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Versagte die EU in der Corona-Krise?
8. Mai 2020 Coronavirus Lesezeit 21 min
Warum stolperte Europa derart in die Corona-Pandemie, warum ließ man sieben Wochen Zeitvorsprung gegenüber China verstreichen und verhinderte nicht, dass eine Jahrhundertkrise entstand? Die Suche nach Verantwortlichen in den EU-Institutionen und den Hauptstädten der Mitgliedstaaten wird zur erschreckenden Chronik einer unterschätzten Gefahr.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 78 einer 106-teiligen Recherche.
Bild: John Thys | AFP

Europa ist zum Seuchenherd in der Corona-Pandemie geworden. Der Kontinent mit den besten Gesundheitssystemen der Welt verzeichnet aktuell 140.000 COVID-19-bedingte Tote, und damit mehr als doppelt so viele wie die USA. Mindestens 12 Millionen Menschen haben in der EU entweder bereits ihre Arbeit verloren oder werden dies als Folge der Krise bis zum Jahresende tun. Noch vermag keiner die volkswirtschaftlichen Schäden seriös zu beziffern. Klar ist aber, dass es sich um den schlimmsten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg handelt und dadurch neue Schulden in Billionenhöhe entstehen. Damit wird eine Frage immer drängender: Hätte sich die Corona-Pandemie in Europa, wenn schon nicht aufhalten, dann zumindest abschwächen lassen? Und wer trägt die Verantwortung dafür, dass das nicht geschah?

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Die EU wird sich eine Diskussion und Auseinandersetzung gefallen lassen müssen.
Bundeskanzler Sebastian Kurz

„Die EU“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz, „wird sich eine Diskussion und Auseinandersetzung gefallen lassen müssen.“ Europaministerin Karoline Edtstadler pflichtete ihm bei und erklärte, dass „die Prozesse und bürokratischen Rahmenbedingungen der EU nicht auf eine Krise ausgelegt sind und zu langsam reagieren“. Wer aber hat konkret zu welchem Zeitpunkt welche Entscheidungen verschleppt und damit das Ausmaß der folgenden Krise unter Umständen vergrößert? Und wer sind diese Akteure, denen im Vorfeld Verantwortung zukam?

Addendum rekonstruiert in Gesprächen mit Insidern, Beamten und Entscheidungsträgern auf europäischer Ebene die entscheidenden Wochen, beginnend mit dem Lockdown von Wuhan. In der Zeit, die folgte, gab es Menschen, die sich von der Lage in China ein vergleichsweise klares Bild machten, dadurch auf Gefahren für Europa schlossen und entsprechend warnten. Es gab aber auch jene, die den herannahenden Sturm erst erkannten, als er bereits im vollen Umfang tobte. Eine EU-eigene Agentur, deren Aufgabe darin besteht, die Ausbreitung von Epidemien zu beobachten, um zeitgerecht Alarm zu schlagen, wurde ihrer Aufgabe ebensowenig gerecht wie etliche Gesundheitspolitiker. Dabei gab es in den sieben Wochen, die zwischen dem Shutdown in China und jenem in Europa liegen, wesentliche Weggabelungen, an denen es möglich gewesen wäre abzubiegen und Europa vor dem Schlimmsten zu bewahren. Warum das nicht passierte, hängt viel mit dem Funktionieren von Politik, aber auch mit deren Handlungsträgern zusammen. Ein hochrangiges Kabinettsmitglied der EU-Kommission bringt es so auf den Punkt: „Die EU agierte, als sei sie immun gegenüber allem.“

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Wuhan, 23. Jänner – China startet den Lockdown von 60 Millionen Menschen

Staunen, Entsetzen und der Schauder, etwas zu beobachten, das weit weg scheint – das waren die Emotionen vieler in Europa, als sie Ende Jänner die Bilder aus Wuhan sahen. Sie zeigten, wie eine 11-Millionen-Stadt, von der zuvor kaum jemand in Europa je gehört hatte, komplett abgeriegelt wurde: breite Boulevards ohne ein einziges Auto, leergeräumte Supermärkte, dazwischen Militär und Polizei, Menschen in Schutzanzügen und mit Masken, und bald auch Bilder von Patienten in überfüllten Spitälern, die an Beatmungsgeräten hingen. China meldete zu diesem Zeitpunkt offiziell 2.744 mit dem Coronavirus infizierte Personen und 80 Tote. Nach fast zwei Monaten des Verschweigens und Vertuschens wurde der völlige Lockdown der Provinz Hubei mit 60 Millionen Einwohnern für das kommunistische Regime zum Offenbarungseid. Wer von diesem 23. Jänner ausgehend die Zeit gut zwei Monate nach vorne spult und nach Europa zoomt, erhält fast identische Bilder. Was geschah aber in den sieben Wochen dazwischen – außer Faschingsumzügen, Karnevalsfeiern und Skiurlauben?

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China informierte die WHO erstmals am 31. Dezember 2019 über Fälle einer neuen, mysteriösen Lungenerkrankung. Ein erster solcher Fall sei am 12. Dezember 2019 am Wildtiermarkt der Stadt Wuhan registriert worden. Später stellte sich heraus, dass es aber bereits im Laufe des Novembers zu Erkrankungen gekommen sein dürfte. Am 7. Jänner identifizierten chinesische Experten den Erreger des Virus, am 11. Jänner vermeldeten sie den ersten Todesfall, erst am 20. Jänner bestätigten sie eine Übertragung von Mensch zu Mensch. Bis heute bleibt der Zugang zu unabhängigen Informationen schwierig. Der WHO wird vorgeworfen, die Daten aus China unhinterfragt übernommen zu haben. Europa hatte zu keinem Zeitpunkt eigene Experten vor Ort, lobte aber die Kooperation mit den chinesischen Behörden. Erwiesen ist, dass das chinesische Regime Kritiker seines Vorgehens mundtot machte. Geheimdienstberichte der USA werfen der chinesischen Regierung vor, die Gefahr durch das Virus heruntergespielt und steigende Fallzahlen vertuscht zu haben. Ein Bericht des US-Innenministeriums legt nahe, dass China den Zeitvorsprung genutzt habe, um sich mit Schutzausrüstung einzudecken. US-Außenminister Mike Pompeo behauptete weiters, über Beweise zu verfügen, wonach nicht der Fischmarkt in Wuhan der Ursprungsort des Coronavirus sei, sondern ein nahe gelegenes Forschungslabor. Chinas Regierung wies dies als Propaganda zurück und forderte die USA auf, diese Beweise vorzulegen. Später ruderte Pompeo zurück und sagte, die Frage des Ursprungs bleibe weiterhin ungeklärt. Klar ist jedoch, dass durch den intransparenten Umgang des chinesischen Regimes mit dem neuen Virus wertvolle Zeit verloren ging.

Brüssel, 29. Jänner – Die EU aktiviert den Krisenmechanismus, und keinen kümmert es

Acht Fälle von Corona-Infektionen sind zu diesem Zeitpunkt in der EU bekannt, vier in Frankreich, vier in Deutschland, bei allen lässt sich die Ansteckung auf Reisen in die chinesische Provinz Hubei zurückführen. Es werden noch gut drei Wochen vergehen, bevor Italien als erster EU-Staat einen Corona-Toten meldet. Am Nachmittag dieses Mittwochs treten erstmals zwei Kommissare vor die Presse, die zu zentralen Akteuren der EU in der Corona-Krise werden, und die ein gemeinsames Problem haben: die Psychologin Stella Kyriakides aus Zypern ist für Gesundheit zuständig, der Karrierediplomat Janez Lenarčič aus Slowenien ist der Krisenkommissar der EU. Beide sind sie Politiker ohne echte Macht. Noch beim Europäischen Verfassungskonvent von 2002 war vor dem Hintergrund der Bedrohung durch SARS darüber diskutiert worden, der EU bei grenzüberschreitenden Pandemien eine Notkompetenz zuzuschreiben. Umgesetzt wurde das nicht. Gesundheit blieb die alleinige Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Der Kommission kommt maximal eine koordinierende Aufgabe zu, doch selbst diese muss erst der Rat der nationalen Minister aktivieren. Daher geht es an diesem Tag auch um Worte. Darum, mit ihnen ein Bild zu erzeugen, das in den Gesundheitsministerien der Mitgliedsländer dazu führt, Pläne auszuarbeiten, Bestände an Schutzmaterialien zu überprüfen, sich auf das, was unter Umständen kommen mag, vorzubereiten, kurz: die Sache ernst zu nehmen. Selbst im Räderwerk der Brüsseler Bürokratie sorgt das frühe An-die-Öffentlichkeit-Gehen der Kommissare für Verwunderung. Die zwei haben sich im Vorfeld abgestimmt. Kyriakides, die Medizinerin, soll beruhigend auftreten, Lenarčič den alarmierenderen Part übernehmen. Mehr können beide kraft ihrer Kompetenz nicht tun.

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EU-Gesundheitskommissarin Kyriakides und Krisenkommissar Lenarčič

„Wir sagten den Mitgliedstaaten an diesem 29. Jänner also, dass sie sich vorbereiten sollen“, erinnert sich Kommissar Lenarčič heute, „ich behaupte nicht, dass wir vorhergesagt hätten, was passieren würde, nein, das wäre vermessen, aber wir sahen klar die Gefahr und warnten. Das Feedback, das wir aus den Mitgliedstaaten erhielten, war ermutigend. Überall hieß es, sie seien gut ausgerüstet und zuversichtlich, dass ihre Gesundheitssysteme das schaffen.“

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Das EU-Vorsitzland Kroatien hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Ein hochrangiger Brüsseler Beamter zum Krisenmanagement

Parallel drängen die Kommission und einige Mitgliedstaaten intern darauf, eine außerordentliche Sitzung der EU-Gesundheitsminister einzuberufen, um Vorkehrungsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Dies zu organisieren, ist Aufgabe des EU-Vorsitzlandes. Seit Jahresbeginn ist Kroatien in dieser Rolle. Doch dort hatte am Tag zuvor Premier Andrej Plenković seinen Gesundheitsminister wegen undurchsichtiger Immobiliendeals aus der Regierung entlassen. Bis sich sein Nachfolger eingearbeitet haben wird, vergehen kostbare Wochen. „Dieser Rücktritt erfolgte zur kritischsten Phase“, sagt ein Insider in der Kommission, „wichtige Zeit ging verloren. Man muss leider sagen, dass sich das EU-Vorsitzland Kroatien im Krisenmanagement nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.“

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Stella Kyriakides ist eine führende Politikerin aus den Reihen der aktuellen konservativen Regierungspartei Zyperns. Von 1979 bis 2006 war sie als klinische Psychologin im Gesundheitsministerium ihres Landes tätig und engagierte sich später auch als Patientenanwältin. Das Amt der EU-Gesundheitskommissarin, das sie seit 1. Dezember 2019 bekleidet, ist im Brüsseler Machtportfolio nicht besonders beliebt, da Gesundheitsagenden weitgehend den Mitgliedstaaten obliegen. In der Vorgängerkommission von Jean-Claude Juncker fand sich erst nach längerer Suche ein Arzt aus Litauen, der das Amt übernahm. Kyriakides wollte den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den Kampf gegen Krebs und die Sicherung der Arzneimittelversorung legen. Das änderte sich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie.

Janez Lenarčič ist ein parteifreier Jurist aus Slowenien, der in der Diplomatie Karriere machte. Anfangs vertrat er sein Land bei den Vereinten Nationen, später in der OSZE. Nach Zwischenstationen als EU-Staatssekretär ging er 2016 als ständiger Vertreter Sloweniens nach Brüssel. Bei seinem Hearing als nominierter Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz machte er im Herbst 2019 eine gute Figur. Sein Portfolio umfasst die mit einem hohen Budget ausgestattete EU-Entwicklungshilfe und das Katastrophenschutz-Management, bei der die EU-Kommission nur eine koordinierende Rolle zwischen den Mitgliedstaaten einnimmt.

Die Pressekonferenz am 29. Jänner fand vor fast leeren Rängen statt

„Ist es nicht überhaupt übertrieben, angesichts von acht Fällen in der EU eine solche Sitzung einzuberufen?“, fragt eine Journalistin Kommissarin Kyriakides während der Pressekonferenz, „man kauft dann wieder nur große Mengen an Schutzkleidung, die wie bei der Schweinegrippe am Ende ja doch keiner braucht.“ Die Frage spiegelt gut die Stimmungslage in Europa zu dieser Zeit wider. Corona, das ist etwas, das im fernen China wütet, mehr nicht. Hinzu kommt, dass Politiker ungern potenziell teure Ankaufsentscheidungen auf Basis einer unklaren wissenschaftlichen Lage treffen. In Österreich etwa sind Maria Rauch-Kallats 9 Millionen Vogelgrippe-Masken bis heute in Erinnerung geblieben. Kommissarin Kyriakides pocht in ihrer Antwort aber darauf, dass die Sondersitzung nötig sei, „wir die Lage nicht unterschätzen dürfen“, die Mitgliedstaaten sich vorbereiten müssten und ihre Bestände aufstocken sollten. Sie wird diesen Satz in den folgenden Wochen noch unzählige Male wiederholen, ohne dass er gehört würde.

Am nächsten Tag screenen die Teams der beiden Kommissare Europas Medien und sind überrascht bis erschüttert: „Da war nichts, kein einziger Artikel“, erinnert sich Lenarčič, „die Pressekonferenz fand vor einem fast leeren Raum statt, ganz wenige Journalisten kamen. Alles schaute ins EU-Parlament, wo die Briten das letzte Mal dabei waren. Aber Coronavirus? Fehlanzeige, völliges Desinteresse.“

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Brüssel, 5. Februar – Hinter verschlossenen Türen: „Alles unter Kontrolle“

Zwei Wochen sind seit dem Lockdown der Provinz Hubei vergangen. Die Bilder, die von dort kommen, wirken immer bedrohlicher. China gibt bekannt, innerhalb weniger Tage ganze Instant-Spitäler aus dem Boden zu stampfen, um der großen Zahl an Patienten, die mit dem Tod ringen, überhaupt noch Herr zu werden. Längst berichten Medien, dass das wahre Ausmaß der Epidemie dort vom Regime weiter heruntergespielt würde. Chinesische Blogger, die das aufdecken, verschwinden einfach. Auf EU-Ebene finden nun etliche Koordinationssitzungen zwischen den nationalen Beamten der jeweiligen Gesundheitsministerien und der Generaldirektion der EU-Kommission statt.

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Warum macht ihr wegen dem Ganzen so einen Wirbel?
Ein Sitzungsteilnehmer erinnert sich an Reaktionen in EU-Hauptstädten

Die Botschaft, die von dort nach außen dringt, klingt klar und wird sich als erschreckend falsch erweisen: „Alles unter Kontrolle.“ Die Staaten vermelden nach Brüssel, gut aufgestellt zu sein, über ausreichend Schutzausrüstung, Masken, aber auch Beatmungsgeräte zu verfügen. Ein Angebot der Kommission, gemeinsam zusätzliches Material auf dem Weltmarkt aufzukaufen, wird negativ beschieden, wie interne Aufzeichnungen zeigen, die Addendum vorliegen. „Warum macht ihr wegen dem Ganzen so einen Wirbel? Das war es, was wir damals aus den Ministerien etlicher Hauptstädte zu hören bekamen“, erinnert sich ein Teilnehmer dieser Sitzungen, die hinter verschlossenen Türen stattfanden. Nur vier kleine EU-Staaten, auf Inseln und im Baltikum gelegen, geben an, Engpässe zu befürchten, sollte sich die Lage verschlimmern.

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Auch was die Corona-Testkits anbelangt, geben sich die Mitgliedstaaten zuversichtlich und vermelden keine Notwendigkeit, gemeinsam Ankäufe vorzunehmen. Weiter entfernt von der Wirklichkeit, die sich schon in wenigen Wochen in ihren Ländern zeigen wird, könnten sie damit kaum liegen. In fast allen EU-Staaten wird es rasch zu dramatischen Engpässen an Ausrüstung und Testmöglichkeiten kommen. Erst wird es Italien sein, in dessen Spitälern dringend benötigte Schutzkleidung für das medizinische Personal fehlt. Mehr als 10.000 Ärzte und Krankenpfleger werden sich allein dort mit dem Virus infizieren. Bald darauf wird die Lage in fast allen EU-Staaten Westeuropas ähnlich sein. Allein in Spanien werden 13,6 Prozent aller Infizierten im Land aus dem Gesundheitssystem stammen, was in Spitälern zu weitreichenden Quarantänen führen und den Zusammenbruch des Gesundheitswesens beschleunigen wird.

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Kein EU-Staat meldet Bedarf an zusätzlicher Schutzausrüstung an. Vier Staaten befürchten Engpässe, sollte sich die Lage verschlimmern

Stockholm, 7. Februar – Ministerin Edtstadler und das Scheitern der EU-Seuchenbehörde

Eine besondere Rolle kommt einer EU-Agentur zu, die am Stadtrand von Stockholm ihren Sitz hat: ECDC. Was klingt wie der Name einer australischen Hardrockband, ist Europas Agentur für öffentliche Gesundheit. 2005 gegründet und mit 290 Mitarbeitern und einem jährlichen Budget von 60 Millionen Euro ausgestattet, ist sie so etwas wie die Frühwarnstelle der EU für Seuchen und Epidemien. Eigentlich. Wer annimmt, dass beim Ausbruch der Corona-Krise auch die Stunde des ECDC schlüge, irrt jedoch. Anfangs finden sich auf deren Seite die Bewertungen zum neuen mysteriösen Virus verborgen zwischen Infos zur Stechmücke am Nil und dem Mumps. Während China bereits den Lockdown von Wuhan vorbereitet, bewertet ECDC „die Wahrscheinlichkeit des Imports von Fällen in die EU als gering“. Parallel verweist ECDC darauf, dass direkte Flugverbindungen von Wuhan in die EU bestehen: sechs Flüge pro Woche nach Paris und jeweils drei nach London und Rom.

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ECDC sieht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass es zum Import von Virusfällen aus China in die EU kommt

Als Europaministerin Karoline Edtstadler am 7. Februar auf ihrer Tour durch die EU-Hauptstädte bei ECDC eintrifft, sind offiziell 31.503 Infizierte bekannt, davon 29 Fälle in der EU. In China sind 638 Menschen an COVID-19-bedingten Erkrankungen verstorben. Die Ministerin wird in das „Emergency Operation Centre“ der Agentur geführt. Dort leuchtet auf einem großen roten Display die Aufschrift „PHE Level 2 Acute Phase“ – höchste Alarmstufe also, möchte man meinen. Doch der Status gibt nicht die Gefahr durch das Virus wieder, sondern den Arbeitsaufwand, den der Ausbruch dem ECDC verursacht. Zwischen Jänner und Februar arbeitet die Agentur in Doppelschichten und fertigt 18 Statements zum Virus an, die an die nationalen Gesundheitsministerien und die EU-Kommission ergehen. Heute erklärt ECDC, „zwischen Jänner und April die Bewertung des Risikos achtmal verändert“ zu haben und zwar „von gering am Anfang zu moderat und sehr hoch, jeweils dem Verlauf des Ausbruchs und der Relevanz für Europa folgend“.

Und genau darin liegt auch eines der Probleme im Handeln von Europas wichtigster Frühwarnstelle. Ihr käme die Aufgabe zu, Gefahren und Risiken einer Epidemie zu identifizieren und vor ihr zu warnen, bevor sie andere überhaupt noch auf dem Radar haben. Bei ECDC verliert sich das Gefühl für die Gefahr aber zwischen den Zeilen ihrer Reports. Diese erwecken zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, die Agentur sei der Ausbreitung der Epidemie auch nur einen einzigen Schritt voraus. Vielmehr wirkt es so, als beschränke sie sich auf das Rapportieren des bereits Bekannten. ECDC ist damit ein wenig wie der Verkehrsfunk, der einen zuverlässig über einen Stau informiert, sobald man selbst darin steht. Auch als in Italien bereits Menschen sterben und die Lombardei erste Virusherde komplett abriegelt, bleibt ECDC bei seiner Risikoeinschätzung von „gering bis moderat“ für den Rest der EU.

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Man kann sich nicht erst einen kleinen Citroën anschaffen und sich dann in der Krise beschweren, dass man keinen SUV hat.
Ein Brüssel-Insider zur Kritik an ECDC

Zu diesem Zeitpunkt seien „nur wenige Informationen über die verschiedenen COVID-19-Cluster in den vier Regionen“ vorhanden gewesen, verteidigt Andrea Ammon, die Leiterin von ECDC, ihre damalige Fehleinschätzung.

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ECDC-Leiterin Andrea Ammon

Zudem habe sich „die Situation sehr dynamisch entwickelt und mehr Fälle wurden in den folgenden Tagen bekannt“, weshalb man vor dem Entstehen ähnlicher Cluster in anderen Gebieten der EU gewarnt habe. Ammon ist Deutsche, seit 2011 am ECDC, das sie seit 2015 leitet. Zuvor stand sie am deutschen Robert-Koch-Institut der Abteilung für infektiöse epidemische Erkrankungen vor. Fachlich wäre sie damit die richtige Person zur richtigen Zeit. Sie nimmt auch an allen wesentlichen Sitzungen teil, doch bei diesen Auftritten vor Entscheidungsträgern wie Ministern und Abgeordneten gelingt es ihr nur schwer, abseits der wissenschaftlichen Darstellung zu überzeugen. Fragt man sie, warum es der EU nicht gelungen ist, das Virus rechtzeitig einzudämmen, argumentiert Ammon mit dessen Charakteristiken: „Erst im Laufe der Zeit wurde klar, wie einfach es übertragbar ist und zwar auch von Personen ohne oder nur mit milden Symptomen. Die große Zahl der milden Verläufe kombiniert mit der einfachen Übertragbarkeit hemmte die Eindämmung.“

In Brüssel aber wird die Frage lauter, ob ECDC der Herausforderung gewachsen war. „Sie waren präsent, schrieben Berichte, das ist alles richtig. Aber man muss sich fragen, ob sie auch ein richtiges Krisenmanagement-Tool sind oder nicht? Wenn sie es wären, müssten sie ihre Empfehlungen sehr direkt, um nicht zu sagen, alarmierend, abgeben“, heißt es in Kommissionskreisen, „das taten sie aber nicht, das wirkte alles sehr getragen.“ Eine in Brüssel einflussreiche Stimme gibt jedoch zu bedenken, ob selbst lautere Warnungen von den Mitgliedstaaten gehört worden wären. Sie führt aus, dass ECDC im Vergleich zu nationalen Einrichtungen, wie etwa dem deutschen Robert-Koch-Institut, dürftig ausgestattet sei, keine operativen Befugnisse und auch niemanden in China vor Ort habe: „Man kann sich nicht erst einen kleinen Citroën anschaffen und sich dann in der Krise beschweren, dass man keinen SUV hat.“

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Brüssel, 13. Februar – Anschober und die anderen kommen und entscheiden wenig

Es ist ein wolkenverhangener Donnerstagmorgen, als die Gesundheitsminister der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel eintreffen. Zwei Wochen sind durch den Rücktritt des kroatischen Vorsitzes ungenützt verstrichen. China meldet zu diesem Zeitpunkt 60.330 Infektionen und 1.369 Todesfälle. In Europa ist bei 44 Personen eine Infektion festgestellt worden. Am nächsten Tag wird in Italien der erste Europäer an COVID-19 sterben. Für Rudolf Anschober ist es der erste Brüssel-Auftritt als Minister. Das Coronavirus bereitet ihm im Vergleich zur Grippe „kaum Sorgen“, sagte er schon vorab. Nun spricht er vor Journalisten davon, dass dessen Zentrum „gut eingrenzbar“ und „die EU gut abgeschirmt“ sei. Hinter verschlossenen Türen pochen Staaten wie Italien und Tschechien jedoch auf EU-weite Landeverbote für Flüge aus China. Rom hat solche national bereits am 31. Jänner verhängt, kann aber nicht verhindern, dass über Umsteigeverbindungen potenziell weiterhin Infizierte ins Land gelangen. So landen etwa allein in Wien wöchentlich rund 400 Passagiere aus China.

Österreich zählt aber zu den Staaten, die Verbote ablehnen, wie Anschober schon beim Eintreffen in Brüssel erklärt:

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„Reisebeschränkungen halte ich derzeit in Europa für nicht angebracht. Wir müssen schon darauf achten, dass wir aus einer Situation, wo in Europa Ernsthaftigkeit, Vorsicht und Aufmerksamkeit angebracht ist, keine Panik erzeugen. Panik ist in Europa derzeit völlig unangebracht, wäre ein schlechter Ratgeber, sondern wir müssen mit ruhiger Hand darauf reagieren, was notwendig ist, um das Hauptziel zu erreichen, nämlich Europa zu schützen, und das geht mit einem starken, gemeinsamen Vorgehen am besten.“

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In der nichtöffentlichen Sitzung einigen sich die Gesundheitsminister zumindest darauf, die Kommission nun doch mit dem gemeinsamen Ankauf von Schutzausrüstung und Masken zu beauftragen. Der neue kroatische Vorsitz, Gesundheitsminister Vili Beroš, ist weiter vom „hohen Grad der Vorbereitung der EU“ überzeugt, der ihm, wie er sagt, auch von ECDC-Leiterin Andrea Ammon bestätigt wurde. In der Abschlusserkärung des Sonderrates ist dann viel vom gemeinsamen Wollen zu lesen. Vor der Presse betonen die Minister ihre „Solidarität“ und die „Notwendigkeit, gemeinsam zu handeln“. Nur zwei Wochen werden vergehen, bis sie das Gegenteil des Gesagten tun.

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Rom, 25. Februar – Anschober „gegen Grenzschließungen“, Corona erreicht Österreich

Im Norden Italiens hat sich die Lage in den vergangenen Tagen zugespitzt. Das Land zählt nun offiziell 320 Infizierte und zehn Tote. Der Karneval in Venedig wurde abgesagt, zehn Orte in der Lombardei unter Quarantäne gestellt. Ein Champions-League-Spiel zwischen Bergamo und Valencia vor 45.000 Zuschauern in Mailand wird später vom Bürgermeister Bergamos, wo im März 4.600 Menschen aufgrund des Virus sterben werden, als „biologische Bombe“ bezeichnet. Gesundheitsminister Anschober fliegt nach Rom, um dort seine Amtskollegen aus Italien, Frankreich, Deutschland, Slowenien, Kroatien und der Schweiz zu treffen. Eine Grenzschließung ist für Anschober „ausgeschlossen, weil diese Maßnahme nicht angebracht wäre“. Der italienische Regierungsberater Walter Ricciardi wird sich später erinnern, dass die Teilnehmer des Treffens, mit Ausnahme von Deutschland und Frankreich, Italien für das Problem hielten – und nicht das Virus. Eine fahrlässige Fehlannahme. Als Anschober am Abend zu Gast in der ZIB 2 ist, wird bekannt, dass in Innsbruck gerade das „Hotel Europa“ abgeriegelt wird, nachdem dort eine Rezeptionistin positiv auf COVID-19 getestet wurde. Österreich hat damit seinen offiziell ersten Corona-Fall, wenngleich das Virus längst auch in den Skigebieten Tirols wüten dürfte. „Es war zu befürchten, dass es auch in Österreich zu Infektionsfällen kommen würde“, sagt Anschober in der ZIB 2, „man kann aber keinen Glassturz über Österreich errichten.“

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Rom, 28. Februar – Italien ruft um Hilfe, und niemand kommt

Wie weit Worte und Wirklichkeit auseinanderliegen, wird klar, als Italien an diesem Tag einen Hilferuf absetzt. Dem Land fehlen schon jetzt Masken und Schutzausrüstung, und es wendet sich an den Zivilschutzmechanismus der EU. Dieser wurde seit seiner Einrichtung im Jahr 2001 mehr als 330-mal aktiviert, damit sich die Mitgliedstaaten, etwa bei großen Waldbränden oder Naturkatastrophen, gegenseitig unterstützen können. Trotz der erst zwei Wochen zurückliegenden Solidaritätsbekundungen reagiert nun aber kein einziges EU-Land auf Italiens Hilferuf. Das gab es in der Geschichte des Zivilschutzmechanismus zuvor erst einmal. Rom fühlt sich im Stich gelassen, was von Staaten wie China, Russland oder selbst Kuba, die allesamt Hilfsgüter oder auch Ärzte schicken, weidlich genützt werden wird . Für die EU-Kommission ist es der Moment der Wahrheit: „Damit war klar, dass nicht nur Italien unzureichend vorbereitet ist, sondern es die anderen EU-Staaten ebenso wenig sind“, sagt Krisenkommissar Lenarčič. Im Unterschied etwa zu den USA, wo die Zentralregierung über strategische Reserven von Medizingütern verfügt, mit denen sie einzelnen Bundesstaaten in der Corona-Krise aushelfen können, hat die EU-Kommission nichts dergleichen. „Wir sind nur die Vermittler zwischen den Mitgliedstaaten gewesen“, sagt Lenarčič. Jetzt stellt sich aber heraus, dass die optimistischen Angaben, die von dort kamen, Luftschlössern gleichen und alle über zu wenig Masken, Schutzausrüstung für medizinisches Personal und zum Teil auch Beatmungsgeräte verfügen. Einigen EU-Staaten ist es bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal gelungen, sich einen Überblick über die eigenen Bestände zu verschaffen. Jetzt beginnt die Kommission viel zu spät damit, was zuvor von den Mitgliedstaaten als unnötig abgetan wurde: Sie versucht auf einem völlig außer Kontrolle geratenen Weltmarkt, der vom Hersteller China dominiert wird, Schutzmaterial aufzukaufen – zu Preisen und mit Lieferfristen, die noch Wochen zuvor keiner für möglich gehalten hätte.

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Brüssel, 2. März – von der Leyen schaltet auf Krise, hat aber rasch andere Prioritäten

Wer bislang nicht wusste, was exponentielles Wachstum bedeutet, kann es jetzt erleben. Der europäische Wirtschaftsraum zählt an diesem Montag 2.199 Infektionen und offiziell 38 COVID-19-Tote. Die tatsächliche Zahl an Ansteckungen dürfte ein Vielfaches betragen. Skiurlaube, Karnevalsumzüge und all die Großveranstaltungen, die keiner einzuschränken wagte, erwiesen sich als ideale Virenverteiler. War es auf EU-Ebene bislang das Duo aus Gesundheitskommissarin Kyriakides und Krisenkommissar Lenarčič, die weitgehend unter Ausschluss einer größeren Öffentlichkeit versuchten, die Mitgliedstaaten vom Ernst der Lage zu überzeugen, wird Corona nun zur Chefsache. Am Nachmittag betritt eine Frau, die unter Druck steht, einen Raum voller Bildschirme und an die Wand projizierten Karten und Grafiken – Ursula von der Leyen ist im ERCC Echo. Was militärisch klingt, ist das Krisenzentrum der EU, und dort gibt die Kommissionspräsidentin die Schaffung ihres Corona-Krisenstabs mit Beteiligung von fünf Kommissaren bekannt. Koordination sei nun das Schlüsselwort, betonen alle, egal ob es um Maßnahmen für den Binnenmarkt oder an den Schengen-Grenzen geht. Erneut werden die Sätze bald von einer Realität überholt werden, die ins Chaos abgleitet.

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Von der Leyen beim Lokalaugenschein an der griechisch-türkischen Grenze
Bild: Sakis Mitrolidis | European Union, 2020
Tags darauf empfängt sie Klimaaktivistin Greta Thunberg in Brüssel
Bild: Etienne Ansotte | European Union, 2020
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit ihrem Corona-Krisenstab
Bild: Jennifer Jacquemart | European Union, 2020

Nicht überall stößt von der Leyens Engagement auf Gegenliebe. In Wien, so wird es in EU-Kreisen kolportiert, beschwert sich ein Minister, dass sich die Kommissionspräsidentin wichtig mache und man die Leute draußen doch nicht in Panik versetzen solle. Auch von der Leyen selbst wirkt von ihrer neuen Prioritätensetzung nicht gänzlich überzeugt. Tags darauf bricht sie mit dem Ratspräsidenten und ihrem Außenbeauftragten nach Griechenland auf. Der Besuch auf höchster Ebene soll die Top-Priorität verdeutlichen, die sie der Lage an der Grenze zur Türkei beimisst, wo Präsident Erdoğan Migranten als Drohkulisse benutzt. Am Abend eilt sie zurück nach Brüssel, um dort am nächsten Tag Klimaaktivistin Greta Thunberg zu empfangen. Die wird später twittern, sich selbst das Coronavirus eingefangen zu haben, noch aber sollen Fotos vom gemeinsamen Händeschütteln von der Leyens Lieblingsprojekt promoten, den „Green Deal“. Es sind ihre erste 100 Tage im Amt, und sie ist darauf bedacht, nur keinen Fehler zu machen. Ihr Büro im 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes der Kommission hat sie eigens umbauen lassen. Neuerdings schläft die Deutsche dort gleich daneben, in einem 16 Quadratmeter großen Raum.

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Brüssel, 6. März – Panik, Chaos und jeder ist sich selbst der Nächste

Erneut treffen die EU-Gesundheitsminister zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, und alles ist anders als vor drei Wochen. Gab es damals 44 Fälle in ganz Europa, zählt allein Österreich an diesem Tag 47. Und trotzdem klingt der Ratsvorsitzende, Kroatiens Gesundheitsminister Beroš, ehrlich überrascht über das, was in der Zwischenzeit in Europa geschehen ist. Er wirkt dabei wie ein Feuerwehrmann, der zu seinem ersten Brand ausrückt, ein Strohfeuer sieht und sich verwirrt die Augen reibt, als er begreift, dass daraus ein Flächenbrand werden kann.

Auch Gesundheitsminister Anschober scheint noch nicht an einen „Shutdown“ zu denken. In die Kameras sagt er, die jetzige „Situation so erwartet“ zu haben, und führt aus, dass ihn die Lage „in Südkorea, besonders aber im Iran mit Sorge erfüllt“, Europas weitere Ausbreitung werde sich daran entscheiden, „ob es gelingt, in Italien eine Eingrenzung zu erreichen.“ Für Österreich spricht er im Fall eines „worst cases” von einem „Plan B und C, auch wenn ich davon überzeugt bin, dass wir das nicht brauchen werden”.

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In den ersten EU-Hauptstädten macht sich derweil Panik breit. Frankreich hat seit der letzten Ratssitzung seine Gesundheitsministerin ausgetauscht. Präsident Emmanuel Macron, der bald martialisch vom „Krieg gegen das Virus“ sprechen wird, ist zuvor doch das eigene politische Hemd näher: Er zog seine Ministerin ab, damit sie ihn bei den Regionalwahlen Paris rettet, nachdem der ursprüngliche Kandidat dort in einen Sex-Skandal verwickelt war. „Ich weinte, als ich das Ministerium verlassen musste“, gesteht die Ex-Ministerin Agnès Buzyn später in „Le Monde“, „weil ich wusste, dass ein Tsunami bevorsteht.“ Sie schildert, dass ihr als Ärztin die Bedrohung durch das Virus bewusst war, sie auch intern davor gewarnt habe, doch damit im Élysée-Palast abgeprallt sei. Ihr Nachfolger realisiert wie vieler seiner Kollegen erst in diesen Tagen, dass die Bestände an Masken und Schutzausrüstung nicht ausreichen werden, China der Hauptproduzent ist und sich der Weltmarkt für das Material im Goldgräber-Modus befindet. Eilig lässt er zumindest die im Land vorhandenen Bestände unter staatliche Kontrolle stellen. Deutschland wiederum verhängt ein euphemistisch als Genehmigungspflicht bezeichnetes Exportverbot für medizinische Güter und Schutzausrüstung.

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Unabgesprochen beschließen die EU-Staaten, ihre Binnengrenzen zu schließen

Die beiden größten EU-Staaten, in denen sich, abseits von Asien, noch einigermaßen große Produktionsstätten für das begehrte Material befinden, schotten sich ab und setzen damit einen Dominoeffekt in Gang. Die „Solidarität mit dem italienischen Volk“, von der Deutschlands Gesundheitsminister Jens Spahn an diesem Tag in Brüssel spricht, ist nicht einmal mehr ein Lippenbekenntnis. Noch bevor die neue Prämisse des „Social Distancing“ in Kraft tritt, distanzieren sich die EU-Staaten bereits voneinander.

Nach Wochen der kollektiven Gelassenheit gegenüber dem Virus und dem Preisen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten gilt bei dessen Ausbruch nur noch eine Devise: Rette sich, wer kann. Bald darauf brechen die EU-Staaten das nächste Tabu, das sie an diesem Tag noch wortreich als „ausgeschlossen“ erachten: Sie schließen eigenmächtig die Binnengrenzen im Schengen-Raum und lassen der Reihe nach und ohne jede Abstimmung die Schlagbäume herunter: Tausende Menschen stranden, Zulieferkreisläufe zerbrechen. Die EU-Kommission mit von der Leyens Krisenstab ist zum bloßen Beobachter geschrumpft, ein Statist, den man in die Ecke gestellt hat.

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Brüssel, 16. März – Schuldzuweisungen, Entschuldigungen und ein Geständnis

Sieben Wochen, nachdem Chinas Zentralmacht die Provinz Hubei abgeriegelt hat, wacht auch Europa in einer neuen Realität auf. In Österreich ist es der Tag, an dem das Land „heruntergefahren“ wird, Nachbarländer wie Tschechien, die Slowakei und Ungarn haben ihre Grenzen bereits zuvor geschlossen, Schulen gesperrt und den Ausnahmezustand verhängt. Als Ursula von der Leyen im abgeriegelten Brüssel vor die Kameras tritt, um das Schließen der EU-Außengrenzen zu verkünden, wirkt das nur noch wie ein Formalakt, nachdem viele EU-Staaten eigenmächtig Fakten geschaffen haben. Welche Blüten das treibt, zeigt sich etwa an der deutschen Grenze, wo in Lkws von Österreich bereits bezahlte Schutzmasken festhängen. Kanzler Sebastian Kurz spricht daraufhin von einer „kritischen Diskussion“, die sich „die EU nach dem Ende der Corona-Krise“ deswegen gefallen lassen wird müssen. Europaministerin Edtstadler stimmt zu und sagt, „dass die Prozesse und bürokratischen Rahmenbedingungen der EU nicht auf eine Krise ausgelegt sind und zu langsam reagieren.“

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Wen meint Kurz, wenn er sagt, die EU war zu langsam?
EU-Krisenkommissar Janez Lenarčič

In Brüssel sorgen solche Aussagen für Verwunderung: „Wenn er sagt, die EU war zu langsam, stellt sich die Frage, wen er damit genau meint“, stellt Krisenkommissar Lenarčič fest, „die Kommission aktivierte am 29. Jänner den Krisenmechanismus und forderte die Mitgliedstaaten auf, sich vorzubereiten, doch niemand hörte darauf.“ Europa zählt an diesem Tag 180.159 Infizierte und hat 2.740 Tote zu beklagen. Kommissionspräsidentin von der Leyen wird sich bald darauf bei Italien dafür entschuldigen, dass es von der EU im Stich gelassen wurde. Sie gesteht ein, das Coronavirus „unterschätzt“ zu haben, und bleibt damit die einzige führende Politikerin, die öffentlich zu dieser Erkenntnis gelangt. 

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