Wie viele bestätigte Fälle gibt es in meiner Gemeinde? Wie viele davon sind noch krank? Gab es schon Todesfälle? Wer Antworten auf diese Frage sucht, der stößt bei den verantwortlichen Stellen an Grenzen. Addendum hat in den vergangenen Monaten alle Wege ausgelotet, um diese Informationen zu erhalten. Es ist die Geschichte eines Scheiterns.
Und das, obwohl die Entwicklung der Zahl der Neuinfektionen ein wichtiger Baustein politischer Entscheidungen war: Zuerst führte das exponentielle Wachstum zu mehrwöchigen Ausgangsbeschränkungen, dann führte die Stabilisierung zu ersten Lockerungen. Und nun entscheidet die Entwicklung der täglichen Neuinfektionen darüber, ob es weitere Lockerungen gibt oder striktere Maßnahmen eingeführt werden sollen.
Anfang April hat Addendum das erste Mal um regionale Daten gebeten – darunter auch zu Tests, demografischen Informationen der Erkrankten auf Bezirksebene oder zu Anrufen bei der Hotline 1450. Diese Anfragen sind bis heute offen. Deshalb haben wir neben offiziellen Medienanfragen zwei neue Wege gesucht, um die Daten zu erhalten. Erstens haben wir zwei Forschungsanträge gestellt, um Zugang zur COVID-19-Datenplattform zu erhalten. Zweitens haben wir Anfragen nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) an das Ministerium und an acht Bundesländer übermittelt. Einen Monat später scheint klar: Wir werden die zahlreichen Wünsche unserer Leserinnen und Leser nach besseren, klaren, umfangreicheren Daten weiterhin mit unserer Standardantwort beantworten müssen – „Danke für die Frage, mangels Daten können wir Ihnen leider keine Antwort darauf geben.“
Nach mehrfachen Ankündigungen durch Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat die Gesundheit Österreich GmbH Anfang Juni eine Plattform für COVID-19-Daten veröffentlicht. Ein Beirat entscheidet nun einmal pro Woche darüber, welche Einrichtungen für einen Zugang akkreditiert werden. Bis Donnerstagabend (25.6.) wurden von 27 Anträgen rund 24 bewilligt, vier davon seien nach Auskunft der GÖG in Abklärung mit den Wissenschaftlern.
Unter den drei abgelehnten Anträgen waren zwei von Addendum:
1. Wie wirkt sich das pandemische Geschehen auf Wahlen aus?
Aufgrund der bevorstehenden Gemeinderatswahlen in der Steiermark und Vorarlberg sowie den Wahlen in Wien erschien uns das als relevante Frage. Ob Wähler in Gemeinden mit einer hohen Zahl bestätigter COVID-19-Fälle häufiger zu Hause bleiben, kann deshalb nicht untersucht werden. Daten, die einen Rückschluss auf individuelle Personen zugelassen hätten, wären dafür nicht erforderlich gewesen.
2. Wie viele bestätigte Corona-Fälle gibt es in Ihrer Gemeinde?
Die Infektionswahrscheinlichkeit unterscheidet sich in Österreich von Gemeinde zu Gemeinde. Bisher stehen über das amtliche Dashboard des Gesundheitsministeriums nur Daten auf Bezirksebene zur Verfügung. Eine Weiterentwicklung unseres Dashboards zur Verbreitung des Coronavirus in Österreich wäre das Ziel gewesen.
Unsere Frage:
Können Sie uns einerseits die Rohdaten, andererseits genaue Methodikbeschreibungen für die unter „COVID-Prognose-Konsortium“ veröffentlichten Modelle zur Verfügung stellen?
Antwort:
Ad Daten:
Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) arbeitet aktuell bereits intensiv an der Einrichtung einer Datenplattform für die Wissenschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), die wissenschaftlichen Institutionen die Nutzung anonymisierter Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) ermöglichen wird.
Warum hätten wir diesen Zugang bekommen sollen, wenn die Datenplattform primär an Wissenschaftler gerichtet ist? Weil das Gesundheitsministerium uns in Anfragen darauf verwiesen hat, dass „es da etwas geben wird“. Der Datensatz, der Wissenschaftlern nun zur Verfügung steht, umfasst vor allem Basisinformationen aus dem epidemiologischen Meldesystem. Ein Verkreuzen der Daten mit der Krankheitsgeschichte der COVID-Erkrankten ist nach wie vor nicht möglich. Die gesetzliche Basis dafür fehlt. So bleibt für die Forschung in Österreich etwa weiterhin unbekannt, welche Vorerkrankungen ein COVID-19-Patient auf der Intensivstation hatte – oder ob er sie überhaupt wieder verlassen hat. „Wann, wenn nicht jetzt, sollten diese Systemschwächen ausgemerzt werden?“, kritisiert etwa Gerald Loacker, Gesundheitssprecher der NEOS, die aktuelle Situation.
Am 15. Mai stellten wir eine offizielle Anfrage nach Umweltinformationsgesetz an das Gesundheitsministerium, am 25. Mai folgten die Bundesländer. Sie hatten informell zuvor eine Datenbereitstellung verweigert.
COVID-19: Anfrage zu Datenbereitstellung nach UIG
Sehr geehrte Damen und Herren,
weil vergangene Datenanfragen unbeantwortet blieben möchten wir Sie auf die geltende Rechtslage hinweisen. Wie Sie selbst unter https://www.data.gv.at/covid-19/ schreiben, unterliegen Gesundheitsinformationen zu COVID-19 dem Umweltinformationsgesetz*. In diesem sind erhöhte Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten für Behörden festgeschrieben.
Im Auftrag und in Vertretung der Quo Vadis Veritas Redaktions GmbH (eine Vollmacht kann nachgeliefert werden) beantrage ich die Übermittlung folgender Informationen, die dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz im EMS vorliegen.
Für die unter (1) bzw. (3.6) angefragten Informationen wird nach UIG § 5 Z 4 angesucht, sie inklusive Name des Gebiets und eindeutiger Kennzahl (also ÖSTAT-Nr., Gemeindekennziffer bzw. Statistik Austria Gemeindecode GCD) zu übermitteln.
Ein Verweis auf die unter info.gesundheitsministerium.at veröffentlichten Daten nach UIG § 5. Z 4 ist zur Beantwortung der vorliegenden Anfrage aus folgenden Gründen nicht ausreichend:
Sollten keine Informationen über die Wiener Gemeindebezirke vorliegen, ist in Wien auch eine Auskunftserteilung nach Postleitzahl möglich. Da unter info.gesundheitsministerium.at zuvor schon Daten zu den Wiener Gemeindebezirken veröffentlicht waren, sollte eine Veröffentlichung auf dieser Ebene jedoch kein Problem darstellen.
Sollten Sie Bedenken zum Thema Datenschutz haben :
* Auch das VG Hannover hat entschieden, dass Erlässe betreffend COVID-19 dem UIG unterliegen. Das UIG beruht auf den gleichen internationalen Bestimmungen (Aarhus-Konvention) wie die Rechtslage in Hessen. https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA200501609&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
Ich bitte um Empfangsbestätigung.
Mit freundlichen Grüßen
Herzlichen Dank für Ihre Anfrage, die sich auf eine Abfrage vergangener Daten bezieht und sich dabei auf das Umweltinformationsgesetz (UIG) stützt. Wir haben Ihr Ansinnen mit dem verantwortlichen Ministerium abgestimmt. Es wird die gemeinsame Rechtsauffassung vertreten, dass für Ihre Datenanfrage das Umweltinformationsgesetz auf das Register der anzeigepflichtigen Krankheiten nach § 4 des Epidemiegesetzes nicht anzuwenden ist. Zudem wird darauf hingewiesen, dass Gesundheitsinformationen betreffend die Verbreitung von COVID-19 nicht unter den Begriff der „Umweltinformation“ iSv § 2 Z 6 UIG fallen, weil der Zustand der menschlichen Gesundheit (Z 6) nur insoweit eine Umweltinformation iSd § 2 UIG darstellt, als er vom Zustand der in Z 1 genannten Umweltbestandteile oder durch Umweltfaktoren (Z 2), die sich auf die Umweltbestandteile (wahrscheinlich) auswirken, oder Umweltmaßnahmen (Z 3), die sich auf die Umweltbestandteile und -faktoren (wahrscheinlich) auswirken, betroffen ist oder betroffen sein kann.
Das Umweltinformationsgesetz (UIG) betrifft unter anderem Informationen über „den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit“ und wurde auf Basis einer EU-Richtlinie erstellt. Unserer Ansicht nach sind jedenfalls die Anzahl der Corona-Erkrankten und der Gesundeten Umweltinformationen.
Behörden müssen Anfragen nach UIG so bald wie möglich, spätestens aber einen Monat nach Anfrage, beantworten. Mit Begründung können sie diese Frist um einen weiteren Monat strecken. Die Monatsfrist ist seit 15. Juni für das Gesundheitsministerium, seit 25. Juni für die Bundesländer abgelaufen. Aus dem Gesundheitsministerium liegt weder eine Antwort noch eine Bitte um Fristverlängerung vor. Von den Bundesländern reagierten nur drei auf die Anfrage: Aus der Steiermark wurde eine äußerst dürftige Rechtsauskunft des Klimaministeriums weitergeleitet, laut der das Gesetz für die angefragten Daten „nicht anzuwenden“ sei. Unsere Gegenfragen dazu wurden wiederum nicht beantwortet. Oberösterreich hat um mehr Zeit gebeten, dann eine Datenweitergabe verweigert. Tirol meldete sich nach Ablauf der Frist auch mit einer Auskunftsverweigerung. Damit verstoßen Ministerium und sechs Länder eindeutig gegen das Umweltinformationsgesetz.
Auf der Basis des UIG hat schon ein Gericht in Hessen in einem Eilverfahren entschieden, dass Corona-Erlässe des Niedersächsischen Justizministeriums als Umweltinformationen zu veröffentlichen sind, auch weil sich das Virus über die Atemluft verbreitet.
Neben fehlenden Daten auf Ebene der Gemeinden, Bezirke und Wiener Stadtbezirke – die bestätigten Fälle werden beispielsweise nur von Vorarlberg auf Gemeindeebene angegeben – gibt es auch grundlegende Probleme an den Daten, die veröffentlicht werden.
Die Frage, wann die letzte Neuinfektion in einem Bezirk war, lässt sich aufgrund der aktuell durch das Gesundheitsministerium veröffentlichten Daten nicht beantworten – obwohl wir die Daten jeden Tag vom amtlichen Dashboard in eine Datenbank überführen. Positiv getestete Personen können einem anderen Ort zugewiesen werden, beispielsweise wenn sie in ein Krankenhaus kommen. Liegt dieses in einem anderen Bezirk, werden sie im Herkunftsbezirk abgezogen und im neuen Bezirk hinzugefügt – und wenn sie wieder zurück in den Herkunftsbezirk kommen, natürlich umgekehrt.
Nun könnte man versuchen, diese Ortswechsel zu erkennen und aus den Daten zu entfernen. Nur: Die Reduktion im Herkunftsbezirk und die Gegenrechnung passieren anscheinend nicht gleichzeitig.
Addendum speichert alle 15 Minuten Änderungen in den Bezirksdaten – und oft ist die Summe der gleichzeitigen Änderungen kleiner als null. Beispielsweise änderte sich die Zahl der positiven Fälle am 3.4. um 7 Uhr in Hermagor von 1 auf 0 und in Innsbruck-Land von 311 auf 310. Erhöhungen in anderen Bezirken fanden laut unseren Aufzeichnungen keine statt.
Das Ministerium stellt keine historischen Zeitreihen zur Verfügung.
Das – und unterschiedliche Zuordnungen der bestätigten Fälle zu den Bezirken – führt auch zu konfusen Situationen: Salzburg verkündete etwa fast zwei Wochen lang den gleichen Stand bestätigter Fälle. Gleichzeitig sank die Zahl bestätigter Fälle gemäß Ministerium zuerst und stieg danach wieder an. Annähernd gleich war die Zahl bestätigter Fälle in diesem Zeitraum nie.
Einfache Lösungen dafür gäbe es viele: beispielsweise die Veröffentlichung von Zeitreihen, die aufgrund der letzten Ortszuordnung der Personen erstellt werden. Oder die zusätzliche Veröffentlichung von Ortswechseln. Auch eine Zugriffsmöglichkeit auf die Daten der COVID-19-Datenplattform wäre eine Lösung.
Laut Dokumentation des Ministeriums errechnen sich die aktiven Fälle aus den positiv getesteten Fällen minus den Genesenen und den Todesfällen. Berechnet man diese Zahl, ergibt sich eine andere – niedrigere – Zahl, als vom Ministerium am Dashboard veröffentlicht wird. Dies liegt daran, dass die Bundesländer positive Testungen schon miteinbeziehen, bevor sie bestätigt und somit vom Ministerium berücksichtigt werden. So kann der absurde Fall eintreten, dass die aktiven Fälle von einem Tag auf den anderen stärker steigen als die vom Ministerium als „jemals positiv Getestete“ bezeichneten bestätigten Fälle.
Diese Inkonsistenzen sind dem Vertrauen in die veröffentlichten Daten nicht zuträglich. Das zeigte sich auch in zahlreichen Zuschriften von Leserinnen und Lesern, in denen die fehlende Übereinstimmung kritisiert wird. Durch Öffnung der Daten zum pandemischen Geschehen für die Öffentlichkeit ließe sich die Verwirrung auflösen. Dass das passieren wird, glauben Experten nicht. Die Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher-Holzhacker sagt etwa: „Daten werden als Hoheitswissen behandelt. Entscheidungen über Anträge werden über die persönliche Ebene getroffen. Etwa ,Was, der will Daten haben? Nein, dem geben wir das sicher nicht, weil der könnte ja einen Blödsinn damit machen‘. Die Kultur, mit der über Datenweitergabe gedacht wird, kommt aus einem anderen Jahrzehnt.“