Der Verfassungsgerichtshof hat die Verordnung des Gesundheitsministers für teilweise gesetzeswidrig erklärt: Das allgemeine Betretungsverbot von öffentlichen Orten hatte trotz der Ausnahmen keine gesetzliche Grundlage, § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz ermöglichte dem Gesundheitsminister nur, das Betreten „von bestimmten Orten“ zu untersagen. In laufenden Verwaltungsstrafverfahren wegen Verstößen gegen das Ausgehverbot dürfen die einschlägigen Bestimmungen daher nicht mehr angewendet werden. Die Opposition fordert außerdem seit Längerem eine Generalamnestie für jene, die bereits gezahlt haben.
Der VfGH-Entscheidung im Wortlaut (Auszug)
„Der Verordnungsgeber kann dabei die Orte, deren Betreten er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 untersagt, konkret oder abstrakt umschreiben, er kann für Außenstehende auch, wie die Erläuterungen deutlich machen, das Betreten regional begrenzter Gebiete wie Ortsgebiete oder Gemeinden untersagen; es ist ihm aber verwehrt, durch ein allgemein gehaltenes Betretungsverbot des öffentlichen Raumes außerhalb der eigenen Wohnung (im weiten Sinn des Art. 8 EMRK) ein – wenn auch entsprechend der räumlichen Ausdehnung der Verordnung gemäß § 2 Z 2 oder 3 COVID-19-Maßnahmengesetz regional begrenztes – Ausgangsverbot schlechthin anzuordnen. Damit ist die gesetzliche Ermächtigung des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz dahingehend begrenzt, dass das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden darf, nicht aber, dass Menschen auf Grundlage des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz dazu verhalten werden können, an einem bestimmten Ort, insbesondere auch in ihrer Wohnung, zu verbleiben.“
Mittlerweile haben die Verwaltungsgerichte Niederösterreich (am 12. Mai) und Wien (am 10. Juni) entschieden, dass – wie im Artikel und zuvor auch hier beschrieben – Besuche bei Freunden nicht gegen die Corona-Ausgangsbeschränkungen verstoßen haben. Der Aufenthalt im Freien sei schließlich an keinen Zweck gebunden gewesen. Die Strafen in Höhe von 600 und 500 Euro müssen daher nicht bezahlt werden. Übrigens konnte sich das Verwaltungsgericht Wien dabei eine Anmerkung in Richtung Regierung nicht verkneifen:
„Angesichts des dargestellten unzweifelhaften Auslegungsergebnisses ist dem Umstand, dass der zuständige Verordnungsgeber (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) allenfalls in Presseerklärungen oder dergleichen eine davon abweichende Auffassung vertreten hat, keine rechtserhebliche Bedeutung beizumessen.“
Die Oberösterreichische Polizei ist dem Bericht in der Kronen Zeitung nachgegangen, demzufolge vier Mitarbeiter des Voest-Konzerns, die eine Fahrgemeinschaft gebildet hatten, zu jeweils 700 Euro bestraft wurden. Sie geht nach eingängiger Prüfung davon aus, dass es sich um ein bloßes Gerücht handelt, das die Kronen Zeitung unhinterfragt übernommen hat.
Die Stellungnahme der Landespolizeidirektion Oberösterreich im Wortlaut
Anfang April soll es zu einer Amtshandlung im Mühlviertel gekommen sein, bei der eine Polizeistreife vier Personen in einem Fahrzeug, allesamt Voest Mitarbeiter auf dem gemeinsamen Weg in die Arbeit, kontrolliert haben sollen. Zunächst war von Freistadt die Rede, einige Tage danach auch von Urfahr-Umgebung. Die Personen hätten gegen die Corona Auflagen verstoßen und seien „abgestraft“ worden. Anfangs hieß es, die Polizei (!) habe „mehrere Hunderte Euro“, später dann konkret „2.800“ eingehoben. Beides war zur besagten Zeit schon alleine aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage gar nicht möglich. Übrigens auch nach den seit Samstag geltenden neuen Bestimmungen nicht, da Organstafverfügungen (landläufig Strafzettel) nur bis maximal 25,- bzw 50,- Euro ausgestellt werden dürfen. Ein Redakteur einer Tageszeitung hat dann am 3. April nachgefragt. Ihm wurde daraufhin erklärt, dass die Sache wegen den o.a. Argumenten so nicht stattgefunden haben kann und auch weder in den beiden Bezirken noch im Einsatzstab der Landespolizeidirektion bekannt sei. Dennoch entschied sich der Redakteur zur Veröffentlichung des Artikels „Regelung unklar – 2800 Euro Strafe für vierköpfige Fahrgemeinschaft?“.
Im Übrigen wurde von der LPD OÖ auch mit den zuständigen Gesundheitsbehörden – BH Freistadt und BH Urfahr-Umgebung – Rücksprache gehalten. Auch dort ist der im Artikel beschriebene Sachverhalt nicht bekannt. Der Behauptungen wurde vom Einsatzstab der LPD weiter im Auge behalten. Am 9. April erreichte uns die Nachricht eines Konzernsprechers der voestalpine. Dieser bestätigte, dass dem Unternehmen KEIN derartiger Vorfall bekannt sei und verwies auf den Lenker eines Buses, der mehrere Voest-Mitarbeiter in die Arbeit gebracht und möglicherweise Licht ins Dunkle bringen könne. Ein Kontakt mit diesem Lenker am 9. April belegte dann unsere anfängliche Vermutung – der Ursprung liegt in ungesicherten Behauptungen vom Hörensagen in der Form „Hast du schon gehört? Mein Bekannter hat einen Bekannten, dessen Freund hat einen Arbeitskollegen, der ist mit anderen gestraft worden…“. Der für den Artikel verantwortliche Redakteur hat bis heute keine Quellen genannt – brauchen und wollen wir auch nicht! Leider konnten aber auch keine Angaben zur angeblichen Vorfallszeit, Ort oder nähere Umstände gemacht werden.
Am 9. April hat der Gesundheitsminister Autofahrten mit Personen außerhalb des eigenen Haushalts eigens geregelt. Diese intern als „Lex Voest“ – in Anlehnung an eine Strafe, die vier Mitarbeitern des Linzer Stahlkonzerns auferlegt wurde – bezeichnete Abänderung verfügt, dass Fahrgemeinschaften nur zulässig sind, „wenn dabei eine den Mund- und Nasenbereich gut abdeckende mechanische Schutzvorrichtung als Barriere gegen Tröpfcheninfektion getragen wird und gegenüber anderen Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten wird“.
Die genauen Details dieser Regelung sind aber (noch) unklar – insbesondere bleibt offen, wie der Abstand gemessen wird, also ob von Kopf zu Kopf oder etwa von der Zehe zum Rücken. Eine Fahrt zu zweit, bei der der Mitfahrer rechts hinter dem Fahrer sitzt, sollte dadurch aber in den meisten Fällen erlaubt sein.
Es gibt übrigens auch andere Beispiele für Regelungen: In Bayern sind etwa Fahrgemeinschaften in die Arbeit erlaubt, wenn man ohnehin eng zusammenarbeitet. Damit können Kollegen gemeinsam in die Arbeit fahren, während bei rein privaten Fahrten weiter gilt, dass man nur mit Haushaltsangehörigen im selben Auto sitzen darf.
Der Artikel vom 7. April:
Wann darf man raus, wann nicht? In den letzten Wochen haben selbst Juristen den Überblick verloren, auch die Polizei tut sich schwer. Das ist angesichts der Ausnahmesituation verständlich, aber ein Problem: Gerade bei Eingriffen in die Grundrechte braucht es Rechtssicherheit.
Auf den ersten Blick wirkt alles ja recht simpel. Das Betreten öffentlicher Orte ist verboten, es gibt aber Ausnahmen: Um
Darüber hinaus gibt es hier eine weitere Bestimmung, derzufolge man einen Mindestabstand von einem Meter einzuhalten hat, „wenn öffentliche Orte im Freien alleine“ oder mit Haushaltsangehörigen oder Haustieren aufgesucht „werden sollen“. Diese Formulierung hat für viele Diskussionen gesorgt: Liegt hier eine eigene Ausnahme vor oder bloß ein Zusatz zu den anderen Ausnahmen? Eine abschließende Antwort gibt es dazu nicht. Fest steht lediglich, dass für Spaziergänge, Wanderungen oder sonstige Aufenthalte im Freien kein öffentliches Verkehrsmittel benutzt werden darf.
Das hat den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig dazu bewogen, den über 65jährigen Taxigutscheine zukommen zu lassen. Kritiker sehen darin eine vorzeitige Wahlkampfmaßnahme, zumal die Taxibranche durch die Corona-Epidemie derzeit erhebliche Verluste macht. Befürworter der Gutscheine argumentieren, dass sie Wege zum Arzt oder ins Grüne erleichtern. Fest steht jedenfalls, dass Taxifahrer zu den stärker gefährdeten Berufsgruppen gehören. Außerdem besteht auch in Taxis aufgrund des engen Raums ein erhöhtes Ansteckungsrisiko.
Die Handhabung der Ausgangsbeschränkungen hat für ungleich mehr Unmut gesorgt. In den vergangenen drei Wochen hat es mehr als 17.000 Anzeigen gegeben. Darunter sind viele absurd anmutende Strafen: Ein Wiener sollte 500 Euro zahlen, weil er am Donaukanal gesessen war – was damit begründet wurde, dass er aufgrund der Vielzahl an vorbeigehenden Menschen unmöglich den erforderlichen Abstand eingehalten haben könne. (Die Behörde hat die Anzeige aber offenbar nicht weiter verfolgt.) Im Mühlviertel sollen vier Mitarbeiter der VOEST-Alpine mit jeweils 700 Euro bestraft worden sein, weil sie im selben Auto zur Arbeit gefahren sind. Auf Facebook und dem Nachrichtendienst WhatsApp machte eine Strafverfügung über 350 Euro für einen Motocross-Fahrer die Runde, der auch dabei gesehen wurde, „bei einem Erdhügel“ neben einer anderen Person gesessen zu sein. Zwei Wiener haben eine Geldstrafe in Höhe von jeweils 500 Euro bekommen, weil sie (laut eigenen Angaben) einander zufällig getroffen und geplaudert hatten.
Die Volksanwaltschaft sieht das kritisch, „fallweise“ seien die Strafen zu hoch. Davon abgesehen bleibt viel Rechtsunsicherheit: Niemand scheint so recht zu wissen, was im Einzelfall gilt: Darf man mit Freunden oder Verwandten, die woanders leben, im selben Auto fahren? Darf ich jemanden zu mir nach Hause einladen? Alleine oder mit dem Partner in der Sonne liegen?
Zwar gilt allgemein der Appell an Vernunft und Eigenverantwortung. Dennoch fehlt es an Klarheit. So gilt im Zweifel, dass man alleine oder mit Haushaltsangehörigen so lange draußen bleiben darf, wie man will. Auch Sport oder ein Picknick sind damit möglich. Ebenso sagt die Verordnung nichts zum Verlassen des eigenen Wohnorts, um Freunde und Verwandte zu besuchen.
Zwar betonen die Behörden und die Regierung immer wieder, dass man nur aus den genannten Gründen hinausgehen und seine Sozialkontakte möglichst einschränken soll. Gleichzeitig betont das Gesundheitsministerium auf seiner Homepage, „dass alle Aktivitäten im Freien erlaubt“ sind und dabei auch „keine zeitliche Begrenzung“ gilt. Bundesweite Verbote von längeren Aufenthalten im Freien gibt es allerdings nicht. Gleichzeitig können regional strengere Regeln erlassen werden: Tirol hat bis 6. April ausdrücklich Wandern oder Joggen untersagt, bis dahin war das Verlassen des Hauses laut Verordnung des Landeshauptmanns nur „aus triftigen Gründen zur Deckung von Grundbedürfnissen“ erlaubt.
Ein zentraler Streitpunkt betrifft größere Zusammenkünfte im privaten Bereich. Hier hatte Gesundheitsminister Rudolf Anschober am ersten Aprilwochenende mit einem Erlass für Verwirrung gesorgt, demzufolge die Behörden Zusammenkünfte in Wohnungen mit mehr als fünf Gästen untersagen sollten. Ablehnende Reaktionen waren die Folge, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak oder auch FPÖ-Chef Norbert Hofer kritisierten den ungebührlichen Eingriff ins Privatleben und das Hausrecht, für den es keine verfassungsrechtliche Grundlage gäbe. Umgekehrt hatten viele den Eindruck, dass der Gesundheitsminister einen Freibrief für kleinere Familienfeiern und sonstige Zusammenkünfte erteilt habe – waren sie doch ursprünglich, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Berichte zur Auflösung von „Corona-Partys“, davon ausgegangen, dass diese verboten seien.
Der Gesundheitsminister hat den Erlass daher „zurückgezogen“ und einen „Gesamterlass“ angekündigt, um eine „Handhabe gegen Corona-Partys“ zu gewährleisten. Der neue Erlass beinhaltet allerdings keine Änderungen. Auf Bundesebene gelten damit bis auf weiteres die bestehenden, eingangs erwähnten Regeln weiter fort. Die Corona-Verordnung des Gesundheitsministers gibt der Polizei damit nicht das Recht, Zusammenkünfte in Privatwohnungen aufzulösen. Sie muss sich also anders behelfen, allem voran mit Überzeugungsarbeit. Für das Verhängen von Strafen bleiben ihr nur die bisher geltenden Möglichkeiten, etwa wegen Lärmerregung. Für eine gesittete (Familien-)Feier im kleinen Rahmen hat sie also keine Handhabe.
Allenfalls könnte die Polizei wegen § 179 des Strafgesetzbuchs Anzeigen erstatten: Diese Bestimmung stellt die fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten unter Strafe. COVID-19 ist eine meldepflichtige Krankheit, der Aufenthalt infizierter Personen in geschlossenen Räumen reicht aufgrund der hohen Übertragbarkeit aus. Bei Menschen, die keine Symptome zeigen, beziehungsweise bloß infiziert sein könnten – also theoretisch jeder von uns – wird es allerdings wohl kaum zu einer Verurteilung kommen. Umso mehr, als es aktuell keine ausreichenden Testkapazitäten gibt.
Ein Erlass ist eine Anweisung an untergeordnete Behörden. Der Gesundheitsminister kann damit andere Behörden dazu anweisen, welche Regeln sie festlegen sollen.
Wie bereits gesagt, gilt all das in ganz Österreich. Im Einzelnen können andere Regeln gelten. Der „Fleckerlteppich“, den Kanzler Kurz verhindern möchte, ist nun doch entstanden. Einige Bezirkshauptmannschaften (etwa Bludenz) erhalten ihre nach dem ursprünglichen Erlass des Gesundheitsministers ergangenen Verordnungen weiter aufrecht. So sind auch in Wien Veranstaltungen, bei denen „mehr als fünf Personen, die nicht im selben Haushalt leben, in einem geschlossenen Raum zusammenkommen“ untersagt. Im Umkehrschluss darf man damit also ausdrücklich mit bis zu fünf haushaltsfremden Menschen bei sich daheim feiern.
In Gebieten ohne eigene Regeln im privaten Bereich sogar ohne jedwede Höchstgrenze an Personen. Der Besuch bei Freunden oder Verwandten per Verkehrsmittel bleibt zwar verboten: Inwiefern ein Spaziergang oder eine Radtour zu Partys und Treffen aller Art untersagt ist, bleibt weiter offen. Wie eingangs erwähnt, beinhaltet die Verordnung allem Anschein nach ein allgemeines Recht, unter Wahrung des Mindestabstands hinausgehen zu dürfen. Damit wäre auch der Weg in fremde Wohnungen und Häuser erlaubt.
Da hilft es wenig, wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz moniert, dass „es immer Personen geben wird, die juristisch spitzfindig sind“ – für das Vorgehen der Polizei, das mitunter sogar in den privaten Bereich eingreift, braucht es klare Regeln, die auf einem soliden Fundament stehen. Das COVID-19-Maßnahmengesetz ist notwendig, aber wohl verfassungswidrig . Erste Anträge beim Verfassungsgerichtshof gibt es bereits, man darf bezweifeln, ob die aktuellen Gesetze und Verordnungen seiner Prüfung standhalten.
Wie vernünftig private Zusammenkünfte sind, steht freilich auf einem anderen Blatt. Die Regierung betont fortwährend, dass es zu Ostern keine Besuche geben soll. Rechtlich möglich sind sie jedoch.