Dass unser Land seit Ende des Kalten Krieges eine Spionagedrehscheibe ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Aber die Konsequenzen sind selten so massiv und schlagartig zutage getreten. Und das alles inmitten der Coronavirus-Pandemie und einer grundsätzlichen Debatte rund um die Neuausrichtung der heimischen Sicherheitspolitik.
Dass ausländische Geheim- und Nachrichtendienste hierzulande und insbesondere in Wien sehr aktiv sind, geht auf die Nachkriegszeit zurück: Österreich war damals ein besetztes Land direkt am „Eisernen Vorhang“. Von der für alle Seiten gefährlich-riskanten Anfangszeit im frühen Kalten Krieg einmal abgesehen, war der Spionagealltag in den 1970er und 1980er Jahren relativ beschaulich. Man schätzte Österreich als „neutralen Boden“ für diskrete Treffen und Kontaktgespräche. Zu den wichtigsten Aufklärungszielen zählen bis heute die zahlreichen internationalen Organisationen wie die UN-Atomenergiebehörde, die OPEC und die OSZE, aber auch ausländische Vertretungen in Österreich. Innerhalb der letzten Jahre ist verstärkt die hiesige Diaspora aus dem Iran, der Türkei und aus Tschetschenien ins Visier genommen worden.
Mit der Addendum-Debatte haben wir eine Plattform errichtet, die zu unseren Rechercheprojekten, aber auch anderen Themenfeldern Sichtweisen, Analysen und Meinungen von außerhalb der Redaktion liefert.
Die Perspektiven müssen nicht mit den Recherche-Ergebnissen der Redaktion korrespondieren und werden auch nicht nach diesem Kriterium ausgewählt. Es gehört zum Wesen dieser Debatte, ebenso wie die starke Meinung der veröffentlichten Autorinnen und Autoren.
Wir laden Sie ein, Ihre Meinung als Kommentar zu hinterlassen. Und wenn Sie selbst einen Beitrag verfassen wollen, schreiben Sie an [email protected]!
Österreich selbst war lange Zeit außen vor und schob dem Treiben keinen Riegel vor. Spionage ist hierzulande de facto legal, solange sie sich nicht gegen das Land selbst richtet. Ob dieser Zustände kamen einige der Beteiligten sogar ins Schwärmen: Österreich sei ein „bequemes Land“ für die Aktivitäten seines Dienstes gewesen, war das Fazit von Markus Wolf, der zwischen 1952 und 1986 die Auslandsspionage der ostdeutschen Stasi geleitet hatte. Auch Wladimir Krjutschkow, bis 1991 Vorsitzender des KGB, erinnerte sich gerne an Wien: „Es war ein guter Ort für die Arbeit und die Österreicher sind sehr tolerant. Ich denke, die Vertreter verschiedenster Geheimdienste haben in Wien eine gewisse Freiheit genossen.“
Diese „gewisse Freiheit“ trug paradoxerweise zu mehr Sicherheit für Österreich bei: Die zweite Republik versteht sich bis heute als „neutraler Begegnungsort“, wo die ganze Welt zu Gast ist. Man hatte ganz bewusst die vielen internationalen Organisationen nach Wien geholt – denn, salopp gesagt, wo der Kongress tanzt, explodieren keine Bomben. Mit dieser inoffiziellen Doktrin ist Österreich lange relativ gut gefahren und konnte sich kostspielige Investitionen in den Sicherheits- und Verteidigungsbereich ersparen.
Doch die Ereignisse der letzten Monate haben vor Augen geführt, wie löchrig diese Art von Absicherung geworden ist. Genauso erodieren allmählich die „roten Linien“ des Spionagegeschäfts. Geheim- und Nachrichtendienste führen immer riskantere Operationen durch. Darunter fallen Mordanschläge genauso wie verdeckte Einflussnahme, Desinformation und Cyberangriffe. Eines ist klar: Auf das „Gentlemen’s Agreement“ – freie Bahn am Spionageplatz Wien im Gegenzug für „anständiges Benehmen“ – kann man sich nicht mehr verlassen.
In dieser Situation werden die traditionell schwachen und billigen Sicherheitsstrukturen zum Malus: Während das Bundesministerium für Landesverteidigung zwecks Auslandsaufklärung und Eigenschutz über zwei Nachrichtendienste verfügt, nimmt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Innenressort eine Sonderstellung ein. Es ist kein reiner Nachrichtendienst und schon gar kein Geheimdienst, der im Unterschied zu ersterem mit deutlich weitreichenderen Befugnissen ausgestattet ist. Beim BVT, das 2002 aus der Staatspolizei hervorgegangen ist, handelt es sich um eine Polizeieinheit, die auch für Spionageabwehr zuständig ist. Vor allem aber erlaubt das Polizeiliche Staatsschutzgesetz dem BVT bei entsprechender Ermächtigung unter anderem die Durchführung von Observationen und verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
Seit dem Skandal rund um die vom damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl vorangetriebenen Hausdurchsuchungen im BVT 2018, ist die Einheit nicht zur Ruhe gekommen. Die Beschlagnahme von klassifizierten Daten – darunter auch von ausländischen „Partnerdiensten“ – hat viel Porzellan zerbrochen. Offengelegt wurden die Auswirkungen jahrzehntelanger chronischer Mangelverwaltung: Kein zertifiziertes Aktenverwaltungssystem, zu wenige Tresore und vor allem zu wenig Personal. So zählte das das Referat „Nachrichtendienst und Proliferation“ Anfang 2018 gerade rund 30 Mitarbeiter. Wenn es tatsächlich freie Planstellen gab, wurden diese allzu oft nach politischen Gesichtspunkten besetzt. Der Einfluss der Parteipolitik ist in diesem sensiblen Bereich überhaupt immer viel zu stark gewesen.
Hinzu kommt eine einseitige Abhängigkeit vom Ausland: Schon die ehemalige Staatspolizei war auf „Kompensationsgeschäfte“ angewiesen. Fehlende technische und personelle Kapazitäten wurden so wettgemacht. Die Gegenleistungen stellen für einen an sich neutralen Staat mitunter eine Herausforderung dar. Einrichtungen wie die Lauschstation Königswarte, die mit US-amerikanischer Finanzhilfe aufgebaut wurde und nach wie vor die US-Dienste beliefern soll, stehen symbolhaft für diese Ambivalenz.
Umso größer war dann auch der Schaden, als infolge der BVT-Razzia bereits grassierendes Misstrauen der „Partnerdienste“ überstrapaziert wurde: Bis heute dürfte das BVT im „Berner Club“, einem inoffiziellen Gremium der westlichen Inlandsdienste, kein gleichberechtigtes Mitglied sein. Bestimmte Informationen werden nachweislich nicht mehr mit Österreich geteilt, weil man diese dort nicht sicher glaubt – eine ziemliche Katastrophe, die binnen kurzen Reformdruck erzeugte.
Seit 2019 schreitet deshalb der Umbau des BVT voran: Man folgt im Wesentlichen dem deutschen Beispiel, wo die Polizeiarbeit getrennt vom nachrichtendienstlichen Bereich erfolgt. Am Ende dieses Prozesses dürfte Österreich zum ersten Mal in seiner Geschichte über einen echten Inlandsnachrichtendienst verfügen. Die ersten konkreten Änderungen betreffen neben einer neuen speziellen Ausbildung auch eine Vertrauenswürdigkeitsprüfung, die die Mitarbeiter durchlaufen müssen und alle sechs Jahre wiederholt werden muss. Österreich ist in diesem Punkt ein Nachzügler und es bleibt abzuwarten, wie sich diese aufwendigen Prozeduren auf die Rekrutierung auswirken. Es ist aber vor allem ein Signal an die Partner, dass man Indiskretionen einen Riegel vorschieben will.
Der sprichwörtliche „große Wurf“ zeichnet sich insgesamt noch nicht ab. Ein Koordinator wird offenbar nicht als wichtig erachtet, die Ausbildungen finden weiter hausintern an der Sicherheitsakademie (SIAK) statt. Die kriminalpolizeiliche Prägung des BVT soll wohl erhalten bleiben. Noch völlig ungeklärt ist die Frage der parlamentarischen Kontrolle, die derzeit schwach ausgeprägt ist. Anzuraten wäre zudem eine gründliche Aufarbeitung der Geschichte des Staatsschutzes seit 1945, damit dieser eine lernende Organisation werden kann.
Rückblickend betrachtet war die innere Sicherheit durch Kontinuität geprägt, sowohl strukturell als auch personell. Hauptgrund hierfür ist, dass es nie einen breiten Konsens gegeben hat, den Status quo grundlegend zu verändern. Mittlerweile dürfte die die Situation aber so unhaltbar geworden sein, dass sich etwas bewegt.
Denn, wie, bereits erwähnt, wir befinden uns mitten in einem neuen Zeitalter der Spionage. Zuletzt hat der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, gewarnt, dass „die Hemmungen gefallen“ sind, was den Einsatz fremder Geheimdienste weltweit angeht. Das Niveau der Spionage gegen Deutschland sei auf dem Stand des Kalten Krieges oder sogar noch deutlich höher, hieß es von anderer Seite.
An einem Hotspot wie Österreich kann eine solche Entwicklung natürlich nicht spurlos vorübergehen, im Gegenteil. Das Land ist nicht mehr länger primär Schauplatz von Spionage, sondern wird selbst zum Ziel. 2013 hatte Edward Snowden enthüllt, in welchem Ausmaß die US-amerikanische National Security Agency (NSA) weltweit Daten absaugt. 2016/17 wurde bekannt, dass der BND jahrelang Ministerien und Spitzenpolitiker befreundeter Staaten ausspioniert hatte. Österreich wurde auffallend breit ins Visier genommen, „bis hinunter zum Agrarministerium“.
Während es sich hierbei noch um systematische Abfragen relevanter Informationen aus Datenströmen handelte und mit dem „Schleppnetz“ vorgegangen wurde, kommt es aktuell zu viel gefährlicheren, weil zielgerichteten Attacken.
Aber auch Methoden der traditionellen Spionage kommen gegen Österreich zum Einsatz:
Besonders riskant ist, dass es wieder gehäuft zu Mordanschlägen gegen Zielpersonen auf fremden Territorium kommt – auch Österreich ist davon betroffen, mittlerweile zum wiederholten Male:
Und schließlich ist eine neue Qualität von strategischer Einflussnahme festzustellen, wo gut vernetzte Personen instrumentalisiert oder gar als Informanten rekrutiert werden:
Die aktuellen Fälle dürften nur die Spitze des Eisbergs sein. Immer deutlicher wird: Das neutrale Österreich kann sich von der spannungsgeladenen Weltlage nicht mehr länger abkoppeln. Organisierte Kriminalität und Terrorismus stellen zusätzliche Herausforderungen dar. Es ist daher keine Übertreibung, zu behaupten, dass dieses Gemenge an Risiken die österreichische Abwehr schon jetzt personell und ressourcentechnisch mehr als überfordert. Dabei stehen wir wohl erst am Anfang einer zunehmenden Verschärfung globaler Konflikte, die auch geografisch stetig näher an Österreich heranrücken. Insofern ist es höchst an der Zeit, das veraltete Strukturen entsprechend adaptiert und mit entsprechenden Mitteln ausstattet. Überhaupt braucht es das große Umdenken – die „sorglosen“ Jahre nach der Wende 1989 sind vorbei. Österreich muss diesen Wandel endlich ernstnehmen und kann nicht mehr länger so tun, als würden es die zahllosen Bedrohungen nicht betreffen. Diese sind längst hierzulande angekommen.
Thomas Riegler ist freier Historiker und seit 2016 Affiliate Researcher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Zuletzt erschien von ihm 2019: „Österreichs geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVT-Affäre“. Riegler beschäftigt sich insbesondere mit den Themen Spionage und Terrorismus im österreichischen Kontext. Er twittert diesbezüglich unter @thomas_riegler und betreibt die Webseite https://thomas-riegler.net/.