8. Mai 2013. In der Sperrzone zwischen Israel und Syrien, auf den Golanhöhen, scheint die Sonne. Verteidigungsminister Gerald Klug schreitet an Soldatenreihen vorbei. Sie sind die Situation schon gewohnt, erst drei Wochen zuvor hat Außenminister Michael Spindelegger die Truppen besucht. Für Klug ist es die erste Auslandsreise, er ist erst seit 11. März Verteidigungsminister. Er hat das Amt von Norbert Darabos übernommen, der für seinen Sparkurs beim Bundesheer oft kritisiert und ein halbes Jahr vor der Nationalratswahl Bundesgeschäftsführer der SPÖ wird, um sich um den Wahlkampf zu kümmern. Klug hat von seinem Vorgänger nicht nur das Amt übernommen, sondern auch den Sparkurs und den Auftrag, die Heeresreform weiter umzusetzen. Nur drei Monate später berichten Medien im ganzen Land vom Rufmord an Österreich, den der Verteidigungsminister mit seiner Entscheidung begangen habe (etwa hier und hier).
Der Abzug der österreichischen Truppen vom Golan hatte nachhaltigen Einfluss auf die Reputation des Bundesheers. Noch drei Jahre später wurden die Präsidentschaftsanwärter Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen nach ihrer Meinung dazu gefragt. Wohl auch, weil Heinz Fischer erst im Frühjahr 2016 den Abzug vom Golan im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung bedauert hatte; im Nachhinein sehe er die Entscheidung der Regierung als falsch. Als Verteidigungsminister Klug im Jahr 2013 den Abzug bekannt gegeben hatte, hatte er noch von einer richtigen Entscheidung für die Sicherheit der Soldaten gesprochen. Doch auch damals war schon von einer politischen Entscheidung die Rede, alle Involvierten gaben das zu. Damit stellt sich die Frage, ob das Bundesheer sich nach politischer Logik richten oder doch lieber militärischen Entscheidungen folgen sollte.
Im Februar 2008 war der Ruf der Politik nach einem Abzug ähnlich laut. Ende Jänner waren erste Vorkommandos zur Vorbereitung des Einsatzes im Rahmen der EU-Mission in den Tschad geflogen, schon wenige Tage später griffen Rebellen die Hauptstadt N’Djamena an. Oppositionsparteien forderten deshalb schon wenige Tage, nachdem die ersten Trupps angekommen waren, ein Ende des Einsatzes. Dennoch entschieden die Militärs sich für den Verbleib, die 14 österreichischen Soldaten, die schon angekommen waren, wurden zwischenzeitlich lediglich von der Hauptstadt in ein Camp in der Nähe des Flughafens verlegt, wo sie „noch sicherer“ waren, wie der damalige Verteidigungsminister Norbert Darabos es formulierte. Drei Jahre später kam heraus, dass österreichische Soldaten im weiteren Verlauf der Mission auch angegriffen wurden und im Gefecht Menschen getötet haben: ein Novum in der Geschichte des Bundesheers.
Obwohl der Beginn der Mission im Tschad damit einen holprigen Start hatte, verlief die Mission in Absprache aller Beteiligten des Bundesheers und der EU geregelt. Die österreichischen Truppen erfüllten ihren Auftrag, schon im April 2008 übernahm der österreichische Kontingentskommandant die Führung der EUFOR-Einsatzkräfte im Tschad. Medial wurde das als Vertrauensbeweis in die österreichischen Truppen gewertet. Ein solcher Vertrauensbeweis wurde auch 2013 von der UNO erbracht. Im April 2013 wurde Brigadier Stefan Thaller zum Stellvertretenden Einsatzkommandanten am Golan ernannt. Zu diesem Zeitpunkt waren seit 39 Jahren österreichische Truppen am Golan.
In der österreichischen Bevölkerung entstand das Bild, dass der Golan-Einsatz ruhig und geregelt ablief. Truppensteller wechselten, manche Länder beendeten ihr Engagement, andere fingen an. Die Aufgaben aufgrund des Mandats blieben gleich: durch ständige Besetzung von Stützpunkten und temporären Überwachungsposten und mittels Fußpatrouillen, motorisierten und kombinierten Patrouillen sollte die Überwachung der Separationszone sichergestellt werden und Verstöße beider ehemaliger Kriegsparteien (Israel und Syrien) gegen das Truppenentflechtungsabkommen gemeldet bzw. durch Informationen verhindert werden. Zu diesem Zweck stellte Österreich bis zum Ende des Einsatzes bis zu 387 Soldaten, auch 2013 waren es so viele. Jahrelang galt man damit als „verlässlicher UNO-Truppensteller“, wie Minister auch 2013 betonten. Auch Michael Spindelegger betonte noch im Juni 2013 die Rolle Österreichs: „Wenn Österreich abzieht, dann bricht die UN-Mission zusammen.“
Als Thaller stellvertretender Einsatzleiter wurde, hatten der damalige Bundeskanzler Werner Faymann und Außenminister Michael Spindelegger bereits einen möglichen Abzug angekündigt. Der syrische Bürgerkrieg hatte den Einsatz am Golan gefährlicher gemacht, erst im Dezember waren zwei österreichische Soldaten angeschossen worden. Im Frühjahr 2013 wurden regelmäßig Soldaten entführt, im März zogen die kroatischen Truppen ab und beendeten ihren Einsatz am Golan. Trotzdem gibt es einen Unterschied zum Abzug der österreichischen Truppen. Sieht man sich die Berichterstattung über den Golan-Einsatz aus dem Frühjahr 2013 an, fällt vor allem eines auf: Der Verteidigungsminister spricht kaum. Vielmehr wird die Debatte von Bundeskanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger dominiert, beide erwähnen einen möglichen Abzug häufig im Rahmen von EU-Sitzungen. Das liegt am Auslaufen des Waffenembargos gegen Syrien. Bis Ende Mai hatten sich die EU-Mitgliedstaaten darauf geeinigt, keine Waffen nach Syrien zu liefern, nun drohte das Embargo auszulaufen. Österreich darf als neutraler Staat ohnehin keine Waffen exportieren, doch Großbritannien und Frankreich wollten Waffenlieferungen an Rebellentruppen gegen Assad durchsetzen.
Neue Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet würden die Situation verschärfen, nicht nur für die österreichischen Soldaten. Anhand der regelmäßigen Entführungen ist klar erkennbar, dass der Bürgerkrieg sich auch auf den Golan-Einsatz auswirkt, Verteidigungsminister Klug spricht regelmäßig davon, die Situation evaluieren zu wollen. Gleichzeitig wird sein eigener Beraterstab im Ministerium aufgebaut, er ist schließlich erst seit kurzem im Amt. So wird beispielsweise am 24. Mai Othmar Commenda Generalstabsleiter, im Zuge seiner Beförderung warnt er öffentlich davor, die Golan-Truppen als Wahlkampfmittel zu verwenden. Am selben Tag verabschiedet Verteidigungsminister Klug 187 Soldaten, die zum Golan aufbrechen. Die Mission scheint stabil, ein Abzug steht nur als politisches Druckmittel im Raum. Doch die Verhandlungen auf EU-Ebene scheitern, ab 1. Juni dürfen EU-Staaten wieder Waffen nach Syrien liefern.
Doch dann wirkt sich der Konflikt in Syrien auch im Sperrgebiet der Golanhöhen aus. In der Nacht auf den 6. Juni kommt es in der Nähe der Sperrzone zu Kämpfen. Syrische Rebellen bereiten sich schon seit dem Vorabend auf Gefechte vor, Thaller berichtet später von rund 30 Kämpfern – eine geringe Zahl, gemessen an der Anzahl der Soldaten im UN-Camp. Doch im Laufe des Tages kommen sie näher, im Zuge der Kämpfe wird das B-Gate des UN-Camps angegriffen und die Infrastruktur zerstört. Laut Thaller war das wohl absichtlich. Im Laufe des Tages werden auch zwei Soldaten der UNDOF-Mission leicht verwundet. Schlimmer trifft es die syrischen Verbindungsoffiziere, die für die Kommunikation zwischen der syrischen Armee und der UN-Mission sorgen sollten. Zwei von ihnen werden exekutiert, ein dritter entführt. Der Vorfall ist schwerwiegender als vorherige, doch noch am selben Tag wird mit der Rekonstruktion des Gates begonnen, Wasser-, Strom und EDV-Infrastruktur werden wieder in Gang gesetzt.
Zeitgleich entwickelt sich die politische Entscheidung in Wien in einem ähnlich rasanten Tempo. Noch gegen Mittag warnt Bundespräsident Heinz Fischer vor einer Blitzaktion, rät aber zur genauen Beobachtung der Situation. Nur eine Stunde später werden Gerüchte eines Abzugs laut, kurz vor halb drei bestätigen ihn Bundeskanzler Werner Faymann und Außenminister Michael Spindelegger. Erst als eine Pressekonferenz für den späten Nachmittag anberaumt wird, fällt der Name von Verteidigungsminister Klug – ein Umstand, der nicht allen gefällt. In den nächsten Tagen kommt rege Kritik von vielen Seiten, diplomatische Probleme mit der UNO entstehen, und auch die Österreichische Offiziersgesellschaft fühlt sich bemüßigt klarzustellen, dass die Entscheidung rein politisch war.
Das Problem mit der UNO entstand, weil Klug ankündigte, die Soldaten innerhalb von zwei bis vier Wochen nach Österreich zurückzuholen. Üblich bei UNO-Einsätzen sind allerdings drei Monate, immerhin musste die UNO kurzfristig Ersatz für rund 380 Soldaten finden. Stefan Thaller arbeitete die Zeit des Abzugs rund ein Jahr später noch einmal auf und bezeichnet die Entscheidung für den Abzug erneut als eine diplomatische. Ihm zufolge entwickelten sich die Gespräche mit der UNO nur langsam, auch weil Österreich teilweise nicht auf Unterstützungsaufforderungen reagierte. Das führte auch im Land zu politischen Verstimmungen. ÖVP-Staatssekretär Reinhold Lopatka warf Klug vor, dem Ansehen Österreichs mit dem Abzug geschadet zu haben; dieser reagierte mit Vorwürfen, dass das Außenministerium nicht für Gespräche mit der UNO bereitstehe. Thaller zufolge ist zumindest Klugs Vorwurf richtig, sieht man sich Medienberichte aus der Zeit an, stimmt allerdings auch der Vorwurf von Lopatka.
Obwohl die UNO mehrere Gesprächsrunden anbot, scheiterten die Verhandlungen am 20. Juni endgültig. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten Soldaten wieder in Österreich, der Großteil sollte innerhalb der von Klug gesetzten Frist abgezogen sein. Der einzige Kompromiss, der erzielt werden konnte, war der Verbleib der 1. Kompanie bis Ende Juli. Langfristig hat sich das eventuell tatsächlich auf die Beziehungen zur UNO ausgewirkt. Ob es eine direkte Kausalität gibt oder nicht, sei dahingestellt, allerdings sprechen die Zahlen für sich. 2006 waren von 19 Auslandseinsätzen zur Friedenssicherung noch neun UNO-Missionen, 2016 waren nur noch zwei der 18 Auslandseinsätze UNO-Missionen. Stattdessen bleibt der Ruf, dass Österreich geht, wenn es gefährlich wird. Genau das, wovor hochrangige Militärs im Zuge der Golan-Diskussion gewarnt hatten.