Mindestens drei Werktage vorher will die Oberstaatsanwaltschaft Wien in Causen von besonderem öffentlichen Interesse über bedeutende Verfahrensschritten informiert werden. Eine diesbezügliche Neuregelung in Folge der Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) trat mit Jahresbeginn in Kraft.
Der diesbezügliche Erlass, der Addendum vorliegt, sieht in einem entscheidenden Punkt jedoch noch eine deutlich strengere Neuregelung vor: Ist eine Hausdurchsuchung nämlich in einem Amt oder einer Behörde geplant, reicht die bloße Information nicht aus. In diesem Fall muss die ermittelnde Staatsanwaltschaft einen sogenannter Vorhabensbericht erstatten – und so lange warten, bis eine offizielle Zustimmung von oben kommt. Im Sprengel der Oberstaatsanwaltschaft Wien ist unter anderem die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angesiedelt, bei der besonders viele politisch heikle Fälle landen.
Das steht im Erlass:
Laut Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, bestand die spezielle Berichtspflicht über eine geplante Hausdurchsuchung bei Banken und Medienunternehmen bereits bisher. Neu hinzugekommen sei der Punkt in Bezug auf Einrichtungen, die zur Leistung von Amtshilfe verpflichtet sind.
Zur Erinnerung: Die Razzia im BVT wurde nachträglich vom Oberlandesgericht Wien für unrechtmäßig erklärt, da die Staatsanwaltschaft stattdessen um Amtshilfe ersuchen hätte sollen. Diese Rechtsansicht ist allerdings nicht unumstritten. Amtshilfe kann sich letztlich immer nur auf dienstliche Unterlagen oder Gegenstände beziehen. Über Dinge, die ein Mitarbeiter privat am Arbeitsplatz untergebracht hat, hat der Dienstgeber jedoch keine Verfügungsgewalt. Gerade, wenn es um Computerdaten geht, kann eine klare Trennung schwierig sein. Zum Beispiel wurden in der BVT-Affäre potenziell relevante Daten gefunden, die jedoch in einem Ordner namens „Weihnachten“ – also scheinbar privat – gespeichert waren.
Im Unterschied zur reinen Informationspflicht bei sonstigen besonderen Ermittlungsschritten muss bei einer geplanten Razzia in einem Amt vorher der gesamte Akt an die Oberstaatsanwaltschaft übermittelt werden. Fuchs betont, dass es dennoch innerhalb kurzer Zeit möglich sei, die Prüfung vorzunehmen: „Wir können das innerhalb weniger Stunden über die Bühne bringen.“ Laut Fuchs wird nicht jeder derartige Vorhabensbericht automatisch von der OStA ans Justizministerium weitergeleitet. Dies ergebe sich aus dem jeweiligen Fall.
Was die – abgesehen von Gefahr in Verzug und von den erwähnten „speziellen Berichtspflichten“ geltende – Vorab-Information von mindestens drei Werktagen betrifft, sagt OStA-Chef Fuchs: „Drei Tage sind im Sinne der Qualitätssicherung gut investiert.“ Im Erlass ist übrigens als mögliches Beispiel für ein „dringendes Informationsbedürfnis“ der OStA die geplante Zeugenvernehmung eines Mitglieds der Bundesregierung angeführt:
Es war kein Versehen, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Ende Februar 2018 ihre Oberbehörde über die bevorstehende Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Dunkeln gelassen hat. Es war Absicht. Offenbar fürchteten die Ermittler eine zu enge Verflechtung zwischen dem Justizapparat und dem Innenministerium und wollten nicht riskieren, dass Informationen vorher nach außen dringen konnten.
Eine derartig umfassende Geheimhaltung in politisch relevanten Causen gehört nun jedoch der Vergangenheit an. Laut Addendum-Recherchen gilt seit Jahresbeginn ein Erlass der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, der die Informationspflicht in ihrem Sprengel neu regelt. Wie ein Oberstaatsanwaltssprecher bestätigt, muss unter anderem die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Oberbehörde nunmehr mindestens drei Werktage vor einem geplanten „bedeutenden Verfahrensschritt“ informieren. Eine Ausnahme besteht nur bei Gefahr im Verzug. Im Rahmen der Information muss zwar nicht der gesamte Ermittlungsakt, sehr wohl aber eine Kopie der jeweiligen geplanten Anordnung übermittelt werden. Darin ist klarerweise die konkrete Verdachtslage enthalten. Laut Sprecher würde die Oberstaatsanwaltschaft Wien ihrerseits dann das Justizministerium informieren.
Seitens der Oberstaatsanwaltschaft wird die Information nicht einfach nur zur Kenntnis genommen, sondern auch – im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht – geprüft. Laut dem Sprecher würde die Oberstaatsanwaltschaft bei Unklarheiten gegebenenfalls bei der Staatsanwaltschaft nachfragen und weitere Informationen einholen. Im Unterschied zu einem sogenannten Vorhabensbericht muss die Staatsanwaltschaft aber nicht auf ein Okay von oben warten: Kommt innerhalb der drei Tage keine Nachfrage, kann sie das Verfahren weiterführen.
In der BVT-Causa hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft die Oberbehörden gleichzeitig mit bzw. knapp nach der Hausdurchsuchung informiert. Das ist vom Gesetz her gedeckt. Jetzt wurde die Angelegenheit einfach per Erlass neu geregelt, anstatt die Frist von drei Werktagen nach einem entsprechenden parlamentarischen Diskussionsprozess in das Gesetz aufzunehmen. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien betont diesbezüglich, dass die Berichtspflicht nicht ausgeweitet, sondern nur der Zeitpunkt der Information präzisiert werde.
Eigentlich sieht das Staatsanwaltschaftsgesetz eine Information erst nach Anordnung eines bedeutenden Verfahrensschrittes vor. Oberstaatsanwaltschaften können laut Gesetz jedoch zur Wahrnehmung ihrer Aufsichtsbefugnisse anordnen, dass ihnen „über bestimmte Gruppen von Strafsachen Bericht erstattet werde. Sie können auch in Einzelfällen Berichte anfordern, wobei sich Zeitpunkt und Art der Berichterstattung nach den besonderen Anordnungen der Oberstaatsanwaltschaften richten“.
Daraus leitet die Oberstaatsanwaltschaft Wien ab, dass sie die Drei-Tage-Frist vorschreiben dürfe, ohne das Gesetz zu verletzen. Ein Sprecher meint, in der BVT-Causa habe sich „paradigmatisch“ herausgestellt, dass die vorzeitige Information zur Wahrung der Aufsichtsbefugnisse notwendig sei. Der Behördenvertreter verweist darauf, dass die Razzia im BVT nachträglich vom Oberlandesgericht Wien für rechtswidrig erklärt wurde. Bei der Oberstaatsanwaltschaft herrscht die Meinung vor, es wäre in diesem Fall besser gewesen, wenn noch mehrere Leute vorab einen Blick auf die Sache geworfen hätten.
Gerade bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft liegen immer wieder große Ermittlungsverfahren, die auch eine starke politische Tangente aufweisen. In der BVT-Causa begründete die Leiterin der Korruptionstaatsanwaltschaft im Rahmen einer Dienstbesprechung die Nicht-Einbindung der Oberstaatsanwaltschaft damit, dass die – knapp zuvor ausgeschiedene – ehemalige Oberstaatsanwaltschafts-Chefin mit einer Führungskraft des Innenministeriums verheiratet sei. Es handelt sich um einen hohen Beamten, der früher ÖVP-Gemeinderat in Wien war.
Offenbar glaubte die Korruptionsstaatsanwaltschaft, eine Vorab-Information innerhalb des Justizapparats hätte die Ermittlungen gefährden können. Gerade im Fall BVT spielt die Frage eines möglichen Netzwerks ÖVP-naher Personen eine zentrale Rolle. Bisherige Ermittlungsergebnisse und jüngste Befragungen im Untersuchungsausschuss des Nationalrats scheinen tatsächlich auf die Existenz eines solchen Netzwerks hinzudeuten.
Einer, der ebenfalls über die bevorstehende BVT-Hausdurchsuchung im Dunkeln gelassen wurde, ist Christian Pilnacek, Generalsekretär im Justizministerium. Wie Addendum berichtete, hatte Pilnacek – als staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen unbekannte Täter bereits im Gange waren – Kontakt mit zwei hochrangigen Vertretern des mutmaßlichen ÖVP-Netzwerks im Innenministerium: Mit dem damaligen Kabinettschef Michael Kloibmüller und dem damaligen Vize-BVT-Chef Wolfgang Zöhrer. Kloibmüller, gegen den laut Ö1-Abendjournal vom 7. Jänner 2019 mittlerweile zwei von drei Ermittlungskreisen eingestellt sind, hat mit 1. Jänner 2019 einige neue Aufgaben übernommen: Er fungiert mittlerweile als Vorstand der Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft Austria AG sowie als Geschäftsführer der Wohnungseigentümer Gemeinnützige Wohnbaugesellschaft und der GEBAU-NIOBAU Gemeinnützige Baugesellschaft, allesamt mit Sitz in Mödling. Die Unternehmen zählen zum Einflussbereich von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, deren wichtigster Mitarbeiter im Innenministerium einst Michael Kloibmüller war.