Mitte April gab Gesundheitsminister Rudolf Anschober bekannt, dass österreichweit in allen Altersheimen Tests durchgeführt werden sollen. Das sollte zumindest einen einmaligen Überblick erlauben, in welchen Pflegeeinrichtungen es COVID-19-Erkrankte gibt. Diese Momentaufnahme schützt aber nicht vor einer stillen Verbreitung der Krankheit durch asymptomatische COVID-19-Patienten. Das zeigte sich in einem Altersheim in King County (USA), wo 100 Bewohner positiv getestet wurden, aber 10 Prozent keinerlei Merkmale der Krankheit zeigten. Noch mehr Angst machen Studienergebnisse, die zeigen, dass zwischen 20 und 60 Prozent der an COVID-19-Verstorbenen vor ihrer Erkrankung in Altersheimen lebten. Bis jetzt zeigen die Mortalitätsstatistiken noch keine extremen Veränderungen, alleine die Gefahr davon verunsichert dennoch viele Menschen.
FFP-Masken haben einen Filter eingebaut, mit dem der Träger vor Viren geschützt ist. Die Mitarbeiter können sich so nicht bei den Patienten anstecken.
Regelmäßige Tests wären also nötig, um unbemerkte Ansteckungen zu verhindern. Denn diagnostizierte Patienten werden isoliert oder gleich im Krankenhaus behandelt und können so ihre Mitbewohner nicht mehr anstecken. Von 261 kontaktierte Altersheimen beantworteten 148 die Anfrage von Addendum; nur ein Viertel gab an, regelmäßige Tests bei Bewohnern und Mitarbeitern durchzuführen. Lediglich zwei Einrichtungen führen alle zehn Tage Tests durch, um eine mögliche COVID-19-Erkrankung festzustellen. Für viele andere ist die angekündigte Testwelle des Ministeriums die erste Gelegenheit, Bewohner und Mitarbeiter auf die neuartige Viruserkrankung zu untersuchen, obwohl schon vor Wochen von Senioren als Risikogruppen gesprochen wurde und Besuchsverbote verhängt wurden.
Bis jetzt sind in rund 10 Prozent der befragten Einrichtungen COVID-19-Erkrankungen festgestellt worden Die Stichprobe bildet aber nur einen Ausschnitt aller Heime mit Infektionen ab.
So kam es beispielsweise in mehr niederösterreichischen Pflegezentren des Landes zu Infektionen als in der Stichprobe enthalten sind. Auch in der Wiener Abfrage ist nur ein Teil der betroffenen Fälle enthalten – allerdings sind auch viele andere Einrichtungen ohne Infektionen und wurden nicht angefragt.
Aussagekräftiger ist das Ergebnis der Erhebung zum Thema Maskenpflicht. Bei dieser gibt es kein Risiko, dass ein Betreiber unwissentlich eine Infektion verschweigt, die Antworten haben somit eine höhere Trefferquote.
Aufgrund der Besuchsverbote ab Mitte März war das einzige verbleibende Risiko für die Senioren eine Ansteckung über das Pflegepersonal oder Kontakt zu anderen Heimbewohnern. Zu deren Schutz tragen nun viele beispielsweise Mundschutzmasken. Damit sollen eventuell vorhandene Viren beim Träger gehalten werden und keine anderen Personen anstecken. In den befragten Altersheimen gab es in 93 Prozent eine Maskenpflicht. Im Burgenland, in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gaben alle befragten Einrichtungen an, diese für ihre Mitarbeiter dauerhaft eingeführt zu haben.
In den verbleibenden Bundesländern gilt zwar auch in der überwiegenden Mehrheit der Einrichtungen Maskenpflicht, oftmals aber nur in bestimmten Situationen. Also beispielsweise, wenn bei der Körperhygiene ein direkter Kontakt mit den Bewohnern stattfindet. Fast alle Einrichtungen haben unabhängig von einer generellen Maskenpflicht aber angegeben, dass die Kategorie der Maske nach Bedarf angepasst wird. Im normalen Alltag sollen Mund-Nasen-Schutz-Masken (MNS-Masken) genügen, bei Kontakt mit Verdachtspatienten werden Masken mit höherem Standard verwendet. So gaben die meisten Einrichtungen an, dann FFP1 – oder FFP2-Masken zu verwenden.
In den Bundesländern abseits des Burgenlandes, Kärnten und Salzburg geben bis zu 30 Prozent der befragten Einrichtungen an, immer FFP-Masken anstelle einfacher MNS-Masken zu verwenden. Die verschiedenen Vorschriften sorgen aber auch für die Heime für Probleme: Besonders zu Beginn der Krise waren FFP-Masken kaum zu erhalten. Dennoch waren sie vorgesehen. In der Steiermark erzählte Heimbetreiber eines kleinen Altersheimes davon, dass das Land in weiterer Folge FFP-Masken für die Einrichtungen besorgte und verteilte: „Wir haben vom Land FFP-Masken bekommen, weil es sonst keine am Markt gegeben haben. Als die geliefert worden sind, haben wir aber gemerkt, dass die 2009 abgelaufen sind. Damit können wir nichts anfangen, denn diese Masken schützen unsere Mitarbeiter nicht. Das ist problematisch, weil wir die Auflage ja mit denen nicht erfüllen können.“
Um das Risiko für Bewohner zu minimieren, führten manche Altersheime neben der Maskenpflicht auch Gesundheitschecks für Mitarbeiter ein. Diese werden allerdings sehr verschieden gehandhabt: In rund zwei Drittel der Einrichtungen wird vor Dienstbeginn bei Mitarbeitern jedenfalls Fieber gemessen, viele verweisen aber auch auf die selbstständigen Gesundheitschecks. Beim Hilfswerk in der Steiermark etwa wird auf Eigenverantwortung gesetzt:
„Alle Mitarbeiter sind zur Eigenkontrolle der Körpertemperatur angehalten. Derzeit gibt es nur in besonders belasteten Regionen verpflichtende Messungen, in diesen übersteigt die Anzahl der Fälle pro Einwohner einen Grenzwert.“
In Niederösterreich beispielsweise ist der Anteil relativ niedrig, die Mitarbeiter der Pflege- und Betreuungseinrichtungen des Landes müssen ab dem vierten dienstfreien Tag sogenannte „Coronatagebücher“ führen und jegliche Symptome erfassen.
Was passiert, wenn potenziell Infizierte und Gesunde nicht voneinander getrennt werden, zeigte sich im deutschen Bad Oldesloe. In einem Pflegeheim mit 70 Bewohnern wurden 61 positiv getestet. Neben der späten Erkenntnis, dass die Krankheit ausgebrochen war, wird vermutet, dass die mangelnde Isolation den Ausbruch rasch beschleunigt hat. Denn in dem Heim für psychisch Kranke und Demenzpatienten konnte das gewohnte Personal nicht ausgewechselt werden. Die psychisch Kranken brauchten ihre gewohnten Betreuer, inifzierte Mitarbeiter ohne Symptome arbeiteten deshalb normal weiter. Da die Patienten aufgrund ihrer psychischen Vorerkrankung auch nicht einfach isoliert werden konnten, erkrankte auch fast die Hälfte der Mitarbeiter. Mittlerweile verstarben mindestens elf Menschen aus der Einrichtung an COVID-19.
Aus diesem Grund wäre das Isolieren von Verdachtsfällen und das Trennen von Pflegeteams eine wirkungsvolle Vorsichtsmaßnahme. Eine Mehrheit der Heime hat seine Dienstpläne geändert (60 Prozent), wobei Pflegeheime in Oberösterreich auf die Frage nach einer Veränderung bei Diensträdern nur wenig Auskunft gaben. Meist sind Mitarbeiter jetzt einem Stockwerk zugeteilt und betreuen nicht mehr verschiedene Stationen. Viele Betreuer sehen ihre Kollegen momentan auch seltener, da sie in verschiedene Teams eingeteilt sind. Zwischen diesen Teams soll es keinen Kontakt geben, damit es im Fall einer Infektion – wenn betroffene Mitarbeiter in Quarantäne zu Hause bleiben müssen – genügend Mitarbeiter gibt, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Diese Maßnahme wurde häufig getroffen. Beim privaten Heimbetreiber Benevit etwa, der sieben Einrichtungen in Vorarlberg hat, arbeitet das Personal in reduzierter Besetzung, damit im Fall einer Infektion noch Mitarbeiter zur Verfügung stehen – seltener ist eine Verlängerung der Dienste. Besonders kleine Häuser, die zu keinem großen Betreiber gehören, haben weniger Personal zur Verfügung und können dieses nicht so leicht entbehren.
Kranke und Gesunde im Falle einer Infektion zu trennen, ist für die meisten Altersheime möglich, wenn die Patienten in ihren Einzelzimmern bleiben. Eine eigene Abteilung, die als Krankenstation speziell für COVID-19-Patienten genutzt wird, können aus Platzgründen nur 35 Prozent der befragten Einrichtungen zur Verfügung stellen. Das bedeutet, dass jeder Bewohner im Falle einer Infektion entweder in ein Krankenhaus gebracht werden muss, oder dass jedes Zimmer wie eine eigene Quarantänestation genutzt werden müsste. Für das Personal wäre der zeitliche Aufwand bei mehreren Patienten immens – bei jedem neuen Zimmer müsste die gesamte Schutzkleidung gewechselt werden, alle Gegenstände, die in diesem Zimmer verwendet würden, müssten nicht nur normal gereinigt, sondern gründlich desinfiziert werden. Im Burgenland richten beispielsweise die Pflegekompetenzzentren des Arbeiter-Samariterbundes in einer der Einrichtungen eine Station für alle Erkrankten ein, wie Christine Egger vom ASB Burgenland erzählt: „Wir richten in einem unserer Häuser einen zentralen Wohnbereich ein, in den alle Patienten transferiert werden können. So können wir Ressourcen bündeln und in den anderen Häusern den normalen Betrieb aufrechterhalten.“
Doch nicht alle Altersheime waren auskunftswillig. Viele verweisen an die Trägerorganisationen, aus den einzelnen Häusern gab es keine genauen Schilderungen. In Niederösterreich werden etwa sehr viele Einrichtungen von der Landesgesundheitsagentur geführt, in Oberösterreich dagegen von den regionalen Sozialhilfeverbänden. Das wirkte sich auch auf die Anzahl der Antworten aus. So antworteten in Niederösterreich fast 84 Prozent aller Einrichtungen, in Oberösterreich dagegen nur 39 Prozent. Das liegt daran, dass die einzelnen Heime auf die Sozialhilfeverbände als Betreiber verwiesen und diese wiederum auf das Land Oberösterreich. Im Gegensatz zur Niederösterreichischen Landesgesundheitsagentur will man beim Land Oberösterreich aber nicht auf einzelne Einrichtungen eingehen, wodurch diese als nicht beantwortet in die Erhebung eingehen. Im Bundesschnitt beantworteten aber 56 Prozent der Einrichtungen unsere Fragen.
Von den kontaktierten Einrichtungen setzt also eine Mehrheit die abgefragten Maßnahmen um. Die Mehrheit der Pflegeheime hatte noch keinen bestätigten Infektionsfall. In einzelnen Einrichtungen sprachen Leiter davon, dass momentan selbst in betroffenen Altersheimen nicht mehr Menschen als im Normalfall sterben. Bis jetzt zeigen die Mortalitätsstatistiken der Statistik Austria in der Altersgruppe über 65 aber eine höhere Sterblichkeit als im früheren Vergleichszeitraum. Ob die Verstorbenen in Altersheimen gelebt haben, zeigt die Statistik allerdings nicht.
Für die Erhebung wurde herausgesucht, wie viele Senioren- und Pflegewohnheime es in jedem Bundesland gibt. 876 Einrichtungen wurden gefunden. Aus dieser Liste wurde eine Stichprobe gezogen, die die Verteilung der Einrichtungen abbildet. Zur Erhebung wurden die offiziellen Listen der Bundesländer verwendet, in denen die genehmigten Pflegeeinrichtungen angeführt werden. In einigen Bundesländern sind diese als PDF-Dateien verfügbar, in anderen gibt es eigene Pflegeführer. Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat kürzlich von 918 Pflegeeinrichtungen gesprochen, eventuell sind hier auch einige Einrichtungen für Behinderte enthalten. In Wien werden beispielsweise auch die Pflegeheime des Wiener Krankenanstaltenverbundes mitangeführt, diese sind allerdings keine Seniorenwohnheime, sondern Pflegeeinrichtungen für schwerkranke Patienten. Die Gesundheitsmaßnahmen in derartigen Einrichtungen unterscheiden sich ohnehin, auch weil Patienten oft nicht mehr ansprech- oder behandelbar sind.
Alle Altersheime der Stichprobe wurden zwischen 27. und 30. April kontaktiert. Einzelne Einrichtungen waren trotz mehrfacher Versuche nicht erreichbar, sie werden zu den Einrichtungen gezählt, von denen keine Antwort gekommen ist (knapp 7 Prozent).