Am 26. Februar wird ein Anwalt im Wiener Spital Rudolfstiftung positiv auf das Virus SARS-CoV-2 getestet. Er liegt zu diesem Zeitpunkt bereits seit zehn Tagen im Spital – mit der Diagnose Grippe. Wie er sich angesteckt hat, ist bis heute nicht bekannt. Alle Besucher und neunzig Angestellte des Spitals werden unter Quarantäne gestellt, alle Tests verlaufen negativ. Nicht getestet werden seine Arbeitskollegen – schließlich ist der Mann bereits seit zehn Tagen im Spital und war schon lange nicht mehr im Büro.
Schon tags zuvor, am 25. Februar, wurden zwei Fälle in Tirol bekannt, die ersten in Österreich: Eine 24-jährige Angestellte eines Hotels und ihr gleichaltriger Freund werden positiv getestet, sie waren in Italien, haben einen leichten Verlauf und dürften niemanden angesteckt haben. Nur wenige Tage, bevor der Fall bekannt wird, hat Bundeskanzler Sebastian Kurz in dem Hotel übernachtet, das nach Bekanntwerden der Fälle gesperrt wird. Das Paar wird am 6. März aus dem Spital entlassen. Als erste Patienten in Österreich gelten die beiden als geheilt.
Es sind die nächsten Fälle in Wien, anhand derer sich die weitere Ausbreitung des Virus gut nachvollziehen lässt: Ein Mann, der in Italien auf Urlaub war, steckt seine Frau und seinen schulpflichtigen Sohn mit dem neuartigen Virus an. Letzterer besucht ein Gymnasium in Hollabrunn (Niederösterreich), wo vier Lehrer und 23 Schüler unter Quarantäne gestellt werden. In Korneuburg wird ein Paar positiv getestet, das mit dem Ehepaar aus Wien in Kontakt war, das wiederum einen in Wien lebenden Angehörigen infiziert. Am 8. März sind in Korneuburg acht Menschen infiziert, sie alle sind letzten Endes auf den Mann in Wien zurückzuführen, der in Italien urlaubte.
Auch die meisten anderen Fälle in Österreich sind Anfang März noch klar zuzuordnen – und zwar dem Krisenherd Italien: eine Wienerin, die in Mailand war und später für den ersten Fall in Kärnten sorgen wird, weil sie eine Freundin aus Völkermarkt ansteckt. Eine Salzburgerin, die aus Turin zurückgekehrt ist und zumindest ihren Freund ansteckt. Eine Oststeirerin, die eine Messe in Italien besucht. Aber nicht alle, die vielleicht das Virus verbreiteten, werden in der offiziellen Statistik geführt: Ein 30-jähriger Deutscher fährt aus seiner Heimat nach Salzburg, um sich ein Fußballspiel anzusehen und übernachtet dort in zwei verschiedenen Hotels, bevor er wieder nach Hause zurückkehrt und dort positiv getestet wird.
Am 4. März wird am Wiener Landesgericht Alarm geschlagen: Eine Rechtspraktikantin des Anwalts, der mittlerweile im SMZ Ost auf der Intensivstation liegt, wird positiv getestet. Die Kanzlei hatte die Tests auf eigene Kosten für ihre Mitarbeiter durchführen lassen, auch zwei ihrer Kollegen sind mit dem Coronavirus infiziert. Sie alle hatten den Anwalt nicht im Spital besucht, es gibt lediglich zwei Möglichkeiten: Die Inkubationszeit war erstaunlich lange – schließlich ist der Anwalt bereits seit 17. Februar im Spital gewesen. Oder sie alle haben sich bei einer weiteren Person angesteckt, beispielsweise einem Klienten der Kanzlei. Die Suche nach diesem Patienten 0 bleibt aber bislang erfolglos. Trotzdem: Bis dahin scheint die Lage unter Kontrolle, bei fast allen Patienten ist bekannt, wo sie sich angesteckt haben, viele der positiv getesteten sind bereits in Quarantäne.
In der Ursprungsversion des Artikels war hier noch von der Rudolfstiftung die Rede, mittlerweile wurde die Patientin jedoch verlegt. Der Artikel wurde am 18. März um 14:20 Uhr aktualisiert.
Bis die Situation in Tirol eskaliert: Am 5. März steht der Tiroler Skiort Ischgl für die isländischen Behörden auf einer Stufe mit dem Iran und der chinesischen Provinz Wuhan, in der das Coronavirus zum ersten Mal auftauchte. Rückkehrer müssen sich bei den Behörden melden und in eine 14-tägige Heimquarantäne. Der Grund: Mitglieder einer 14-köpfigen Reisegruppe aus Ischgl wurden positiv getestet.
Das Land Tirol kalmiert dagegen: Die Ansteckung sei im Flieger von München nach Reykjavik passiert, teilte damals das Land Tirol mit. Am 10. März, fünf Tage später, sind im Tiroler Skiort bereits 16 Fälle bekannt. Ein 36-jähriger Barkeeper des Apres-Ski-Lokals „Kitzloch” hat mindestens 15 weitere Personen, 14 davon ebenfalls Angestellte des Lokals, angesteckt. Der Chef des Tourismusverbands Ischgl, Andi Steibl, sagt zu diesem Zeitpunkt noch dem Kurier: „Die Erkrankungen sind auf ein Lokal zuzuordnen. Die Situation ist soweit übersichtlich. Man darf jetzt nicht extrem nervös sein.” Zu diesem Zeitpunkt hat Südtirol die Skisaison bereits für beendet erklärt. Steibl sagt: „Die Lage ist mit Italien nicht vergleichbar.” Ischgl hat jährlich rund 1,5 Millionen Nächtigungen.
Die Bar wird geschlossen, aber es dauert zwei weitere Tage, bis zum 12. März, bis der Skibetrieb in Ischgl eingestellt wird. Da sind nach Angaben des Tourismusverbandes noch 13.000 Menschen auf den Pisten. Da hat sich das Virus aus dem Kitzloch bereits in ganz Europa verbreitet: Fälle aus Ischgl werden im Burgenland, in Schleswig-Holstein und in Hamburg gemeldet. Das dänische Gesundheitsministerium spricht von 265 Fällen aus Österreich, die meisten davon seien in Verbindung mit Ischgl. Im deutschen Aalen (Baden-Württemberg) wurde die Mailadresse [email protected] für Ischgl-Heimkehrer eingerichtet. Und in Norwegen sollen rund 500 von 1.000 Infizierten das Virus aus Österreich haben – die meisten aus Tirol.
Am 15. März wird das Paznauntal, in dem sich Ischgl befindet, unter Quarantäne gestellt . Am selben Tag wird bekannt, dass sich ein Salzburger Anästhesist in Ischgl angesteckt hat. Es gibt mehr als 100 Kontaktpersonen, die in Quarantäne gestellt wurden: 33 Ärzte, 53 Pflegepersonen, 18 Patienten, drei Flugsanitäter und ein Pilot. Am 16. März erklärt Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg in der „Zeit im Bild 2”, dass die Behörden in Tirol korrekt vorgegangen sind.