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Dieser Artikel ist erstmals in der Addendum-Zeitung Ausgabe 12 erschienen.
Die Corona-Rezession
4. April 2020 Coronavirus Lesezeit 7 min
Mit welchen wirtschaftlichen Folgen werden wir nach der Krise zu kämpfen haben? IHS-Ökonom Martin Kocher gibt einen Ausblick.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 39 einer 106-teiligen Recherche.
Bild: Martin Grimm | dpa Picture Alliance
Martin Kocher
Gastautor

Das Coronavirus wird die österreichische Volkswirtschaft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in eine Rezession stürzen. Je nach Dauer und Intensität der wirtschaftlichen Einschränkungen wird diese Rezession relativ mild ausfallen, mit rund minus 2 Prozent Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 – was ein geringeres Negativwachstum wäre als jenes im Jahr der Finanzkrise 2009, als damals die Wirtschaft um fast 4 Prozent geschrumpft ist –, oder sogar gravierender werden als alle Rezessionen seit dem Zweiten Weltkrieg. Alles hängt jetzt davon ab, wie schnell die Ausbreitung der Krankheit eingedämmt werden kann und das Land wieder einigermaßen zurück zur wirtschaftlichen Normalität findet. Daneben hängen die wirtschaftlichen Folgen selbstverständlich auch davon ab, wie wirksam die wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen – Kredite, Haftungen, Umsatzersatz, Härtefonds, Stundungen und Kurzarbeit – als Ausgleich sein werden.

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Die Wirbelstürme der wirtschaftlichen Entwicklung

Gesamtwirtschaftliche Prognosen sind wie Wettervorhersagen. Bei stabiler Lage sind Konjunkturprognosen genauso einfach wie der Wetterbericht, aber selbst außergewöhnliche Phänomene wie Wirbelstürme kann man gut prognostisch beschreiben. Man kann ihre Entstehung nicht exakt vorhersagen, aber dann ihren Verlauf recht präzise bestimmen. Die Wirbelstürme der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sind die wiederkehrenden Rezessionen, die im Rahmen von Konjunkturzyklen auftauchen. Doch dann gibt es sogenannte „schwarze Schwäne“. Der Begriff ist eine Analogie für Ereignisse, die zwar eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit haben und die man nicht vorhersehen kann, die aber massive Folgen haben können.

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Die Corona-Krise ist ein solcher schwarzer Schwan, sowohl medizinisch als auch wirtschaftlich. Natürlich gab es auch schon früher ähnliche Pandemieereignisse, aber meist waren es Krankheiten, deren Verlauf man einigermaßen stoppen oder verlangsamen konnte; zumindest jene neuen Pandemien, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Das wirtschaftliche Problem von COVID-19, nicht nur sein medizinisches, ist die Rasanz, mit der sich die Krankheit ausbreitet, nachdem es nicht gelungen ist, sie in China einzudämmen.

Die erste Abschätzung des Instituts für Höhere Studien über die wirtschaftlichen Folgen von Corona vor knapp vier Wochen ging noch davon aus, dass die – damals noch – Epidemie weitgehend in China eingedämmt werden kann und es nur einzelne Fälle im Rest der Welt geben würde, die man auch eindämmen kann, so wie das damals bei der SARS-Epidemie 2003 der Fall war. Wir haben vor vier Wochen mit 0,1 bis 0,3 Prozentpunkten weniger Wachstum 2020 für Österreich gerechnet als erwartet, also mit gut einem Prozent Wachstumsrate der Wirtschaftsleistung. Es war verblüffend, wie rasch die Prognose, innerhalb weniger Tage, nach unten angepasst werden musste. Als klar war, dass es massive Einschränkungen des wirtschaftlichen Lebens in Österreich durch das Schließen von Geschäften, Restaurants und Schulen bzw. Kindergärten geben musste, war auch klar, dass sich eine Rezession im Gesamtjahr 2020 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht verhindern lassen wird. Bei einem Ende eines Großteils der einschränkenden Maßnahmen nach Ostern rechnen wir bereits mit einem Minuswachstum von 2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Werden die Maßnahmen um vier Wochen verlängert, kommt man in den Bereich von minus 5 Prozent.

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Angebotsschock

Ökonomisch wird die Corona-Krise als Angebotsschock bezeichnet. Es ist nicht so – wie zum Beispiel in der Folge der Finanzkrise –, dass die Menschen wirtschaftlich verunsichert wären und deshalb weniger konsumieren würden. Die Menschen würden gerne konsumieren, aber es gibt kein Angebot – daher Angebotsschock –, weil die Maßnahmen der Regierungen zu einer Einschränkung des wirtschaftlichen Lebens und zu Lieferengpässen in der internationalen Wirtschaft führen. Ein solcher Angebotsschock, den es sonst nur bei Ressourcenknappheit (z. B. Ölpreisschock) oder bei Naturkatastrophen gibt, ist ein Szenario, auf das wir wirtschaftlich nicht gut vorbereitet sind. Wahrscheinlich­ kann man sich darauf aus wirtschaftlicher Sicht auch nur sehr begrenzt vorbereiten. Mit Ausnahme des Ölpreisschocks, der sich aber bei weitem weniger rasant ausgebreitet hat und daher koordinierte Gegenmaßnahmen zuließ, waren die Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte immer lokal begrenzt. Einen weltweiten Angebotsschock dieses Ausmaßes und dieser Rasanz gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

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Vier Phasen der Krise

Mittlerweile ist die gesamte Weltwirtschaft von der Corona-Krise erfasst. Es hilft, die Krise in vier wirtschaftliche Phasen einzuteilen: unmittelbare Reaktion, wirtschaftspolitische Maßnahmen, mittelfristiges Aufholen und permanente Effekte.

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Unmittelbare Reaktion

Die Bekämpfung des Coronavirus erfordert laut Medizinern die Reduktion physischer Kontakte. Das führte zu einer massiven Einschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit in Österreich, die nicht nur, aber vor allem den Dienstleistungssektor betrifft. Das Schließen von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen reduziert die Produktivität, da berufstätige Eltern nun auf ihre Kinder aufpassen müssen. Die weltweite Ausbreitung des Virus trifft eine kleine Volkswirtschaft, für die Tourismus und Warenexporte wichtig sind, wirtschaftlich noch stärker als andere Länder. Zudem werden internationale Lieferketten unterbrochen und wohl über Monate mit Unsicherheit behaftet sein, was für die Just-in-time-Produktion in der Industrie massive Probleme mit sich bringt. Die wirtschaftliche Aktivität geht daher V-förmig rasch nach unten. Das sieht man zum Beispiel an den innerhalb von lediglich Wochen stark steigenden Zahlen in der Arbeitslosenstatistik, den Anträgen für Kurzarbeitsbeihilfen und im Stromverbrauch.

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Wirtschaftspolitische Maßnahmen

Die österreichische Bundesregierung hat sich für jene wirtschaftspolitischen Maßnahmen entschieden, die auch viele andere Länder wählen bzw. wählen werden: Bereitstellung von Liquidität für Unternehmen und die Unterstützung von Kurzarbeit. Die Idee dahinter ist, dass nach einer Aufhebung der notwendigen gesundheitspolitischen Maßnahmen die wirtschaftliche Aktivität wieder V-förmig nach oben gehen kann, weil gewisse wirtschaftliche Bereiche mit öffentlichen Mitteln quasi in einen Tiefschlaf versetzt werden. Zudem stellt die Europäische Zentralbank durch ein zusätzliches Wertpapierankaufprogramm weitere Liquidität für die Banken bereit, denen es gleichzeitig – durch ein Aufweichen der strengen Regeln – leichter gemacht wird, Kredite zu vergeben, um Liquiditätsengpässe bei Unternehmen und Privaten zu vermeiden.

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Mittelfristiges Aufholen

Die Theorie, der Konjunkturverlauf könnte V-förmig aussehen, ist nicht unumstritten. Dabei geht es um den rechten Teil des V. Die entscheidende Frage dabei ist, ob die Analogie des Tiefschlafs von Teilen der Wirtschaft für einige Wochen oder sogar Monate realistisch ist. Wenn die wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht perfekt wirken, könnte auch der Aufholprozess länger dauern, weil Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben, Unternehmen und Selbstständige vom Markt verschwunden sind oder andere wirtschaftliche Strukturen zerstört wurden. Eine Phase der Unsicherheit auch nach Aufhebung der Einschränkungen könnte zu Konsum­zurückhaltung führen und aus der Angebotskrise eine nachgelagerte Nachfragekrise machen. Die Erhöhung der öffentlichen Verschuldung könnte zu Problemen der Schuldentragfähigkeit führen. Aufgrund des in Österreich angekündigten 38-Milliarden-Pakets zur Bekämpfung der Krise und des Ausfalls von geplanten Steuereinnahmen wird der Bundesrechnungsabschluss 2020 naturgemäß tiefrote Zahlen aufweisen. Das Institut für Höhere Studien rechnet derzeit mit einem Budgetdefizit von rund 5 Prozent der Wirtschaftsleistung, was in etwa der Höhe des Defizits im Jahr 2009 entspricht. Ein solches Defizit würde die Schuldentragfähigkeit Österreichs nicht gefährden, obwohl es den Schuldenstand der Republik wieder in Richtung 80 Prozent der Wirtschaftsleistung bringen würde.

Der große Vorteil gegenüber 2009 ist, dass die Zinsen auf Staatsschulden derzeit sehr gering sind und damit die zukünftigen Budgets weniger belastet. Aber Länder wie Italien oder Griechenland werden finanzielle Hilfe benötigen, um nicht (wieder) in die Nähe eines Ausfalls zu kommen. Zudem könnte es Flurschäden im wirtschaftlichen Gefüge geben, die wir jetzt noch nicht vollständig erkennen. Auch nach der Finanzkrise hat es Jahre gedauert, bis der wirtschaftliche Status quo ante wieder erreicht war, und das langfristige Problem der europäischen Staatschuldenkrise als induzierter Effekt war letztlich schwieriger zu lösen als die Verwerfungen nach der Lehmann-Pleite. Kurz gesagt: Es gibt gute Gründe, für die aktuelle Rezession eine schnelle Erholung anzunehmen, es ist aber auch nicht auszuschließen, dass es zu einer konjunkturellen Seitwärtsbewegung kommt und es viel länger dauert, bis Österreich die Corona-Krise wirtschaftlich vollständig überwunden haben wird.

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Permanente Effekte

Einige Erfahrungen aus der aktuellen Krise werden permanente Effekte haben. Der Grad der Digitalisierung am Arbeitsplatz wird aus der Not für viele, jetzt von zu Hause aus arbeiten zu müssen, einen weiteren Sprung machen. Die Globalisierung wird weiter eingebremst; ihre Dynamik war in den letzten Jahren schon stark abgeschwächt worden. Internationale Organisationen werden sich noch viel stärker Gedanken machen müssen, inwieweit man Epidemien lokal eindämmen kann, und man wird dafür sicher verstärkt Mittel einsetzen müssen – zur Beobachtung, aber auch zur schnellen Bekämpfung im Falle­ eines Ausbruchs. Bei den Zulieferketten wird man wahrscheinlich – auch weil es schon bisher sinnvoll ­gewesen wäre – stärker auf Diversifikation setzen, um im Fall von Lieferausfällen aus einzelnen Ländern besser gerüstet zu sein. Nur die Rückholung der Produktion von Asien nach Europa löst das Problem aber nicht, weil wir ja sehen, dass es auch in Europa aufgrund der Corona-Krise Produktionsengpässe und Lieferschwierigkeiten zum Beispiel durch Grenzschließungen gibt.

Die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Corona-­Pandemie kann im Moment niemand seriös in Zahlen abschätzen. Wir können nur in Szenarien rechnen. Natürlich kann man sich auch Szenarien vorstellen – wenn die Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivität viel länger dauert, als wir das bisher annehmen –, die bei weitem negativer sind als jene, die beschrieben wurden. Letztlich sind die gesamtwirtschaftlichen Kosten eine Funktion der Dauer der wirtschaftlichen Einschränkungen, und je länger sie dauern, desto höher werden die Kosten. Der Anstieg der Kosten ist aber über-linear, weil mit zunehmender Länge der Maßnahmen immer mehr mittelfristige und langfristige wirtschaftliche Kosten anfallen. Daher scheint eine möglichst massive Bekämpfung der Krankheit mit sehr starken Maßnahmen durchaus optimal, weil sie im Idealfall die mittel- und langfristigen Kosten senkt, auch wenn diese Maßnahmen kurzfristig sehr kostspielig sind. 

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