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Coronavirus: Wie gut ist Österreich vorbereitet?
12. März 2020 Coronavirus Lesezeit 5 min
Über etwa 2.500 Intensivbetten verfügt Österreichs Gesundheitssystem, allerdings sind rund 80 Prozent davon bereits belegt. Und in einigen Bundesländern wird die Auslastung nicht einmal erhoben.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Coronavirus und ist Teil 2 einer 106-teiligen Recherche.
Bild: EXPA | APA

COVID-19 dominiert alles: 168 Tote alleine an einem Tag in Italien, Kursstürze an den Börsen, eine täglich steigende Zahl an positiv getesteten Fällen in Österreich – und am Mittwochabend erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Corona-Ausbruch zur weltweiten Pandemie. Seit langem gab es kein Thema mehr, das alle anderen dermaßen überschattet, und das weltweit.

Seit Dienstag ist das öffentliche Leben auch in Österreich stark eingeschränkt: kein Universitätsbetrieb, keine Veranstaltungen mit über 500 Personen im Freien bzw. 100 Personen in einem Raum, alle Bundesmuseen geschlossen, auch viele Theater und Opernhäuser stellen ihren Betrieb ein. Das Schweizerhaus im Wiener Prater sperrt erst gar nicht auf.

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Und während die einen davor warnen, dass die Angst vor dem Virus die größte Gefahr ist, fürchten die anderen, dass die weitere Ausbreitung des Virus katastrophale Folgen für unsere Gesellschaft haben könnte. Grundsätzlich gibt es zwei wichtige Dokumente, auf die der Staat zurückgreifen kann: das Epidemie-Gesetz und den Influenza-Pandemieplan.

Jeder Infizierte steckt zwei bis drei weitere Personen an

Ersteres ist die gesetzliche Grundlage, nach der beispielsweise Quarantäne verhängt werden kann – nach der also Staatsbürger in ihren Freiheiten beschränkt werden können, weil von ihnen eine gesundheitliche Gefahr ausgeht. Personen in Quarantäne können beispielsweise auch sanitätspolizeilich überwacht oder beobachtet werden. Auch das Verbot von Totenfeierlichkeiten, die Untersagung von Veranstaltungen, bei denen es zu Menschenansammlungen kommt, oder die Beschränkung der Reisefreiheit sind durch das Epidemiegesetz geregelt.

Nicht auf alle diese Maßnahmen greift der Staat derzeit zurück, auch wenn sie dazu beitragen würden, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Derzeit, sagt Christoph Wenisch, Vorstand der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital, stecke ein Corona-Patient durchschnittlich zwei bis drei weitere Patienten an – vor Inkrafttreten der Maßnahmen der Regierung. Deshalb sei ein Anstieg der Zahlen weder verwunderlich noch zu verhindern.

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Reduktion der sozialen Kontakte

Die am Dienstag präsentierten Maßnahmen der Regierung sollen dazu dienen, die Geschwindigkeit zu reduzieren, mit der sich das Virus ausbreitet. Je restriktiver die Maßnahmen, desto langsamer die Ausbreitung. Rechenmodelle der Technischen Universität in Wien zeigen: Eine Reduktion der Kontakte um 25 Prozent lässt die Höhe des Peaks an Erkrankten um 58 Prozent sinken, die Hälfte der Kontakte einzuschränken, senkt den Gipfel auf 30 Prozent im Vergleich zur Aufrechterhaltung aller Kontakte. Hochrisikopersonen wie Mitarbeiter der Einsatzkräfte sollten ihre Kontakte so weit wie möglich einschränken, weil sie besonders gefährdet sind, die Krankheit zu verbreiten.

Die Frage lautet, mit welchen Einschnitten im sozialen Leben die Bürger bereit sind zu leben. Andere Staaten greifen noch deutlich härter durch als Österreich: Israel hat ein komplettes Einreiseverbot für zwei Wochen verhängt. Der Staat hat derzeit 97 bestätigte Fälle, Österreich steht bei knapp 300. (Stand 12. März, 9 Uhr)

In den USA dagegen kalmierte Präsident Trump höchstpersönlich auf Twitter: An der Grippe seien im Vorjahr 37.000 Menschen gestorben, trotzdem sei das öffentliche Leben deshalb nicht eingeschränkt.

Hat er recht? In Österreich ist erst ein einziger COVID-19-Patient verstorben, lediglich vier sind in intensivmedizinischer Betreuung. (Stand 12. März, 11 Uhr)

Aber selbst Trump revidierte sich Mittwochabend. Er werde die volle Kraft seiner Regierung nutzen, um mit der Herausforderung durch den Coronavirus fertig zu werden.

In seiner Rede zur Lage der Nation am 11. März um 21 Uhr Ortszeit kündigte Trump neben einem finanziellen Maßnahmenpaket schließlich an, dass die Einreise aus Europa für die nächsten 30 Tage untersagt wird. Ausnahmen gelten nur für das Vereinigte Königreich, auch US-Bürger dürfen weiterhin aus Europa einreisen.

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Medizinische Versorgung gefährdet

Aber was, wenn die Fälle explosionsartig ansteigen, wenn die Situation in Österreich jener seines Nachbarlandes Italien ähnelt? Auszuschließen sei das nicht, sagt Infektiologe Wenisch. Ein rasanter Anstieg der Fallzahlen würde auch Österreich vor große Probleme stellen, glaubt er:

„Dramatisch sehe ich dann eher die Frage der Versorgung: Haben wir genug Beatmungsgeräte für alle Menschen, die beatmet werden müssen? Da bin ich noch optimistisch, wir haben eine höhere Dichte an Intensivbetten als die Italiener. Aber werden wir weiterhin alle pflegen können, die pflegebedürftig sind? Das ist ein größeres Problem.“

Im Falle eines massiven Anstiegs der Zahl der Erkrankten greift der Influenza-Pandemieplan. Der allerdings ist 14 Jahre alt, das Vorwort stammt noch von Maria Rauch-Kallat, Gesundheitsministerin von 2003 bis 2007. Auch strukturell ist der Plan veraltet: Während im österreichischen Plan von sechs Pandemiephasen die Rede ist, stellte ein Sprecher der WHO bereits im Februar klar, dass diese Phasen nicht mehr in Verwendung sind. Und: Der Plan ist eben auf Influenza ausgelegt – so ist etwa ein zentraler Punkt des Plans, die Influenza-Impfrate zu erhöhen, was im Fall von COVID-19 (noch) nicht geht. Die im Plan geschätzte Inkubationszeit (1–3 Tage) ist ebenso nicht zutreffend: COVID-19 hat eine Inkubationszeit von zwei Wochen. Im Pandemieplan ist von geschätzten 36.000 Hospitalisierungen im Zuge einer Pandemie die Rede.

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In einer Apotheke in Innsbruck sind Atemschutzmasken ausverkauft

Wie viele Betten sind frei?

Das würde das Gesundheitssystem auf eine große Belastungsprobe stellen: Insgesamt gibt es in Österreich laut Gesundheitsministerium – abseits von Privatspitälern – 44.183 Spitalsbetten, davon 2.451 Betten in Intensivüberwachungs- und Intensivbehandlungseinheiten. Die relevante Frage aber lautet: Wie viele dieser Betten – und insbesondere der Intensivbetten – sind überhaupt frei? Die erstaunliche Antwort aus dem Ministerium: Das sei nicht bekannt. Die Auslastung der Spitalsbetten sei in den vergangenen Jahren nie über 82 Prozent gelegen, aber in den Grippemonaten Februar und März immer höher als in den restlichen Monaten. Eine angenommene Auslastung von 80 Prozent würde bedeuten, dass aktuell rund 8.800 normale und 490 Intensivbetten frei sind. „lm Falle eines dringenden Bettenbedarfs können entsprechende Bettenkapazitäten in den Krankenanstalten bereitgestellt werden, indem beispielsweise nicht vordringliche Krankenhausaufenthalte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden“, heißt es aus dem Ministerium.

Aktuell ist die Auslastung bereits jetzt teilweise höher: Von den ca. 5.400 Betten des steirischen Krankenanstaltenverbundes (Kages) sind 87 Prozent ausgelastet – aufgrund der Influenzasituation, sagt Pressesprecher Reinhard Marczik. Auch von den 200 Intensivbetten sind bereits jetzt 80 Prozent ausgelastet. Betten aufzustocken sei im Notfall möglich, hänge dann aber von „der Infektionsrate unter unseren Mitarbeitern oder auch bei den Partnerfirmen (für notwendige Servicearbeiten etc.) ab“. Am Landeskrankenhaus Hartberg mussten wegen der Infektion einer Mitarbeiterin bereits geplante Operationen verschoben werden.

In Innsbruck, eine halbe Autostunde von der Brennergrenze in Italien, waren am Dienstag nur 27 der 120 Intensivbetten tatsächlich verfügbar. Zum Vergleich: In der Lombardei waren 80 Prozent der Menschen in Intensivbetten Coronaerkrankte. Allerdings, sagt Karl Schwamberger, Pressesprecher der Tirol Kliniken, sei eine Aufstockung im Notfall kein Problem: Jedes Bett an der Innsbrucker Klinik könnte in ein Intensivbett umgewandelt werden. Auch einzelne Stationen könnten für Corona-Patienten isoliert werden.

Niederösterreich weiß auch zu Zeiten von COVID-19 nicht, wie hoch die aktuelle Auslastung seiner Spitalsbetten ist: „Über diese Daten verfügen wir nicht“, heißt es seitens der Landesgesundheitsagentur. Durchschnittlich seien 83 Prozent der Intensivbetten belegt, das würde 65 freie Intensivbetten bedeuten. Eine Aufstockung sei „nur in einem sehr geringen Umfang“ möglich.

Wien, Salzburg, Oberösterreich, Kärnten, Vorarlberg und das Burgenland meldeten sich bislang auf eine Addendum-Anfrage seit Dienstag nicht zurück. 

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