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Ein Medikament aus Wien, das Leben retten könnte
22. März 2020 Coronavirus Lesezeit 9 min
Auf der ganzen Welt wird mit Hochdruck an einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus geforscht. In Wien arbeitet eine kleine Biotech-Firma an der Entwicklung eines Medikaments, das bereits Erkrankten helfen soll.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 22 einer 106-teiligen Recherche.
Bild: Hertha Produziert

Der 16. März 2020 ist ein geschichtsträchtiger Tag. Um die Coronakrise zu bewältigen, treten in Österreich radikale Maßnahmen in Kraft, die das Leben der Menschen massiv einschränken. Ebenfalls an diesem Montag wird in Österreich erstmals die Marke der eintausend „Corona“-Infizierten durchbrochen. Und während sich die Pandemie weltweit immer weiter ausbreitet, wird in Seattle am 16. März ein Durchbruch bekannt gegeben.

Die zum US-Gesundheitsministerium gehörenden National Institutes of Health (NIH) berichten, dass ein möglicher COVID-19-Impfstoff erstmals an einem Freiwilligen getestet wurde. Der Impfstoff mit der Bezeichnung „mRNA-1273“ wird gemeinsam mit dem privaten Biotechnologie-Unternehmen Moderna entwickelt, die Testphase habe in Rekordzeit gestartet werden können, meldet das NIH. 45 gesunde, freiwillige Teilnehmer sollen den Wirkstoff in den kommenden Wochen ebenfalls verabreicht bekommen. Ein durchaus riskantes Unterfangen.

Auch in Österreich wird Geld in die Hand genommen, um die Forschung voranzutreiben. In einer Pressekonferenz am 21. März riefen Umweltministerin Leonore Gewessler, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann gemeinsam dazu auf, vielversprechende Forschungsprojekte im Kampf gegen Corona einzureichen. An dem Aufruf sollen sich österreichische Wissenschaftler und Pharmaunternehmen beteiligen, insgesamt 22 Millionen Euro will die Bundesregierung investieren.

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Globales Wettrennen um Impfstoffe

Rund um die Welt ist ein Wettrennen um Wirkstoffe entstanden, die der Ausbreitung von SARS-CoV-2 Einhalt gebieten könnten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO listet derzeit 41 mögliche Impfstoffkandidaten, die in Projekten von Firmen und Universitäten auf der ganzen Welt entwickelt werden. Darüber hinaus wird auch an Wirkstoffen geforscht, die Patienten helfen könnten, die bereits an COVID-19 erkrankt sind.

Der Weg eines Wirkstoffs vom Labor in die Apotheken ist ein komplexer Prozess, der sich in der Regel über Jahre hinzieht und finanzielle Ressourcen in Millionenhöhe verschlingt. Nach Versuchen im Labor und an Tieren muss jeder Wirkstoff in drei Phasen am Menschen getestet werden.

Davor, währenddessen und danach gibt es zahlreiche Überprüfungen durch eine Ethikkommission und die zuständigen Behörden. Dieser vielschichtige Prozess soll nun in einem „beschleunigten Zulassungsverfahren“ massiv verkürzt werden.

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Markus Zeitlinger
Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien am Wiener AKH
Er hält mehrere Funktionen bei nationalen und internationalen Fachgesellschaften und ist Reviewer und Editor internationaler Fachjournale. Markus Zeitlinger hält bei mehr als 200 Publikationen in peer-reviewed Journals.

Jemand, der sehr genau weiß, welche Hoffnungen und Risiken dieser Schritt birgt, ist Markus Zeitlinger. Er leitet die Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Meduni Wien, an der regelmäßig sogenannte „First In Man“, also Phase-1-Studien durchgeführt werden. Im Wettlauf gegen COVID-19 kursieren Gerüchte, dass Menschen experimentelle Wirkstoffe verabreicht werden, die noch nicht an Tieren getestet wurden.

„Bei uns wäre das unmöglich“, sagt Zeitlinger am Telefon. „Wir unterliegen der „Declaration of Helsinki“, und die besagt immer noch: Der Proband, der vor mir sitzt, ist im Rahmen der klinischen Studie das Wichtigste. Ich kann hier kein inakzeptables Risiko für das Individuum eingehen, ganz egal, wie groß der Benefit für die Gesellschaft wäre.“

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Eine mögliche Gefahr: In früheren Studien am SARS-Erreger – bei dem es sich ebenfalls um ein Coronavirus handelt – kam es bei Mäusen zu einer Immunverstärkung. Das bedeutet, dass sie noch anfälliger für eine Infektion gemacht wurden, anstatt davor geschützt zu werden. Ein Albtraumszenario für die Forscher in Seattle.

Eine positive Nachricht hat Zeitlinger dennoch: „Sobald das Medikament unter akzeptablen Risiken Menschen gegeben werden kann, gibt es aber durchaus bei EMA und FDA (der Europäischen bzw. US-Zulassungsbehörde) Mechanismen, die bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, für die bislang keine Heilung verfügbar ist, eine schnellere Zulassung ermöglichen. Hierbei können theoretisch viele Monate gespart werden. Auch Ethikkommission und Behörden haben sich bereits darauf eingestellt, Studien am Menschen zu COVID-19 so unbürokratisch wie möglich zu bewilligen.“

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Ein Impfstoff in wenigen Wochen

Die Firma Moderna in den USA ist nun jedenfalls am Anfang einer klinischen Studie, die möglicherweise zu einem Impfstoff gegen das hochansteckende Virus führen könnte. Aber auch bei aller Eile, mit der nun gearbeitet wird, verweist Moderna immer wieder darauf, dass es selbst bei erfolgreich verlaufenden Tests noch mindestens ein Jahr dauern könnte, bis ein Impfstoff auf den Markt kommt.

Trotzdem kursieren immer wieder Meldungen, dass eine Immunisierung schon in wenigen Wochen auf dem Markt sein könnte. „Ich sehe das sehr kritisch“, sagt Markus Zeitlinger. Es fehle an klaren Informationen. Wenn es aber tatsächlich so sei, dass die US-amerikanische Firma tatsächlich ein sehr weit entwickeltes Produkt hatte, bei dem nur noch eine kleine Modifizierung notwendig war, dann sei es schon möglich, dass es einen gewissen Vorsprung gäbe.

Aber selbst wenn dem so wäre, bezweifelt Zeitlinger, dass es sehr schnell gehen könnte. Impfungen funktionieren nach dem Prinzip, dass abgetötete oder abgeschwächte Erreger verabreicht werden, gegen die das Immunsystem Abwehrkräfte und Gedächtniszellen bildet, die dann sehr rasch auch gegen lebendige Viren aktiv werden können. Damit die richtige Immunantwort erfolgt, sei ein „gewisses Herumspielen“ mit den Bestandteilen des Impfstoffs nötig, erklärt Zeitlinger, und das brauche Zeit.

„Und was man natürlich auch überhaupt nicht weiß: Wie lange und wie oft muss ich das geben? Muss ich das einmal geben, muss ich das nach zwei Wochen noch mal boosten, muss ich das nach vier Wochen nochmal boosten? Und dieser Prozess kann sehr variabel lang dauern. Wenn man sich überlegt, wie lange es gedauert hat, für andere Erkrankungen einen Impfstoff zu entwickeln oder es bis heute noch gar nicht gelungen ist, kann sich das also auch sehr lange ziehen.“

Der Entwicklungsprozess könnte also noch Monate oder gar Jahre dauern.

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Bernhard Fischer
Biotechnologie-Experte und Pharmaunternehmer
Bernhard Fischer hat 25 Jahre Berufserfahrung bei namhaften, international tätigen Biotechnologie- und Pharmaunternhemen in Deutschland, Großbritannien, Österreich und Frankreich. Darüber hinaus ist er Spezialist auf dem Gebiet der translationalen biotechnologie-basierten Arzneimittelentwicklung. Außerdem ist Fischer Universitätsdozent auf den Gebieten der Proteinchemie und der pharmazeutischen Arzneimittelentwicklung. Er ist Mitbegründer von drei Life-Science-Unternehmen und Gründer der „Biotechnology Consulting“, einer Beratungsfirma.

Ein Medikament aus Wien

Aber nicht nur Impfstoffe werden momentan unter Hochdruck entwickelt. Die Forschung konzentriert sich ebenso auf Wirkstoffe, die lebensrettend sein können, wenn COVID-19 bereits ausgebrochen ist. Hier kommt eine kleine Firma mit Sitz in Wien ins Spiel. Apeptico wurde von Bernhard Fischer gegründet, der zunächst als Unternehmensberater für den biomedizinischen Bereich und als Universitätsdozent tätig war. Vor zehn Jahren wurde ihm von der Innovationsagentur Wien ein Forschungsbericht einer österreichischen Universität zur Einschätzung vorgelegt. „Den habe ich gelesen, und dann habe ich den Forschern dort gesagt: ‚Aufgrund meiner Erfahrung sage ich euch, da könnt ihr doch mehr draus machen als nur eine wissenschaftliche Publikation. Da könnt ihr doch aus eurer Entdeckung vielleicht ein Medikament machen.‘ Und so ist es gekommen, so wurde die Firma Apeptico Forschungs Entwicklung GmbH in Wien gegründet.“

Diese Firma besteht aus nur vier Mitarbeitern in Wien, sitzt aber im Zentrum eines Netzwerks, das über Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen in mehreren europäischen Ländern funktioniert. Das Netzwerk forscht daran, aus Peptiden, kleinen Proteinen, Arzneimittel zu entwickeln.

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„Unser Fokus waren immer ganz spezielle Lungenerkrankungen, weil die Peptide, die wir entdeckt haben und weiterentwickelt haben, bestimmte Wirkungsmechanismen entfalten“, erklärt Fischer.

Bei diesen Lungenerkrankungen handelt es sich nicht um bekannte Erkrankungen wie Asthma oder COPD, sondern um akute, lebensbedrohliche Syndrome, die vor allem bei Unfällen und Verletzungen auftreten, beispielsweise durch eine Rauchgasvergiftung, das Einatmen von Wasser oder einer Sepsis. Ein Beispiel: Ein Patient hat einen Autounfall und schlägt mit dem Kopf auf. Dabei kann es passieren, dass er seinen eigenen Magensaft in die Lunge einatmet. Wenn das passiert, kann dieser Magensaft mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine starke Lungenfehlfunktion auslösen.

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Die Menschen sterben nicht an Corona, sondern an ARDS

Aber auch Krankheiten können dieses sogenannte Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) auslösen, beispielsweise eine Lungenentzündung. Diese wiederum kann auch durch ein Virus mit dem Namen SARS-CoV-2 entstehen. Oder, umgangssprachlich: Corona.

Die Menschen sterben nicht an Corona, sie sterben an ARDS, sagt Apeptico-Chef Bernhard Fischer. „Durch das Virus entzündet sich die Lunge, sie wird durchlässig, Flüssigkeit sickert ein, der Gasaustausch findet nicht mehr statt, die Lungenentzündung des Gewebes geht immer weiter voran. Dann nennt ein Mediziner ARDS. Wenn die Lunge nicht mehr funktioniert, dann setzt die Niere aus, dann setzt das Herz aus, setzt die Leber aus, und dann stirbt der Patient am Ende an Multiorganversagen.“

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Ein Modell des Peptids, das die Firma Alpeptico entdeckt und weiterentwickelt hat.

Das Ziel von Apeptico ist es nun, das von der Firma entdeckte und weiterentwickelte Peptid mit dem Namen Solnatide (INN) so rasch wie möglich in der klinischen Forschung voranzubringen und ein Arzneimittel daraus zu entwickeln.

Aktuell hat Apeptico die präklinische Phase, eine Phase-2-Studie in Patienten mit ARDS und eine Studie in Patienten nach Lungentransplantation erfolgreich abgeschlossen. Außerdem führt Apeptico eine Studie an ARDS-Patienten in Österreich und Deutschland durch. Es liegen also schon umfangreiche Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit für Solnatide in Patienten mit akutem Lungenversagen (ARDS) vor.

Zur Testung im Zusammenhang mit COVID-19 muss der Wirkstoff nun auch an solchen Patienten getestet werden.

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Hier kommt wiederum Markus Zeitlinger, Chef der Klinischen Pharmakologie der Meduni Wien ins Spiel. Auch seine Abteilung läuft im Notbetrieb, wer Arbeit von zu Hause aus erledigen kann, muss auch zu Hause bleiben.

Gleichzeitig ist zu erwarten, dass es im AKH immer mehr Coronapatienten geben wird, die Probanden sein könnten. Derzeit arbeitet Zeitlinger fieberhaft daran, alle Dokumente für die Solnatide-Studie vorzubereiten und eine Genehmigung von der Ethikkommission zu bekommen. Dabei ist das AKH momentan vor allem damit beschäftigt, systemkritische Infrastruktur am Laufen zu halten.

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„Machen Sie mal was draus!“

Man versuche bei diesen Studien sehr rasch vorzugehen, aber immer mit der Prämisse, mit möglichst hochqualitativem Design und Daten zu arbeiten.

„Sonst hat keiner was davon. Wenn ich einen Wirkstoff einfach drei Patienten gebe und die werden entweder gesund oder sterben, weiß ich nachher nichts. Ich brauche immer eine gewisse Qualität, ein gewisses Studiendesign, sonst sind die Daten wertlos.“

Etwa Anfang April, denkt Bernhard Fischer, wird die klinische Studie am AKH starten können. Vorbehaltlich der Genehmigung durch die zuständigen Behörden. Für Apeptico und das Team von Markus Zeitlinger sind das jedenfalls bewegte Zeiten. Schon nach Ausbruch der Krankheit in China hat Fischer beim Gesundheitsministerium gemeldet, erzählt er. Aber man habe ihn nicht einmal zurückgerufen. Schwung in die Sache kam erst im Februar, als die Europäische Kommission Wissenschaftler dazu aufrief, vielversprechende Entwicklungen einzureichen und in Aussicht stellte, diese bei Erfolgsaussicht zu fördern. Apeptico hat sich beteiligt und vor wenigen Tagen die Antwort erhalten: „Das gefällt uns sehr gut, machen Sie mal was draus“, wie es Bernhard Fischer zusammenfasst.

47,5 Millionen Euro stellt die EU nun für die Entwicklung von Wirkstoffen zur Bekämpfung der Pandemie bereit. Aus vielen Einreichungen wurden 17 vielversprechende aus der ganzen EU und darüber hinaus ausgewählt – das österreichische Projekt von Apeptico ist eines von denen, die einen Zuschlag erhalten haben.

Dieses „Machen Sie mal was draus!“ musste sich das kleine Unternehmen hart erkämpfen. Investoren wären eher an chronischen Krankheiten interessiert, sagt er. Dann könne man ein und demselben Patienten jahrelang das gleiche Medikament verabreichen und an ihm verdienen. Österreichische Investoren habe er keine gefunden, dafür letztlich welche in der Schweiz und in Deutschland, außerdem sei seine Firma von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft unterstützt worden. Nach zehn Jahren Vorarbeit könnte sich der langwierige Prozess der Entwicklung nun lohnen. Und viele Menschenleben retten. Vorausgesetzt, die klinischen Versuche gehen so aus, wie alle Beteiligten sich das erhoffen.

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Frühestens 2021

In Kürze sollen also am Wiener AKH die ersten Versuche mit einem möglicherweise lebensrettenden Medikament starten. Zwanzig Patienten sollen das neue Medikament bekommen, zwanzig bekommen ein Placebo, ansonsten aber weiterhin die bestmögliche Versorgung. Das sei ethisch absolut vertretbar, sagt Zeitlinger. Man wisse ja nicht, ob das neue Medikament Coronapatienten helfen oder ihren Zustand nicht sogar noch verschlechtern würde.

In Seattle wird unterdessen an einem Impfstoff geforscht. Wenn sich alles entwickelt wie gewünscht, könnte er ab 2021 zur Verfügung stehen. Angesichts der dramatischen Infektionsraten eine lange Zeit.

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Welche Medikamente zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden

In der aktuell sich ausbreitenden Pandemie kommen verschiedene Medikamente zur Behandlung bereits erkrankter Menschen zum Einsatz. Wie wirksam sie sind, dafür fehlt bisher eine starke wissenschaftliche Evidenz durch klinische Studien. Bei den Medikamenten handelt es sich u.a. um Präparate, die in der Behandlung von HIV-Infektionen, bei Ebola-, Influenza- oder früher bei Malaria- oder Hepatitis C-Erkrankungen eingesetzt werden und wurden. Die Wiener Biotech-Firma des Genetikers Josef Penninger plant Tests mit einem Enzym, das das Virus blockieren und so vor Lungenversagen schützen soll. In den USA und auch in China laufen bereits erste Studien mit möglichen Impfstoffkandidaten. 

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