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Zeitsoldaten statt Beamte: Starlingers Reformidee fürs Bundesheer
23. Oktober 2019 Bundesheer Lesezeit 4 min
Der Verteidigungsminister drängt darauf, die nahende Pensionierungswelle für eine Strukturreform des Beamtenheers zu nutzen. „So bekommt man für einen Häuptling zwei Indianer.“
Dieser Artikel gehört zum Projekt Bundesheer und ist Teil 18 einer 20-teiligen Recherche.
Bild: APA

Geld allein wird nicht reichen.“ Verteidigungsminister Thomas Starlinger will offenbar mehr als nur 16,2 Milliarden Euro frisches Geld für das Bundesheer. Sein Nachfolger (oder er selbst, denn auch diese Variante schloss er im Rahmen einer Veranstaltung für Addendum-Mitglieder nicht aus) müsse nämlich die Struktur von Österreichs Armee verändern. Sprich: das Beamtenheer abbauen, Pragmatisierte kontinuierlich durch Zeitsoldaten ersetzen. „So bekommt man für einen Häuptling zwei Indianer.“ Häuptlinge, von denen es derzeit, so Starlinger, zu viele gebe. Wie genau er sich das vorstellt, erklärte er im Gespräch mit Addendum-Herausgeber Michael Fleischhacker.

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Um zu sehen, was mehr Zeitsoldaten für eine Armee bedeuten, empfiehlt sich ein Blick nach Deutschland. Nachdem Berlin die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt hat, optimierte die Bundeswehr ihre Struktur immer weiter in diese Richtung. Heute sind genau zwei Drittel der 180.000 Berufssoldaten Soldaten auf Zeit. Beim Bundesheer beträgt ihr Anteil lediglich 10 Prozent. Die Folge: Die Bundeswehr gibt mit 41 Prozent einen erheblich geringeren Teil ihres Budgets für Personal aus, das Bundesheer jedoch 66 Prozent.

Möglich macht Starlingers Idee erst die Altersstruktur des Bundesheers. Zur Zeit des Kalten Krieges, als in Österreich das sogenannte Raumverteidigungskonzept oberste militärische Doktrin war, wurden überproportional viele Soldaten hauptberuflich aufgenommen. Diese Soldaten werden in den kommenden Jahren verstärkt in den Ruhestand treten. Der prognostizierte Höhepunkt der Abgänge wird voraussichtlich im Jahr 2026 erreicht werden, wie eine Berechnung des Verteidigungsministeriums zeigt.

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Der für eine Armee sehr hohe Anteil an unkündbaren und lebenslang dienenden Soldaten ist für Kritiker einer der fundamentalen Strukturfehler des österreichischen Heers. Beamte verursachen auf lange Sicht vergleichsweise hohe Kosten, verhindern auf der anderen Seite jedoch personelle Flexibilität des Apparats, der sich eigentlich laufend an seine Aufgaben anpassen müsste. 92 von 100 Uniformträgern des Bundesheers sind Beamte. Eine Größenordnung, die nur noch von Richtern und Staatsanwälten übertroffen wird:

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Dass das lebenslang dienende Personal dereinst den Haushalt der Armee in die Sackgasse führen wird, hat Starlinger bereits vor acht Jahren in einem Interview mit der Kleinen Zeitung prognostiziert. Damals war der heutige Verteidigungsminister als Kommandant der 7. Jägerbrigade noch Truppenoffizier. Weder die Politik noch der Generalstab haben seither wirksame Reformhandlungen gesetzt. Nur mit dem Jahr der prognostizierten „Pleite“ irrte Starlinger. Damals sprach er von 2013/14. Es wurde 2019/20.

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Pensionen noch gar nicht berücksichtigt

66 Prozent des Heeresbudgets fließen inzwischen ins Personal. International üblich sind etwa 50 Prozent Personalkosten. In den USA sind es trotz Berufsheer gar nur 33 Prozent. Das hat jedoch auch damit zu tun, dass auf der anderen Seite große Summen in Rüstung und Einsatz investiert werden.

Der an der Wiener Landesverteidigungsakademie tätige Militärwissenschaftler Herwig Jedlaucnik hat in den internationalen Zahlen sogar noch die Pensionszahlungen für ehemalige Soldaten im Ruhestand berücksichtigt. Das Bundesheer weist diese zusätzlichen Kosten gar nicht erst aus.

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Dabei dürften diese recht deutlich ins Gewicht fallen. 2018 gab das Verteidigungsministerium die jährlichen Ausgaben ohne Pensionen mit 2,3 Milliarden Euro an. Das am Militärsektor international anerkannte Forschungsinstitut SIPRI im schwedischen Stockholm hingegen bezifferte die Ausgaben im selben Jahr laut NATO-Standardberechnung, nämlich inklusive Pensionen, mit 2,9 Milliarden Euro.

Nur 10 Prozent gewöhnliche Soldaten

Lebenslanger Dienst bedeutet nämlich auch lebenslanges Aufsteigen in der Hierarchie. Unabhängig von den – durchaus auch international – anerkannten Leistungen österreichischer Unteroffiziere und Offiziere führt das dazu, dass das Bundesheer, vom Gruppenkommandanten bis zum Chef des Generalstabs, über (zu?) viele militärische Führungskräfte verfügt.

Zählt man Unteroffiziere und Offiziere zusammen, stellen sie gemeinsam fast 90 Prozent des Kaderpersonals. Nur etwas mehr als 10 Prozent sind gewöhnliche Soldaten. In der eigenen Miliz, aber auch in anderen Armeen unterscheidet sich dieses Verhältnis deutlich.

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Was diese Rechnung nicht enthält, sind die im Schnitt etwa 8.000 permanent anwesenden Grundwehrdiener, die natürlich Führung brauchen. Im Rahmen unserer Recherchen wiesen uns die Vertreter des Bundesheers auch immer wieder darauf hin. Worauf uns allerdings niemand hinwies: Grundwehrdiener befinden sich über weite Strecken ihrer Zeit in Ausbildung, sind also nicht automatisch „fertige“ Soldaten. Und: Sie werden immer weniger. Deutlich weniger.

Aus den Aufzeichnungen der Heeres-Personalentwicklung geht hervor, dass Ende des Jahres 2000 genau 19.214 Wehrpflichtige in den Kasernen des Landes Dienst machten. Ende 2018 waren es nur noch 8.233, also weniger als die Hälfte. Das Heer der Unteroffiziere und Offiziere veränderte sich im gleichen Zeitraum durch Abgänge nur in kleinem Ausmaß, nämlich von 14.700 auf 12.247.

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Starlingers Empfehlung: Rückkehr zu 6+2

Die wenigen Grundwehrdiener, die noch in die Kasernen kommen, gehen dem Militär nach ihrer Ausbildung jedoch unweigerlich verloren. Damit die vielen Kommandanten in Zukunft auch wieder mit einer Mannschaft üben, empfiehlt der Verteidigungsminister, wieder zum alten System zurückzukehren: 6 Monate Grundwehrdienst, anschließend und stückweise zwei Monate lang üben in der voll ausgebildeten Truppe.

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Im Rahmen des Gesprächs mit Thomas Starlinger in unserer Redaktion wurden noch weitere Themen wie die Bedeutung der Miliz im Heer, anstehende Beschaffungen und die Luftraumüberwachung besprochen. Alle Antworten des Verteidigungsministers können Sie hier nachsehen:

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