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Debatte
von Klaudia Bachinger
Zwischen Schutz und Bevor­mundung: Wie sollen Betriebe mit älteren Arbeit­nehmern umgehen?
27. August 2020 Debatte: Die Corona-Krisen Lesezeit 7 min
Ältere Menschen werden in der COVID-Krise vielfach über einen Kamm geschoren und als Risikogruppe eingestuft. Doch alt ist nicht gleich alt – um nicht ganze Generationen zu diskriminieren, müssen wir lernen, in unserer Sprache und in unserem Handeln stärker zu differenzieren.
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Eine Krise, wie wir sie derzeit erleben, ist für alle eine völlig neue Situation. Auf der Makroebene geht es um eine Aufrechterhaltung von Gesundheitssystemen, globalen Logistikketten, Bildungssystemen und Betrieben. Auf der Mikroebene stehen einander Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber, hoffend, dass die gemeinsame Reise irgendwie weitergeht, aber auch skeptisch, wohin das sein könnte – zu vieles ist gerade im Umbruch.

Aus den vergangenen Wochen lassen sich diesbezüglich zwei grobe Trends herauslesen:

Die einen Arbeitgeber treten die Flucht nach vorne an. Das sehen wir vor allem im Softwarebereich. Gerade jetzt Talente rekrutieren, Ideen vorantreiben und Innovationsprojekte umsetzen, ist die Devise jener Unternehmen, die sich das finanziell erlauben können.

Die zweite – und weit häufigere – Reaktion ist aber, einen Großteil der Angestellten in Kurzarbeit zu entsenden oder Teile der Belegschaft zu kündigen, neue Investitionen und Innovationsprojekte zu stoppen und einen Ausweg aus Vereinbarungen oder Verträgen zu suchen. Spannend dabei: Man trennt sich eher von Jüngeren als von Erfahrenen, was sich in Österreich in den vergangenen Monaten auch in den Arbeitslosenzahlen widergespiegelt hat.

Nicht zwangsläufig hängt dieses Vorgehen aber auch mit einer Wertschätzung der älteren Wissensträger im Unternehmen zusammen – sondern oft schlicht damit, dass Menschen, die länger im Unternehmen angestellt sind, auch längere Kündigungsfristen haben. Sie federn die Kündigungs-Dynamik dahingehend also ein wenig ab. Wie hart die Krise gerade die älteren Arbeitnehmer trifft, wird man wohl erst in einigen Monaten erkennen können.

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Lange, schwierige Arbeitssuche

In den USA hingegen genießen ArbeitnehmerInnen kaum einen Schutz. Experten schätzen, dass hier innerhalb von zwei Monaten bereits 20 Millionen Menschen ihren Job verloren haben. Erste Studien zeigen, dass ältere Arbeitnehmer früher als geplant in den Ruhestand gehen, um sich dem Risiko von COVID-19 nicht auszusetzen. Sie zeigen aber auch, dass sich jene, die im Rahmen von großen Kündigungswellen wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, nicht mehr um neue Arbeit bemühen möchten. Die Chance auf einen neuen Job sehen sie momentan als zu unrealistisch.

Das ist wenig verwunderlich. Aus vorherigen Krisen weiß man heute, dass Arbeitnehmer über 50 Jahre doppelt so lang nach einer neuen Anstellung suchen mussten wie jüngere.

Ob sich die Situation im DACH-Raum längerfristig ähnlich wie in den USA entwickeln wird? Schwer vorherzusehen, sind hier doch noch alle Rettungsschirme aufgespannt. Einige Branchen haben aber bereits angekündigt, dass bis Ende des Jahres Umstrukturierungen und Personalkürzungen anstehen.

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Alt sein, sich aber jung fühlen

Und wie geht es den älteren Beschäftigten selbst in der Krise? Sie haben gemischte Gefühle. Bei Umfragen in unserer Nutzergruppe, also unter Menschen ab 55 Jahren, hat sich aber ein interessanter Trend herauskristallisiert: Vom Arbeitgeber vorgegebene COVID-19-Einschränkungen, die sich ausschließlich auf das kalendarische, nicht jedoch auf das psychologische oder biologische Alter beziehen, werden von ihnen oft als diskriminierend, nicht fair und auch nicht altersgerecht empfunden. Ganz nach dem Motto: Alt ist nicht gleich alt. 65 Jahre bieten heute so gut wie keine Aussage darüber, wie das Leben eines 65-Jährigen tatsächlich aussieht. Hinzu kommt: Das gefühlte Alter sinkt heute. Wir leben länger, fühlen uns dabei aber jünger.

Diese Einstellung spiegelt sich übrigens auch an den Userzahlen auf unserer Jobplattform wider: Während der vergangenen Monate haben wir einen Zuwachs an älteren Menschen, die einen Job gesucht haben, verzeichnet. Obwohl die Pandemie eine potenzielle Gefahr darstellt, ist die Bereitschaft, zu arbeiten, groß.

Eine aktuelle Hokify-Umfrage zeigt, was die Hintergründe dafür sein könnten: Das Bedürfnis nach Jobsicherheit ist stark gestiegen. Ältere sorgen sich wegen eines Jobverlusts in dieser Krise wesentlich mehr als Jüngere. Auch schätzen der Umfrage nach lediglich 21 Prozent der über 55-Jährigen ihren Job aktuell als sicher ein.

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Schutz vs. Bevormundung

Blickt man in Konzerne, erkennt man hie und da ebenfalls eine Differenzierung, was Schutzmaßnahmen betrifft. Bei Google beispielsweise ist Alter allein kein Faktor, wegen dem man erhöhte COVID-19-Vorsicht walten lässt. Die Entscheidung, ob Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit von Zuhause aus arbeiten möchten, weil sie sich selbst als gefährdet einstufen, wird jedem frei überlassen – ganz egal ob älter – sogenannte Greygler – oder jünger – die Newgler.

Hier die richtige Mischung aus Schutz und Selbstbestimmung zu gewähren, ist einer der schwierigen Balance-Akte, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in diesen außergewöhnlichen Zeiten zu bewältigen haben. Eines der gemeinsamen Ziele sollte hier jedoch sein, die älteren Generationen nicht über einen Kamm zu scheren, dadurch Stereotype zu erzeugen und diese zu stigmatisieren.

Viele ältere Junggebliebene fühlen sich nämlich gerade durch einen Aufruf, nun geschützt werden zu müssen, plötzlich alt und gefährdet. Vielfach führt erst dieses Gefühl dazu, dass sie tatsächlich anfälliger für Inaktivität, Einsamkeit, Depressionen und andere Krankheiten werden.

Wie wir in der Krise über die Älteren sprechen und welches Gefühl wir ihnen beim Zusammenleben oder Zusammenarbeiten geben, hat also größere Auswirkungen auf sie, als wir ahnen. Wir sollten daher dringend aufhören, „die Alten“ als solche zu stigmatisieren und uns um eine differenzierte Herangehensweise bemühen.

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Ältere Arbeitnehmer weiterhin einbinden

Denn Fakt ist: Unternehmen können auf ältere Mitarbeiter nicht verzichten – auch nicht in Krisenzeiten. Aus gesellschaftspolitischen, sozialen aber auch aus rein wirtschaftlichen Gründen. Experten schätzen, dass 2050 allein in Europa 195 Millionen Menschen älter als 65 Jahre werden. Im Moment werden hier rund 200.000 Menschen sogar 100 Jahre oder älter. Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Zahl 2060 auf rund 1,4 Millionen Menschen wachsen wird. Eine unglaubliche Entwicklung.

Global kann man sich dem Trend der Silver Society also nicht entziehen. Nicht nur, weil die Belegschaften an sich immer älter werden und man generationenfreundliche Lösungen braucht. Sondern auch, weil Unternehmen vor großen Pensionierungswellen stehen. Die Generation der Babyboomer verabschiedet sich gerade sukzessive in den Ruhestand und hinterlässt eine schmerzvolle Wissenslücke in Organisationen – weltweit.

In Zeiten wie diesen eine weitere Herausforderung für Unternehmen.

Die Silver-Society-Studie des Zukunftsinstituts spricht an, was vielen durch den Kopf geht, wenn man von älterer Belegschaft in Unternehmen spricht: Fehlende Innovationskraft. Vergreiste Ansichten. Im Gestern statt im Morgen. Nach dem aktuellen Forschungsstand gibt es aber keinen Zusammenhang zwischen dem Alter und der geistigen Arbeitsleistung, wissen die Experten. Solange man Freude an der Arbeit hat, sich weiterbildet und gefordert wird. „Je komplexer die Aufgaben, desto größer die intellektuelle Leistungsfähigkeit und Motivation, die gerade in der Wissensgesellschaft so wichtig werden wird“, so der Bericht.

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Ältere auch in der Krise?

Aus den Gesprächen mit älteren Arbeitnehmern haben wir auch vier Bedürfnisse identifizieren können, wie sie ihre Arbeitswelt gestalten möchten: Sie möchten bei ihrer Tätigkeit zeitlich und örtlich unabhängig sein – für den Ruhestand etwa aus der Stadt aufs Land ziehen, weiterhin jedoch – zum Beispiel „remote“ – tätig sein. Sie möchten ihre sozialen Beziehungen, wie etwa regelmäßigen Kontakt zu Kollegen und Kunden beibehalten – was vor allem in Krisenzeiten wichtig ist. Und nicht zuletzt: Sie wünschen sich Wertschätzung für ihr Wissen. Jeder zweite Mensch im Pensionsantrittsalter möchte seinen Wirkungskreis nicht von 100 Prozent auf 0 reduzieren, sondern auch weiterhin relevantes Wissen zur Verfügung stellen und an jüngere Mitarbeiter weitergeben.

Ganze zwei Drittel der Beschäftigten hierzulande möchten in ihrem Ruhestand weiterarbeiten – sei es ehrenamtlich oder gegen Entgelt (vgl. Seniors4success).

Die Kristallkugel ist getrübt

Man kann sicher sagen, dass der Blick in die Zukunft der Arbeitswelt noch nie so schwer war wie im Moment. Selbst die nahe Zukunft lässt sich schwer planen: Wie werden wir in der kalten Jahreszeit zusammenarbeiten? Wie entwickeln sich die Arbeitslosenzahlen in Österreich? Wie stark wird unsere Kommunikations- und Vertrauenskultur durch Homeoffice und Digitalisierung auf die Probe gestellt?
Was heute schon sehr wohl klar ist, ist, dass diese Krise den Fachkräftemangel weiter verschärfen wird. Wir sehen einen Personalabbau quer durch alle Generationen, Frühpensionierungen der Älteren auf der einen, Lehrlinge, die keine Ausbildung machen können, auf der anderen Seite. Innovationsprojekte sind auf Standby, in der Krise läuft vielerorts der Notbetrieb.

Homeoffice als Chance

Gleichzeitig sehen wir auch einen positiven Trend für Ältere: Homeoffice wird zur Chance, und vorübergehend zur Win-win-Situation für die verunsicherten Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Nicht nur umgehen Unternehmen so die Verbreitung von COVID-19, es verschafft der Generation 60+ die Chance, auch in diesen Zeiten weiter mitzuspielen und relevant zu bleiben. Denn sie ist in der Regel nicht nur digital fit, selbstbewusster und selbstständiger in ihrer Arbeit als ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Sie kann zudem ihr über die Jahre angeeignetes implizites Wissen nutzen, um weiterhin – auch zu Hause – ungehindert zu arbeiten. Unternehmen sollten dieses Potenzial nutzen.

Die Personalchefin eines großen heimischen Bankunternehmens und Vorreiters in Sachen New Work hat das kürzlich bestätigt: „Homeoffice war für unsere älteren Mitarbeiter leichter zu ertragen als für Berufseinsteiger.“
Eine spannende Aussage. Eine, die uns zeigt: Auf ältere Arbeitnehmer kann – und sollte – vor allem in der Krise gesetzt werden. Wir dürfen und müssen hoffen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Weg finden, ihre vorherrschende Skepsis beiseitezulegen und einander gemeinsam, vorurteilsfrei und generationenübergreifend Ideen, Innovationen und Lösungen für die Zukunft entlocken. 

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Über die Autorin

Klaudia Bachinger (34) ist Gründerin und CEO von WisR, einem österreichischen HR-Tech-Startup, das Unternehmen dabei zu unterstützt, effektive Maßnahmen im Angesicht des demografischen Wandels zu setzen. Mit einer Alumni-Software können Firmen Mitarbeiter wertschätzend in den Ruhestand begleiten, in Kontakt bleiben und sie für Mentoring, Projekt-, Wissensarbeit zurückholen. Davor hat die studierte Romanistin und Medienwissenschaftlerin als Redakteurin und Cutterin gearbeitet.

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