Silvia Stantejsky hatte sich schon als Wirtschaftsstudentin in ihrer Diplomarbeit mit dem Burgtheater beschäftigt und arbeitete zeit ihres Berufslebens an dem Theater. Schon früh als Leiterin des Betriebsbüros, ab 2000 als Stellvertreterin und Prokuristin des kaufmännischen Geschäftsführers Thomas Drozda, der die Burg bis Sommer 2008 an der Seite des künstlerischen Direktors Nikolaus Bachler führte. Nach Drozdas Wechsel zu den Vereinigten Bühnen Wien empfahl er Stantejsky als Finanzdirektorin, Bachlers Nachfolge als künstlerischer Direktor trat – offiziell ab 2009 – der Deutsche Matthias Hartmann an, der zuvor das Schauspielhaus Zürich geleitet hatte.
Ende 2013 wurde Stantejsky aufgrund von Ungereimtheiten in Bilanzierung und Buchführung erst als Finanzdirektorin abgesetzt, dann entlassen. Im März 2014 musste auch Hartmann, dem bei seinem Antritt von Bundestheater-Holding-Chef Georg Springer ein schuldenfreies Haus zugesichert worden war, gehen. Kurz danach war auch Springer seinen Job als Langzeitchef der Bundestheater los.
Als im Frühjahr 2014 der amtierende Kulturminister Josef Ostermayer den Direktor des Burgtheaters, Matthias Hartmann, fristlos entließ, wurde folgendes Narrativ des „Burgtheater-Skandals“ etabliert: Hartmann habe bei der Kontrolle seiner ehemaligen kaufmännischen Direktorin versagt, sei sogar teilweise in deren System eingebunden gewesen und durch hemmungslose Produktionswut wesentlich mitschuld am finanziellen Desaster, das sich am Burgtheater offenbart hatte. Erneuert und bestärkt wurde diese Erzählung dadurch, dass man den in der Bilanz 2014 ausgewiesenen Millionenverlust medial als jenen Schaden transportierte, den der entlassene Direktor angerichtet habe und den seine inzwischen bestellte Nachfolgerin Karin Bergmann nun unter Blut, Schweiß und Tränen zu reparieren habe.
Tatsächlich mussten in der Bilanz 2014 Rückstellungen gebildet werden, um die Mängel und Falschdarstellungen früherer Bilanzen auszugleichen. Das Burgtheater stand seit seiner Umwandlung in die GmbH unter finanziellem Druck, weil das Bundestheatergesetz keine Valorisierung der Subventionen vorsah und damit die jährlichen Kostensteigerungen – Inflation und kollektivvertragliche Erhöhungen – in der Höhe von zwei bis drei Prozent aufgefangen werden mussten. Wirtschaftlich verantwortlich waren damals Georg Springer als Chef der Holding und Thomas Drozda als kaufmännischer Direktor des Theaters. Die Vorgänge im Burgtheater durch eine forensische Untersuchung durch die KPMG, eine Großbetriebsprüfung des Finanzamts nach zwei Selbstanzeigen der Burg, und durch ein Gutachten des von der Staatsanwaltschaft beauftragten Sachverständigen Peter Wundsam zutage gefördert. (Klicken Sie auf die markierten Textstellen, um weitere Informationen zu erhalten und Dokumente abzurufen.)
Naturgemäß erstreckten sich die behördlichen Prüfungen auf die letzten Jahre, Wundsam ging zum Teil bis zum Geschäftsjahr zurück, das mit dem 31. August 2008 endete. Das Finanzamt prüfte bis einschließlich 2004, davor war alles verjährt. Wie sich herausstellte, waren die von Wundsam geprüften Bilanzen aus folgenden Gründen falsch: Weil darin Stücke als Vermögen ausgewiesen wurden, die es nicht oder nicht mehr gab, und weil die Rückstellungen für Abfertigungs- und Jubiläumsgelder sowie für Urlaube falsch in der Bilanz gebildet wurden. Wie sich die unterschiedlichen Fehlbeträge zusammensetzten, geht aus einer internen Aufstellung der Holding hervor.
Warum das alles im Rechnungshofbericht fehlt, auf den sich der ehemalige kaufmännische Direktor Thomas Drozda beruft, ist leicht erklärt: Dem Rechnungshof lagen nur die alten Bilanzen vor, die unberichtigt blieben.
Drei grundsätzliche Fehler der Bilanzen vor Aufdeckung der Mängel reichen nach den vorliegenden Unterlagen und nach den Aussagen der Beteiligten in den Ermittlungen und vor Gericht bis in die Gründungsjahre der Burgtheater GmbH, also bis zur Ausgliederung zurück:
Eine Durchleuchtung der kaufmännischen Abteilung der Burgtheater GmbH, die nach der Entlassung von Frau Stantejsky stattgefunden hat, führte am 24. Jänner 2014 zu einer ersten Selbstanzeige. Es geht dabei um die Abzugssteuer nach Paragraf 99 des Einkommensteuergesetzes. Diesem Paragrafen zufolge dürfen die Honorare für ausländische Künstler nur ungekürzt ausbezahlt werden, wenn die gesetzliche vorgeschrieben Formulare und Bescheinigungen über die Besteuerung im Ausland vorliegen. Obwohl diese nicht vorlagen, zog das Burgtheater nicht die 20 Prozent Abzugssteuer ab, sondern bezahlte die Honorare zur Gänze aus.
Im Zuge ihrer Einvernahme beim Finanzamt hat die ehemalige Finanzdirektorin Silvia Stantejsky dazu angegeben, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass bei Nichtvorliegen der Bescheinigungen und Formulare eine Haftung für die Burgtheater GmbH begründet werden könne. Darüber hinaus erklärte sie, dass während der Zeit als Prokuristin bis zum Ende der Geschäftsführertätigkeit beim Thema „Einholung der Formulare“ keine klare Verantwortungsregelung bestanden habe.
In ihrer Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft am 3. Mai 2016 lautete ihre Aussage folgendermaßen:
„Ich war davon überzeugt, dass die Voraussetzungen für eine Entlastung für die Abzugsteuer vorlagen, weil bei all den Personen ich wusste, dass sie in Deutschland ansässig sind und auch dort Steuern zahlen. Dass dieses Formular eine Voraussetzung ist, war mir damals nicht bekannt.“
Aus einem vorliegenden Mail ergibt sich aber, dass die Formulare und die Rechtslage – die Verpflichtung zur Einbehaltung von 20 Prozent – sehr wohl bekannt waren: In einer Mail, die mit 27. November 2007 datiert ist, schreibt Burgtheater-Managerin Stantejsky an eine Mitarbeiterin aus Berlin, dass diese spätestens bei der Premiere eine Wohnsitzbescheinigung des Finanzamts und eine Bestätigung vorzulegen haben, dass sie beim Wohnsitzfinanzamt versteuere. Stantejsky wies in diesem Mail darauf hin, dass sie, wenn sie diese Bestätigung nicht bei der Auszahlung der letzten Rate habe, zwanzig Prozent des Gesamthonorars einbehalten müsse.
Aus einem weiteren Mail erschließt sich auch die Existenz einer Handgeldpraxis, also von Zahlungen neben den offiziellen Beträgen.
All das spielt sich in der Zeit ab, in der Thomas Drozda noch kaufmännischer Direktor der Burg war. Insgesamt wurden in die Selbstanzeige 5,4 Millionen Euro Abzugssteuern aufgenommen, davon rund 2,7 Millionen aus der Ära Drozda (2004, also nach der Verjährungsfrist, bis einschließlich 2008).
Am 1. April 2014 erfolgte eine zweite Selbstanzeige der Burgtheater GmbH. Darin geht es um Zahlungen an Dienstnehmer außerhalb der Lohnverrechnung und um die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Scheinselbstständige, in beiden Fällen geht es um die Vermeidung und Verkürzung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen, die im Rahmen eines regulären Anstellungsverhältnisses anfallen. Die beiden Selbstanzeigen reichen bis in das Jahr 2004 zurück – zehn Jahre ist die absolute abgabenrechtliche Verjährungsfrist. In beiden Selbstanzeigen steht allerdings folgender Satz:
„Aus Vorsichtsgründen wird offengelegt, dass davon auszugehen ist, dass auch vor dem Jahr 2004 Auszahlungen von Vergütungen ohne Einbehaltung und Abfuhr von Abzugssteuer vorgenommen wurden (dies für § 99 EStG).“
In Bezug auf die Scheindienstverhältnisse wird Folgendes festgehalten:
„Es wird aus Vorsichtsgründen offengelegt, dass davon auszugehen ist, dass auch vor dem Jahr 2004 Zahlungen an Assistenten und Hospitanten geleistet wurden, für die irrtümlich Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträge und Kommunalsteuer nicht entrichtet wurden.“
Der heutige Bundesgeschäftsführer der SPÖ hat rechtliche Schritte gegen die von Matthias Hartmanns Anwalt getätigte Aussage angekündigt, dass es im Burgtheater um Bilanzfälschung gehe. Dass die Bilanzen auch während der Zeit Drozdas als kaufmännischer Direktor falsch, also nicht korrekt waren, steht inzwischen außer Frage. Bereits aus dem Tatbestand der Steuerhinterziehung ergibt sich, dass die Buchhaltung falsch war, und wenn die Buchhaltung falsch ist, ist auch die Bilanz falsch. Es fehlen also zum Zeitpunkt der Übergabe der kaufmännischen Geschäftsführung von Drozda auf Stantejsky (Sommer 2008) die hinterzogenen Abgaben in allen Bilanzen.
Entscheidend für die Frage, ob es sich um Bilanzfälschung handelte oder um ein Versehen, ist naturgemäß die Frage, ob mit Vorsatz gehandelt wurde. Nachdem sich zeigt – das Mail von Frau Stantejsky an Frau S. belegt das recht eindeutig –, dass entgegen ersten Aussagen sehr wohl bekannt war, was eigentlich zu tun gewesen wäre, ist wohl eher davon auszugehen, dass die Steuerhinterziehung bei der Abzugssteuer vorsätzlich erfolgte. Damit wäre die Aussage, dass alle Bilanzen gefälscht waren, korrekt, aber das müsste im Zweifelsfall natürlich ein Gericht klären.
Einen wesentlichen Beitrag zum falschen Bild von der finanziellen Lage des Burgtheaters leistete die so genannte Aktivierungspraxis: Die Kosten für eine Produktion werden in der Bilanz über mehrere Jahre verteilt, mit dem Argument, dass die Produktion im Falle von Wiederaufnahmen ja auch in den Folgejahren auf der Gegenseite für Erlöse sorgen würde. An sich ist das im Theaterbetrieb nicht weiter ungewöhnlich, ungewöhnlich waren im Fall des Wiener Burgtheaters zwei Dinge: die Ausweitung des Abschreibungszeitraums von drei auf fünf Jahre, die 2008 auf Betreiben des Bundestheater-Generals Georg Springer erfolgen sollte, und vor allem die Tatsache, dass nicht nur tatsächlich vorhandene Werte wie das Bühnenbild aktiviert wurden, sondern auch künstlerische Leistungen wie Regieassistenzen. Diese wurden noch dazu in manchen Fällen Mitarbeitern zugewiesen, die sie gar nie erbracht hatten. Das bedeutet, es wurden Werte, die nicht existierten, über einen Abschreibungszeitraum von bis zu fünf Jahren in die Bilanz genommen.
Die Daten für diese Aktivierung stammten nach Ansicht des Gutachters der Staatsanwaltschaft aus einer nicht korrekten Buchhaltung. Für die Bilanzerstellung wurden Word- und Excel-Dateien zur Verfügung gestellt, in denen der Verfasser oder die Verfasserin prinzipiell alle hätte vermerken können. Der von der Staatsanwalt bestellte Gutachter Peter Wundsam wies in seiner Prüfung darauf hin, dass eine solche Praxis „nicht ordnungsgemäß“ sei. Die frühere Prokuristin und spätere kaufmännische Direktorin Silvia Stantejsky erklärte in ihrer Einvernahme am 3. Juni.2016 (wenige Tage, bevor ihr früherer kaufmännischer Direktor Thomas Drozda das Amt des für das Burgtheater verantwortlichen Kulturministers übernahm), dass diese Praxis mit dem kaufmännischen Direktor, also Thomas Drozda, abgesprochen gewesen sei.
Der Sachverständige Wundsam fasste die in der Quartalsberichterstattung mündende Gebarung bei der Burgtheater GmbH auf eine Weise zusammen, die für den kaufmännischen Verantwortlichen wenig schmeichelhaft ist: Sie sei, schrieb Wundsam in seinem Gutachten, nicht geeignet, „ein korrektes Bild der Lage der Gesellschaft zu vermitteln“.
Thomas Drozda ließ zu all dem ausrichten, dass er keinen Grund gesehen habe, langjährigen Mitarbeitern zu misstrauen.
1. Sie haben öffentlich erklärt (u.a. in Interviews), dass Sie das Burgtheater im Jahr 2008 mit einem Eigenkapital in Höhe von 15 Millionen Euro übergeben haben und nach Ihrem Abgang innerhalb von fünf Jahren 25 Millionen Euro vernichtet worden wäre. Unseren Recherchen zufolge ist diese Aussage aus folgenden Gründen falsch: Das von Ihnen genannte Eigenkapital in Höhe von 15 Millionen Euro hat zum Zeitpunkt Ihres Abgangs als kaufmännischer Geschäftsführer der Burgtheater GmbH tatsächlich nicht bestanden. Sämtliche Bilanzen unter Ihrer kaufmännischen Verantwortung als Geschäftsführer waren falsch bzw. gefälscht. Bei richtiger Ausweisung der unter Ihrer Geschäftsführung hinterzogenen Abgaben und bei Richtigstellung des Anlageverzeichnisses hätten sich bereits unter Ihrer kaufmännischen Geschäftsführung Millionenverluste und ein negatives Eigenkapital ergeben. Bitte um Stellungnahme.
2. In Ihrer Zeit als kaufmännischer Geschäftsführer gab es doppelte Verträge, Scheinselbständige, Schwarzzahlungen an Mitarbeiter. Sehen Sie Ihre Tätigkeit als Bundesgeschäftsführer der SPÖ durch den Umstand beeinträchtigt, dass es während ihrer Zeit als kaufmännischer Geschäftsführer der Burgtheater GmbH doppelte Verträge, Scheinselbständige und Schwarzzahlungen an Mitarbeiter gab? Immerhin handelt es sich um Vorwürfe, die in der heutigen politischen Auseinandersetzung als Sozialbetrug bezeichnet werden.
Die falsche Behauptung und Unterstellung der Bilanzfälschung sei bereits Gegenstand einer anonymen Anzeige gewesen, die Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Eine Wiederholung der Behauptung in der Öffentlichkeit hätte medien- und zivilrechtliche Schritte durch Mag. Drozda zur Folge.
Wörtlich heißt es: „Zu den Vorgängen in der Personalverrechnung hält Mag. Drozda nochmals fest, dass die Verantwortung dafür bei den zuständigen Mitarbeitern des Personalwesens und der Personalverrechnung lag. Die Pflicht des ordentlichen Kaufmanns geht nach der herrschenden Rechtsmeinung nicht so weit, dass jeder Beleg im operativen Tagesgeschäft vom Geschäftsführer selbst kontrolliert werden muss (dies ist in der Praxis auch nicht möglich). Als Geschäftsführer hatte Mag. Drozda keinen Grund gegenüber langjährigen, qualifizierten Mitarbeitern misstrauisch zu sein – noch dazu wenn Innenrevision, Finanzamt und Wirtschaftsprüfer keinerlei Anzeichen für Beanstandungen gegeben haben.“
Abschließend lässt Drozda auf die umfassende Steuerprüfung aus dem Jahr 2008 verweisen, die ebenfalls keine Beanstandungen ergeben habe.