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Wie Obduktionen die COVID-19-Todesrate beeinflussen
11. April 2020 Coronavirus Lesezeit 4 min
Die oberste deutsche Bundesbehörde für Infektionskrankheiten, das Robert-Koch-Institut, hat davon abgeraten, COVID-19 Verstorbene zu obduzieren. Mediziner erhoffen sich von den Obduktionen allerdings wichtige Antworten. Unter anderem auf die Frage, ob Menschen tatsächlich am oder mit dem Virus verstorben sind.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 51 einer 106-teiligen Recherche.
Bild: Robert Newald | picturedesk.com

In Österreich sind bisher 337 (Stand: 11. April, 12 Uhr) Menschen an COVID-19 gestorben (den aktuellen Stand können Sie hier abrufen ). Zumindest laut den offiziellen Zahlen. Die tatsächliche Zahl könnte allerdings darunter liegen. Darauf lassen zumindest die Obduktionsergebnisse des Hamburger Rechtsmediziners Klaus Püschel schließen. Mit seinem Team hat er alle bisherigen COVID-19-Todesfälle in Hamburg obduziert. Das Ergebnis: Alle Verstorbenen waren schon davor schwerkrank. Und: „Es gibt nicht wenige, bei denen die Viruserkrankung keine oder nur eine geringfügige Bedeutung für den tödlichen Verlauf hatte“, sagt Püschel.

Aufgrund dieser Ergebnisse weichen die offiziellen Zahlen der Verstorbenen des Robert-Koch-Instituts (RKI) von der Hamburger Zählung ab. Letztere führte am Mittwoch acht „COVID-19-Tote“ in Hamburg an, in der offiziellen Statistik des RKI waren es dagegen 14. „Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen, dass ‚Normalbürger‘ in medizinischer Hinsicht keinerlei Angst oder Panik bezüglich COVID-19 haben müssen“, sagt Püschel.

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Mit oder am Virus verstorben?

Auch in Österreich wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie viele Menschen wirklich an und wie viele mit dem Virus verstorben sind. In der Statistik der Corona-Toten tauchen alle Verstorbenen auf, die zuvor auf COVID-19 positiv getestet wurden. Unabhängig davon, ob sie direkt an den Folgen der Viruserkrankung selbst oder „mit dem Virus“ (an einer anderen Todesursache) verstorben sind. Das heißt, auch ein junges Unfallopfer würde demnach potenziell in der Statistik aufscheinen – im unwahrscheinlichen Fall, dass es überhaupt auf das Virus getestet würde.

Update: Mit 14. April änderte das Ministerium die Definition eines Corona-Toten, es zählt nunmehr nur jene Personen, die „tatsächlich an COVID-19 gestorben sind“. Die Zahl der Toten reduzierte sich damit von 384 auf 332 Tote, also um 52 Personen (Stand 14. April). Den aktuellen Stand können Sie hier abrufen.

Der österreichische Onkologe Stefan Wöhrer erzählt von einem Patienten, der an einem Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben ist – und positiv auf das Virus getestet wurde. Wöhrer ist überzeugt, dass der Mann seiner Krebserkrankung auch ohne das Virus erlegen wäre und dass dieser Fall kein Einzelfall ist. Gewissheit haben wird er nie, weil der Mann nicht obduziert wurde. Umgekehrt könnte es genauso passieren, dass eine Person an COVID-19 verstirbt, ohne getestet zu werden.

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Deutsche Bundesbehörde rät von Obduktionen ab

Obduktionen könnten viele Unklarheiten beseitigen. Auf Unverständnis unter vielen Ärzten traf daher zuletzt eine Empfehlung des deutschen Robert-Koch-Instituts. In dieser Empfehlung hieß es: „Eine innere Leichenschau, Autopsien oder andere aerosolproduzierende Maßnahmen sollten vermieden werden.” Diese Empfehlung wurde nach Einwänden des Dachverbands der Pathologen Deutschlands wieder zurückgenommen. In Österreich empfiehlt das Sozialministerium Pathologen jedoch nach wie vor, nicht routinemäßig zu obduzieren.

Die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts „verstehe ich auch nicht“, sagt der Leiter der Pathologie eines österreichischen Spitals, der nicht namentlich genannt werden will. Es könne zwar bei Obduktionen von COVID-19-Toten die Gefahr geben, dass infektiöse Flüssigkeiten ins Abwasser gespült werden und die Viren dort wochenlang überleben, das sei in Deutschland und Österreich aber keine reale Gefahr. In Österreich, sagt er, werden jedenfalls zumindest manche COVID-19-Tote obduziert. „Aber: Wenn ich keine klinische Fragestellung habe, brauche ich nicht zu obduzieren.“

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Das ist schlicht und einfach hanebüchen.

Eine dumme Frage?

Die Frage, ob jemand an oder mit dem Virus gestorben sei, hält er im Gegensatz zu Püschel und Wöhrer für „dumm“: „Die Frage nach der Kausalität kann ich ins Unendliche treiben, das ist schlicht und einfach hanebüchen“, sagt er. „Es diskutiert ja auch niemand darüber, wie viele Menschen durch Corona jetzt nicht sterben, weil wir weniger Tote im Osterverkehr haben.“ Die Todesursache werde auch bei anderen Krankheiten so bestimmt, da sei COVID-19 kein Einzelfall: „Wenn ich mit einer Tuberkulose in ein Spital eingeliefert werde und dort versterbe, bin ich ein Tuberkulose-Toter.“

Einer, der bereits mehrere an COVID-19-Verstorbene obduziert hat, ist der Grazer Pathologe Sigurd Lax. Die Toten, die er untersucht hat, sind an schweren Lungenschäden verstorben, hatten jedoch erhebliche Vorerkrankungen wie etwa Diabetes oder chronische Herzerkrankungen. Aber: Ohne COVID-19 wären diese Menschen laut Lax nicht akut gestorben. Obduktionen von COVID-19-Toten hält er für sinnvoll: Die Ergebnisse könnten uns Erkenntnisse liefern, etwa in Bezug auf Komorbiditäten oder auch hinsichtlich der Entwicklung eines geeigneten Impfstoffs. Lax will sich vor allem auf den Pathomechanismus von SARS-CoV-2 konzentrieren, also den Verlauf des Krankheitsprozesses.

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Aachen startet Obduktionsregister

Die Geschäftsführerin vom Dachverband der Pathologen in Deutschland, Gisela Kempny, will ebenfalls genauer hinsehen: „Die Todesursachenstatistik ist wichtig und sicherlich ein interessanter Aspekt, aber die Pathologen wollen Lebende retten.” Auch sie will mit Obduktionen Erkenntnisse über den Krankheitsverlauf gewinnen, vor allem um außergewöhnliche Verläufe, wie etwa die von jüngeren Verstorbenen, zu verstehen.

An der Universität Aachen hat die Corona-Krise zu einem neuen Register geführt: Dort sollen künftig alle COVID-19-Obduktionsergebnisse anonym gesammelt und anderen Pathologen zugänglich gemacht werden. „Wir fangen gerade erst an, aber wir wollen uns mit dem Obduktionsregister in Aachen möglichst bald auch über Videokonferenzen austauschen und unsere Ergebnisse teilen”, sagt Kempny. So könnten im Idealfall Obduktionsergebnisse aus mehreren Ländern zusammengeführt und der Forschung zur Verfügung gestellt werden. In Österreich gibt es bislang noch keine Bestrebungen, die Obduktionsergebnisse, die es bereits gibt, zusammenzuführen. 

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