Die Corona-Krise wird so schnell nicht vorbei sein. Die große Frage ist daher: Was ist nötig, um bis dahin ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen? Die einfache Antwort: mehr und vor allem bessere Daten. Denn nur so können möglichst effektive Eindämmungsmaßnahmen gegen die Krankheit getroffen werden. Derzeit versuchen wir im Wesentlichen vier Ziele unter einen Hut zu bekommen:
Um die Sterberate innerhalb der Risikogruppe zu reduzieren, ist das Monitoring der Anzahl der Infizierten in dieser Gruppe von fundamentaler Bedeutung. Manche kritisieren, dass die Regierung die Zeit, die sie sich durch den Lockdown verschafft hat, nicht ausreichend genutzt hat. Der Gesundheitsexperte Martin Sprenger spricht sogar von einem Wissenschaftsdesaster. Der Grund: Man habe es bisher verabsäumt, bei den Corona-Tests auch mögliche Vorerkrankungen abzufragen: eine zentrale Information, die jetzt für den Schutz der Risikogruppe fehlt. Gleichzeitig hätten Alten- und Pflegeheime schon viel früher geschützt werden müssen, etwa mit regelmäßigen Massentests für all jene, die zu dieser Gruppe gehören oder mit ihnen zu tun haben, wie etwa Pfleger oder Ärzte.
Die Entwicklung der Corona-Pandemie in Italien und Spanien zeigt: Sind die Kapazitäten der Intensivstationen überstrapaziert, steigt die Sterberate stark an. Um solch einen Kollaps zu verhindern, muss man aber auch wissen, wie verbreitet das Virus innerhalb der Risikogruppe bereits ist. Genau das tun wir aber nicht. Bislang wissen wir nur, wie viele sich insgesamt mit dem Coronavirus infiziert haben. Die Regierung spricht von rund einem Prozent der Bevölkerung, also rund 90.000 Menschen. Herausgefunden hat sie das mit repräsentativen Tests. Alle zwei Wochen werden etwa 2.000 Menschen nach repräsentativen Kriterien getestet, also auch jene ohne Symptome. Damit sollen vor allem zwei Fragen geklärt werden: Wie viele Menschen sind mit Corona infiziert? Und wie viele bemerken davon nichts, weil sie sich nicht krank fühlen?
Ist die Anzahl der aktuell Infizierten niedrig genug – unser Gesundheitssystem also auch in den nächsten Wochen nicht von der Überlastung bedroht – wäre eine weitere Lockerung der Beschränkungen möglich. Laut Berechnungen von Experten sollten nicht mehr als 1,5 Prozent der Bevölkerung, also 125.000 Menschen, gleichzeitig an COVID-19 erkrankt sein, damit noch ausreichend Intensivbetten zur Verfügung stehen.
Genauso wichtig ist aber auch die Frage nach der Immunität: also wie viele Menschen in Österreich bereits immun sind. Auch was das betrifft, tappen wir noch im Dunkeln. Erst Ende April soll mit flächendeckenden Antikörpertests begonnen werden. Denn Eindämmungsmaßnahmen für Corona schauen bei einer Immunitätsrate von 30 Prozent völlig anders aus, als wenn nur etwa ein Prozent der Bevölkerung die Krankheit bereits durchgemacht hat.
Eine Frage, die derzeit nur am Rande gestellt wird, lautet: Was passiert in einem Gesundheitssystem im Corona-Modus mit Menschen, die akut krank werden oder chronisch krank sind? Bekommen sie eine ausreichende Versorgung? Fest steht: Viele OPs wurden verschoben, und Spitäler sind zurückhaltender bei der Aufnahme neuer Patienten. Die Leidtragenden sind langfristig andere Patienten, deren Operationen und Behandlungen als „aufschiebbar“ gelten. Der Onkologe Stefan Wöhrer kritisierte Ende März das Vorgehen der Spitäler: „Ich finde es schwer vertretbar, jetzt leere Betten zu haben und sich auf Corona-Fälle vorzubereiten, die es noch nicht gibt.“
Die Regelversorgung im Gesundheitssystem ist vor allem auch dann gefährdet, wenn zu viel medizinisches Personal gleichzeitig erkrankt. Um das zu verhindern, braucht es auch in dieser Gruppe regelmäßige Massentests. Erste Stichprobentests sind allerdings sehr erfreulich: Die Zahl der Infizierten war äußerst gering. Trotzdem gibt es bereits einige Krankenhäuser in Österreich, die aufgrund von mit Corona infiziertem Personal zumindest teilweise gesperrt sind. Stand 8. April ist etwa die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Klinikum Wels-Grieskirchen gesperrt, nachdem ein Arzt positiv getestet wurde. Selbiges gilt für die Gynäkologie und Geburtenstationen des Landeskrankenhauses Oberwart und des Wiener Donauspitals. Fest steht: Je mehr Ärzte, Pfleger und Sanitäter infiziert sind, desto mehr Abteilungen müssen schließen.
Der Corona-Notbetrieb führt zu hoher Arbeitslosigkeit, Zukunftsängsten und Stress. All das beeinflusst langfristig auch unsere psychische Gesundheit und bewirkt eine Zunahme der sozialen Ungleichheit in Österreich. Denn: Die ärmeren Menschen und Familien in unserer Gesellschaft trifft diese Pandemie am stärksten. Daher ist es wichtig, dass wir bei allen Corona-Maßnahmen immer auch das sogenannte „Big Picture“ nicht aus den Augen verlieren. Laut dem IHS-Ökonomen Martin Kocher hängen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise auch davon ab, „wie schnell die Ausbreitung der Krankheit eingedämmt werden kann und das Land wieder einigermaßen zurück zur wirtschaftlichen Normalität findet“.
Wie lange die Corona-Krise in dieser Form dauern wird, hängt nicht nur von der Verfügbarkeit eines Medikaments oder eines Impfstoffs ab – der wird nämlich frühestens 2021 einsatzbereit sein – sondern auch von den Daten, die wir erheben, auswerten und miteinander verknüpfen. Dabei stehen wir erst am Anfang. Daten sind in dieser Corona-Krise aber der einzige Weg, um möglichst schnell zu einem halbwegs normalen Leben zurückzukehren, bei gleichzeitiger Kontrolle der Ausbreitung von COVID-19. Dass eine Lockerung der Maßnahmen eine Gratwanderung ist, bestreitet wohl niemand. Die Regierung muss aufpassen, dass kein Fehltritt passiert.