Kombination mit der haptischen Tätigkeit, dem eigenen Handanlegen an die Materialien, soll eine Möglichkeit geben, mit der Trauer anders umzugehen. Das zumindest ist Romana Mascheks Vision von einem Sarg, der mehr ist, als nur eine Totentruhe. 

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