Als Bollwerk des Vertrauens – so ungefähr kann man das Rote Kreuz in Österreich beschreiben. Keine andere Hilfsorganisation ist so beliebt, keiner anderen NGO vertrauen die Österreicher mehr. Das ÖRK hat aber auch eine andere Seite. Eine, die verteidigt, was vermeintlich ihr gehört: In Österreich ist das das Blutspendewesen. 344.088 Vollblutspenden sammelte das Rote Kreuz 2018 im ganzen Land. Im Jahresbericht schlägt sich das mit 78 Millionen Euro nieder. Zum Vergleich: Das sind um 6 Millionen Euro mehr, als die Hilfsorganisation durch Spenden und Mitgliedsbeiträge im selben Jahr einnahm.
Blutspenden haben in Österreich freiwillig und „gänzlich unbezahlt“ zu erfolgen. So steht es in der aktuellen Fassung des Blutsicherheitsgesetzes. Das heißt: Das Rote Kreuz bezahlt seine Spenderinnen und Spender nicht. Gleichzeitig agiert es praktisch ohne Konkurrenz. Das Rote Kreuz hat de facto ein Monopol auf Blutspenden. Ein Monopol, das es sich auch deshalb sichern konnte, weil die Hilfsorganisation beste Verbindungen in Politik, Wirtschaft und Medien unterhält.
Mit mehr als 70.000 ehrenamtlichen Mitgliedern und 8.600 hauptberuflichen Mitarbeitern ist es die größte NGO in Österreich.
Das geht aus dem APA/OGM-Vertrauensindex hervor. Demnach vertrauen 74 Prozent der 810 Befragten der Hilfsorganisation. Zum Vergleich: Der Caritas vertrauen lediglich 16 Prozent der Befragten.
Ein Aufwandsersatz ist nur dann zulässig, wenn der Spender aufgrund eines unmittelbaren Bedarfs in einer akuten Notfallsituation von der Blutspendeeinrichtung zur unverzüglichen Spende aufgefordert wurde.
Beginnen wir in der Politik, genauer gesagt im Nationalrat. Dort, wo bereits 2006 ein EU-rechtswidriges Gesetz beschlossen wurde, um das Rote Kreuz im Blutspendewesen vor möglicher Konkurrenz zu schützen . Im aktuellen Nationalrat sitzen gleich mehrere Abgeordnete mit Verbindungen zum Roten Kreuz – besonders viele in der ÖVP. Das ist in einer repräsentativen Demokratie zwar legitim, wirft aber im konkreten Fall dennoch die Frage auf, wie stark das Rote Kreuz seinen Einfluss auf Abgeordnete geltend machen kann.
Das Rote Kreuz selbst betont seine Überparteilichkeit und Unabhängigkeit zwar, sagt aber auch, dass man mit Parteien an einem Strang ziehe, sofern sich die politischen Positionen und Forderungen überschneiden. „Einmal teilt eine Partei unsere Position, dann die andere“, sagt Gerry Foitik, Mitglied der Geschäftsleitung, dazu. Und ergänzt: „Wahrscheinlich haben wir mit manchen Parteien mehr Überschneidungen als mit anderen.“ Im Blutspendewesen scheint dies vor allem auf die ÖVP und deren heutigen ÖVP-Klubobmann August Wöginger zuzutreffen.
Denn die Geschichte, wie das Rote Kreuz sein de facto Monopol auf Blutspenden verteidigen konnte, ist auch die Geschichte von Wöginger, dem ehemaligen Angestellten und Betriebsratsvorsitzenden des Roten Kreuzes. 2005 bringt er gemeinsam mit der freiheitlichen Abgeordneten Barbara Rosenkranz – die ÖVP ist unter Bundeskanzler Schüssel mit der FPÖ in einer Regierung – einen Initiativantrag im Nationalrat ein. Das Blutsicherheitsgesetz soll geändert werden, Blutspenden haben „gänzlich unbezahlt“ zu erfolgen. Eine Aufwandsentschädigung soll nur in akuten Notfallsituationen zulässig sein.
Wenige Monate später beschließt der Nationalrat ein weiteres Gesetz. Wieder bringt der Rot-Kreuz-Angestellte den Initiativantrag im Nationalrat ein. Diesmal richtet sich das Gesetz gegen Blut-Importe. Wöginger sagt: „Eine Kommerzialisierung, wie sie zum Beispiel in Ostdeutschland der Fall ist, wo 20 Euro oder 25 Euro für eine Blutspende bezahlt werden, würde die hohe Qualität und damit auch die Sicherheit stark gefährden. Das wollen wir nicht, und deshalb beschränken wir den Import von Blutprodukten.“
Das Gesetz wird von Wöginger gerade zu einem Zeitpunkt eingebracht, als die Vorherrschaft des Roten Kreuzes am Blutmarkt zu bröckeln beginnt. Der größte Spitalsverbund Österreichs, der damalige Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), plant, einen Teil seiner Blutprodukte nicht mehr vom Roten Kreuz zu beziehen, sondern von einem kostengünstigeren Unternehmen. Das von Wöginger initiierte Schutzgesetz wird beschlossen. Jahre später hebt der Europäische Gerichtshof Wögingers Gesetz als EU-rechtswidrig auf. Seine Wirkung hat es trotzdem erzielt: Das Rote Kreuz muss seinen Anteil am Blutmarkt nicht teilen, der KAV wird sich nicht mehr um einen kostengünstigeren Mitbieter bemühen.
Kritik nimmt man zu dieser Zeit von der Opposition kaum wahr. Lediglich Kurt Grünewald, damals Abgeordneter der Grünen, lässt in einer Nationalratsdebatte vorsichtig anklingen, woran das liegt. Grünewald sagt: „Man sollte dann aber schon so fair sein, zu sagen, dass das der Sicherheit hilft, aber natürlich auch dem Roten Kreuz.“ Und weiter: „Blutspenden als Gewerbe und Blutverarbeiten [sind] nicht unbedingt ein Monopol – ich weiß, ich begebe mich da jetzt auf gefährliches Gebiet – des Roten Kreuzes.“
Das war vor knapp 15 Jahren. Seither hat das Rote Kreuz seine Marktstellung am Blutmarkt einzementiert. 2017 wird in Oberösterreich die von der Klinik Wels-Grieskirchen betriebene Blutbank geschlossen. Profitiert hat ausgerechnet die Blutspendezentrale Linz, die vom Roten Kreuz betrieben wird und bis dahin hohe Verluste schreibt. Alles unter Mithilfe des damaligen ÖVP-Landtagsabgeordneten und Oberösterreichischen Rot-Kreuz-Präsidenten Walter Aichinger. In seiner Stellungnahme uns gegenüber sprach Aichinger davon, dass der Landesrechnungshof den „Auftrag“ zur Schließung erteilt habe. Das stimmt so jedoch nicht. Zum einen darf die Prüfbehörde der Politik gar keine Aufträge erteilen. Zum anderen formulierte es der Landesrechnungshof auch nicht so. Dieser empfahl „eine endgültige Entscheidung hinsichtlich der Auflassung der Blutzentrale des Klinikums herbeizuführen“.
Zurück zum Nationalrat: Dort werden im vergangenen Jahr zuletzt zwei Abgeordnete aktiv. Philip Kucher (SPÖ) bringt gemeinsam mit der ÖVP-Abgeordneten Gabriela Schwarz einen Antrag ein. Beide sind – wie bereits gezeigt – ehrenamtlich für die Hilfsorganisation tätig. Schwarz trägt sogar das Silberne Ehrenzeichen des Roten Kreuz. In der Debatte sagt Kucher: „Das Österreichische Rote Kreuz kommt zu uns und sagt: Wir müssen Blutspendeaktionen absagen, weil es nicht mehr möglich ist, Ärztinnen und Ärzte zu finden, die diese auch betreuen.“
Mit dem Gesetzesbeschluss sind bei mobilen Blutspendeaktionen – die traditionell vom Roten Kreuz durchgeführt werden – keine Ärzte mehr erforderlich. Speziell ausgebildete Gesundheits- und Krankenpfleger dürfen von nun an die Blutspenden durchführen. Kritik kommt von der FPÖ. „Der Arzt muss die Eignungsuntersuchung des Blutspenders durchführen. Es darf keinen Unterschied geben, ob eine Spende in einer mobilen Einrichtung oder in einer stationären Einrichtung erfolgt“, sagt die freiheitliche Abgeordnete Brigitte Povysil. ÖVP, SPÖ, NEOS und zwei Mandatare der Liste Pilz stimmen für das Gesetz.
Es zeigt sich: Die Verflechtungen zwischen dem Roten Kreuz und der ÖVP sind groß. Aber auch SPÖ, FPÖ und Grüne treten oder traten an der einen oder anderen Stelle ziemlich nahe an die NGO heran. Gerade die SPÖ steht dabei vor einem Dilemma: Während die ÖVP nahezu geschlossen das Rote Kreuz unterstützt, gibt es mit dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) eine SPÖ-nahe Organisation, die in vielen Bereichen in direkter Konkurrenz zum Roten Kreuz steht – auch im Blutspendewesen, wo der ASB seinen Markteintritt schon vorbereitete, dann aber doch zurückzog .
Wie sehr das Rote Kreuz und die ÖVP politisch im Gleichschritt agieren, zeigt sich nicht nur am Blutmarkt. Auch bei der Volksbefragung zur Wehrpflicht sprachen sich beide für die Beibehaltung von Präsenz- und Zivildienst aus. Mit Erfolg, wie die Wählerinnen und Wähler damals entschieden. Und auch während der Corona-Krise ließ sich eine Nähe zur ÖVP erkennen: Da kampagnisierte das Rote Kreuz unter anderem gemeinsam mit dem ÖVP-Vertrauten Philipp Maderthaner für die türkis-grüne Bundesregierung. An österreichische Medienhäuser wurden mehrere Millionen Euro verteilt, SPÖ-Mediensprecher Thomas Drozda sprach sogar davon, dass die Bundesregierung mithilfe des Roten Kreuzes die Ausschreibungspflicht umgehen wollte. Bislang ohne Konsequenzen. Weniger erfolgreich war da schon die „Stopp Corona“-App, die das Rote Kreuz für die Bundesregierung entwickelte. Da war es ausgerechnet Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der für eine verpflichtende Nutzung der App eintrat – und damit so viel Widerstand auslöste, wie es das Rote Kreuz all die Jahre schon nicht mehr erleben musste.
Dabei handelt es sich um die „Schau auf mich, schau auf dich“-Kampagne. Bis Ende Mai konnten wir Buchungen im Wert von 9,8 Millionen Euro nachweisen. Auf den Inseraten-Sujets war auch das Logo des Roten Kreuzes zu sehen.
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Andreas Wetz ist förderndes Mitglied des Roten Kreuzes in seinem Wohnbezirk in Niederösterreich.
Matthias Balmetzhofer hat für die Recherche beim Roten Kreuz Blut gespendet und möchte das auch in Zukunft tun.