Frühjahr 2020. Das neue Coronavirus hält Regierungen auf dem ganzen Kontinent in Atem, die EU-Mitgliedstaaten bereiten sich auf Ausgangsbeschränkungen und das Niederfahren der Wirtschaft vor. Am Freitag, den 13. März wird in Brüssel in einem Bürogebäude unweit der EU-Kommission ein Brief aufgesetzt.
Inhalt: Europa (und damit auch Österreich) geht mittelfristig ein wertvoller Rohstoff des Gesundheitssystems aus: Blutplasma. Das, so die Autoren, könnte Leben kosten. Europa müsse gegensteuern. Die Gewinnung des menschlichen, überaus wertvollen, Rohstoffs stärker fördern.
Noch am selben Tag ergeht das Schreiben via E-Mail und mit dem Vermerk „Dringlich“ an hochrangige Empfänger. Darunter: EU-Kommissare und die Europäische Arzneimittelagentur EMA. In den nächsten Tagen folgen die Regierungen der Mitgliedstaaten, am 19. März landet er im Postfach der Sektion „Gesundheitssystem“ im Wiener Gesundheitsministerium.
Versendet hat die Briefe die PPTA. Die Abkürzung steht für „Plasma Protein Therapeutics Association“, eine Lobbying-Organisation der pharmazeutischen Industrie, die die Geschäfte der Mitglieder unterstützen soll. Doch die Serien-E-Mails aus dem März sind mehr als der Versuch, Politiker dazu zu bewegen, Entscheidungen im Sinne der Industrie zu treffen. In ihnen stecken Informationen von strategischer Bedeutung. Und mit erstaunlich viel Österreich-Bezug.
Österreich gehört nämlich zu einer Handvoll Länder weltweit, in denen mehr menschliches Plasma aufgebracht als verbraucht wird, und die so den Rest der Welt mit jenem Rohstoff versorgen, aus dem – zum Teil lebensnotwendige – Medikamente entstehen. Es ist ein Milliarden-Markt, der zudem stark wächst, und in dem Österreich eine überraschend bedeutende Rolle spielt. Und den das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) künftig stärker mitgestalten möchte.
Unsere Recherchen ergaben, dass Industrie und ÖRK (derzeit noch im Stillen) um den Marktzugang ringen. Und dass die Groß-NGO unmittelbar vor Start der COVID-Krise damit begann, rechtlich und politisch gegen kommerzielle Plasmafirmen vorzugehen.
Es geht um viel Geld.
Die Rot-Kreuz-Spitze um Präsident Gerald Schöpfer und die Geschäftsleiter Michael Opriesnig, Peter Kaiser und Gerry Foitik wirft der Industrie vor, Gesetze zu brechen und gleichzeitig ein anderes Geschäftsfeld zu behindern, für das das Rote Kreuz ein Quasi-Monopol hat: die klassische, unbezahlte Blutspende mit angeschlossener Versorgung der Spitäler mit roten Blutkörperchen (Wie das Rote Kreuz den Preis für Blut bestimmt ).
Die Gegner, das sind die Unternehmen Europlasma und Biolife. Hinter den Namen stehen international tätige Konzerne. Bei Europlasma ist das die staatlich-französische LFB-Group, bei Biolife der japanische Pharmazie-Gigant Takeda.
Europlasma und Biolife betreiben über ganz Österreich verteilt eine Reihe von Plasmazentren, in denen Interessierte sich Blutplasma abnehmen lassen können. Für eine Entschädigung in Höhe von 25 Euro. Und manchmal auch etwas mehr.
Um an das wertvolle Plasma zu kommen, muss man Spendewillige in eines der Plasmazentren zur sogenannten Plasmapherese bringen. Dabei wird – anders als bei der Vollblutspende – nur das Plasma maschinell aus der Blutbahn filtriert, der Rest fließt wieder zurück in den Kreislauf. Als Motivation dafür sollen einerseits prominente Testimonials wie der Kaiserenkel Karl Habsburg-Lothringen oder der Schlagersänger Nik P. dienen, und andererseits eben Geld. Doch wie viel davon ist ethisch und rechtlich vertretbar?
Das Rote Kreuz ist der Meinung: wenig. Sehr wenig. Zumindest weniger, als die beiden Plasmazentrum-Betreiber auszahlen. Mitte Februar 2020 begann man deshalb den kleineren der beiden, Europlasma, gerichtlich zu verfolgen. Der Vorwurf lautet auf unlauteren Wettbewerb. Verknüpft war das Ganze mit dem Ersuchen um eine Einstweilige Verfügung. Diesem wurde in erster Instanz zumindest teilweise stattgegeben. Seither stehen Teile des für die Plasmagewinnung so wichtigen Spender-Marketings still. Und damit auch Kapazitäten zur Plasmagewinnung.
Im Kern bringt das Rote Kreuz, das von der Kanzlei des ehemaligen Vizepräsidenten des Roten Kreuzes Gustav Teicht vertreten wird, zwei Argumente vor. Erstens: Die Prämienprogramme der Spendezentren verschaffen den Spendern einen finanziellen Gewinn. Das ist laut Gesetz verboten. Zweitens: Generell erschwere das Bezahlmodell der Plasmazentren die Gewinnung unbezahlter Blutspender durch das Rote Kreuz.
Als Hebel für sein Vorgehen nutzt das Rote Kreuz einen eskalierten Wettstreit der Unternehmen um Spender. Es war Ende 2018, Anfang 2019, als sich Europlasma und Biolife gegenseitig mit Versprechungen an die Spender überboten. Und mit offensiven Werbesujets versuchten, Menschen in ihre Plasmazentren zu locken. Europlasma etwa warb mit „450 Euro Aktionsprämie“. Auf den ersten Blick war nicht wirklich ersichtlich, wofür. Erst bei genauem Nachrechnen stellt sich heraus, dass man dafür 15-mal innerhalb von drei Monaten etwa eine Stunde in einem Plasmazentrum verbringen musste. An- und Abfahrt exklusive.
In § 8 Abs. 4 des Blutsicherheitsgesetzes steht: „Es ist untersagt, Spendern von Blut oder Blutbestandteilen oder dritten Personen für eine Spende einen Gewinn zukommen zu lassen oder zu versprechen.“
Das Ringen um die begehrten Plasmaspender am Markt schaukelte sich hoch. Europlasmas Konkurrent, Biolife (Takeda), reagierte. Erstspender wurden dort, wenn sie ein weiteres Mal erschienen, mit 100 Euro extra belohnt. Dann zog auch Europlasma nach und belohnte plötzlich Spender, die neue Spender warben. Und zwar ebenfalls mit 100 Euro Prämie.
Das Konzept funktionierte gut. So gut, dass das Handelsgericht zumindest das aggressive Werben und Prämien in erster Instanz verbot, andererseits jedoch auch keine grundsätzlichen Bedenken gegen geringfügige Kompensationszahlungen äußerte. Eine Sichtweise, die sowohl Europlasma als auch das Rote Kreuz beeinspruchten. Also wird derzeit und unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiterverhandelt.
So wenig Öffentlichkeit, Blut- und Plasmaspender von den Vorgängen auch erfuhren: In Fachkreisen sorgt die Auseinandersetzung zwischen Industrie und Rotem Kreuz momentan für gehöriges Aufsehen. Beide Seiten betreiben auch politisches Lobbying, um der jeweils eigenen Deutung der Realität zum Durchbruch zu verhelfen.
Zur Erinnerung: Schon einmal hatte in der Vergangenheit das Rote Kreuz erfolgreich zu diesem Mittel gegriffen. Damals verhinderte ein eigens geschaffenes Schutzgesetz, dass ein privates Unternehmen bei der Blutversorgung der Spitäler dem Roten Kreuz Konkurrenz machen konnte. Treibende Kraft damals war der heutige ÖVP-Klubobmann und damalige RK-Angestellte und „einfache“ Nationalratsabgeordnete August Wöginger. Das Gesetz wurde später zwar vom Europäischen Gerichtshof als EU-rechtswidrig aufgehoben, seinen Zweck, nämlich den Markteintritt eines privaten Anbieters zu verhindern, hatte es jedoch erfüllt. (Das Blut-Kartell )
Die Branche ist vorgewarnt: Sowohl die Interessenvertretung der plasmaverarbeitenden Industrie (IG Plasma) als auch der Pharma-Verband (Pharmig) wissen über die Vorgänge Bescheid. Der Streit zwischen dem Roten Kreuz und Europlasma wird dort weniger als eine Auseinandersetzung zwischen den zwei beteiligten Parteien, sondern als Kriegserklärung einer NGO gegenüber der gesamten profitorientierten Pharma-Wirtschaft bewertet. Und als Gefährdung der Plasmaversorgung. Zum Schaden für die eigenen Umsätze und: der Patienten.
Österreich spielt international eine durchaus bedeutende Rolle in der Gewinnung und Verarbeitung von menschlichem Blutplasma. Gemeinsam mit Deutschland, Tschechien und Ungarn stellt man 50 Prozent des europäischen Bedarfs zur Medikamentenerzeugung. Der Rest stammt aus den USA. In den Plasmazentren der Unternehmen werden jährlich etwa 500.000 Liter Plasma gesammelt. In den Anlagen der hier ansässigen Unternehmen (Takeda, Europlasma, Octapharma) werden nach Auskunft von Branchenkennern jährlich sogar 4,5 Millionen Liter verarbeitet. Eine international bedeutende Größe. Wie kam das?
Die Ursprünge gehen in die 1950er Jahre zurück. Damals gründete der Chemiker Johann Eibl das Österreichische Institut für Hämoderivate. Das ÖIH forschte an vor Kinderlähmung immunisierendem Plasma. Später wurde aus dem ÖIH die Immuno AG, die – u.a. – auch Impfstoffe herstellte. Bereits damals gab es Konflikte zwischen der Industrie und dem Roten Kreuz. Die Immuno gewann ihr Plasma damals noch aus Vollblut, für das sie – anders als das Rote Kreuz – bezahlte. Die restlichen Bestandteile entsorgte man allerdings.
Als das ethisch nicht mehr vertretbar war, begann man sich für die damals neue Methode der Plasmapherese zu interessieren. In den USA experimentierte man damit an Häftlingen im Hochsicherheitsgefängnis von Alcatraz. Dabei wird dem Blut lediglich das Plasma entnommen, die restlichen Bestandteile bleiben im Kreislauf.
Die neue Technologie musste auch rechtlich geregelt werden, also entstand 1975 das erste Plasmapheresegesetz. Das waren Rahmenbedingungen, die für die Industrie international interessant waren. Der US-Riese Baxter kaufte die Immuno, baute Wien (und Orth an der Donau) zu einem großen Standort aus. In seinem Windschatten wuchsen in Österreich auch Octapharma und Humanplasma, das vor wenigen Jahren an die französische LFB Group ging und in Europlasma umbenannt wurde. Baxter änderte mehrfach Namen und Eigentümer (Baxalta, Shire) und ging letztlich an den japanischen Pharma-Konzern Takeda.
Allerdings: Offen will niemand aus der Branche in den Konflikt mit dem Roten Kreuz treten. Stellungnahmen zur Bedeutung der Auseinandersetzung? Fehlanzeige. Auch das beklagte Unternehmen, Europlasma, will sich unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht zu unseren Recherchen äußern. Nur im Vieraugengespräch und unter der Zusicherung, keine Namen zu nennen, eröffnete uns eine Führungskraft aus der Pharma-Branche ihre Lagebewertung:
„Wir alle haben panische Angst vor einem Konflikt in der Öffentlichkeit. Auf der einen Seite steht faktisch nicht nur das beklagte Unternehmen Europlasma, sondern die gesamte, in der Bevölkerung übel beleumundete Industrie. Auf der anderen das Rote Kreuz, das aus seiner Tätigkeit in anderen Feldern als moralisch hochstehende Institution wahrgenommen wird. Und sich selbst entsprechend inszeniert. Das wäre ein Kampf, den wir nur verlieren können.“
Auch das Rote Kreuz lehnte zur Thematik ein Interview von uns mit einer Führungskraft ab. Fragen, ob man selbst plane – zusätzlich zur Herstellung von Blutkonserven für die Spitäler – in den Markt für Plasma einzusteigen, wurden nicht beantwortet. Diesen Verdacht hat nämlich die Industrie, die intern und auf europäischer Ebene darauf verweist, dass das Vorgehen des Roten Kreuzes die Versorgung Österreichs (und zu einem geringfügigen Teil auch der Welt) mit Plasma für wichtige Medikamente gefährde. Und Europa weiter in die Abhängigkeit des umstrittenen Plasmamarkts der USA dränge. Wie dies?
Plasma macht etwa 60 Prozent des menschlichen Blutes aus. Es besteht zum Großteil aus Wasser, darin gelöst: Mineralsalze und Proteine. Diese Proteine sind es, die das Plasma so wertvoll machen. Sie sind bis heute nicht künstlich herzustellen und eigenen sich für eine Reihe von Anwendungen.
Aus Plasma stellt die pharmazeutische Industrie Medikamente gegen eine Vielzahl schwerwiegender Immunschwäche-Erkrankungen her. Weitere Anwendungsgebiete: Therapien bei Verbrennungen, Blutgerinnungsstörungen, schweren Infektionen und Krebserkrankungen.
In Europa ist zur Gewinnung von Plasma für die Industrie in vier Ländern das Bezahlen eines „Aufwandsersatzes“ zulässig. Neben Österreich sind das Deutschland, Tschechien und Ungarn. Geschätzte 80 Prozent des Weltplasmas stammen jedoch aus den USA. Dort spricht die Industrie ganz gezielt sozial schwache Schichten an. Bis zu 100-mal im Jahr dürfen Interessierte in den Staaten den wertvollen, bis heute synthetisch nicht herstellbaren Rohstoff spenden (hierzulande liegt das Maximum bei 50 Terminen). Die Werbung der Unternehmen kommuniziert ganz klar: Mit dem Verkauf des eigenen Körpers lässt sich Geld verdienen.
„Verdiene bis zu 400 Dollar dieses Monat“, verspricht eine aktuelle Kampagne von CSL-Plasma (siehe Foto). 2017 beleuchtete eine Dokumentation für den TV-Sender Arte das Vorgehen der pharmazeutischen Industrie in den USA kritisch. In der Branche sorgte der Film für Aufsehen. In der europäischen Abteilung eines Konzerns wurde das Gezeigte (Zitat eines Interviewten: „Ich liefere wie eine Kuh, die Milch gibt.“) uns gegenüber als abschreckendes Beispiel dafür genannt, worauf man sich verlasse, wenn man – wie in Österreich das Rote Kreuz – an der Abschaffung des Aufwandsersatzes arbeite.
Diese Überlegung spielt beim Vorgehen des Roten Kreuzes offenbar keine Rolle. Zumindest wurde unsere Frage danach nicht beantwortet. In einem schriftlichen Statement an uns argumentierte die Organisation ihren Standpunkt so:
„Gewinnorientierte Unternehmen, die in Österreich Blutplasma sammeln, bieten für eine Spende finanzielle Beträge, die aus Sicht des Roten Kreuzes weit über eine Entschädigung des tatsächlichen Aufwands hinausgehen und somit gesetzeswidrig sind.“
Und weiter:
„Diese Unternehmen sprechen dieselben Spendergruppen an wie das Rote Kreuz. Das Rote Kreuz befürchtet, dass diese Art der Spenderwerbung mittel- und langfristig die Vollversorgung mit Blutprodukten in Gefahr bringt.“ Das vollständige Schreiben des Roten Kreuzes können Sie HIER nachlesen. Unser vorheriges Ersuchen um Stellungnahme (inklusive aller Fragen, die nur zu einem kleinen Teil beantwortet wurden) finden Sie HIER
Von: (OeRK)
Datum: Dienstag, 1. September 2020 um 17:13
An: Andreas Wetz
Betreff: AW: Anfrage Plasma-Markt
Lieber Herr Wetz,
bitte finden Sie hier die Stellungnahme des Roten Kreuzes zu Ihrer Anfrage.
LG (XXXXXX)
+++
Das Rote Kreuz ist eine humanitäre Hilfsorganisation, deren gesamte Tätigkeit nicht auf Gewinn ausgerichtet ist. Eine besonders wichtige Aufgabe des Österreichischen Roten Kreuzes ist die flächendeckende Versorgung von PatientInnen in österreichischen Spitälern mit Blutkonserven. Diese Tätigkeit ist auch in den Satzungen des Roten Kreuzes festgeschrieben. 2018 wurden österreichweit rund 350.000 Blutkonserven benötigt.
Bei der Aufbringung von Blutspenden hält sich das Rote Kreuz strikt an die Vorgaben des Blutsicherheitsgesetzes. Dieses Gesetz besagt unter anderem, dass SpenderInnen von Blut oder Blutbestandteilen für ihre Spende keinen finanziellen Gewinn lukrieren dürfen. Dadurch soll die Sicherheit der Blutprodukte erhöht und der Schutz der EmpfängerInnen von Blutprodukten vor Infektionen verstärkt werden.
Gewinnorientierte Unternehmen, die in Österreich Blutplasma sammeln, bieten hingegen für eine Spende finanzielle Beträge, die aus Sicht des Roten Kreuzes weit über eine Entschädigung des tatsächlichen Aufwands hinausgehen und somit gesetzeswidrig sind. Diese Unternehmen sprechen dieselben Spendergruppen an wie das Rote Kreuz. Das Rote Kreuz befürchtet, dass diese Art der Spenderwerbung mittel- und langfristig die Vollversorgung mit Blutprodukten in Gefahr bringt.
Die Klage zielt darauf ab, dass plasmasammelnde Unternehmen – wie im Blutsicherheitsgesetz geregelt – nur die gesetzlich zulässigen Geldbeträge bezahlen, damit wieder gleiche Voraussetzungen für die Ansprache von SpenderInnen herrschen.
+++
Von: Andreas Wetz
Gesendet: Donnerstag, 27. August 2020 15:09
An: (OeRK)
Betreff: Anfrage Plasma-Markt
Lieber Herr (XXXXX),
wie telefonisch gewünscht finden Sie anbei meine Fragen. Wie immer erachte ich eine persönliche Beantwortung im Interview mit einer Führungskraft als am wertvollsten. Wenn das Ihrerseits nicht möglich ist, dann freue ich mich bis Dienstag, 1. 9. bis 18 Uhr auch über jede andere Unterstützung.
In der Sache geht es um die Aktivitäten des Roten Kreuzes auf dem Markt für Blutplasma.
Danke für die Unterstützung, lG,
Andreas Wetz.
Gefährdet die Plasmagewinnung der Industrie also die Aufbringung von Blutkonserven für die Spitäler? Im Rahmen der Recherchen fanden wir heraus, dass die Spitze des Roten Kreuzes dieses Argument zuletzt auch bei politischen Lobbying-Gesprächen mit Mitgliedern der Parlamentsparteien verwendete. Wir konnten mehrere dieser Termine dokumentieren. Inhaltlich kann man sie jedoch ergänzen, denn: Daten aus Tschechien deuten in eine andere Richtung.
Dort öffneten im Jahr 2007 die ersten Zentren für Plasmapherese nach dem Bezahlmodell in Form von Aufwandsentschädigungen. Ein Rückgang der unbezahlten Blutspenden ist seither nicht zu beobachten. Vielmehr stiegen diese seit damals sogar leicht an (siehe Grafik).
Legt man unsere vorangegangene Datenrecherche zum österreichischen Blutmarkt auf den Tisch, dann werden interessante Zusammenhänge deutlich. Zusammenhänge, die auch auf andere Absichten des Roten Kreuzes hindeuten könnten, nämlich: das Erschließen neuer Geschäftsfelder. Zwar weist die Organisation, die inzwischen knapp 9.000 Angestellte beschäftigt, öffentlich stets auf ihre Gemeinnützigkeit hin. Allerdings stellte das Rote Kreuz vor einigen Jahren im Rahmen eines geschlossenen Vergabeverfahrens vor Gericht ebenfalls fest, dass man mit den Überschüssen aus dem Blutspendewesen andere Tätigkeitsfelder querfinanziere.
Allerdings tat sich in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren ein Problem auf: Die Operationsmethoden der Medizin werden immer besser, der Verbrauch von Blutkonserven ging allein in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent zurück. Das Rote Kreuz erhöhte seine Preise im gleichen Zeitraum um 23 Prozent. Ergebnis: Die Umsätze blieben zumindest stabil.
Während der Blutmarkt stagniert, herrscht am Plasmamarkt weltweit Goldgräberstimmung. Einer aktuellen Marktanalyse zufolge soll das jährliche Marktvolumen bis 2024 von 24,4 auf 34,9 Milliarden US-Dollar steigen. Aufgrund der Präsenz von Marktführern (Takeda, LFB, Octapharma) und der Rahmenbedingungen steht der Standort Österreich hierbei in der ersten Reihe.
Einen ersten Schritt hat das Rote Kreuz bereits im Rahmen der COVID-19-Krise getan. Weltweit arbeitet die Industrie daran, aus Plasma von genesenen Corona-Patienten Medikamente zu entwickeln oder es direkt Erkrankten zur Akut-Therapie zu verabreichen. Ein Feld, auf dem neben der Pharma-Wirtschaft auch das Rote Kreuz in Österreich federführend ist. Und wofür man die guten politischen Kontakte nutzen kann.
Dokumentiert ist das aus einer der Sitzungen des Beraterstabs der Taskforce Corona im Gesundheitsministerium. In diesem Stab sitzt auch Rot-Kreuz-Co-Geschäftsführer Gerry Foitik, der innerhalb der Organisation auch für das Blutspendewesen verantwortlich ist. Am 9. März 2020, also noch vor dem Niederfahren des Landes, fragte AGES-Vertreter Franz Allerberger im Namen von Takeda, ob, und wenn ja, wie, das Unternehmen an die Kontaktdaten von Genesenen zwecks Aufforderung zur Plasmaspende kommen könne. Laut Protokoll mischte sich daraufhin „Fotik“ (sic!; siehe Faksimile) ein, der festhielt, dass auch das Rote Kreuz dieses Plasma an die Industrie liefern könnte.
Die Fronten zwischen Rotem Kreuz und Wirtschaft scheinen festgefahren. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen im Nationalrat. Der Abgeordnete aus Oberösterreich ist einer aus jener Gruppe von Politikern, bei denen das Rote Kreuz in seinem Sinne warb. Und wie das derzeit auch die Industrie tut, denn: „Zuletzt, im August, meldete sich in der Sache eine Agentur der IG Plasma bei mir, die über mich einen Termin beim Gesundheitsminister erwirken wollte und mir den Eindruck vermittelte, dass sich auch die Industrie benachteiligt fühlt.“
Schallmeiner glaubt, dass beide Interessen gerechtfertigt sind. Der Schutz der Versorgung mit Spenderblut genauso wie die Versorgung des Marktes mit Medikamenten. „Bisher habe ich jedoch nur Beschwerden über den jeweils anderen gehört. Lösungsvorschlage fehlen.“