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Was das Bundesheer tun soll
31. Oktober 2017 Bundesheer Lesezeit 7 min
Österreich sucht immer noch nach seiner sicherheitspolitischen Identität. Derzeit soll das Bundesheer die traditionelle Landesverteidigung besorgen und zugleich an Auslandseinsätzen teilnehmen. Dafür reicht das Budget aber nicht. Es wären also politische Entscheidungen gefragt.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Bundesheer und ist Teil 4 einer 20-teiligen Recherche.
Bild: Peter Mayr | Addendum

Österreichs geostrategische Lage hat sich seit dem Ende der Besatzungszeit maßgeblich geändert. Während des Kalten Krieges grenzte das Land an den damaligen Ostblock, mittlerweile ist es von friedlichen und stabilen Nachbarn umgeben. In absehbarer Zeit erwartet das Bundesheer daher keine konventionellen Bedrohungen durch andere Staaten. Dennoch nimmt es zahlreiche, sehr unterschiedliche Aufgaben wahr; was nach Ansicht seiner Kritiker dazu führt, dass es zwar viel macht, aber nichts richtig. Was soll das Bundesheer also tun: sich ausschließlich der Landesverteidigung widmen oder sich verstärkt an internationalen Missionen beteiligen?

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Traditionelle Landesverteidigung

Die militärische Landesverteidigung ist die Kernaufgabe des österreichischen Bundesheers. Darunter fällt laut dem militärstrategischen Konzept 2017 unter anderem

  • die allgemeine Abwehr von äußeren Bedrohungen (auch im Cyberbereich),
  • die Überwachung und gegebenenfalls die Sicherung des Luftraums,
  • die Erstellung des militärischen Lagebilds
  • im Fall des Falles sogar das Vorgehen gegen die gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung durch andere Staaten – sogenannte information warfare: ein Bereich, der in Zeiten von Social Media und Big Data immer wichtiger wird.

Landesverteidigung ist eine umfassende Aufgabe. Das Bundesheer legt besonderes Augenmerk auf die Autarkie und die Widerstandsfähigkeit des Staats: Das betrifft zum einen die Vorratshaltung von Rohstoffen und in der Energieversorgung. Zum anderen braucht das Bundesheer eine eigene und unabhängige Infrastruktur. Deshalb verweigert es ausdrücklich die allzu weit gehende Auslagerung notwendiger Dienstleistungen auf private Anbieter: Effizienz und Sparsamkeit sollen nicht zulasten der Selbsterhaltung in Notsituationen gehen.

Keine Auslagerung

Österreich kann die Landesverteidigung auch nicht auf andere Staaten auslagern. Am 26. Oktober 1955 wurde schließlich (verfassungs-)gesetzlich erklärt, die Neutralität „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen“. Das erfordert Geld und Gerätschaften.

Besonders die Luftraumüberwachung wird dabei immer wieder zum Politikum. Laut einem Untersuchungsbericht vom Juni 2017 ist Österreich derzeit „nur in eingeschränktem Umfang in der Lage, das aktuelle und künftige Aufgabenspektrum im erforderlichen Ausmaß“ abzudecken. Auch deswegen wird vonseiten des Bundesheers immer wieder eine Erhöhung des Wehrbudgets gefordert.

Könnte Österreich, statt in eigene Abfangjäger zu investieren, seinen Luftraum durch andere schützen lassen? Dagegen spricht jedenfalls die erwähnte neutralitätsgesetzliche Selbstverpflichtung zur Verteidigung der Neutralität. Außerdem wäre eine Übertragung der Luftraumüberwachung nach Ansicht von Experten nicht billiger. Davon abgesehen würde die Souveränität massiv eingeschränkt, da Österreich kein oder nur ein eingeschränktes Mitspracherecht bei der Verwendung ausländischer Kampfflugzeuge hätte. Erschwerend kommt hinzu, dass in jedem Land andere Regeln zum – um vom Extremfall zu sprechen – Abschuss von zivilen Flugzeugen gelten.

Skipisten sind kein Feind

Mindestens genauso wichtig wie die Aufgabenbereiche des Heeres bei der Landesverteidigung ist die Frage, was nicht darunter fällt. Der Einsatz von Soldaten bei Naturkatastrophen sollte auf besonders drastische Vorkommnisse beschränkt bleiben. Herkömmliche Lawinenabgänge gehören laut Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München ebenso wenig zu den Aufgabenbereichen von Soldaten wie die Präparierung von Skipisten. Dafür sind zivile Einrichtungen zuständig. Soldaten mit Schneeschaufeln statt Gewehren sind ein Sinnbild für die Fehlverwendung und letztlich Verschwendung von Ressourcen.

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Unter „Big Data“ versteht man die großflächige gezielte Ansammlung und Auswertung von personenbezogenen Daten.

Wann wird das Bundesheer im Inneren aktiv?

Alle Sicherheitsbehörden und die Bundespolizei können das Bundesheer heranziehen, wenn es unbedingt erforderlich erscheint. Ab 100 Soldaten ist eine eigene Anforderung durch die Bundesregierung nötig. Bei Gefahr im Verzug kann der Innenministerium sogar nur im Einvernehmen mit dem Verteidigungsminister handeln. In Extremfällen – wenn die zuständigen Behörden aufgrund höherer Gewalt handlungsunfähig sind oder das Bundesheer selbst angegriffen wird – kann es sogar selbstständig militärisch einschreiten (Artikel 79(5) B-VG).

Im Vergleich zu Deutschland ist der innerstaatliche Einsatz des Bundesheers großzügig geregelt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Plenarentscheidung zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren schließlich, dass

  • katastrophale Schäden „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen“ müssen,
  • die deutsche Bundeswehr nicht gegen Demonstranten eingesetzt werden darf
  • und der Einsatz immer der Bundesregierung obliegt, also selbst in besonders dringenden Fällen. Ein selbstständiges militärisches Einschreiten wie in Österreich ist in Deutschland damit rechtlich nicht möglich.

Das Bundesheer im Inneren

Abgesehen von der militärischen Landesverteidigung hat das Bundesheer noch zahlreiche Betätigungsfelder im Inneren. Dazu gehören neben der Hilfeleistung bei (Natur-)Katastrophen die Abwehr von „Cyberangriffen“ und eine allfällige Unterstützung der Polizei: einerseits der Schutz der wesentlichen Schaltzentralen des Staates (die in Artikel 79 Bundes-Verfassungsgesetz genannten „verfassungsmäßigen Einrichtungen“), besonders das Parlament und die Ministerien. Andererseits ist damit der Assistenzeinsatz an der Grenze oder der Schutz „kritischer Infrastruktur“ gemeint. Darunter fallen etwa der Flughafen in Wien-Schwechat oder die Wasser- und Stromversorgung. Seit 1. August 2016 bewachen außerdem rund 110 Soldaten 24 Botschaften und andere diplomatische Einrichtungen in Wien. Dabei dürfen sie Menschen wegweisen oder gefährliche Angriffe beenden, gegebenenfalls mit Zwangsgewalt. Bei Vorliegen von Notwehrsituationen oder zum Schutz anderer ist ihnen sogar der Waffengebrauch erlaubt.

Der Einsatz des Bundesheers im Inneren führt allerdings auch zu Unbehagen. Soldaten sind nicht (beziehungsweise nicht ausreichend) für den zivilen Einsatz ausgebildet. Ihr primäres Aufgabenfeld ist immer noch die Kriegsführung.

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Der Machtfaktor

Ganz allgemein ist die Rolle des Militärs ein sensibles Thema. In zahlreichen Ländern stellt es einen, wenn nicht den entscheidende Machtfaktor dar. Die Militärdiktaturen in Argentinien, Brasilien, Nigeria oder jüngst in Thailand haben zahlreiche schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen. Putschisten – von Baschar al-Assads Vater Hafez in Syrien (1970) über Muammar al-Gaddafi in Libyen (1969) bis hin zu Abdel Fattah el-Sisi in Ägypten (2013) – waren und sind oft hochrangige Armeeangehörige. Österreich ist wiederum von unangenehmen Erinnerungen an die Zeit unter Dollfuß und die Februarkämpfe 1934 geprägt.

Natürlich gilt ein Putsch in Demokratien westlicher Prägung als höchst unwahrscheinlich. Das Militär betont seine demokratische Gesinnung, außerdem gelten strenge Vorgaben: Vor allem untersteht es der (zivilen) Regierung. Mit Norbert Darabos wurde in Österreich 2007 sogar erstmalig ein ehemaliger Zivildiener Verteidigungsminister. Obwohl eine Machtübernahme des Militärs heute und in den nächsten Jahren höchst unwahrscheinlich erscheint, soll einem solchen Extremfall kein wie auch immer gearteter Weg geebnet werden.

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Blauhelme (Bild: Bundesheer) Blauhelme (Bild: Bundesheer)
Seit 1960 waren über 90.000 Soldaten und zivile Helfer in über 50 Peacekeeping-Einsätzen der Vereinten Nationen aktiv. Auch deswegen wurde der überhastete Abzug aus dem Golan scharf kritisiert: Österreich habe damals seinem guten Ruf geschadet

Wer nichts tut, darf auch nicht mitreden

Eine Rückbesinnung auf die traditionelle Landesverteidigung würde außerdem Österreichs Rolle bei internationalen Einsätzen auf das Allernotwendigste zurückfahren. Darunter fällt die Teilnahme an friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen (gerne als „Blauhelme“ bezeichnet) und an Einsätzen der Europäischen Union oder, wie im Kosovo, der NATO. Das würde zu einem erheblichen Einflussverlust auf internationaler Ebene führen. Zugleich werden auch enorme politische Kosten befürchtet: Österreich wäre innerhalb der EU gewissermaßen ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer – wer nichts beiträgt, wird aber auch nicht gehört.

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Sicherheit endet nicht an der Grenze

Aufgrund der veränderten Bedrohungslage könnte Österreich sich auch radikal umorientieren und die Landesverteidigung noch stärker in die europäische Sicherheitsarchitektur einbetten. Damit würde Österreich sich zunehmend an Einsätzen inner- und außerhalb Europas beteiligen. Die österreichische Sicherheitslage ist schließlich untrennbar mit dem europäischen Kontinent verwoben. Verteidigung beginnt heute nicht erst an der eigenen Grenze. Dabei spielen freilich auch (kurzfristige) Eigeninteressen eine Rolle: Die Lage im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina hat unmittelbare Auswirkungen auf Österreich. Dabei geht es auch um Flucht- und Migrationsbewegungen. Schließlich sieht Österreich sowohl Bosnien-Herzegowina als auch den Kosovo als sicheren Herkunftsstaat an. Damit können Asylanträge aus diesen Ländern schneller bearbeitet werden, auch Abschiebungen werden erleichtert.

Universalinstrument

Das Bundesheer ist zu einem regelrechten Universalinstrument geworden: Es verteidigt die Souveränität Österreichs, präpariert Skipisten, hilft nach Lawinenabgängen, unterstützt die Polizei und nimmt an Auslandsmissionen teil. Das zeigt sich auch in offiziellen Dokumenten: Wie es in der Teilstrategie Verteidigungspolitik von 2014 heißt, soll das Bundesheer als „bewaffnete Macht der Republik“ nicht „die militärische Sicherheit Österreichs“ garantieren, sondern auch „zum Schutz und zur Verteidigung Europas“ beitragen.

Kritiker kritisieren die mangelnde Zielsetzung. Neben Politikern spricht das Heer selbst seit Jahren von einer „budgetären Zersetzung“ und dem daraus resultierenden kritischen Zustand. Daher wird eine Erhöhung des Etats auf ein Prozent des BIP gefordert.

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Carlo Masala (geboren 1968 in Köln)
Deutscher Politikwissenschaftler (Schwerpunkt Internationale Beziehungen) an der Universität der Bundeswehr München)
Er hat mit uns über den österreichischen Spagat zwischen Berufsheer und Wehrpflicht gesprochen.

Weder Fisch noch Fleisch

Carlo Masala zufolge ist das österreichische Bundesheer „weder Fisch noch Fleisch“. Österreich sollte sich ihm zufolge entscheiden, ob es seine sicherheitspolitische Zukunft verstärkt in der Beteiligung an Auslandseinsätzen sieht oder ob es sich auf den Kernbereich Landesverteidigung beschränken möchte. Auslandseinsätze verlangen anderes Kriegsmaterial und -gerät als die Landesverteidigung, beispielsweise Hubschrauber mit beweglichen Kanonen. Auch die Ausbildung der Soldaten ist anspruchsvoller – in modernen Konflikten hat man es oft mit irregulären Kämpfern zu tun, die sich mit der Zivilbevölkerung vermischen und das Kriegsrecht systematisch missachten. Umgekehrt würde eine Rückbesinnung auf die klassische Landesverteidigung einen Verlust von Einfluss auf internationaler Ebene bedeuten.

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Eine konkrete sicherheitspolitische Vision fehlt bislang, das Bundesheer soll vielmehr beides bewerkstelligen – was dazu führt, dass es weder für die Landesverteidigung noch für Auslandseinsätze entsprechend ausgerüstet und ausgebildet ist. Für mehr reicht – jedenfalls, wenn es nach dem Bundesheer geht – das Budget einfach nicht. 

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