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Für wen Corona noch nicht vorbei ist
9. Juni 2020 Coronavirus 10 min
Viel wurde in der Corona-Pandemie über jene Menschen gesprochen, die bei einer COVID-19 Erkrankung besonders gefährdet sind, einen schweren oder sogar tödlichen Verlauf zu haben. Wir haben mit ihnen gesprochen. Über den Lockdown und die Rückkehr zur Normalität.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 91 einer 106-teiligen Recherche.

Thomas P. ist 36 Jahre alt, von Geburt an leidet er an der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose, eine derzeit unheilbare schwere Erkrankung, die vor allem die Lunge in ihrer Funktion beeinträchtigt. Als Folgeerkrankung ist bei ihm zusätzlich Diabetes aufgetreten, wodurch er doppelt zur Risikogruppe zu zählen ist. Thomas P. hat großen Respekt vor COVID-19, die großen Schritte in Richtung Lockerung empfindet er als zu schnell. Nach zwölf Wochen Quarantäne in den eigenen vier Wänden hat er zwar seinen Radius bis zum Müllraum und dem Postkasten erweitert, Geschäfte oder größere Menschenansammlungen sind für ihn allerdings weiterhin potenziell gefährliche Orte. Vorerst bleibt er bis Ende Juni im Homeoffice, Urlaub in Österreich oder gar im Ausland haben er und seine Frau für dieses Jahr bereits ausgeschlossen.

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Rund 90.000 Menschen betroffen

Thomas P. ist mit seiner Situation nicht alleine, laut Gesundheitsministerium leiden rund 90.000 Menschen an einer Krankheit, die bei COVID-19 zu einem schweren Verlauf führen kann. Der Sozialversicherungsverband hat im Mai auf der Basis von Medikamentendaten insgesamt 37.570 Patienten kontaktiert, um sie auf ihr erhöhtes Risiko aufmerksam zu machen. Mit diesem Schreiben konnten Betroffene ab 7. Mai ein Attest von ihrem Arzt anfordern und sind damit vorerst bis Ende Juni berechtigt, eine bezahlte Dienstfreistellung in Anspruch zu nehmen, sofern keine besonderen Schutzvorkehrungen oder Homeoffice möglich sind. Insgesamt geht man in Österreich allerdings von etwa 90.000 Betroffenen aus, denn nicht jeder konnte durch die Medikamentendaten erfasst werden. Wer etwa im Spital eine Chemotherapie bekommt, erhält kein Rezept und scheint daher beim Sozialversicherungsverband nicht auf. Letztendlich hat der behandelnde Arzt entschieden, ob ein Patient der Risikogruppe angehört oder nicht.

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Krebsdiagnose im Shutdown 

David S. hat gar kein Attest gebraucht. Kurz vor dem Lockdown wurde bei ihm ein bösartiger Tumor entdeckt, und er war im Krankenstand. Derzeit geht er täglich zur Strahlentherapie. Im Falle einer Ansteckung mit COVID-19 wäre seine dringende Therapie gestoppt worden, denn der aktuelle Kampf gegen eine Ausbreitung in der Bevölkerung würde im Vordergrund stehen, hieß es seitens des Krankenhauses. David S. beschreibt gegenüber Addendum seine Situation:

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„Ich hatte sehr rasch einen Operationstermin in der ersten Woche des Lockdowns. Das bedeutete, dass ich isoliert und ohne Besuchsmöglichkeiten im Spital lag, um zunächst auf die OP und dann auf die histologischen Ergebnisse zu warten. Während meines fünftägigen Spitalsaufenthalts wurde die Station, auf der ich lag, gesperrt. Ich musste meine Sachen in frisch operiertem Zustand selbst von dieser auf eine andere Station tragen. Nachträglich wurde mir erklärt, dass ich mit meinem frühen Termin Glück gehabt hätte, schon in der Folgewoche wäre alles noch viel schwerer organisierbar gewesen. Ob sich auch die Diagnose um wertvolle Wochen oder Monate verschoben hätte, weiß niemand.“

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Was es bedeutet, während des Shutdowns nicht behandelt zu werden, hat Brigitte Novoszel erfahren. Sie ist 70 Jahre alt und hat wochenlang unter schweren Schmerzen gelitten. Fast bewegungsunfähig fühlte sie sich zu Hause eingesperrt, nachdem ihre operierte Hüfte große Probleme verursachte und sie befürchtete, dass die Hüftprothese brechen könnte. Im LKH Salzburg sagte man ihr Mitte Mai, nach vier Wochen Akutschmerz, dass eine Operation zwar dringend wäre, jedoch zuvor noch 200 OPs ausständig wären, wodurch ein Termin frühestens Mitte Juni möglich wäre.

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Wenn du über 65 bist, bleib zu Hause

Mit 70 Jahren zählt Brigitte Novoszel ebenfalls zur Risikogruppe, denn ab 65 Jahren steigt die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf stark an. Über 90 Prozent der COVID-19 Todesfälle in Österreich waren älter als 65. Wobei die über 84-jährigen fast 40 Prozent der Verstorbenen ausmachen und damit das größte Risiko haben an COVID-19 zu sterben. Aus diesem Grund haben Maßnahmen für die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen nach wie vor hohe Priorität. Die Gefahr eines neuen Clusters ist groß. Markus Mattersberger, Präsident des Bundesverbandes Lebenswelt Heim, erzählt von einem Altenheim in der Steiermark, in dem nach dem ersten identifizierten Fall innerhalb kürzester Zeit 19 neue Fälle gezählt wurden, bevor man einschreiten konnte.

Derzeit ist die Zahl der Infektionszahlen unter Kontrolle, daher wurden am vierten Mai auch in Alten- und Pflegeheimen die Maßnahmen gelockert. So wurde etwa das Besuchsverbot aufgehoben, Begrüßungen mit Bussi oder Umarmungen gelten allerdings nach wie vor als Regelbruch. Letztlich ist es aber der jeweiligen Einrichtung vorbehalten, was erlaubt ist und was nicht, vorausgesetzt werden lediglich systematische Testungen und das Einhalten der Abstandsregeln. 

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