„Koste es, was es wolle.“ – Das versprach Bundeskanzler Sebastian Kurz in den ersten Tagen des Lockdowns. Um jeden Preis sollte nach Ansicht der Bundesregierung der Verlust von Arbeitsplätzen verhindert werden. Das erst wenige Tage zuvor am Samstag, den 14. März, beschlossene Soforthilfepaket im Umfang von 4 Milliarden Euro wurde um weitere 34 Milliarden Euro aufgestockt. Seither wurden noch zahlreiche weitere Maßnahmen beschlossen, wie die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie, Hotels und die Kultur oder zumindest verlängert, wie die Kurzarbeiterregelung und der Härtefallfonds. Das von der türkis-grünen Regierungskoalition vereinbarte Gesamtvolumen für die Stabilisierung der Wirtschaft und der Einkommen sowie für die Wiederankurbelung der Konjunktur liegt damit mittlerweile bei mindestens 50 Milliarden Euro.
Geld ohne Ende?
Die Ausweitung und Verlängerung der Unterstützungsmaßnahmen hat einer Stimmungslage den Weg bereitet, wonach Geld für alles und für jeden und für allezeit vorhanden sei. Vor diesem Hintergrund hat der nie um eine pointierte Formulierung verlegene deutsche Publizist Gabor Steingart in einer seiner Kolumnen Deutschland in „Land der Rettungsschirme“ umbenannt. Diesbezüglich steht Österreich Deutschland um nichts nach. Das Wetteifern um immer neue Rettungsschirme mag im politischen Wettbewerb um Wählerstimmen kurzfristig eine enorme politische Rendite einbringen. Doch gedeckt werden müssen die bislang ungedeckten Schecks eines Tages. Und bis zum heutigen Tage hat sich bereits eine ganze Menge an offenen Rechnungen angesammelt.
Worüber bislang nicht einmal ansatzweise geredet wurde, ist, wer dieses „Koste es, was es wolle“ eines Tages bezahlen soll. Gesundheitsminister Rudolf Anschober kündigte kürzlich auch lediglich an, im Herbst über die gerechte Finanzierung der Krise reden zu wollen. Dass Politiker diese Debatte aus dem Weg gehen, ist wenig überraschend. Geführt werden muss sie trotzdem, insbesondere angesichts der beträchtlichen Summen, die aufzubringen sind.
Ein historischer Wirtschaftseinbruch
Der aktuelle Wirtschaftseinbruch stellt die Rezession im Gefolge der Großen Finanzkrise 2007/2008 in den Schatten. Mit einem Minus von 12,5 Prozent brach die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal 2020 in noch nie dagewesenem Ausmaß ein, nachdem bereits im ersten Quartal 2020 ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen war. Auf Wochenbasis war der zwischenzeitliche Einbruch wegen des von der Regierung Mitte März verhängten Lockdowns noch stärker. In den beiden Wochen vom 30. März bis 12. April kollabierte das Bruttoinlandsprodukt jeweils um mehr als 25 Prozent. Allein in diesen beiden Wochen ging eine Wirtschaftsleistung von jeweils fast 2 Milliarden Euro verloren, so die Berechnungen des „Echtzeit-Indikators“ der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Mittlerweile haben sich die Daten deutlich verbessert. In der ersten Augustwoche betrug der Rückgang der realen Wirtschaftsleistung nur noch 3,3 Prozent, in der zweiten Augustwoche allerdings wieder 4,3 Prozent. Dennoch ist eine Stabilisierung eindeutig erkennbar. Dennoch, selbst diese Werte sind im negativen Sinne noch immer beachtlich. Die Schätzungen für das Gesamtjahr 2020 schwanken weiterhin stark und liegen derzeit zwischen –6,2 Prozent (OECD) und –8,0 Prozent (Bank Austria). Damit wird der aktuelle Wirtschaftseinbruch rund doppelt so stark ausfallen wie jener im Jahr 2009 im Zuge der Großen Finanzkrise.
Diese Zahlen berücksichtigen allerdings nicht, dass das Wirtschaftswachstum 2020 ohne die Verwerfungen durch das Coronavirus und den Lockdown im leicht positiven Bereich gewesen wäre. Gerechnet wurde mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts von knapp über 1,0 Prozent. Daher fällt der tatsächliche Wirtschaftseinbruch in diesem Jahr noch um diesen Prozentsatz höher aus.
Ein Krisenbudget
Nach einem Überschuss von zwei Milliarden Euro 2019 klafft im Ende Mai beschlossenen Budget für das laufende Jahr 2020 eine Lücke von 20,6 Milliarden Euro. Doch das Defizit wird deutlich höher ausfallen. Der von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) überarbeitete Budgetentwurf berücksichtigt lediglich die pandemiebedingten zusätzlichen Ausgaben, nicht aber den signifikanten Rückgang der Einnahmen. Die im Juni beschlossenen zusätzlichen Maßnahmen sind in diesen Zahlen ebenfalls nicht berücksichtigt, wobei ein Teil dieser Ausgaben erst in den Folgejahren budgetwirksam wird.
Die Einnahmen sind laut dem von Finanzministerium veröffentlichten „Monatserfolg Juni 2020“ im ersten Halbjahr um 4,5 Milliarden Euro oder 11,8 Prozent geringer ausgefallen als im ersten Halbjahr 2019. Die deutliche Abschwächung des Wirtschaftseinbruchs seit der Rücknahme der behördlichen Schließungen sollte im zweiten Halbjahr 2020 zu geringeren Einnahmeneinbußen führen. Bei einem angenommenen Rückgang der Gesamtjahreseinnahmen um 10 Prozent würde sich das Budgetdefizit allerdings immer noch um mehr als 8 Milliarden Euro auf fast 30 Milliarden Euro oder rund 7,5 Prozent des stark gesunkenen Bruttoinlandsprodukts erhöhen.
Bei diesen Zahlen handelt es sich allerdings lediglich um den Fehlbetrag des Bundes. Für den Gesamtstaat, also für Bund, Länder und Gemeinden, sowie die Sozialversicherungen erwartet der Fiskalrat in seinem im Mai veröffentlichten „Bericht über die Einhaltung der Fiskalregeln 2019–2021“ ein Defizit von 9,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 37,2 Milliarden Euro. Die Anfang Mai veröffentlichte Frühjahrsprognose der EU-Kommission berechnet das Defizit hingegen nur auf 6,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Wifo-Konjunkturprognose vom Juni schätzt das Defizit dagegen auf 10,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die Unsicherheiten über den weiteren Verlauf dieser Pandemie sind allerdings noch viel zu hoch, für eine Endabrechnung ist es daher noch deutlich zu früh. So droht nächstes Jahr der endgültige Einnahmenausfall bei jenen Steuern und Abgaben, die bislang lediglich gestundet wurden, falls es zu der erwarteten Pleitewelle kommt. Ebenso könnten jene Haftungen und Garantien, die der Bund gewährt und für die derzeit ein Volumen von maximal 9 Milliarden Euro vorgesehen sind, tatsächlich schlagend werden. Und wie die Entwicklungen der vergangenen Wochen gezeigt haben, sind die Abwärtsrisiken höher als die Wahrscheinlichkeit, dass es positive Überraschungen gibt.
Harte Verteilungskämpfe sind zu erwarten
Der Abbau der neuen Staatsschulden werden Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stark fordern. Denn trotz der vielen Unsicherheiten ist angesichts des beträchtlichen Finanzierungsvolumens eines gewiss: Die Verteilungskämpfe zur Sanierung des Staatshaushalts werden hart werden und umso härter werden, je länger die derzeitige Ausnahmesituation anhält.
Die Konfliktlinien werden verlaufen zwischen jenen Personenkreisen, die (bislang) keine Einkommensverluste zu erleiden hatten wie Staatsbedienstete und Bezieher von Transferleistungen, insbesondere Pensionisten, und jenen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder dem Konkurs des eigenen Unternehmens Einkommens-, mitunter sogar Vermögeneinbußen erlitten haben, aber auch zwischen jenen Berufsgruppen, die bislang stärker getroffen sind, und jenen, die vergleichsweise glimpflich davon gekommen sind. So ist es doch überraschend, dass sich gegen die Forderung der Seniorenvertreter, die Pensionen jedenfalls um die Inflationsrate zu erhöhen, wie gesetzlich vorgeschrieben, kaum Widerstand gerührt hat. Der inflationsbedingte Kaufkraftverlust trifft schließlich jeden, allerdings haben die Pensionisten bislang noch keinen Rückgang ihrer Einkommen verzeichnen müssen, im Unterschied zu den Arbeitnehmern in Kurzarbeit, den arbeitslos Gewordenen oder zu den Schülern und Studenten, die im Sommer keinen Ferialjob erhalten haben.
Der Abbau der neuen Schulden kann durch einnahmen- und ausgabenseitige Maßnahmen erfolgen. Die folgenden Beispiele zeigen allerdings, dass Einzelmaßnahmen keinesfalls ausreichen werden, selbst dann, wenn der Schuldenabbau auf mehrere Jahre gestreckt wird.
Einnahmenseitige Maßnahmen sind denkbar in Form der Einführung neuer Steuern, der Erhöhung des Steuersatzes bestehender Steuern oder in der Verschiebung bereits beschlossener Steuersenkungen, wobei die zur Gegenfinanzierung vorgesehenen Maßnahmen dennoch umgesetzt werden müssen, um derart Mehreinnahmen zu generieren.
Der Abbau der coronavirusbedingten Neuverschuldung kann auch durch ausgabenseitige Maßnahmen bewerkstelligt werden, wobei die größten Ausgabenbereiche naturgemäß den größten absoluten Beitrag aufbringen können.
Der Finanzierungsbedarf wird greifbarer, wenn man sich die Zahlen pro Kopf ansieht.
Ausgehend von einer Finanzierungslücke von 37,2 Milliarden Euro ergibt sich ein Finanzierungsbeitrag pro Kopf von rund 4.040 Euro, entweder in Form höherer Steuern oder geringerer staatlicher Leistungen. Wird der zu belastende Personenkreis auf die 4,3 Millionen Erwerbstätigen per 31. März 2020 sowie die rund 2,5 Millionen Pensionisten eingegrenzt, muss jeder dieser 6,8 Millionen Österreicher einen Betrag von 5.500 Euro aufbringen. Teilt man das Finanzierungsvolumen lediglich auf die Erwerbstätigen auf, ergibt sich ein Betrag von rund 8.650 Euro pro Person für den allein in diesem Jahr angehäuften Schuldenberg.
Alle Prognosen gehen davon aus, dass auch im nächsten Jahr der Gesamtstaat ein deutliches Defizit ausweisen wird, wobei die Schätzungen stark streuen. Die EU-Kommission prognostiziert ein Defizit von 1,6 Prozent, während die Berechnungen des Fiskalrats einen Fehlbetrag in Höhe von 3,0 Prozent und die des Wifo einen Abgang in der Größenordnung von 6,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ergeben. Ausgehend von der Schätzung des Fiskalrats erhöht sich der Finanzierungsbedarf um weitere rund 12 Milliarden Euro oder circa ein Drittel auf 5.330 Euro pro Person, 7.260 Euro pro Erwerbstätigem und Pensionisten bzw. 11.420 Euro pro Erwerbstätigem. Selbst eine Streckung des Schuldenabbaus auf 10 Jahre führt in der letzten Variante somit zu einer jährlichen Mehrbelastung von 1.142 Euro. Zum Vergleich: Das mittlere Nettojahreseinkommen beläuft sich in Österreich auf 21.402 Euro (2018).
Historisch ist nicht nur der Wirtschaftseinbruch im Frühling gewesen, historisch sind auch die Rettungs- und Konjunkturpakete, die die Regierungen weltweit beschlossen haben. Tiefgreifend werden daher auch die Maßnahmen sein, um den zusätzlichen Schuldenberg abzutragen. Laut den Berechnungen des Fiskalrats soll die Schuldenquote in diesem Jahr um 12,0 Prozentpunkte auf 82,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsen. Selbst im bestmöglichen Fall einer raschen Erholung der Wirtschaft wird der Abbau des Corona-Schuldenbergs viel Zeit in Anspruch nehmen und erhebliche finanzielle Opfer fordern. Dementsprechend hart werden die politischen Verteilungskämpfe werden.
Ökonom und Co-Autor von „Die Nullzinsfalle: Wie die Wirtschaft zombifiziert und die Gesellschaft gespalten wird“