Die Polizei soll Verbrechen untersuchen und keine Krankheiten, so lautet der Tenor der Oppositionsparteien zu jener Änderung des Epidemiegesetzes, die von den Regierungsparteien ÖVP und Grüne im Schnellverfahren durchs Parlament gebracht werden soll. Ihr Plan: Exekutivbeamte sollen Personen befragen, die sich mit COVID-19 angesteckt haben oder angesteckt haben könnten. Auf diese Weise sollen Cluster und Infektionsketten schneller als bisher aufgespürt werden, bevor weitere Menschen angesteckt werden.
Die Polizei, das ist für die meisten Menschen der Staat schlechthin. Dabei handelt sie in den wenigsten Fällen selbst als Behörde, oft unterstützt sie mit ihrem Einschreiten nur andere. Sie ist ein sogenanntes Hilfsorgan – für Gerichte, Bezirkshauptmannschaften und andere Institutionen.
Wenn im Behördenalltag Zwang ausgeübt werden muss, ruft man die Polizei. Damit diese eingreifen kann, wird sie dazu in vielen Bundes- und Landesgesetzen ermächtigt. Die Liste der Mitwirkungspflichten ist lang: So hilft die Polizei den zuständigen Behörden bei der Überprüfung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in Kärnten, der Kontrolle von Saatgut, der Verhinderung der Ausbreitung von gentechnisch veränderten Organismen in Tirol, der Sicherheit von Salzburger Höhlen, der Einhaltung der Regeln zur Mülltrennung in der Steiermark, der Kontrolle von Tiroler Heizungsanlagen, dem Schutz von steirischen Bäumen, der Überprüfung von Weinkellern, der Kontrolle der Reinrassigkeit von Bienenvölkern in Kärnten oder beim Schutz des Ortsbilds in Tirol.
Die Polizei führt auch Kontrollen für den Gesundheitsminister durch, etwa beim Rauchverbot in Fahrzeugen. Meist geht es darum, vorgeschriebene Überprüfungen notfalls mit Zwangsgewalt durchzusetzen. Polizisten stehen zum Beispiel daneben, während der Rauchfangkehrer die Heizung eines renitenten Hausbesitzers feuerpolizeilich in Beschau nimmt.
Die Rolle, die die Polizei nach der nun geplanten Änderung des Epidemiegesetzes einnehmen soll, ist im Vergleich dazu eher ungewöhnlich. Zwar wird sie auch dabei als Hilfsorgan der Gesundheitsbehörden tätig, allerdings soll sie nicht nur mit Zwang durchsetzen, sondern wie bei kriminalpolizeilichen Ermittlungen selbst Erhebungen durchführen. Die Opposition sieht eine Anzeigenflut heraufziehen. Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres befürchtet, die Polizisten könnten nicht nur Symptome erheben, sondern diese auch einem Krankheitsbild zuordnen. Im Gesetzesentwurf steht davon freilich nichts.
Der Rechtsschutz wird ebenso wenig ausgehöhlt. Auch im Verwaltungsverfahren zur Ermittlung von Infektionsketten gelten Entschlagungs- und Aussageverweigerungsrechte. Ein Journalist, der sich infiziert hat, muss seine beruflichen Kontaktpersonen nicht preisgeben.
Völlig neu ist die nun vorgelegte Regelung außerdem nicht. Sie findet sich in abgewandelter Form seit Jahren im Tuberkulosegesetz. Es soll die Ansteckung mit der gefährlichen Lungenkrankheit hintanhalten und verpflichtet die Betroffenen, „alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen“. Auch da hat die Polizei die Gesundheitsbehörde „bei der Ausübung ihrer … Aufgaben“ zu unterstützen. Davon ist ausdrücklich auch jene Bestimmung erfasst, die die Erhebung von Infektionsquellen und die Befragung von Betroffenen regelt.
Die Strafen, die nach dem Tuberkulosegesetz drohen, sind außerdem wesentlich höher als jene nach dem Epidemiegesetz: Wer als COVID-19-Verdachtsfall bei einer Befragung zu seinen persönlichen Kontakten die Auskunft verweigert oder darüber lügt, muss mit einer Geldstrafe von bis zu 1.450 Euro (vormals 20.000 Schilling) rechnen, bei Tuberkuloseverdacht liegt der Strafrahmen bei bis zu 5.000 Euro, im Wiederholungsfall gar bei 10.000 Euro.
Nach dem Wortlaut der Novelle soll die Polizei nur „auf Ersuchen der nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden“ tätig werden. Verdachtsfälle kann die Polizei, wie schon bisher, aber auch selbstständig den Gesundheitsbehörden melden. Auch in Zukunft wird letztlich vieles von der Verwaltungspraxis abhängen.
Die Gründe, warum die Regierungsmehrheit im Nationalrat nun eine ähnliche, um datenschutzrechtliche Aspekte ergänzte, Regelung für das Epidemiegesetz anstrebt, können vielfältig sein: Einerseits stellt die Polizei, wie das Bundesheer, eine Personalreserve dar, die man relativ einfach bundesweit mobilisieren kann. Das Argument der Regierung, dass die Polizei Erfahrung bei der Befragung von Menschen hat, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Landessanitätsdirektionen, Bezirkshauptmannschaften und Magistrate sind als Gesundheitsbehörden personell nicht für die massenhafte Clusternachverfolgung ausgestattet. Das zusätzlich benötigte qualifizierte Personal ist nur schwer zu finden, könnte nur kurzfristig aufgenommen und müsste am Ende der Krise wieder gekündigt zu werden.
Der Einsatz der Polizei soll zudem sicherstellen, dass die Befragungen zeitnah durchgeführt werden können und sich nicht aufgrund von Engpässen bei den Bezirksverwaltungsbehörden aufstauen. Bei der Ermittlung von SARS-CoV-2-Infektionsketten sollen auch Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR) getätigt werden dürfen. Dass das ZMR nach wie vor unvollständig ist und Abfragen aus den zuvor angelegten Melderegistern der Gemeinden vom Gesetz nicht vorgesehen sind, könnte jedoch zu Verzögerungen führen.
Die Einvernahme durch uniformierte Beamte hat einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Effekt. Dass eine Polizeibefragung auf Betroffene zusätzlichen Eindruck machen und deren Kooperationsbereitschaft erhöhen könnte, mag daher ebenso zu dieser Gesetzesänderung beigetragen haben wie ein weiterer Faktor: Die Bundespolizei untersteht schließlich dem ÖVP-geführten Innenministerium, das sich so neben dem grünen Gesundheitsressort mit seinem Beitrag zur Virusbekämpfung profilieren kann.