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Wie das Rote Kreuz den Preis für Blut bestimmt
29. Juni 2020 Blutspenden Lesezeit 10 min
Internen Listen zufolge erhöhte sich der Preis für Blutkonserven seit 1990 von 54 auf 158 Euro: Das ist ein Anstieg um 192 Prozent. Die Gebarung des Quasi-Monopolisten ist wenig transparent. Im Ausland geht das auch anders.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Blutspenden und ist Teil 3 einer 7-teiligen Recherche.

„Überlegen Sie sich gut, wie tief Sie in der Sache graben wollen.“ Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer hat sich im Lauf der vergangenen Jahre den Ruf erarbeitet, in öffentlichen Debatten auch die heißesten Eisen tabulos anzusprechen. Als wir im Zuge der Recherchen für das vorliegende Projekt mit ihm über die Preispolitik des Roten Kreuzes bei Blutkonserven sprechen, sagt er: „Wenn man dort reingreift, dann können Sie davon ausgehen, dass viele wild um sich schlagen.“

Was Pichlbauer beschreibt, ist ein für Steuer- und Kassenbeitragszahler undurchschaubares und wenig transparentes System. „Insider wissen, dass es in diesem Spiel nur darum geht, wie das Geld aus anderen Bereichen in das defizitäre Rettungswesen geht.“ Einer dieser „anderen Bereiche“ ist die Versorgung der Republik mit Blutkonserven, auf die das Rote Kreuz inzwischen ein Quasi-Monopol hat. Es geht um eine Dienstleistung, die für das gesamte Gesundheitssystem von eminent wichtiger Bedeutung ist. „Deshalb“, sagt Pichlbauer, „habe ich in dieser Sache ausnahmsweise eine höhere Toleranzgrenze.“

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Preiserhöhung deutlich über Inflation

Mehrere Beamte, Spitalsmitarbeiter und unabhängige Experten aus dem Bereich der Transfusionsmedizin haben das nicht. Offen sprechen sie es nicht aus, weil sie sich die Auseinandersetzung mit dem von der Politik unterstützten Roten Kreuz sparen wollen. Aber sie unterstützten uns bei den Recherchen. Zum Beispiel mit internen und historischen Preislisten, die das Rote Kreuz selbst nicht öffentlich zugänglich macht. Der Trend ist deutlich, siehe Grafik.

Seit 1990 ist der Preis für die Einheit Erythrozytenkonzentrat (rote Blutkörperchen) von 54 auf 158 Euro gestiegen. Das entspricht einer Steigerung von 192 Prozent. Die „normale“ Teuerung (Inflation) im Zeitraum 1990 bis 2020 betrug laut Daten der Statistik Austria im Untersuchungszeitraum aber nur 81 Prozent. Wie ist das möglich?

Einerseits wurden die gesetzlichen Anforderungen an die Sicherheit des Produkts Blut höher (Testung auf HIV, Hepatitis B und C, Abreicherung der weißen Blutkörperchen etc.). Das verursacht Aufwand und Kosten, die wieder eingenommen werden wollen. Andererseits, und das hielten auch zwei Rechnungshofberichte des Bundes und jeweils einer der Landesrechnungshöfe aus Ober- und Niederösterreich fest: Aufgrund des mit harten Mitteln verteidigten Quasi-Monopols kann das Rote Kreuz den Preis fast nach Belieben bestimmen. Wie viel Spielraum durch Wettbewerb mit einem zweiten Anbieter möglich wäre, haben wir in einem anderen Beitrag recherchiert : Dokumentiert sind Kostensenkungen zwischen 24 (rote Blutkörperchen) und 36 Prozent (Blutplättchen). Angesichts der bundesweit verabreichten Mengen (ca. 350.000 Einheiten) geht es dabei um viele Millionen Euro Einsparungspotenzial, die bis dato ungenutzt sind.

Den Vorwurf, dass das Rote Kreuz mit seinem Blutspendedienst andere, defizitäre Geschäftsbereiche – wie das Rettungswesen – querfinanziert, weist der für den Blutspendedienst zuständige Geschäftsführer Gerry Foitik zurück: „Im Durchschnitt können wir mit unseren Blutprodukten die Kosten selbst decken.“ Mitbewerber, die ebenfalls im Blutmarkt einsteigen möchten, nimmt das Rote Kreuz als systembedrohend wahr, wie Foitik im Interview sagt . Weitere Anbieter würden seiner Ansicht nach „das Gesamtgefüge zerstören“. Die Hilfsorganisation könne so seinen selbstauferlegten Vollversorgungsauftrag nicht mehr erfüllen.

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Die Daten beziehen sich auf die größte Blutbank des Roten Kreuzes, die die Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland beliefert. Hier leben 42 Prozent der österreichischen Bevölkerung. Auch in allen anderen Bundesländern ist das Rote Kreuz auf dem Sektor tätig, teilweise als Universalanbieter, teilweise als Lieferant von Vollblut, das dann von Universitätsinstituten zu Erythrozytenkonzentrat, Thrombozytenkonzentrat, Plasma und weiteren Spezialprodukten verarbeitet wird. Aus diesem Grund unterscheiden sich auch die Preise.

Belgien: Behörde bestimmt den Preis

In der Vergangenheit hat das Rote Kreuz in Österreich in der öffentlichen Debatte stets den Standpunkt vertreten, dass Wettbewerb um die bedeutende Ressource Blut unethisch und gefährlich sei und dass qualitätvolle Verarbeitung ihren Preis habe. Dass der Prozess der Preisgestaltung und Transparenz jedoch auch anders funktionieren kann als in Österreich, zeigen Beispiele aus Belgien und der Schweiz. In beiden Ländern wirken sich die gewählten Verfahren auch ganz ohne Wettbewerb positiv auf die Kosten für die Allgemeinheit aus.

Während hierzulande der Lieferant den Preis bestimmt, macht das in Belgien der Empfänger unter Berücksichtigung der Kosten des Produzenten. Oder genauer formuliert: Wie in Österreich sammelt auch im vergleichbar großen Belgien das Rote Kreuz das Blut freiwilliger Spender ein und verkauft es dann weiterverarbeitet an Spitäler und (insbesondere das Plasma) an die pharmazeutische Industrie. Den Preis setzt Jahr für Jahr jedoch das belgische Bundesamt für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte, es ist vergleichbar mit der hiesigen AGES, fest. Für 2020 stehen 124,12 Euro pro Konserve in der Liste. In Österreich ist der Preis um 27 Prozent höher (157,90 Euro). Alle Preise (auch die historischen) sind auf den Websites der Regierung für die Bürger einsehbar.

Dabei fällt der Preis für Blutkonserven in Belgien nicht nur insgesamt geringer aus. Er steigt durch die genannte Regelung auch weniger stark: seit 2009 um 16 Prozent. In Österreich waren es im gleichen Zeitraum 23 Prozent.

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Schweiz: Das Rote Kreuz legt Geschäftszahlen offen

Auch in der Schweiz erscheint das Blutspendewesen für Spender, Empfänger und Zahler transparenter als in Österreich. In unserem Nachbarland hat das Rote Kreuz sogar ausdrücklich den gesetzlichen Auftrag, als alleiniger Dienstleister die Versorgung mit Blutprodukten sicherzustellen. Dafür legt die Organisation jedoch auch präzise Rechenschaft ab und veröffentlicht auf den Franken genau ihre Bilanzen, weist dabei Umsätze, Überschüsse und Abgänge aus. Freiwillig.

Das Österreichische Rote Kreuz veröffentlicht zu seiner geschäftlichen Tätigkeit am Blutmarkt genau eine Zahl. In den Jahresberichten findet man sie unter „Leistungsvolumen“. Im letzten verfügbaren Berichtsjahr 2018 sind 78.456.390 Euro angeführt.

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Blackbox Vereinsregister

Generell informiert das Rote Kreuz in Österreich seine Blut- und Geldspender nur sehr oberflächlich über die eigene Gebarung. Das hat mit den Möglichkeiten zu tun, die das Vereinsgesetz bietet. Ab 3 Milllionen Euro Einnahmen jährlich müssen zwar auch Vereine Jahresabschlüsse und Abschlussprüfungen von Wirtschaftsprüfern vorlegen. Diese scheinen allerdings nicht für jedermann einsehbar im Firmenbuch auf, sondern landen im Vereinsregister.

Wir versuchten bei der für das Österreichische Rote Kreuz zuständigen Vereinsbehörde in Wien an den Abschlussbericht zu kommen. Die Antwort dort: „Kommen Sie mit einem Beschluss der Generalversammlung wieder, dann können wir Ihnen helfen.“ Für jedermann einsehbar sind dort nämlich nur die Namen der führenden Funktionäre und die Vereinsstatuten.

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Das würde mehr Fragen aufwerfen, als wir beantworten dürfen.
Rot-Kreuz-Finanzchefin Gabriela Loreth-Kurz auf die Frage, ob wir den Bericht des Wirtschaftsprüfers einsehen können.

Auch auf freiwilliger Basis spricht das Rote Kreuz jedenfalls nicht über seine Geschäfte. Im Jahr 2017 führten wir im Rahmen einer Recherche zur Transparenz von Spendenempfängern ein Interview mit der Finanzchefin der Organisation. Damals beantwortete Gabriela Loreth-Kurz die Frage nach einer Bilanz so: „Für unsere Mitglieder und Spender spielt es keine Rolle, welche Bilanzsummen wir legen. Die Leute interessiert mehr, was wir leisten.“ Den Bericht des Wirtschaftsprüfers bekamen wir auch von ihr nicht. „Wenn Sie den lesen, würde das mehr Fragen aufwerfen, als wir beantworten dürfen.“

Wie dämpfend jedoch Transparenz auf den Preis wirkt, kann man ausgerechnet in der teuren Schweiz beobachten. Trotz staatlich verordneter Alleinstellung liegt dort der Preis mit umgerechnet 199 Euro pro Blutkonserven kaufkraftbereinigt um 15 Prozent unter dem der österreichischen Kollegen.

Und selbst innerhalb Österreichs gibt es Auffälligkeiten in der Preisgestaltung. Insgesamt ist das Rote Kreuz in allen Bundesländern aktiv, wobei – siehe oben – die zentrale Blutbank in Wien auch Niederösterreich und das Burgenland mitversorgt. Bestellt nun ein niederösterreichisches Spital an der Grenze zu Oberösterreich Blut nicht aus Wien, sondern bei der Rot-Kreuz-Blutbank in Linz, dann zahlt es derzeit noch einmal deutlich mehr, nämlich 202,04 statt 157,90 Euro. Eine Differenz, die zuletzt auch beim Rechnungshof für Erstaunen sorgte.

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Gallische Dörfer

Apropos Niederösterreich: Hier, im Universitätsklinikum St. Pölten, steht die letzte vom Roten Kreuz unabhängige Blutspende- und -produktionseinrichtung des Landes. Der Rohstoff der Freiwilligen stammt einerseits aus dem örtlichen Spendezentrum und einer weiteren Einrichtung in Mistelbach, andererseits unterstützt der Arbeiter-Samariter-Bund mit Spendenaktionen. Trotz der vergleichsweise geringen (und den Eigenbedarf nicht deckenden) Produktion von 21.000 Konserven jährlich kann die Einrichtung die Einheit Erythrozytenkonzentrat billiger anbieten (140 Euro) als das Rote Kreuz (157,90 in Wien, 202,04 Euro in Linz).

Neben Wien und Linz verarbeitet die NGO selbstständig noch in Klagenfurt und Feldkirch Blutprodukte. Die Unikliniken in Graz, Salzburg, Innsbruck und dem Wiener AKH stellen Blutprodukte zwar selbst her, der Rohstoff dafür stammt jedoch auch vom Roten Kreuz. Laut Rechnungshof schon seit vielen Jahren zu fragwürdigen Konditionen.

Drei Jahre zuvor, 2017, musste in Oberösterreich die Blutbank des öffentlichen Klinikums Wels-Grieskirchen (Betreiber sind die Kreuzschwestern) aufgrund des mehrjährigen Drucks von Landesregierung und Rotem Kreuz schließen. Eine der Schlüsselfiguren damals: der ÖVP-Gesundheitssprecher im Landtag, Walter Aichinger. Damals wie heute Präsident des Oberösterreichischen Roten Kreuzes – die ganze Geschichte dazu lesen Sie hier .

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Weniger Absatz, mehr Umsatz

Auffällig ist auch, dass sich der Preis für Blutkonserven in genau die andere Richtung entwickelt als die Nachfrage. In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der Bestellungen von Blutkonserven deutlich zurückgegangen. Präzise nachzuzeichnen ist das mithilfe der Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) des Bundes. Seit 2005 sank die Zahl der eingekauften Erythrozytenkonzentrate in ganz Österreich von etwas über 400.000 auf zuletzt 334.219 im Jahr 2018.

Die deutlichen Preissteigerungen in diesem Zeitraum führten zu einem interessanten Effekt: Die Umsätze stiegen trotzdem. Nachzeichnen können wir das anhand interner Zahlen des größten Abnehmers des Roten Kreuzes, dem Wiener Gesundheitsverbund (einst Krankenanstaltenverbund, KAV). Auch dort sank der Verbrauch von Blutkonserven von 2005 bis 2018 deutlich, nämlich von 86.045 auf 69.304 (minus 19 Prozent). Grund dafür sind in erster Linie immer ausgefeiltere und blutschonendere Operationsmethoden. Gleichzeitig stiegen jedoch auch die Produktpreise bei der ausliefernden Blutbank des Roten Kreuzes. Das führte dazu, dass die jährlichen Ausgaben für Erythrozytenkonzentrat (ohne gesonderte Berechnung von bestimmten Labor- und Transportdiensten) stiegen, und zwar von 9,9 auf 10,5 Millionen Euro. Laut Rotem Kreuz hängt der überproportionale Preisanstieg vor allem daran, dass die Testung der Blutprodukte immer aufwendiger geworden sei – auch, weil sich die dafür benötigten Maschinen teuer zu Buche schlagen würden.

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„Mit Gemeinnützigkeit hat das nichts zu tun.“

Generell vermittelte das Rote Kreuz uns im Zuge der Recherche seinen Standpunkt, dass nur eine Ausrichtung wie die eigene Gemeinnützigkeit eine verlässliche und sichere Versorgung mit allen Blutprodukten sicherstelle. Etwa mit Blutkonserven mit ganz speziellen und seltenen Eigenschaften.

Ein leitender Transfusionsmediziner eines österreichischen Spitals in den Bundesländern widerspricht dieser Darstellung. „Mit Gemeinnützigkeit hat das nichts zu tun. Blutkonserven mit seltenen und besonderen Eigenschaften sind mit entsprechenden Kontakten international bestellbar, haben aber ihren Preis.“ Da der Experte von seinem Arbeitgeber keine Redeerlaubnis bekam, können wir seinen Namen hier nicht nennen.

Wie „gemeinnützig“ das Rote Kreuz im Sinne ethischen Handelns auf dem Blutmarkt tatsächlich handelt, wird in Österreich kaum hinterfragt und erscheint als gegeben. In der Sache argumentiert die Organisation abseits der Öffentlichkeit nämlich durchaus wie ein gewinnorientiertes Unternehmen. So zum Beispiel in einer Verhandlung vor dem Vergabekontrollsenat Wien, wo man gegen den Markteintritt eines Mitbewerbers kämpfte, ausdrücklich von einer „besonders wichtigen Geschäftstätigkeit“ im Sinne der eigenen Unternehmensfinanzierung sprach und auch sonst durchaus marktwirtschaftlich argumentierte.

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Millionenumsätze mit Medizin-Riesen

Als Verein darf das Rote Kreuz und seine angegliederten Organisationen keine Gewinne ausschütten. Als Arbeitgeber von inzwischen über 8.600 Angestellten hat die Groß-NGO aber natürlich auch starke wirtschaftliche Interessen und Beteiligungen an dezidiert gewinnorientierten Unternehmen, etwa an der vor zwei Jahren liquidierten Fresenius Hemocare Austria GmbH. Die Gesellschaft stellte am Standort Eugendorf/Salzburg Blutbeutel und Bestecke für die Blutabnahme her. Größter Kunde im Land: das Rote Kreuz.

Ursprünglich hieß das Unternehmen „Gerätezentrale des Österreichischen Roten Kreuzes“, gehörte diesem auch vollständig. Mit der Zeit fusionierte man mit anderen Firmen und gewann mit der deutschen Fresenius-Gruppe einen starken Partner. Also benannte man sich um. Zuletzt machte das Unternehmen knapp 17 Millionen Euro Umsatz, etwa ein Drittel davon in Österreich. Dennoch wurde die Gesellschaft 2018 liquidiert. Im internationalen Vergleich war der Produktionsstandort nicht mehr wettbewerbsfähig 

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Kontakt

Verfügen Sie über Informationen, die zu mehr Transparenz am Markt für Blutprodukte in Österreich beitragen können?

Schreiben Sie uns an [email protected]! Ihre Nachricht wird vertraulich behandelt.

Offenlegung

Andreas Wetz ist förderndes Mitglied des Roten Kreuzes in seinem Wohnbezirk in Niederösterreich.

Matthias Balmetzhofer hat für die Recherche beim Roten Kreuz Blut gespendet und möchte das auch in Zukunft tun.

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