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Vertragsdetails: Geheim
4. August 2020 Coronavirus Lesezeit 4 min
Die Republik vergibt Lieferverträge über eineinhalb Milliarden Euro wegen der Corona-Krise. Das Beispiel eines niederösterreichischen Maskenfabrikanten mit Verbindungen zur ÖVP-Elite zeigt, wie problematisch die Heimlichtuerei um staatliche Großaufträge ist. Laut Addendum vorliegenden Protokollen gab es auch „Unterstützung” aus zwei Ministerien.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 104 einer 106-teiligen Recherche.

Die Schlagzeilen lassen Schlimmes vermuten. „Schiefe Optik: Mann von Kanzler-Büroleiterin produziert neuerdings Schutzmasken“, titelte der FPÖ-nahe „Wochenblick“. „Masken-Connection ins Kanzleramt“, schrieb das vom ehemaligen Politiker Peter Pilz gegründete zackzack.at.

Die Geschichte hinter dem Aufruhr: Im niederösterreichischen Wiener Neudorf begann eine „Hygiene Austria LP“ frühzeitig in der Corona-Krise damit, maschinell Masken herzustellen . Hinter dem eiligst gegründeten Unternehmen stecken der Faserfabrikant Lenzing und die Unterwäsche-Marke Palmers. Letztere gehört zu einem Viertel einem Grazer Geschäftsmann. Und dieser wiederum ist der Ehemann von Lisa Wieser, welche die Büroleiterin und eine der engsten Vertrauten von Sebastian Kurz ist.

Auch Addendum erreichte in den vergangenen Wochen mehrfach die Bitte, man möge sich die Sache ansehen. Es könne doch nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn der Bundeskanzler erneut die Maskenpflicht ausweitet, wovon dann ausgerechnet der Ehemann einer engen Mitstreiterin profitiere. Zudem hatte Kurz die Fabrik in Wiener Neudorf noch extra besucht. Auf Instagram findet sich ein Video, in dem er sich „im Namen der Republik“ bei Palmers und Lenzing bedankt.

Die „Hygiene Austria“ zeigt exemplarisch, wie problematisch die Geheimniskrämerei sein kann, die staatliche Aufträge umgibt. Während in anderen EU-Ländern strenge Transparenz-Gesetze verhindern sollen, dass über familiäre, wirtschaftliche oder politische Nähe spekuliert wird, lässt der österreichische Staat sich nicht in die Karten – oder besser gesagt: Verträge – blicken.

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Bundeskanzler Sebastian Kurz und Arbeitsministerin Christine Aschbacher beim Besuch der Maskenproduktion von Hygiene Austria

Gute Beziehungen

Klar ist: Die Hygiene Austria ist politisch gut gelitten. Nicht nur der Kanzler besuchte die Fabrik, auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, Arbeitsministerin Christine Aschbacher und die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner – alle ÖVP – schauten vorbei. Die Öffentlichkeitsarbeit für den frisch gegründeten Maskenhersteller erledigt Gregor Schütze, der wiederum ORF-Stiftungsrat für die ÖVP ist.

Selbst österreichische Ministerien waren laut Addendum vorliegenden Dokumenten mit dem frisch gebackenen Maskenfabrikanten und seinen Maschinen befasst. „Beispiel für Unterstützung der Wirtschaft: 4 Maskenproduktionsmaschinen für Palmers“, steht in einem Protokoll des Krisenstabes des Innenministeriums, der Eintrag ist mit 8. April 2020 datiert. Als dafür zuständig sind Wirtschaftsministerium und Außenministerium vermerkt.

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Auf Addendum-Anfrage sehen Sprecher beider Ministerien darin nichts Ungewöhnliches: Bei der „Unterstützung“ habe es sich um diplomatische und behördliche Hilfe gehandelt. Schließlich sei es in diesen Tagen chaotisch zugegangen, es gab Exportverbote und Grenzsperren. Man hätte auch jedem anderen österreichischen Unternehmen geholfen, das sich an die Ministerien gewandt hätte.

Die Maschinen kamen an, in Wiener Neudorf wird produziert. Bald könnten riesige Mengen bei der öffentlichen Hand landen: Die Hygiene Austria gilt als bestätigter Lieferant für Schutzmasken und Schutzbekleidung der Bundesbeschaffungsgesellschaft (BBG). Das heißt: Sollte die öffentliche Hand – also etwa Ministerien, aber auch Gemeinden – aus einer der beiden Warenkategorien Material bestellen wollen, kann sie in den kommenden vier Jahren dafür auf einen Vertrag mit der Hygiene Austria zurückgreifen. Diese ist eine von mehr als fünfzig Firmen, die in der Corona-Krise dazu ausgewählt wurden. Insgesamt hatten sich mehr als hundert Betriebe um die lukrativen Aufträge beworben.

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Eineinhalb Milliarden zu vergeben

Es geht um beachtliche Summen: Allein unter der Kategorie „Schutzmasken“ sind Bestellungen von insgesamt bis zu 420 Millionen Euro möglich, bei „Schutzkleidung“ sind es 139 Millionen. Insgesamt hat die Bundesbeschaffungsgesellschaft anlässlich der Corona-Krise Lieferverträge für rund eineinhalb Milliarden Euro neu ausgeschrieben.

Die Ausschreibungen liegen Addendum vor: In einer Excel-Tabelle sind beispielsweise 17 Maskentypen aufgelistet, daneben ist der geschätzte Jahresbedarf vermerkt. Die mitbietenden Lieferanten sollen hier vermerken, wie viel die Masken bei verschiedenen Stückzahlen kosten. Das wichtigste Kriterium, um als Lieferant infrage zu kommen: der Preis. Möglichst billig sollte es sein.

Hier stößt die Recherche an die Heimlichtuerei bei staatlichen Aufträgen: Würde die Hygiene Austria aufgrund ihrer Kontakte bevorzugt, ließe sich das zum Beispiel am höheren Preis festmachen. Legte sie das objektiv beste Angebot vor, würde das wohl die Vorwürfe entkräften.

Das Problem: Die konkreten Angebote sind geheim. Genauso wie alle anderen Vertragsdetails.

„Im Sinne einer transparenten öffentlichen Vergabe erfüllt die BBG alle gesetzlichen Vorgaben, die sowohl vor als auch während sowie nach der Durchführung von Vergabeverfahren gelten“, schreibt ein Sprecher. „Der Bundesbeschaffungsgesellschaft ist eine Weitergabe von Vertragsinformationen an Dritte aufgrund der vertraglichen Bestimmungen nicht möglich.“

In anderen Worten: Die Steuerzahler erfahren nicht, wie die Verträge aussehen, die mit ihrem Geld bezahlt werden. Auch wenn das helfen könnte, Spekulationen über politische Begünstigung zu entkräften.  

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