Mit der Addendum-Debatte haben wir eine Plattform errichtet, die zu unseren Rechercheprojekten, aber auch anderen Themenfeldern Sichtweisen und Analysen von außerhalb der Redaktion liefert.
Dass diese Perspektiven nicht mit den Recherche-Ergebnissen der Redaktion korrespondieren müssen, aber auch nicht nach diesem Kriterium ausgewählt werden, gehört ebenso zum Wesen dieser Debatte wie die starke Meinung der veröffentlichten Autorinnen und Autoren.
Wir laden Sie ein, Ihre Meinung als Kommentar zu hinterlassen. Und wenn Sie selbst einen Beitrag verfassen wollen, schreiben Sie an [email protected]!
Ich kam im Jahre 2017 nach viereinhalb Jahren als österreichischer Botschafter von Tunis nach Wien zurück. Ich hatte in Tunesien einiges erlebt, nämlich die schlimmsten Krisenjahre dieses Landes, seit seiner Gründung als unabhängiger Staat im Jahre 1956. Es begann mit einem Paukenschlag: mit der Erstürmung der US-Botschaft in Tunis im September 2012, die ich quasi live im Fernsehen miterlebte. Dann Paukenschläge crescendo: politische Morde an nicht-islamistischen Oppositionspolitikern im Jahre 2013, immer brutalere Terrorattacken gegen die Sicherheitskräfte im Jahre 2014. 2015 drei auch weit über die Grenzen Tunesiens hinaus medial kommentierte Massenterrorangriffe im Bardo-Museum im Februar in Tunis, an einem Hotelstrand im Juli in Sousse und auf die „garde présidentielle“ im November. Mit einer Art Apotheose: ein strategisch geplanter und mit Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit durchgeführter Angriff islamistischer Milizen auf die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane im Februar 2016, auf Kasernen, Polizeiposten und andere öffentliche Gebäude, der allerdings spektakulär scheiterte.
Diese Ereignisse weckten bei mir rasch einen alten Instinkt: nachdenken. Nachzudenken darüber, wie die Ereignisse in einen Zusammenhang gebracht und damit vielleicht verstanden werden können. Erstaunen und Nachdenken über Vorgänge, die ich in Erinnerung an meine Zeit als Revoltierender in den 60er und 70er Jahren als „Gespenst“ bezeichnete, nicht als Gespenst des Kommunismus wie damals, sondern als Gespenst einer neuen – eigentlich ganz alten – Art: das Gespenst der Religion. Der Religion? Einer Religion? Einer Religion allein? Wie ich es auch drehte und wendete: Die religiöse Frage war bei allem, was im Lande an Scheußlichkeiten passierte, der Dreh- und Angelpunkt.
Ich begann zu lesen und zu diskutieren. Mit Philosophen, Islamologen, Experten aller Art, mit Politikern, Praktikern, Menschen, die „mit beiden Beinen im Leben stehen“. Nahm an Seminaren und Kolloquien teil. Fuhr durchs Land, nicht so sehr als Diplomat, sondern als Fragender und Suchender. Und tauchte damit ein in eine Welt, die ich gedacht hatte hinter mir lassen, abhaken zu können. Die Welt der Religion und ihrer Verzweigungen in die Politik hinein.
Denn mit wem immer ich sprach und zusammentraf, eines war bei allen einschlägigen Veranstaltungen immer unbestritten: Der Islam ist das Problem. Nicht in erster Linie für die Nicht-Moslems, sondern für die beinahe zu 100 Prozent aus Moslems bestehende Bevölkerung Tunesiens. Denn in ihrem Lande, und gleichzeitig an vielen Orten rund um den Erdkreis, wurde im Namen des Islam gemordet, wurden Geiseln genommen, Gebäude in Brand gesetzt, wurde „Allah-u-Akhbar“ zunehmend als Kampfruf und als Freibrief für die Tötung anderer Menschen verstanden.
Beispielhaft die Frage eines meiner tunesischen Mitarbeiter: „Herr Botschafter, warum haben alle blutigen Konflikte heute auf der Welt mit dem Islam zu tun?“ Ich korrigierte seine Frage auf „fast alle“, aber die Frage war im Grunde unvermeidlich für jeden Tunesier, dem sein Land, ja dem auch seine Religion am Herzen lag. Genau diese Frage musste und muss gestellt werden: Wo liegt das innere Band zwischen den mörderischen Terrorangriffen, den politischen Morden, dem Köpfen eines minderjährigen Hirtenjungen und dem jedes Mal unvermeidlichen „Allah-u-Akhbar“?
Dass ein intrinsischer Zusammenhang besteht, daran gab es für keinen meiner Gesprächspartner irgendwelche Zweifel. Ob Bardo-Museum oder der Strand von Sousse, ob Charlie Hebdo oder die Promenade des Anglais in Nizza, ob Bataclan in Paris oder der Weihnachtsmarkt in Berlin: Diesen Zusammenhang zu finden und offenzulegen war das Thema, um das sich in Tunesien (fast) alles drehte, um das sich die überwiegende Mehrheit der Tunesier sorgte, das sie verstehen wollte.
Auf diese Frage gab und gibt es im Grunde nur zwei Arten von Antworten. Entweder man zieht sich auf die Position zurück, diese gewalttägigen Strategien hätten mit dem Islam nichts zu tun, sondern seien Ergebnis eines falschen Verständnisses des „wahren Islam“, der ja nichts als friedfertig sei. Oder man macht sich vorurteilsfrei auf die Suche nach Zusammenhängen, um auf dieser Basis Möglichkeiten zu orten, wie sich dem Islam, der islamischen Welt, ja der Welt überhaupt, (Aus-)Wege aus diesem Dilemma eröffnen könnten. Die erstere Position war mir rasch verdächtig. Denn genau so hatten wir den Marxismus-Leninismus in der 68er Jahren angesichts von verschiedenen schwer akzeptierbaren Ausformungen „kommunistischer“ Machtausübung verteidigt. Das sei eben nicht der „wahre“ Marxismus-Leninismus.
Der Entschluss reifte, meine Erfahrungen und mein Nachdenken zu Papier zu bringen. Das Ergebnis war ein Buch, das im Juni 2018 in Österreich erschien unter dem Titel „Mit dem Koran ist kein Staat zu machen – die Krise des Islam hautnah erlebt“. Eigentlich zwei Bücher. Denn bereits ein Jahr später erschien im Verlag Nirvana in Tunis die französische Version, keine bloße Übersetzung, sondern ein mit dem Abstand eines Jahres etwas angereicherter Text über dieselbe Problematik. Titel: „Tunisie: démocratie et tentation théocratique – témoignage d’un Ambassadeur“.
Ich präsentierte den Text ein Dutzend Mal in Österreich, von Wien bis Vorarlberg. Und die französische Version mehrmals in Tunis und anderen Städten Tunesiens. Ich kann guten Gewissens behaupten, dass diese Präsentationen zu angeregten Debatten mit dem Publikum, durchaus auch mit kritischen Beiträgen, führten. Ein Ausdruck fiel in allen diesen Debatten im Zusammenhang mit meinen Büchern nie: der Ausdruck „Islamophobie“. Dies blieb einem mir damals nicht bekannten „Wissenschaftler“ vorbehalten. Und hier beginnt die Groteske.
An einem kalten Novembermorgen erfuhr ich es durch eine Nachricht eines früheren Arbeitskollegen. Ich hatte, nach öffentlich bekanntgemachter Auffassung eines gewissen, mir nicht bekannten Farid Hafez ein schweres Vergehen, ja potenziell – wer weiß, was Menschen so denken, wenn sie an einem polemischen Text schreiben – sogar ein Verbrechen, jedenfalls eine unentschuldbare Verfehlung begangen. Eine Verfehlung, die – das wusste ich aus meiner tunesischen Erfahrung – gegebenenfalls auch das Leben kosten konnte, und jedenfalls zumindest die Konsequenz haben musste, dass ich an den Pranger gestellt und dem hasserfüllten Kläffen einer Meute ausgesetzt werden sollte. Die schwere Verfehlung hieß: „Islamophobie“.
Das ganze stand in einem mir ebenfalls bis dahin unbekannten Produkt, das sich „European Islamophobia Report“ nennt, und u.a. von besagter Person herausgegeben wird. In diesem Bericht werde ich im Teil über Österreich, für den besagte Person persönlich als Verfasser firmiert, tatsächlich als eine „führende Figur des Islamophobie-Netzwerkes in Österreich“ genannt. Na Bumsti! Der erste Reflex, der mich überkam, war: lachen. Lauthals hinauslachen in die Welt der islamistischen Fanatiker. Denn wer sonst sollte mir einen solchen Ehrentitel verleihen, mir, der ich einen großen Teil meines (beruflichen) Lebens im Ausland verbracht hatte, und dessen Sorge eher darin bestand, einen halbwegs engen Kontakt mit Freunden in Österreich überhaupt aufrechtzuerhalten, von Netzwerkbauen gar nicht zu reden. Und die anderen, im Bericht ebenfalls als „islamophob“ bezeichneten Personen waren mir teilweise weder namentlich, und schon gar nicht persönlich bekannt. Ein führenden Netzwerker, der sein Netzwerk nicht kennt! Und den die anderen Netzwerker nicht kennen. Was für ein Chef! Aber die Groteske ist damit nicht zu Ende.
Denn der Verfasser gibt sich als „Wissenschaftler“, daher wird zitiert. In diesem Bericht wird, auf Seite 122 der Beweis für meine Nennung als „führende Figur des Islamphobie-Netzwerks in Österreich“ vorgelegt. Aber man möge nicht glauben, ich werde zitiert. Nein, zitiert wird – ein Kronen-Zeitung-Journalist. Genauer heißt es in der Fußnote 187 zu meiner Namensnennung: „Alexander Bischofsberger-Mahr, „Ohne Islam-Reform droht Islamisierung Europas“, Kronen Zeitung, 17. Juni 2018“.
Also: Um den Vorwurf eines schweren Vergehens, oder präziser, einer verurteilenswerten Fehl-Meinung zu belegen, wird ein Journalist zitiert. In der Tat führte am Tage der ersten Präsentation meines Buches ein Kronen-Zeitungs-Mitarbeiter ein Gespräch mit mir, und es erschien auch ein kurzer Bericht. Der Text war natürlich der des Journalisten.
Anders gesagt: ein Satz in der Online-Krone als „Beleg“ für einen Vorwurf, der angesichts des ideologischen und politischen Umfeldes, in dem er erhoben wurde, für den „Beschuldigten“ durchaus gefährlich, ja lebensgefährlich sein kann. Denn so viel hatten mich meine Jahre in Tunesien gelehrt: Zimperlich gehen die Islamisten mit ihren Gegnern nicht um. Mein Buch über Tunesien zeigt ja gerade auch diese Seite des Denkens und Handelns von Islamisten. Aber das Buch hatte der Verfasser ja ohnedies offenbar nicht gelesen, sonst hätte er es ja zitiert. Eine vermutlich von einer Internet-Suchmaschine aufgespürte Zeitungsüberschrift genügt. Weitere Recherchen überflüssig. So weit zum „wissenschaftlichen“ Aspekt.
Aber um Wissenschaftlichkeit ging und geht es in diesem Bericht ja ohnedies nicht. Es geht um suggestive Unterstellungen. Bildhaft und sprachlich. Denn da werden völlig unterschiedslos religionskritische Werke und Beiträge von Experten in einen Topf geworfen mit primitiven Wandschmierereien.
Bildhaft: zu Beginn mehrere Seiten Fotos von gehässigen Schmierereien. Dann Aufzählung der „Untaten“ einer Reihe von Personen, in der Regel Intellektuelle, einzelne Organisationen, aber auch Journalisten und Politiker. Viele davon Moslems, bekannte Vertreter von und Kämpfer oder Kämpferinnen für den Islam. Einen Islam allerdings, der sich klar und deutlich von den Islamisten aller Couleurs abgrenzt. Einen offenen Islam. In dem z.B. Frauen und Männer gemeinsam zu ihrem Gott beten dürfen. In es dem überhaupt keine Unterordnung der Frau unter den Mann mehr geben soll, in dem der Zwang zur Verschleierung oder auch nur zum Tragen des islamischen Kopftuches fallen soll. In dem Frauen Imaminnen werden können. Aber auch Journalisten, die kritische moslemische Intellektuelle einfach nur interviewt haben. Das alles ist offenbar gleichermaßen „islamophob“. Keine von den im Text Genannten – da bin ich mir sicher – hat jemals Wände beschmiert.
Dann sprachlich: Ohne jeden Versuch, den Begriff „Islamophobie“ kritisch zu begründen, wird ihm ein negativer, offenbar politischer Sinn unterlegt. Er wird, auf suggestive Art, angewendet auf Sachverhalte und Tätigkeiten, die nach weit verbreiteter Auffassung mit Haltungen wie Hass und Intoleranz verbunden sind, wie es Schmierereien wie „Moslems raus“ und „Moslemratte“ zum Ausdruck bringen. Damit soll ausgeblendet werden, was eine „Phobie“ eigentlich bedeutet, und dass in keiner Weise Einigkeit darüber besteht, sie mit „Hass“ oder auch nur „Gegner“ gleichzusetzen.
Denn: „Als Phobie oder phobische Störung wird eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten, Tieren oder Personen bezeichnet … Der Auslöser einer Phobie ist demnach wertfrei; etwas, das für sich genommen nicht bedrohlich ist, aber bei der betroffenen Person Angst bis hin zu Panikattacken auslöst und deshalb in der Psychologie als Krankheitsbild beschrieben wird. Die Begriffsverbindung Islamophobie würde demgemäß eine krankhafte, weil unbegründete, Angst vor dem Islam bezeichnen.“
„Phobie“ ist und bleibt also ein psychischer Zustand, dessen deutsches Pendant „krankhafte Furcht“ ist und nichts anderes sein kann, wenn man den griechischen Begriff nicht zwanghaft verbiegen will.
Ich gestehe: Auch ich habe keine Wände beschmiert. Und dennoch werde ich im „Bericht“ als eine „führende Figur des islamophoben Netzwerkes in Österreich“ denunziert. Weil ich ein Buch veröffentlicht habe, in dem Österreich praktisch nicht vorkommt, denn das war nicht mein Thema. Mein Thema war: Tunesien. Und das hochaktuelle Problem der religiös motivierten Gewalt – dort und anderswo. Sonst nichts.
Also: Entweder hat der Verfasser mein Buch gar nicht gelesen und hat daher keine Ahnung, worum es sich handelt. Oder es geht vielmehr um die islamische Welt und die nicht-islamistischen „Fehlmeinungen“ dort. Dafür spricht, dass der Verfasser auch ein Werk herausbrachte, das sich mit der „Islamophobie“ in den „mehrheitlich islamischen Ländern“ beschäftigt. Besonders grotesk: Wenn es nach diesem Werk geht, ist eine Mehrheit der tunesischen Bevölkerung als „islamophob“ einzustufen. Wiewohl diese Bevölkerung nie gegen den Islam, sondern immer gegen den Islamismus, insbesondere gegen den politischen Islam, zu Felde gezogen ist. Das würde natürlich auch erklären, warum ich mich als „Islamophober“ in Tunesien sehr wohl gefühlt habe. Gleicher unter Gleichen.
N.Scholz/H.Heinisch, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, 2012, S. 17; ähnlich auch die Definition von Phobien seitens der WHO in ihrer „Internationalen Klassifikation phobischer Störungen“
Die Groteske hat aber noch einen weiteren Aspekt: den finanziellen. Denn die Financiers des „Berichts“ sind vor allem zwei: einmal SETA, eine der türkischen Regierung nahestehenden Institution. Gut, kann man verstehen. Passt zu Inhalt, Aufmachung, Absichten und Niveau des „Berichts“. Aber der zweite Financier ist – die Europäische Kommission. Sie hat in der Höhe von rund 127.000 Euro zu diesem „Bericht“ beigetragen. Warum steckt die Kommission eine nicht unbeträchtliche Summe in ein Projekt, dessen wesentliches Ziel es ist, Europäer, Moslems wie Nicht-Moslems, die sich irgendwann einmal kritisch gegenüber dem Islamismus geäußert haben, zu denunzieren und sie mit Wandbeschmierern gleichzusetzen? Die Antwort war erstaunlich. Man unterstütze diese Publikation im Rahmen des „zivilgesellschaftlichen Dialogs“ zwischen der EU und der Türkei. Für den Inhalt sei ausschließlich die türkische Seite verantwortlich.
Heißt im Klartext: Die Kommission finanziert eine Publikation, dessen Inhalt für Europäer möglicherweise fatale Folgen haben könnte. Das ist harter Tobak. Ist das ein verantwortungsvolles Verhalten der „Hüterin der Verträge“ gegenüber den Europäern?
Fazit: Der Begriff „Islamophobie“ mag wissenschaftlich haltlos sein. Diejenigen, die ihn als Kampfbegriff zur Denunziation Andersdenkender verwenden, sind hingegen skrupellos. Blauäugigkeit ist hier fehl am Platze.
Wir haben bei dem im Text erwähnten Farid Hafez angefragt, ob er selbst auch einen Debattenbeitrag übermitteln will und hoffen, dass er die Zeit dafür findet.
Gerhard Weinberger war von 2012 bis 2017 österreichischer Botschafter in Tunesien und ist Autor des Buches „Mit dem Koran ist kein Staat zu machen: Die Krise des Islam hautnah erlebt“.