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High auf Rezept
27. September 2018 Cannabis Lesezeit 8 min
Der Konsum von Cannabis ist in Österreich strafbar, aber der Ruf nach einer erleichterten medizinischen Anwendung von Cannabinoiden wird immer lauter. Wie geht der Staat mit den Stoffen um, die von manchen als Schmerz- von anderen als Suchtmittel angesehen werden?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Cannabis und ist Teil 4 einer 7-teiligen Recherche.
Bild: Steven Senne | AP

Die Debatte über die medizinische Anwendung von Marihuana beinhaltet ein breites Spektrum an Emotionen, Haltungen und Versprechungen. Hoffnungen und Enttäuschungen, Dogmatismus und Liberalismus, Schmerz und Linderung gehen Hand in Hand. Erbitterte Gegner warnen vor einer Drogenepidemie, überzeugte Befürworter versprechen neue Möglichkeiten in der Behandlung vieler Krankheiten.

Medizinisches Cannabis soll beispielsweise gegen chronische Schmerzen und Schlafmangel helfen, doch Kritiker einer leichteren Zugänglichkeit zu Cannabinoiden, das sind die Wirkstoffe der Hanfpflanze, bemängeln eine unzureichende Studienlage und ein erhöhtes Risiko, durch Cannabiskonsum psychisch zu erkranken. Tatsächlich ist die Wirkung von Cannabinoiden bei weitem noch nicht so gut erforscht wie die von als Arzneimittel zugelassenen Stoffen.

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Marihuana bezeichnet die Blütenteile der Cannabis- oder Hanfpflanze, die von Konsumenten meist geraucht oder als Tee verwendet werden. Unter Haschisch wird hingegen Cannabisharz verstanden.

Cannabinoide sind Stoffe, die vorwiegend in der Hanfpflanze beziehungsweise deren weiblichen Blüten vorkommen und von denen einige psychoaktiv sind. Zu diesen zählen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), die beide als Arzneiwirkstoffe erforscht werden beziehungsweise in einigen Ländern bereits in Anwendung sind.

Ein amerikanisches Problem

Das liegt auch daran, dass viele Medikamentenstudien in den USA durchgeführt werden und die US-amerikanischen Bundesbehörden die medizinische Forschung in diesem Bereich jahrelang eingeschränkt haben, weil sie Cannabis vor allem als illegale Substanz einstuften.

Dem Verbot des Bundes sind einige US-Staaten ausgewichen, indem sie Marihuana zunächst zum medizinischen Gebrauch zugelassen haben. Die Popularität von medizinischem Marihuana in den USA ist auch einem spezifischen Problem des dortigen Gesundheitssystems geschuldet, der sogenannten Opiatkrise.

Die Vereinigten Staaten kämpfen seit Jahren gegen den Missbrauch von starken Sedativa, die von Ärzten teils großzügig verschrieben worden sind. Patienten, die deshalb eine Medikamentenabhängigkeit entwickelt haben und denen nun der Zugang zu Opioiden verwehrt wird, steigen mitunter auf Heroin um. Cannabinoide, insbesondere Tetrahydrocannabinol (THC), das Rauschzustände auslöst, erscheinen im Vergleich dazu als geringeres Übel. Es gibt sogar Hoffnungen, Cannabis könnte bei der Überwindung der Opiatkrise helfen. Cannabinoide werden daher vermehrt als Schmerzmittel eingesetzt.

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Der ehemalige Nationalratsabgeordnete Peter Kolba (Liste Pilz) und Verfechter der Zulassung von medizinischem Marihuana, sieht in Österreich eine ähnliche Problemlage: „Ärzte, die sich gegen Cannabis als Schmerzmittel aussprechen, verschreiben ungesehen Opioide, die nicht einmal auf Suchtgiftrezept verkauft werden. Und die ein erheblich höheres Problem schaffen.“

Nicht ohne Grund schreibt Peter Grinspoon, ein früher selbst medikamentenabhängiger Arzt aus Boston und Dozent der Harvard Medical School, in deren renommierten „Health Blog“, Cannabis sei „eindeutig sicherer als Opiate“ und Ärzte sollten sich trotz der mangelhaften Studienlage offen gegenüber der Anwendung von medizinischem Marihuana zeigen: „Ansonsten werden unsere Patienten andere, weniger verlässliche Informationsquellen suchen; sie werden es weiter verwenden, aber es uns einfach nicht sagen.“

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Illegal, aber teilweise straffrei

Dieses Problem stellt sich in Österreich in anderer Form. Im Gegensatz zu den USA, wo mittlerweile 31 Staaten den Verkauf und den Konsum von Marihuana zumindest zum Teil legalisiert haben, neun davon vollständig, ist hierzulande der Besitz, Verkauf und Konsum von Cannabiskraut mit einem THC-Gehalt von über 0,3 Prozent nach wie vor verboten.

Die Durchsetzung dieses Verbots wurde allerdings mit der Strafrechtsreform 2015 merklich abgeschwächt. In vielen Fällen wurden Anklagen nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) wegen des Besitzes leichter Drogen, darunter auch Cannabis, durch Meldungen an die Bezirksverwaltungsbehörden ersetzt. Eine Anklage erfolgt nur noch, wenn der Betroffene eine vorgeschriebene Untersuchung oder Schulung verweigert.

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An die Bezirksverwaltungsbehörde wird gemeldet, wer Cannabis, Opiummohn oder bestimmte halluzinogene Pilze nur für den persönlichen Gebrauch oder für den persönlichen Gebrauch eines anderen, der daraus keinen Vorteil zieht, erwirbt, besitzt, erzeugt, befördert, einführt, ausführt oder einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft. Die Polizei erstattet der Staatsanwaltschaft außerdem einen Abtretungsbericht, diese hat dann „grundsätzlich von der Verfolgung unmittelbar vorläufig zurückzutreten“, wie es im Sicherheitsbericht 2016 heißt. Wenn sich die verdächtige Person den für die ärztliche „Begutachtung notwendigen Untersuchungen oder der gesundheitsbezogenen Maßnahme nicht unterzieht, hat die Bezirksverwaltungsbehörde Strafanzeige zu erstatten bzw. der Staatsanwaltschaft die Umstände der mangelnden Mitwirkung des Verdächtigen bloß mitzuteilen.“

Die Gesetzesänderung zeigte ihre Wirkung: Die Zahl der nicht angeklagten Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz, sogenannter Diversionen, stieg zwischen 2015 und 2016, dem Jahr des Inkrafttretens der Reform, um ganze 78,4 Prozent auf 25.666 an. Die Verurteilungen wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln gingen ebenfalls um 13 Prozent auf 5.095 Fälle zurück. Gleichzeitig stieg jedoch die Zahl der Anzeigen. Mehr dazu: Österreichs „War on Cannabis“

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Die medizinische Alternative

Die Gefahr, dass ein Patient ohne Wissen seines Arztes Marihuana anwendet, ist in Österreich also auf illegale Konsumation beschränkt. Das einzige legal erhältliche Mittel mit THC-Gehalt, Dronabinol, wird aus Hanfblüten synthetisiert, ist verschreibungspflichtig und wird in Tropfen- oder Kapselform eingenommen.

Dronabinol kann allerdings nicht als zugelassenes Arzneimittel, sondern nur mittels magistraler Verschreibung bezogen werden. Das bedeutet, der Arzt muss eine individuelle Einzelanfertigung verschreiben, die von der Apotheke aus angeliefertem THC zubereitet wird. Es wirkt vor allem appetitanregend, entspannt die Muskeln und hilft gegen Brechreiz, der etwa im Rahmen einer Chemotherapie auftreten kann. Gerde für Krebspatienten im Endstadium können Cannabinoide so eine wesentliche Erleichterung bedeuten.

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Dronabinol ist jedoch verhältnismäßig teuer und wird nur in sehr eingeschränktem Maß von den Kassen erstattet, wie der Drogenreferent der Wiener Ärztekammer, Dr. Reinhard Dörflinger, zu bedenken gibt. Auch ist die Erstattungspraxis von Kasse zu Kasse unterschiedlich.

Bei täglicher Anwendung muss der Patient mit Kosten von 250 bis 500 Euro im Monat rechnen. Das führt laut Argecanna, einem Lobbyverein für medizinisches Marihuana, dazu, dass „viele Patienten in den Schwarzmarkt gedrängt werden, weil sie sich die horrenden Kosten für legale Cannabis-Arzneien schlicht nicht leisten können“. Eine einheitliche Position der Ärztekammern oder deren Drogenreferenten zur Anwendung von medizinischem Cannabis gibt es laut Dörflinger derzeit aber nicht.

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Weitere Verbote geplant

Auch wenn Cannabis einst auch in Österreich ein anerkanntes Arznei- und Genussmittel war, plant die Bundesregierung weitere Verbote. Der bisher legale Verkauf von Hanfsamen und nichtblühenden Hanfpflanzen, die theoretisch Blüten mit einem gesetzwidrig hohen THC-Gehalt erzeugen könnten, soll verboten werden. Derzeit werden in Österreich, so Profil, monatlich etwa 250.000 Hanfpflanzen verkauft.

Initiativen wie die „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ setzen sich aber gegen ein Verbot der Pflanzen und Samen ein. Die aktuelle Rechtslage bildet eine Zwitterstellung zwischen Liberalisierung und Totalverbot. Der Staat, der den Verkauf von Hanfpflanzen erlaubt, die Blüten mit einem THC-Gehalt von über 0,3 Prozent produzieren können, gleichzeitig aber deren Ernte kriminalisiert, begibt sich aber automatisch in einen gewissen Widerspruch.

Auch wenn laut der Arbeitsgemeinschaft beim Verkauf der Pflanzen auf die Illegalität der Blütenernte hingewiesen wird, erscheint es doch äußerst unwahrscheinlich, dass in Österreich jährlich drei Millionen Hanfsetzlinge als bloße Zierpflanzen über den Ladentisch gehen. Auch Peter Kolba, ist das „Verkaufen von Stecklingen als Zierpflanze eine typisch österreichische Lösung, denn natürlich werden die zum Blühen gebracht und natürlich wird dann illegal Cannabis konsumiert“.

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In der Monarchie wurden Zigaretten mit Hanfanteil verkauft. Bis in die Zweite Republik wurde Cannabis in Apotheken vertrieben. Erste Prohibitionsbestrebungen entstanden bereits im Zuge des Kampfes gegen Opium, aber erst mit dem Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von 1961 wurde Cannabis international als Suchtmittel geächtet.

In den vergangenen Jahrzehnten hat jedoch ein gewisses Umdenken eingesetzt. In den USA sind Cannabinoide seit etwa zehn Jahren wieder als Arzneimittel zugelassen, und auch in Österreich ist, wie erwähnt, Dronabinol in Apotheken auf Rezept erhältlich.

Die generelle Einordnung von Cannabis als Suchtmittel stigmatisiert allerdings auch die therapeutische Anwendung von Cannabinoiden, selbst wenn es sich dabei nicht um THC handelt und mit der Anwendung daher kein Rauschzustand einhergeht.

Was bringt Cannabidiol?

Aufgrund des Verbots von Marihuana mit nennenswertem THC-Gehalt und des hohen Preises für das synthetisierte Dronabinol konzentrieren sich Hersteller und Kunden in Österreich vermehrt auf Cannabidiol (CBD). Auch dieses Cannabinoid könne, so Dörflinger, bei Krebspatienten appetitanregend wirken. Auch der Einsatz bei Schlafstörungen wäre möglich.

Zur Herstellung der synthetisierten Produkte müsse allerdings das THC chemisch aus der Cannabisblüte herausgewaschen werden, gibt Christina Aumayr-Hajek, PR-Beraterin (sie berät unter anderen die Firma Flowery Fields) und Verfechterin einer Zulassung von medizinischem Cannabis, zu bedenken. CBD-Mittel seien mitunter nicht nur gesundheitsgefährdend, sondern auch „total überteuert“. Es gebe, so wenden Kritiker ein, vor allem deshalb einen CBD-Boom, weil der Stoff erlaubt sei.

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Ein deutsches Monopol in Österreich

Auch wenn der Staat die Anwendung von Dronabinol erlaubt, so hat er bisher nicht für dessen Zulassung als Arzneimittel gesorgt und gleichzeitig ein künstliches Monopol für seine Herstellung geschaffen.

Die Monopolstellung von Dronabinol in Österreich ist einigermaßen bemerkenswert. In kaum einem anderen Land verkauft es sich so gut, was vor allem am Preis liegen dürfte. Das Medikament darf nämlich nur aus österreichischem Hanf hergestellt werden, wofür die AGES, die Gesundheitsagentur des Bundes, wiederum ein Anbaumonopol besitzt.

Der österreichische Hanf wird allerdings nicht hier verarbeitet, sondern ausschließlich an das deutsche Unternehmen Bionorica geliefert, das dadurch eine Monopolstellung am heimischen Markt erhält. Andere THC-haltige Mittel dürfen, mangels österreichischer Provenienz, nicht verkauft werden.

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Was nun?

Die öffentliche Debatte über Cannabis unterscheidet selten zwischen dessen medizinischer Anwendung und der persönlichen Berauschung mit Marihuana oder Haschisch. Die Erfahrung aus den USA hat auch gezeigt, dass eine Zulassung von Cannabiskraut als Schmerz- und Heilmittel mitunter eine Öffnung zum Freizeitgebrauch nach sich zieht.

Synthetisierte Mittel sind wiederum teurer in der Herstellung. Gleichzeitig fehlt es nach wie vor am wissenschaftlichen Konsens. Die Studie einer deutschen Krankenkasse in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen kam zum Schluss: „Cannabis als Medikament ist bisher nur lückenhaft erforscht und die wissenschaftliche Evidenz von Cannabis-Therapien für viele Krankheitsbilder noch nicht ausreichend nachgewiesen.“ Bei diversen psychischen Erkrankungen „wie Depressionen, Psychosen und Demenz, aber auch chronischen Darmerkrankungen“ soll Cannabis keine positive Wirkung haben.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wiederum verweist auf Studien, die eine Wirkung von Cannabinoiden gegen Übelkeit bei der Behandlung von Krankheiten wie Krebs und AIDS belegen, kommt aber insgesamt ebenfalls zu dem Schluss, dass ihre Wirkung in anderen Bereichen noch intensiver erforscht werden müsse.

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More research is needed on the basic neuropharmacology of THC and other cannabinoids so that better therapeutic agents can be found.
Weltgesundheitsorganisation

An der Tendenz, dass Cannabis zunehmend zur Gesellschaftsdroge wird, ändert das freilich nichts. Der Suchtmittelbericht 2017 findet hierzu deutliche Worte:

„Cannabis wird quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten konsumiert, wobei teilweise kein Unrechtsbewusstsein feststellbar ist. Aufgrund der Erkenntnisse aus 2017 wird mit einem weiteren Anstieg von Cannabiskonsum, -produktion und -handel zu rechnen sein.“

Österreich wird sich also zukünftig mit einem zunehmend höheren Arbeitsaufwand der Gesundheits- und Strafverfolgungsbehörden abfinden oder Cannabis legalisieren müssen. Die Debatte sei aber, so Kolba, überall anders weiter als in Österreich. „Aber mir geht’s um die Schmerzpatienten. Und die haben nicht Zeit, die nächsten zehn Jahre drüber zu diskutieren, weil zehn Jahre Schmerzen ist nicht schön.“

Gegen eine Liberalisierung sprechen das Suchtpotenzial und die Tatsache, dass Cannabis beim Konsumenten mitunter Psychosen auslösen kann. Dafür sprechen wiederum die im Verhältnis zu anderen Drogen wenigen negativen Nebenwirkungen sowie die so vereinfachte und vergünstigte medizinische Anwendung für bereits wissenschaftlich untersuchte Anwendungsbereiche. Die Entscheidung wird aber wohl mehr vom gesellschaftlichen als vom wissenschaftlichen Konsens abhängen. Peter Kolba jedenfalls glaubt daran: „Wenn die Bevölkerung mehrheitlich dafür ist, kann man sich letztlich bei der Politik nicht verschließen.“ 

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