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Wieso der Kampf gegen die Spanische Grippe scheiterte
14. März 2020 Coronavirus Lesezeit 3 min
Während der Spanischen Grippe, die 1918 auch Österreich erfasste, wurden die Quarantänemaßnahmen zu spät eingeleitet. Ursachen waren die kriegsbedingte Mangelwirtschaft und eine noch zu wenig entwickelte Diagnostik.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 8 einer 106-teiligen Recherche.
Bild: National Library of Medicine | Science Photo Library

Die Spanische Grippe und das Coronavirus sind nicht vergleichbar, zumindest was ihre Gefährlichkeit betrifft. Erstere war ansteckender und wesentlich tödlicher. Allerdings stellten beide eine Herausforderung für das staatliche Krisenmanagement dar und wurden bzw. werden im Wesentlichen aufgrund derselben Rechtslage bekämpft.

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Patienten wurden teilweise in Baracken versorgt. Kansas (USA), 1918.

Eine Seuche in einem zerfallenden Staat

Der Ausbruch der Spanischen Grippe im Herbst 1918 traf das österreichische Gesundheitssystem zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Die Monarchie stand vor dem Kollaps. Der Erste Weltkrieg hatte nicht nur schwere Versorgungsmängel mit sich gebracht, sondern auch abertausende Verwundete produziert, die zum Teil im Hinterland versorgt werden mussten. Die Pandemie überforderte Ärzteschaft und Pflegepersonal zwangsläufig. Das Militär stellte zwar Fahrzeuge zum Krankentransport zur Verfügung, doch die Mittel reichten bei weitem nicht aus. Die meisten Todesopfer der Spanische Grippe gab es, anders als bei COVID-19, in der Altersgruppe der 15- bis 40-Jährigen. Die kriegsbedingte Mangelernährung trug das Ihre dazu bei. Der Stand der medizinischen Wissenschaft lag naturgemäß weit hinter dem heutigen. Die Ansteckungsursachen waren zunächst unbekannt, und herkömmliche Medikamente zeigten keine Wirkung. Der niederösterreichische Statthalter verordnete im Oktober 1918 verschiedene Hygienemaßnahmen. Unter anderem sollte in den „Verköstigungsanstalten“ täglich eine Stunde lang gelüftet werden, um die Verbreitung der Grippe hintanzuhalten.

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Warnhinweise aus 1918, nicht unähnlich den heutigen. Connecticut (USA).
Bild: National Library of Medicine | Science Photo Library
Rotkreuz-Mitarbeiter in Missouri (USA), 1918.
Bild: Library of Congress | Science Photo Library

Zu spät, zu wenig

Die zunächst noch getroffenen Quarantänemaßnahmen erwiesen sich als zu nachlässig. Nachdem die Grippe Ende September 1918 Wien erreicht hatte, gab das städtische Gesundheitsamt Anfang Oktober bekannt, dass Schulklassen, in denen es mehrere Krankheitsfälle gegeben hatte, für acht Tage gesperrt würden. Das konnte die Ausbreitung jedoch nicht stoppen. Schon am 5. Oktober waren 320 Schulklassen betroffen. Da die politische Führung der Monarchie mit dem Krieg befasst war und sich abseits davon bereits Auflösungserscheinungen zeigten, wurde die Grippebekämpfung weitgehend von den Beamten übernommen. Im Reichsrat spielte die Krankheit schon gar keine Rolle mehr. Es sind keine Anträge zur Bekämpfung der Spanischen Grippe verzeichnet. Die Pandemie nahm in Österreich schließlich jenen steilen Verlauf, den man beim aktuellen Coronavirus zu vermeiden versucht. Die Stadt Wien hatte zwar schon am 2. Oktober ihr Notspital in Meidling geöffnet, dieses verfügte allerdings nur über 140 Betten. Da die Zahl der Erkrankungen weiter stieg, wurden eigene Epidemiespitäler eingerichtet.

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Keine Anzeigepflicht

Das 1913 erlassene und heute noch weitgehend gültige Epidemiegesetz hätte es ermöglicht, die Spanische Grippe zur anzeigepflichtigen Krankheit zu erklären, doch das geschah nie. Das lag auch daran, dass man Schwierigkeiten hatte, die Krankheit überhaupt zu diagnostizieren. Franz von Haberler, der das Epidemiegesetz mitverantwortet hatte, war bei Ausbruch der Pandemie zuständiger Sektionschef des k.k. Ministeriums für Volksgesundheit. Bei einem Pressetermin am 17. Oktober 1918 erklärte er, die Anzeigepflicht habe „bei der spanischen Grippe schon deshalb keinen rechten Sinn, weil diese Krankheit nicht scharf umschrieben ist, weil wir den oder die Erreger der Seuche nicht kennen“.

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Es müsste eben fast jedes Haus unter Sperre gelegt werden.

Außerdem war die Zahl der Erkrankten bereits so groß, dass die Behörden in einer Anzeigepflicht keinen Sinn sahen: „Wie von maßgebendster Seite versichert wird, ist die Ansteckungsgefahr eine solch große, daß auch Anzeigepflicht und Kontumazierung (gemeint ist die Erlassung von Isolationsbescheiden, Anm.) kaum etwas nützen würden; es müsste eben fast jedes Haus unter Sperre gelegt werden“, berichtete die Kärntner Zeitung am 22. Oktober. Auch von Haberler räumte ein, dass durch die schiere Zahl der Krankheitsfälle „eine strenge Isolierung der Kranken undurchführbar erscheint“. Zumindest die schweren Fälle wurden aber nach Wochen des Zögerns in Wien von den Amtsärzten erfasst. Der Oberstadtphysikus erklärte Ende Oktober, dass die Infektionswelle nach diesen Zahlen abflaue. Österreichweit starben an der Pandemie bis 1919 fast 21.000 Menschen. 

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