Am Sonntag erschien in der Kronen Zeitung ein Interview. Ob wir alle bald mit Masken herumlaufen werden, wollte der Fragesteller vom Gesundheitsminister wissen.
„Ich glaube nicht“, sagte Rudolf Anschober (Die Grünen). „Aber wir werden in einzelnen Zielgruppen testen, wie groß das Risiko einer Erkrankung ist, manche werden dann mit Masken ausgestattet. Eine flächendeckende Ausstattung hat aus meiner Sicht keinen Sinn. Für das Alltagsleben ist das nicht erforderlich.“
Nur einen Tag darauf ist alles anders. Bei einer Pressekonferenz am Montagvormittag verkündet Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass ab Mittwoch jeder eine Maske aufsetzen solle, der einen Supermarkt betritt. Nicht nur das: „Die Zielsetzung ist, diese Masken nicht nur im Supermarkt, sondern auch darüber hinaus zu tragen.“
Es ist eine weitere Wendung in der zunehmend verwirrenden Kommunikation der türkis-grünen Regierung zur Frage, ob alle Österreicher, sobald sie das Haus verlassen, Masken tragen sollen oder ob dies nur medizinischem Personal vorbehalten bleiben wird. Bislang sprachen sich österreichische Politiker und Behörden strikt dagegen aus. Sonst drohe ein Engpass.
Nun die Kehrtwende. Bei ihrer Pressekonferenz am Montagvormittag stellte die Regierung deswegen klar: Maske ist nicht gleich Maske. Wer im medizinischen Bereich arbeitet, benötige höhere Schutzklassen (die Kategorisierungen lauten FFP1, FFP2, FFP3). Der von der Regierung vorerst für den Supermarkteinkauf verpflichtende „Mund-Nase-Schutz“ gleicht hingegen einer OP-Maske. Diese schützt den Träger nicht vor einer Infektion, kann aber verhindern, dass dieser andere ansteckt.
FFP steht für „Filtering Face Piece“ und stellt eine Herstellernorm dar. FFP-Atemschutzmasken werden in drei Kategorien hergestellt, die niedrigste (1) bietet am wenigsten Schutz vor Schadpartikeln in der Luft. Die höchste (3) ist am dichtesten und schützt zu 99 Prozent vor Viren. Allerdings muss eine FFP3-Maske eng am Gesicht anliegen und erschwert das Atmen. Medizinisches Personal, das sich über einen gewissen Zeitraum und nahe um infizierten Personen kümmert, muss FFP3-Masken tragen.
Inwiefern dafür ein medizinisches verifiziertes Produkt nötig ist, blieb vorerst unklar: Einerseits will die Regierung eigens angeschaffte Masken verteilen, andererseits sollen laut Kronen Zeitung auch selbstgebastelte Masken in Supermärkten erlaubt sein. Kanzler Kurz sagte, dass er selbst noch nicht wisse, ob die Regierung bis Mittwoch genügend Masken für ihr eigenes Vorhaben auf Lager haben kann.
Addendum-Recherchen haben indes ergeben: Die Regierung hatte in der vergangenen Woche mindestens 32 Millionen Stück OP-Masken bestellt. Von diesen dürften aber erst zwei Millionen eingetroffen sein, 30 Millionen Stück werden erst in der ersten Mai-Woche erwartet. Ein Stück kostet den Staat 50 Cent.
Das geht aus einer Liste hervor, die Gesundheitsminister Rudolf Anschober bei einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag einige Sekunden lang in die Kameras hielt.
Auf dem Fernsehbildschirm war der Text auf Anschobers Liste zu klein, um ihn zu lesen. Auf einem Foto lässt sich jedoch erkennen, was die österreichische Regierung auf der gesamten Welt bestellt hat und wann die Lieferungen erwartet werden. Addendum hat die darauf zu sehenden Bestellungen nach medizinischen Gütern zusammengefasst.
Während einige Bestellungen laut Plan bereits eingetroffen sein müssten, ist neben anderen ein späteres Lieferdatum eingetragen. Dazu gehören auch jene 30 Millionen OP-Masken, die beim Gesundheitsartikelhersteller Lohmann geordert wurden. Sie dürften in Kalenderwoche 19 eintreffen, die am 4. Mai beginnt. Zwei Millionen Stück OP-Masken sollen laut Anschobers Liste diese Woche ankommen.
Ab Mittwoch sind Supermärkte dazu verpflichtet, Schutzmasken anzubieten, sofern die Lieferkapazitäten das zulassen. Kosten entstehen für die Kunden keine, diese müssen vorerst von den Supermärkten getragen werden. Unklar ist derzeit noch, ob auch Bäcker oder Fleischer von der Maskenpflicht betroffen sind
Aus Dokumenten des Innenministeriums, die Addendum zugespielt wurden, geht hervor, dass der Krisenstab der Regierung von einem unmittelbaren Bedarf von 57 Millionen Masken aller Typen ausgeht. Nach den in der Vorwoche getätigten Bestellungen ergäbe sich laut dem Papier eine Lücke von 3,5 Millionen Stück, die noch fehlen. Das deckt sich mit der Summe aller Masken, die laut Anschobers Liste bereits bestellt wurden. Wer die dortigen Maskenbestellungen zusammenzählt, kommt auf rund 53,5 Millionen Stück.
Die zweitgrößte Bestellung nach den OP-Masken betrifft 20 Millionen FFP2-Masken ohne Ventil des Südtiroler Unternehmens Oberalp, zu dem auch der Sporthersteller Salewa gehört. Die ersten Chargen sind bereits eingetroffen. Sie sind hochwertiger, teurer und wohl medizinischem Personal vorbehalten – zur Verteilung vor dem Supermarkt eignen sie sich kaum.
Addendum fragte bereits vergangene Woche im Gesundheitsministerium nach, wie viel Schutzkleidung in Österreich lagert, wie viel noch bis wann bestellt werden muss und wie hoch der Bedarf pro Monat eingeschätzt wird. „Vonseiten des Krisenstabs im BMSGPK werden laufend Bestand und Bedarf erhoben, der als Grundlage für die Beschaffungsvorgänge dient“, hieß es dazu aus dem Ministerium. „Die Datenerhebungen über die Bundesländer und die Sozialversicherung berücksichtigt lagernden Bestand, bereits erfolgte Bestellungen und den (voraussichtlichen) monatlichen Bedarf. Da hierzu laufend Aktualisierungen vorgenommen werden, können keine konkreten Zahlen übermittelt werden.“
Schwierig dürfte es derzeit sein, Beatmungsgeräte zu bestellen: Zwar gibt es laut Gesundheitsministerium rund 1.300 Respiratoren in ganz Österreich, das sei mehr als nach den bisherigen Krisenplänen notwendig. Dennoch wolle man nachbestellen. Von insgesamt 210 zusätzlich georderten Beatmungsgeräten sollen 60 Stück im April oder Mai eintreffen, weitere 100 erst Ende Mai und die restlichen 50 noch einen Monat später. Gehofft hatte die Regierung offenbar auf deutlich mehr: In der aktuellen Ausgabe des deutschen Wochenmagazins Der Spiegel schildert der Chef des deutschen Herstellers Dräger, dass Sebastian Kurz ihn persönlich angerufen habe, um 1.000 Beatmungsgeräte zu bestellen. Er habe ihm 50 zugesagt. Eine Bestellung, die auf Anschobers Liste mit einer Liefererwartung für Juni vermerkt ist.
Weil der Weltmarkt für medizinische Güter derzeit chaotisch und unberechenbar geworden ist, stellen österreichische Unternehmen bereits auf die Maskenproduktion um. Einfache OP-Masken dürften sie schnell herstellen können, doch für komplexere FFP2- und FFP3-Masken fehlen Teile. Wie viel die heimischen Ersatzfabriken beitragen können, ist noch unklar.
„Wir sind das erste westeuropäische Land, das auf Masken setzt“, sagte Sebastian Kurz bei der Pressekonferenz. Im westlich von Wien gelegenen Prag sind sie hingegen Alltag. Die tschechische Regierung beschloss bereits vor zwölf Tagen, dass Bürger verpflichtend eine Mund-Nasen-Maske tragen müssen, sobald sie das Haus verlassen. Die seither vergangene Zeit wurde dort genutzt, um mit Transportflugzeugen der Armee aus China große Mengen an Masken zu beschaffen. Parallel gingen viele Tschechen dazu über, sich auch welche selbst zu nähen.
Die WHO hingegen sieht im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus keinen Nutzen im allgemeinen Mundschutztragen. Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass damit etwas gewonnen wäre, sagte der WHO-Nothilfedirektor Michael Ryan am Montag in Genf. Vielmehr gebe es zusätzliche Risiken, wenn Menschen die Masken falsch abnehmen und sich dabei womöglich infizieren. „Unser Rat: Wir raten davon ab, Mundschutz zu tragen, wenn man nicht selbst krank ist”, sagte Ryan.
Die Österreicher scheinen mit anderem beschäftigt: Die Google-Suchen nach dem Begriff „Atemschutzmaske” stiegen in den Stunden nach Verlautbarung der Regierung rapide an.