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Debatte
von Herbert Saurugg
Was wir aus der Corona-Krise für die Blackout-Vorsorge lernen können
9. Juli 2020 Debatte: Die Corona-Krisen Lesezeit 14 min
Im Herbst 2018 wurde durch Addendum das Rechercheprojekt „Ist Österreich auf einen Blackout vorbereitet?“ veröffentlicht. Die Schlussfolgerung war ernüchternd: „Die Fakten, die unser Rechercheteam zusammengetragen hat, führen eher zu dem Schluss, dass wir es nicht sind.“ Zwei Jahre später erscheint es angebracht, einen Rückblick zu wagen, was sich in der Zwischenzeit getan hat und was wir dazu aus der aktuellen Corona-Krise lernen können.
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Ist Österreich auf einen Blackout vorbereitet?
4 Artikel im Projekt Blackout

Die positive Nachricht vorweg: Es gab keinen Blackout in Europa. Die weniger positive ist: Die Gefahr ist inzwischen weiter gestiegen. Das österreichische Bundesheer sprach im Jänner 2020 sogar von einer sehr hohen Eintrittswahrscheinlichkeit binnen der nächsten fünf Jahre. Die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie wurde in dieser Analyse als deutlich geringer eingestuft. Kaum jemand ahnte damals, dass uns die Realität binnen weniger Wochen einholen würde. Demensprechend wenig Beachtung fand auch die sich in China ausbreitende Vorstufe. Zumindest wurde nicht wirklich darauf reagiert. Dabei sind wir noch längst nicht am Ende, da eine Pandemie eine schleichende und länger anhaltende Krise darstellt. Die Spanische Grippe verlief in mehreren Wellen, wovon die zweite besonders heftig war. Die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen und Schäden sind daher noch lange nicht abschätzbar.

Systemische Risiken und zeitverzögerte Wirkungen

So wie die Bankenkrise 2007/2008 massiv unterschätzt und eine Reihe von Folgekrisen ausgelöst hat, muss wohl auch diesmal damit gerechnet werden, dass noch eine Reihe von Folgekrisen auftreten wird, auch wenn weitere Wellen an Erkrankungen ausbleiben sollten. Denn im Gegensatz zu damals war und ist diesmal die gesamte Welt zeitgleich betroffen. Der unmittelbare wirtschaftliche Einbruch war noch deutlich größer, auch wenn derzeit der Eindruck einer raschen Erholung aufkommen könnte. Zumindest, wenn man die Börsenkurse ansieht. Diese spiegeln jedoch nur die Geldschwemme („Koste es, was es wolle“) und nicht die realwirtschaftliche Situation wider. Daher täuscht das, was wir momentan sehen, über die tatsächliche Situation hinweg. Weiter steigende Infektionszahlen oder sogar weitere Wellen könnte neuerliche Schocks und Vertrauenskrisen auslösen, was sich unmittelbar auf die Wirtschaft auswirken würde.

Noch nie gab es einen derart heftigen, zeitgleichen und globalen Schock wie durch die COVID-19-Pandemie. Und noch nie war die Weltgemeinschaft derart vernetzt und wechselseitig abhängig, wie sie das heute ist: ein unfassbar komplexes System mit zahlreichen systemischen Risiken. Diese zeichnen sich durch einen sehr hohen Vernetzungsgrad, die Gefahr von Dominoeffekten sowie Kettenreaktionen mit irreversiblen Auswirkungen aus. Besonders die nichtlinearen und zeitverzögerten Wirkungen führen dazu, dass derartige Risiken deutlich unterschätzt und ihre Beherrschbarkeit überschätzt werden. Der aufkommende Eindruck, es war doch nicht so schlimm und es könnte in vielen Bereichen bald wieder so weitergehen wie zuvor, könnte zu einer bösen Überraschung führen.

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Verwundbare Lieferketten

Vielen Menschen ist in der Corona-Krise erstmals bewusst geworden, welche Abhängigkeiten es von den internationalen Lieferketten gibt. Dabei hatten wir nochmals richtig Glück, da es zu keinen nennenswerten Ausfällen in der Versorgung gekommen ist. Entgegen den anfänglichen Einschätzungen hat die Medikamentenversorgung weiter funktioniert, obwohl es massive Abhängigkeiten von der Produktion in China und in Indien gibt. Engpässe sind vor allem bei der Schutzausrüstung sichtbar geworden. Auch, weil entsprechende Vorsorgemaßnahmen gefehlt haben. Die Beschaffungsaktionen begannen erst, als die Krise bereits voll im Gange war, was nicht von besonderer Weitsicht zeugt. Zu weiteren Engpässen kam es bei einzelnen Lebensmittel- und Hygieneprodukten. Stichwort: WC-Papier. Viele Menschen standen plötzlich erstmals vor leeren Regalen. So etwas war bisher nicht vorstellbar. Und dies passierte, obwohl alle Infrastrukturen funktionierten. Doch die hoch optimierte Just-in-Time-Logistik verzichtet zunehmend auf teure Lagerkapazitäten, wodurch sich ein Flaschenhals rasch auf die gesamte Versorgungskette auswirken kann.

Besonders eindrucksvoll war dies bei Germ zu beobachten. Weil die Verpackung nach Deutschland ausgelagert wurde, gab es durch die überall gestiegene Nachfrage plötzlich nicht mehr genug Haushaltsgerm zu kaufen. Nicht, weil sie nicht verfügbar gewesen wäre, sondern weil sie nicht in ausreichende Mengen abgepackt werden konnte. Fallweise wurden Großpackungen angeboten, da diese nun in der verarbeitenden Industrie oder in Bäckereien weniger nachgefragt wurden. Trotz allem hat die Logistik sehr gut funktioniert, was aber auch zu einer falschen Einschätzung der Robustheit dieser führen könnte.

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Die Zulieferketten sind wenig robust

Denn die Realität sieht differenzierter aus, wie das Complexity Science Hub Vienna in einer aktuellen Studie beschreibt. Dieses hat sich die Lieferkettenabhängigkeiten österreichischer Unternehmen angesehen. Das Ergebnis ist wenig beruhigend: „Die Auswertung zeigt, dass ein Drittel der befragten Firmen mindestens einen Lieferanten hat, dessen Ausfall einen kompletten Stillstand des Betriebs bedeuten würde, nachdem die aktuellen Lagerbestände aufgebraucht sind. Für 55 Prozent dieser zentralen Lieferanten gibt es keine Alternativen. Etwa 40 Prozent aller genannten Zulieferer stammen aus dem Ausland. Auch von den für die Betriebe hoch kritischen Zulieferern befinden sich etwa 35 Prozent im Ausland. Können Vorprodukte nicht an andere Firmen ausgeliefert werden, können sich Lieferausfälle in Kaskaden durch das ganze Lieferkettennetzwerk fortpflanzen und im schlimmsten Fall zu einem Komplettausfall ganzer Industriezweige führen.“

Die Schlussfolgerung ist wenig schmeichelhaft: „Die große Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten bedeutet, dass die österreichische Zulieferkette insgesamt nur beschränkt robust ist. Daher könnte es relativ leicht zu systemisch relevanten kaskadenartigen Zulieferkrisen kommen.“

Es ist davon auszugehen, dass die Situation in anderen Ländern nicht wesentlich besser aussieht. Hier versteckt sich ein enormes Risiko, das auch deshalb noch nicht sichtbar geworden ist, weil etwa die Insolvenzverfahren verzögert werden. Eine anstehende Insolvenz muss nicht mehr zeitnah angezeigt werden. Daher ist hier mit heftigen, zeitverzögerten Problemen zu rechnen, und ein kaskadierender Ausfall könnte losgetreten werden.

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Krisenmanagement

Obwohl sich eine mögliche Pandemie, also eine weltweite Ausbereitung des SARS-CoV-2-Virus bereits im Jänner abzeichnete, reagierte man vielerorts erst, als die Regierung ebenfalls für viele überraschend den Lockdown anordnete. Wie sich später herausstellen sollte, zum richtigen Zeitpunkt. Diese Entscheidung hatte aber weniger mit einer gediegenen Vorbereitung als vielmehr mit einer übertriebenen Mediendarstellung der Situation in Italien zu tun. So gesehen hat sich die österreichische Improvisationskunst einmal mehr bewährt. Kann man darauf stolz sein? Wohl eher nicht. Dass die Bewältigung so gut gelungen ist, hat viel mehr mit Glück zu tun. Denn die Wissenschaft rechnet seit Jahren mit ganz anderen Erkrankungszahlen und Auswirkungen bei einer Pandemie, als wir sie bisher gesehen haben.

Die Auswirkungen wären katastrophal. Man überlege sich nur einmal, was passieren würde, hätte es gehäufte Infektionen von Verkaufspersonal gegeben. Die Supermärkte wären wohl rasch nicht mehr handlungsfähig gewesen. Oder wenn sich die Erkrankung nicht „nur“ bei rund 15 Prozent der Erkrankten schwerwiegend auswirkt, sondern bei deutlich mehr Menschen.

Viele Dinge konnten noch während der Krise organisiert werden, da die Kommunikationsinfrastrukturen funktioniert haben. Bei einem Blackout, also einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall, würde das alles nicht mehr möglich sein. Unser Leben würde abrupt zum Stillstand kommen. „Hamsterkäufe“ wie im März wären dann auch nicht mehr möglich. Das bedeutet, die Corona-Krise, wie wir sie bisher erlebt haben, war nur ein sanfter Vorgeschmack auf das, was wir binnen der nächsten fünf Jahre erleben könnten, sollte das österreichische Bundesheer recht behalten. Zudem wissen wir nicht, ob nicht die SARS-CoV-2-Pandemie, ähnlich wie die Spanische Grippe vor 100 Jahren, mit einer deutlich heftigeren zweiten Welle wiederkehrt.

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Steigende Blackout-Gefahr

Als sich im März und April Betriebsmannschaften von Kraftwerken und Versorgungsunternehmen in eine freiwillige Quarantäne begaben, um eine mögliche Infektion vorzubeugen, wurde dies umfangreich kommuniziert. Die Versorgung sei gesichert, so wurde versichert. Das waren wichtige Maßnahmen, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Nur wenige Menschen haben jedoch mitbekommen, dass während des Lockdowns die Blackout-Gefahr trotzdem deutlich gestiegen ist. Durch den Lockdown und Wirtschaftseinbruch sank die Stromnachfrage. In einigen Ländern sogar um bis zu 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dadurch kam es zu einem deutlichen Stromüberangebot. Die Preise sanken auf ein Niveau, auf dem kaum noch ein Kraftwerk wirtschaftlich betrieben werden konnte. Die Situation hat sich mittlerweile stabilisiert, die Preise haben sich wieder fast verdoppelt und das Vorkrisenniveau erreicht.

Stromüberschuss und fehlende Puffer

Nicht nur ein Strommangel, sondern auch ein Stromüberschuss kann für die Stabilität des Stromversorgungssystems gefährlich werden, insbesondere wenn dabei sehr viel Strom aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen zur Verfügung steht. Denn dann werden konventionelle Kraftwerke aus dem Markt gedrängt. Das ist zwar für den Klimaschutz erfreulich, führt aber dazu, dass systemkritische Funktionalitäten fehlen. Photovoltaik- und Windkraftanlagen haben nämlich keinen Puffer, um Schwankungen ausgleichen zu können. In konventionellen Kraftwerken wird das in erster Linie durch rotierende Massen, also Generatoren, laufend und ohne Steuerungseingriff sichergestellt. Permanent wird mechanische in elektrische Energie und umgekehrt umgewandelt, indem die Generatoren etwas langsamer oder etwas schneller laufen. Fehlen diese Trägheitselemente, können unvorhergesehene Störungen oder Kraftwerksausfälle katastrophale Kaskaden auslösen.

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Die deutsche Energiewende als Stressfaktor

Diese Gefahr wird in den nächsten Jahren mit dem Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen und dem gleichzeitigen Ausstieg konventioneller Kraftwerke deutlich zunehmen, wenn nicht rechtzeitig entsprechende Ersatzmaßnahmen geschaffen werden. Besonders der deutsche Atom- und Kohle-Teilausstieg bis Ende 2022 wird das System erheblich belasten. Denn bisher ging es hauptsächlich um den Ersatz der Erzeugungsanlagen und den Netzausbau. Letzterer ist massiv verzögert. Die zentralen Leitungen, die große Windstrommengen aus Norddeutschland in den verbrauchsintensiven Süden transportieren sollen, sollten offiziell bis 2025 fertiggestellt werden. Inoffiziell spricht man aber eher von 2030. Die Kraftwerksstilllegungen sind aber bereits bis Ende 2022 fixiert. Als Alternative plant man Importe aus den Nachbarländern, sollte es notwendig werden. Doch diese haben bisher immer aus Deutschland importiert, wenn es speziell im Winter eng wurde. Im europäischen Stromversorgungssystem muss aber permanent und überall gleichzeitig die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden. Ansonsten kommt es zum großflächigen Zusammenbruch. Dazu braucht es neben einer entsprechenden Netzinfrastruktur vor allem Speicher, welche die Schwankungen ausgleichen können, und zwar von inhärent bis saisonal. Dinge, die bisher bei der Energiewende viel zu kurz kommen.

Fehlende Speicher

Das größte deutsche Pumpspeicherkraftwerk, Goldisthal in Thüringen, hat eine Leistung von 1 GW und eine Speicherkapazität von 8 GWh. Damit ist bei voller Rückspeisung ins Netz der Speicher nach acht Stunden leer. Der österreichische Stromverbrauch könnte damit genau für eine Stunde gedeckt werden. In Deutschland mussten 2017 und 2018 je rund 5 TWh Windstrom abgeregelt werden, da das Netz nicht mehr Strom aufnehmen konnte. Das entspricht ungefähr der Speicherkapazität von 625 Pumpspeicherkraftwerken der Größe von Goldisthal.

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E-Mobility: Überschätzte Speicherfähigkeiten

Elektroautos werden daher gerne als Lösungen gebracht. Dazu ein einfacher Vergleich: Wenn heute im Burgenland der Wind ordentlich weht, dann könnten nur mit dem Überschussstrom eines Tages rund 240.000 Tesla Batterien vollständig geladen werden. Im umgekehrten Fall, wenn kein Wind weht, bräuchte es 80.000 Tesla Batterien, um nur das Burgenland einen Tag lang mit Batteriestrom versorgen zu können. Da wären dann die Batterien aber auch komplett leer, was die Autobesitzer nicht sehr freuen dürfte. Diese Beispiele zeigen, dass wir für eine gelungene Energiewende noch große Herausforderungen vor uns haben, die gerne übersehen werden.

Auch in Österreich spricht man meist nur von den notwendigen Ausbauraten an Wind- und PV-Leistung, jedoch kaum von den Speichernotwendigkeiten, auch wenn wir eine bessere Ausgangssituation als Deutschland haben.

Engpassmanagementkosten

Die steigenden Herausforderungen zeigen sich seit Jahren in den explodierenden Engpassmanagementkosten, also jenen Kosten, die zur Verhinderung eines Systemausfalls in Österreich notwendig waren. Diese sind in den letzten zehn Jahren von 2 Millionen Euro im Jahr 2011 auf 346 Millionen Euro im Jahr 2018 gestiegen. Durch die Strommarkauftrennung zwischen Deutschland und Österreich im Oktober 2018 sind die Kosten im vergangenen Jahr auf 203 Millionen Euro zurückgegangen. Gleichzeitig sind aber die innerösterreichischen Kosten deutlich gestiegen, was vor allem mit dem Flaschenhals der noch nicht gebauten Salzburgleitung zu tun hat.

Steigende Eingriffszahlen

In der Zwischenzeit wurden Maßnahmen gesetzt, um die Kosten für die Eingriffe zu senken. Das ändert aber nichts daran, dass mittlerweile an rund 300 Tagen Eingriffe erforderlich sind, um die Systemstabilität weiter zu gewährleisten. Dieses Grundstresslevel macht das Gesamtsystem anfälliger für Großstörungen. Das europäische Stromversorgungssystem ist aufgrund seiner Größe das stabilste der Welt. Gerät dieses System jedoch aus dem Gleichgewicht, drohen katastrophale Folgen.

Es gibt keine Erfahrungswerte, wie lange es dauern könnte, bis wieder alles stabil funktioniert. Hinzu kommt die steigende Komplexität durch die Digitalisierung und durch die Zunahme der Akteure (Markt, Kleinstkraftwerke). Wenn ein komplexes System instabil wird, dann bricht es abrupt zusammen, was für die meisten Menschen nur schwer vorstellbar ist.

Viele Unsicherheiten

Die europäischen Netzbetreiber leisten hervorragende Arbeit und bereiten sich seit Jahren auf diesen Netzwiederaufbau vor. Dennoch rechnet man damit, dass es etwa eine Woche dauern könnte, bis das gesamte System wieder stabil funktioniert. Je nach Auslöseereignis könnte es auch deutlich länger dauern, etwa wenn wichtige Betriebsmittel kaputt sind oder zerstört wurden. Das kann durch Überlastung oder Fehlfunktionen passieren, oder wie Ende Juni 2020 in der Schweiz, durch Sabotage. In der Westschweiz wurde ein Hochspannungsmast gesprengt. Bisher ist nicht klar, wer dahintersteckt. Zum falschen Zeitpunkt an einem kritischen Ort, und weite Teile Europas können binnen Sekunden finster werden. So wie 2006 in Folge einer planmäßigen Leitungsabschaltung, woraufhin ein Dominoeffekt ausgelöst wurde. In Westeuropa ging binnen 19 Sekunden in 10 Millionen Haushalten noch rechtzeitig das Licht aus, knapp vor dem wirklichen Blackout. Unter den heutigen Rahmenbedingungen erwartet kaum noch jemand, dass das ein zweites Mal gelingen könnte.

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Unterschätzte Phase 2

Das, was aber völlig unterschätzt wird, ist die Phase 2 eines Blackouts. Also wenn der Strom bereits wieder fließt, aber die Telekommunikationsversorgung (Handy, Festnetz und Internet) noch nicht funktioniert. Auch diese Systeme fallen bei einem Blackout in der Regel binnen weniger Minuten großflächig aus. Noch schlimmer wird es, wenn durch die Länge des Stromausfalls wichtige und grundsätzlich mit einer Notstromversorgung abgesicherte Knoten ausfallen. Aus lokalen Stromausfällen ist bekannt, dass dabei schwere und umfassende Hardwareschäden auftreten können, die dann erst aufwendig repariert werden müssen. Hinzu kommt, dass nach einem solchen Ereignis wohl viele Menschen zeitgleich telefonieren wollen, womit massive Überlastungen zu erwarten sind. Es wird dauern, bis sich das Ganze wieder einpendelt.

Ohne Telekommunikationsversorgung gibt es jedoch weder eine Produktion noch Warenverteilung. In den meisten Fällen auch keine Treibstoffversorgung.

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Langwieriger Wiederanlauf

Daher ist zu erwarten, dass es, auch wenn in Österreich binnen eines Tages die Stromversorgung wieder funktionieren sollte, noch mehrere Tage dauern wird, bis die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder anlaufen kann. Hier kommen dann auch die Lieferkettenabhängigkeiten wieder ins Spiel. Wenn wie zu erwarten in anderen Ländern Europas der Stromausfall wesentlich länger dauern wird, so auch etwa in Deutschland, dann sind massive Auswirkungen auf die die Logistikketten zu erwarten. Die Versorgung wird daher kaum vor der zweiten Woche wieder breiter anlaufen können. Das ist unsere größte gesellschaftliche Achillesferse.

Fehlende Eigenvorsorge

Wir wissen seit 2015 aus der Untersuchung „Ernährungsvorsorge in Österreich“, dass sich rund ein Drittel der Bevölkerung maximal vier Tage und zwei Drittel maximal eine Woche ausreichend selbst versorgen können. Damit ist zu erwarten, dass es bis zum Wiederanlauf der Versorgung bereits rund sechs Millionen Menschen gibt, die hungern. Noch schlimmer ist, dass auch jene Menschen und deren Familien betroffen sind, die bei Einsatzorganisationen oder Unternehmen tätig sind, welche die Notversorgung am Laufen halten oder den Wiederanlauf organisieren sollten. Daher fehlt es nicht nur an organisatorischen Maßnahmen, sondern vor allem an der wesentlichen Basis: der Eigenversorgungsfähigkeit der Menschen. Ohne diese werden auch viele organisatorische Maßnahmen nicht greifen. Ein Teufelskreis, dem vor allem durch breite Ignoranz begegnet wird.

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Dezentrale Selbstorganisation

Im Gegenzug zur Corona-Krise wird bei einem Blackout kaum eine zentrale Koordination möglich sein, da niemand allen bei gleichzeitig eigener Betroffenheit helfen kann. Daher sind im Blackout-Fall und auch bei der Blackout-Vorsorge vor allem die Gemeinden gefordert. Das ist die einzige Verwaltungsebene, wo wirklich Hilfe organisiert und durchgeführt werden kann. Hier hat sich in den vergangenen Jahren durchaus etwas getan. Aber wir sind noch weit von einer wirklich breit aufgestellten Vorsorge und Bewältigungsfähigkeit entfernt. Auch wenn es in Einzelbereichen besser aussehen mag, entscheidend ist nur die Gesamtbewältigungsfähigkeit.

Fehlende Vorsorge in Unternehmen

Auch in Unternehmen sieht es selten besser aus, und wenn es doch organisatorische oder technische Vorbereitungen gibt, dann ist nur selten das Personal eingebunden. Wenn nicht jede und jeder weiß, was zu tun ist, wenn nichts mehr geht und nur mehr eine sehr eingeschränkte technische Kommunikation möglich ist, dann wird vieles dem Zufall und falschen Erwartungen überlassen.

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Risikokommunikation

Die Risikokommunikation wurde in den vergangenen Jahren spürbar verbessert. Es gibt jedoch noch ausreichend Luft nach oben. Ende 2019 wurde etwa allen steirischen Gemeinden eine umfassende Arbeitsmappe für die Blackout-Vorsorge zur Verfügung gestellt. Die wesentliche Kommunikations- und Vorbereitungsarbeit muss jedoch weiterhin in den Gemeinden selbst erfolgen, was sich durch die aktuellen Herausforderungen wohl weiter verzögern wird, auch wenn ein möglicher Blackout darauf keine Rücksicht nehmen wird.

Widersprüchlichkeiten

Die Corona-Krise hat daher auch für das Thema Blackout-Vorsorge mehrere widersprüchliche Auswirkungen: Bei jenen, die sich bereits bisher mit dem Thema Blackout-Vorsorge beschäftigt haben, wurde der Bedarf an einer ganzheitlichen Krisenvorsorge bestätigt, auch, wie rasch unerwartete Ereignisse eintreten können. Auf der anderen Seite gibt es wohl auch jene, die nun meinen, dass man auch weiterhin große Krisen aus der Bewegung bewältigen kann.

Auch beim Thema Eigenvorsorge gibt es wahrscheinlich widersprüchliche Wahrnehmungen: übertriebene Einkäufe („Hamsterkäufe“), als normale Reaktion auf eine abnormale Situation, die durch eine fehlende Vorsorge ausgelöst wurden. Die andere Sicht ist, es hat eh fast alles wunderbar funktioniert, also warum vorsorgen. Zudem wurden in der Öffentlichkeit „Hamsterkäufe“ verurteilt, anstatt vor unüberlegten Großeinkäufen zu warnen und gleichzeitig zur strukturierten Vorsorge aufzurufen. Würde man sich genauer ansehen, was Hamster wirklich machen, wüsste man, dass das eine kluge Vorsorge ist.

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Rechtzeitig daraus lernen

Die Corona-Krise hat viele bisher wenig beachtete Abhängigkeiten sichtbar gemacht, und es gab auch einige Ankündigungen, dass die Robustheit der Gesellschaft verbessert werden soll. Gerade mit dem Konjunkturpaket für Gemeinden besteht nun eine große Chance, das rasch anzugehen. Oftmals kann man mit wenig Mehraufwand die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen auch zur Steigerung der Robustheit von Infrastrukturen und damit der Gesellschaft nutzen. Nur muss man sich dessen bewusst sein und in längeren Zeithorizonten denken. Daher bietet auch diese Krise Chancen, um zukünftig besser auf große Schockereignisse wie einen Blackout vorbereitet zu sein. Sollten wir diese nicht nutzen, droht in Europa die größte Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg. 

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Über den Autor

Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Energiewende-Experte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie gefragter Keynote-Speaker und Interviewpartner zu einem europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall.

Seit rund zehn Jahren beschäftigt er sich mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster gestaltet werden kann. Er betreibt dazu unter www.saurugg.net einen umfangreichen Fachblog und unterstützt Gemeinden und Organisationen bei der Blackout-Vorsorge.

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Das Addendum-Team, September 2020