Seit der Wahl von Donald Trump möchte sich die EU verteidigungspolitisch stärker von den USA emanzipieren. Weitere Anlassfälle sind das russische Vorgehen auf der Krim oder der Kampf gegen den „Islamischen Staat“. Seitdem wird immer wieder betont, dass Europa gegebenenfalls auf sich selbst aufpassen können muss. „Europa wird erwachsen“ titelte der Spiegel. Dabei soll die ständige strukturierte Zusammenarbeit – „Permanent Structured Cooperation“, kurz PESCO – eine entscheidende Rolle spielen.
Österreich ist eines von 23 Mitgliedern „einer Art Koalition der Willigen“. Eine EU verschiedener Geschwindigkeiten bei der Verteidigungspolitik also. Schließlich ist geschlossenes Vorgehen gerade in diesem heiklen Bereich nur schwer bis gar nicht möglich.
Am 10. November wurde an der Diplomatischen Akademie in Wien über den europäischen Weg zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion diskutiert. Dabei wurde auch PESCO angesprochen. David McAllister, Leiter des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, betonte in seiner Rede einige Grundsätze:
Über alledem steht die Effizienz: Große Rüstungs- und Verteidigungsprojekte sollen gebündelt (man denke an das britische Eurofighter-Angebot, das wir an dieser Stelle thematisiert haben) und aufeinander abgestimmt werden. Anders gesagt: Die Zeiten, in denen jedes EU-Land seine Landesverteidigung isoliert bewerkstelligt, sind vorbei. Klassische Souveränität wird durch Kooperation ersetzt. Durch diese Reduktion unnötiger doppelter oder mehrfacher Anschaffungen soll die EU-Verteidigung billiger und dennoch besser werden.
Damit meint man die möglichst rasche Verlegung von Truppen und Kriegsgerät.
Wer bei PESCO mitmacht, muss einige Bedingungen erfüllen. Daraus stechen vor allem drei Punkte hervor:
Der erste Punkt deckt sich mit einer schon lange bestehenden Forderung des Bundesheers, das schon seit geraumer Zeit eine Aufstockung des Budgets auf ein Prozent verlangt. Mit einer Verpflichtung zur stetigen Erhöhung wird der nationalstaatliche Spielraum jedoch eingeschränkt. Derzeit kann Österreich die Forderungen des Bundesheers erfüllen (oder auch nicht). In Zukunft muss es ihm mehr Geld geben. Konkrete Zahlen werden von PESCO allerdings nicht genannt.
Die Teilnahme an Rüstungsprojekten wiederum ist im Lichte der Neutralitäts-Selbstverpflichtung zu sehen. Österreich muss sich selbst und eigenständig verteidigen können. Daher kann es beispielsweise die Luftraumüberwachung und -verteidigung nicht auf andere Länder auslagern. Außerdem muss Österreich bereits in Friedenszeiten darauf achten, seine Neutralität im Falle eines zwischenstaatlichen Krieges wahren zu können – was bei der gemeinsamen Beschaffung und Erhaltung militärischen Geräts naturgemäß schwierig werden könnte.
Das im Verpflichtungskatalog genannte „Streben nach beschleunigten politischen Zusagen auf nationaler Ebene“ bei der Entsendung von Soldaten zu EU-Missionen soll dazu dienen, möglichst schnell auf Krisen zu reagieren. Kritiker meinen, dass damit die alte, bereits 1950 von Winston Churchill ins Spiel gebrachte Idee einer EU-Armee aufgewärmt wird. Sie wurde 1954 eigentlich aufgegeben: Das französische Parlament wehrte sich dagegen, Deutschland zu viel militärische Macht zu geben, und Großbritannien wollte ohnehin nicht mitmachen.
Diese Sorgen bestehen jedoch bereits seit längerem. Der Gedanke der „rapid response“ geht auf ein Treffen des Europäischen Rats in Helsinki 1999 zurück. Bereits jetzt stellen die EU-Mitglieder nach dem Rotationsprinzip Soldaten bereit, um eine Art stehendes Heer sicherzustellen – die sogenannten EU-Battlegroups. Als „Referenzmodell“ dafür gilt die EU-Mission in der Demokratischen Republik Kongo 2003 (Operation Artemis). Damals wurden unter französischer Führung die bestehende UN-Friedenstruppen unterstützt, um den Ituri-Konflikt im Nordosten des Landes zu beenden. Neutralitätsrechtlich ist eine österreichische Beteiligung an solchen Operationen aufgrund des UN-Mandats kein Problem. Nicht entsprechend autorisierte Militäroperationen – vergleichbar mit den NATO-Luftangriffen auf Serbien 1999 – wären allerdings völkerrechtlich verboten.
An den Battlegroups selbst hat sich Österreich erst 2016 mit 500 Soldaten beteiligt. Da die tatsächliche Entsendung Einstimmigkeit verlangt, hätte Österreich im Falle eines Falles zumindest ein Vetorecht. Ob sich das realpolitisch verkaufen lässt, steht allerdings auf einem andern Blatt. Bislang wurden die Battlegroups jedenfalls noch nie eingesetzt. Mit PESCO könnte sich das ändern.
Daneben können und sollen die PESCO-Mitglieder Vorschläge für gemeinsame Projekte unterbreiten. So haben die Niederlande gefordert, eine Art „Schengen-Raum“ für militärisches Gerät zu schaffen. Auch ein solcher Vorschlag stößt an neutralitätsrechtliche Grenzen: Österreich darf in zwischenstaatlichen Kriegen schließlich keine Überflüge über sein Staatsgebiet oder Waffenlieferungen und dergleichen erlauben. Das betrifft nicht nur österreichische Waffenexporteure, sondern auch entsprechende Transporte über österreichisches Staatsgebiet.
Außenminister Sebastian Kurz hat in seiner Stellungnahme zur Beteiligung bei PESCO die neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs betont. Juristisch wird die Neutralität nicht ausgehebelt. Allerdings begibt sich Österreich einmal mehr in Grauzonen. Faktisch gilt sie spätestens seit Ende des Kalten Krieges ohnehin nur noch in eingeschränkter Form .