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2. Dezember 2019 Energiewende Lesezeit 8 min
Damit Österreich seine Klimaziele erreicht, muss einiges passieren. Mit dem offiziellen Klima- und Energieplan werden wir das nicht schaffen. Wie viele zusätzliche Windräder, Solaranlagen und Wasserkraftwerke bräuchte es, um die Stromwende trotzdem zu schaffen?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Energiewende und ist Teil 1 einer 4-teiligen Recherche.
Bild: Lilly Panholzer | Addendum

Seit den Protesten der „Fridays for Future“-Bewegung versuchen sich die Parteien beim Einsatz für den Klimaschutz gegenseitig zu überbieten. Zumindest was die politischen Bekundungen betrifft. Das Schlagwort „Energiewende“ ist in aller Munde. Doch was heißt das eigentlich und was würde damit auf uns zukommen?

Als Nachhaltigkeitsministerin Maria Patek am 4. November den nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) präsentierte, war die Aufregung groß. Mit diesem Fahrplan wolle man die Treibhausgase in den kommenden Jahrzehnten nachhaltig reduzieren, um aus der „Klimakrise“ keine „Klimakatastrophe“ werden zu lassen. Das Konzept sieht vor, dass Österreich bis 2030 seinen gesamten Strom aus Erneuerbaren Energiequellen bezieht. Voraussetzung dafür ist eine grundsätzliche Umwandlung des Energiesystems .

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Lückenhafter Energie- und Klimaplan

Um die europäischen Klimaziele bis 2030 zu erreichen, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis Jahresende einen nationalen Energie- und Klimaplan an die Europäische Kommission zu übermitteln. Den vor einem Jahr übermittelten Entwurf der ehemaligen türkis-blauen Bundesregierung bewertete die EU-Kommission als lückenhaft und schickte ihn mit zehn Empfehlungen zurück. Nach Ende der Begutachtungsfrist am 2. Dezember hat die Bundesregierung bis Ende dieses Jahres Zeit, um den endgültigen Plan an die Kommission zu senden.

Ist der Klimaplan der Regierung verantwortungslos?

Im Klima- und Energieplan der Bundesregierung fehlen weitestgehend konkrete Finanzierungsmaßnahmen für die Stromwende. Wie sich der Energiemix im Jahr 2030 zusammensetzen wird, ist in dem Plan nicht klar erkennbar. Dafür hagelte es viel Kritik. Gottfried Kirchengast, Klimaexperte des Grazer Wegener Centers, sieht im aktuellen Klimaplan gar „die rote Linie der politischen Verantwortungslosigkeit überschritten“.

Ein Antrag der Grünen zur Überarbeitung des Klimaplans wurde Mitte November mit großer Mehrheit im Parlament angenommen. Darüber, dass in der österreichischen Klimapolitik rasch und kompromisslos gehandelt werden müsse, herrscht also weitgehend Einigkeit. Auch darüber, wie der Strommix 2030 aussehen soll? Sind bis dahin 100 Prozent erneuerbarer Strom möglich? Wir haben nachgefragt – bei den Parteien und bei den Umwelt-NGOs, die den Plan der Regierung am heftigsten kritisiert haben.

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Wie viele Solaranlagen, Windräder und Wasserkraftwerke?

Addendum hat erstmals zusammengetragen, welche Vorstellungen die Parteien, NGOs und relevante Player vom Strommix 2030 haben und stellt diese einander gegenüber. In einem Punkt sind sich alle einig: Der Stromverbrauch wird durch den technologischen Wandel massiv steigen. Doch wie hoch schätzen die einzelnen Entscheidungsträger den tatsächlichen Verbrauch im Jahr 2030 und was würden die verschiedenen Szenarien bedeuten? Wie viele zusätzliche Solaranlagen und Windräder müssten installiert werden? Wie hoch ist der Flächenfußabdruck und wie hoch sind die jährlichen Stromerzeugungskosten des jeweiligen Strommixes?

Wie der Strommix im Jahr 2030 aussehen wird, ist heute schwer zu prognostizieren und hängt von vielen Variablen ab. Je nach wirtschaftlicher Entwicklung, technologischem Fortschritt und Schwerpunktsetzung der Energieförderung ergeben sich unterschiedliche Szenarien. Nicht nur zum Strommix, sondern auch zum Strombedarf gibt es unterschiedliche Prognosen. So sehen die Energie-Szenarien für 2030 von Parteien, NGOs und des Umweltbundesamts aus.

Die Bedeutung der Zahlen

  • Die Anzahl der benötigten Anlagen ergibt sich aus der veranschlagten Strommenge des jeweiligen Szenarios und der Stromerzeugungskapazität eines durchschnittlichen Kraftwerks des jeweiligen Energieträgers.
  • Der Flächenfußabdruck eines Energieträgers gibt an, wie viel Fläche pro Jahr nötig ist, um überhaupt eine gewisse Menge Strom produzieren zu können.
  • Anhand der Stromerzeugungskosten soll abgeschätzt werden, wie viel die zusätzliche Menge Erneuerbare Energie die Österreicher jährlich kosten wird.
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Wählen Sie in dem Tool den Stakeholder (Parteien, NGOs, Umweltbundesamt) aus, um die Szenarien vergleichen zu können:

100 Prozent erneuerbarer Strom – ist das realistisch?

Schon heute kommen etwa 70 Prozent des österreichischen Strommixes aus erneuerbaren Energieträgern – so viel wie in kaum einem anderen europäischen Land. Zu verdanken haben wir das vor allem unserer Geografie und den großen Kapazitäten der Wasserkraft, die für einen Gutteil des österreichischen Stroms verantwortlich sind. Zudem wird im Frühjahr 2020 das letzte Kohlekraftwerk abgedreht. Österreich wird damit eines der ersten Länder sein, das offiziell ohne Kohle- und Atomstrom auskommt. Die Voraussetzungen sind also gegeben, dennoch ist man vom 100-Prozent-Ziel noch weit entfernt.

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Was möglich ist und was nicht

Dass die Stromwende in Österreich grundsätzlich machbar ist, zeigen unzählige Berechnungen und Studien. Die Potenziale sind aber limitiert, nicht alle Lösungsvorschläge führen zum selben Ziel.

Wasserkraft

Den mit Abstand größten Anteil am österreichischen Strommix wird auch 2030 Wasserkraft haben. Die Kapazitäten sind aber begrenzt – und schon zum größten Teil ausgeschöpft. Der Zubau wird sich in Zukunft auf Kleinwasser- und zum Teil auf Speicherkraftwerke konzentrieren. Für Großwasserkraftwerke gibt es vergleichsweise nur mehr wenige potenzielle Standorte, die auch politisch nur schwer umzusetzen sind. Der Vorteil von Laufkraftwerken: Sie erzeugen das ganze Jahr über relativ konstant Strom, auch wenn die Leistung im Sommer größer ist als im Winter. Die meisten der Szenarien verlangen einen Ausbau in Form von Kleinwasserkraftwerken in einer Größenordnung von mehreren tausend Anlagen. Zum Vergleich: Ein Großwasserkraftwerk in der Größenordnung des Donaukraftwerks Freudenau könnte hunderte, wenn nicht tausende Kleinwasserkraftwerke ersetzen. Wasserkraft ist nach der Windkraft die günstigste erneuerbare Form der Stromgewinnung.

Windkraft

Für viele die Hoffnung der Energiewende. Das Potenzial der Windenergie ist tatsächlich groß: 2030 könnten mehr als 20 Prozent des österreichischen Stroms aus Windkraft kommen. Insgesamt standen in Österreich Im Jahr 2018 1.313 Windkraftanlagen – das westlichste am Plöckenpass in Kärnten. Mit 50 neuen Windrädern ist 2019 das ausbauschwächste Jahr seit Bestehen des Ökostromgesetzes 2012. Zahlreiche genehmigte Windräder stehen in der Warteschleife, bis das neue „Erneuerbaren Ausbau Gesetz“ 2020 in Kraft tritt. Um die oben gezeigten Szenarien zu erfüllen, müssten jedoch in den meisten Fällen mehr als hundert neue Anlagen pro Jahr gebaut werden.

Windkraft produziert das gesamte Jahr über relativ gleichmäßig Energie, weshalb staatliche Investitionsprogramme sinnvoll sind. Eine Herausforderung der Windkraft ist, dass die Leistung innerhalb von Sekunden enorm zu- und abnehmen kann. Manche Naturschützer und Anrainer sehen in Windrädern außerdem eine „Verschandelung“ der Landschaft. Verglichen mit den anderen Erneuerbaren ist die Windkraft jedoch die günstigste Form der Stromgewinnung und hat zugleich den geringsten Flächenfußabdruck pro erzeugter Energiemenge.

Solarenergie

Heute macht Solarenergie einen kaum nennenswerten Anteil am Strommix aus. Bis 2030 könnten es 15 Prozent sein. Von 8.760 Stunden im Jahr sind Photovoltaik-Anlagen in Österreich im Schnitt etwa 1.100 Stunden ausgelastet – vor allem im Sommer, wenn tendenziell ohnehin ein Überschuss an Strom produziert wird. In den Wintermonaten, in denen die Sonne niedriger steht, der Stromverbrauch aber deutlich höher ist, kann durch Photovoltaik nur ein Bruchteil der Energie erzeugt werden. Die Konsequenz: Wenn die Sonne längere Zeit nicht scheint, wird die ohnehin große saisonale Importabhängigkeit noch verstärkt. Ob große PV-Förderprogramme wie das von Grünen und FPÖ geforderte „1-Million-Dächer-Programm“ volkswirtschaftlich sinnvoll sind, wird von manchen angezweifelt. Viele der Szenarien verlangen Ausbauraten von mehr als 100.000 Anlagen mit einer Leistung von 12 Kilowattpeak pro Jahr. Mit den bisherigen Ambitionen schaffen wir den Ausbau jedenfalls nicht. Beim Flächenfußabdruck liegt die Photovoltaik vor der Biomasse an vorletzter Stelle pro erzeugter Energiemenge. Zudem hängen die Stromerzeugungskosten stark von der Anlagengröße ab und liegen in den meisten Fällen deutlich über denen von Wind- und Wasserkraft. Man kann jedoch davon ausgehen, dass mit zunehmendem technologischem Fortschritt Solarstrom immer günstiger wird.

Biomasse

Viele sehen die Energiegewinnung durch Biomasse durchaus skeptisch, nicht zuletzt wegen der vermeintlichen Konkurrenz zwischen Energie- und Lebensmittelproduktion. Hinzu kommt die Sorge über den Verlust an Biodiversität durch den vermehrten Anbau von Energiepflanzen. Diese Bedenken sind zumindest für Österreich unbegründet: Mehr als 80 Prozent des Stroms aus Biomasse stammen aus Resthölzern, Hackgut und Reststoffen der Forstwirtschaft und Papierindustrie, und sowohl Holzbestände als auch Waldfläche nehmen in Österreich seit Jahren zu. Ein großer Vorteil gegenüber den anderen Erneuerbaren ist die Verlässlichkeit von Biomassekraftwerken – sie können witterungsunabhängig und ganzjährig Strom produzieren, vor allem dann, wenn kein Wind geht und die Sonne durch Wolken bedeckt ist. Aber auch Biomasse aus nachhaltiger Produktion hat ihren Preis: Strom aus Biomasse weist den schlechtesten Flächenfußabdruck auf, und die Kosten liegen weit über jenen von Wind- und Wasserkraft.

Geothermie

Die Geothermie spielt in Österreich zurzeit keine Rolle. Auch wenn manche Szenarien mit einer Steigerung der Stromproduktion aus Geothermie bis 2030 rechnen, wird deren größtes Potenzial eher in der Fernwärmeversorgung gesehen. Durch technische Innovationen in der sogenannten Petrothermie könnten jedoch nicht wasserführende tiefere Gesteinsschichten genutzt werden. Ähnlich wie bei Fracking-Methoden würde Wasser in heiße Gesteinsschichten gepumpt. Der dabei entstehende Dampf könnte genutzt werden, um dauerhaft, verlässlich und emissionsfrei Strom zu produzieren.

Atomenergie

Nicht überall ist die Skepsis gegenüber Atomenergie so groß wie hierzulande. Österreich ist quasi von Atomkraftwerken umzingelt. In einigen Ländern sieht man in Atomstrom durchaus eine grüne Form der Energiegewinnung. Mehr zum Thema Atomkraft finden Sie hier.

Thermische Kraftwerke

In so gut wie allen Szenarien spielen Gaskraftwerke wegen ihrer Regulierbarkeit und Flexibilität weiterhin eine wichtige Rolle. Sie dienen als Ersatzkraftwerke, wenn Wind-, Wasser- und Solarkraft zu wenig Strom produzieren. Kohlekraftwerke hingegen sollen wegen ihres hohen Kohlendioxidausstoßes und der gesundheitsschädlichen Luftverschmutzung schon viel früher vollständig vom Netz genommen werden.

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Ohne Stromwende keine Energiewende

Damit die Energiewende gelingen kann, müssen alle erneuerbaren Energiequellen einbezogen werden. Jede Art der Stromerzeugung kostet Geld, in vielen Fällen stellen fossile Energieträger sogar die teuerere Alternative dar. Aktuelle Untersuchungen zu Strompreisen gehen sogar davon aus, dass der Einsatz von Erneuerbaren zu einem Preisverfall an den europäischen Strombörsen und dadurch zu massiven Kosteneinsparungen für Verbraucher geführt hat.

Woran die Energiewende trotz großer Investitionen scheitern kann, zeigt ein Blick nach Deutschland . Ein blinder Ausbau der Erneuerbaren wäre nicht nur teuer, sondern auch ineffizient und könnte zum Problem für die Versorgungssicherheit werden. Warum ohne das nötige Stromnetz die Energiewende zur großen kollektiven Enttäuschung werden könnte, lesen Sie im nächsten Artikel . 

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Methodik der Berechnungen

Die Soll-Werte der jeweiligen Szenarien wurden mit dem Ist-Zustand aus dem Jahr 2017 verglichen, um die zusätzliche Menge an elektrischer Energie bis 2030 zu ermitteln. Aufbauend darauf konnten die benötigte Anlagenanzahl, der Flächenfußabdruck und die Stromgestehungskosten des jeweiligen Energieträgers ermittelt werden. Die Anzahl der Anlagen wurde anhand der benötigten elektrischen Energie in Terawattstunden und der durchschnittlichen Anlagenleistungen und Kapazitätsfaktoren ermittelt. Die Annahmen zu den Anlagenleistungen stammen von den jeweiligen Fachverbänden der einzelnen Energieträger sowie vom Verband Erneuerbare Energien Österreich. Die angenommenen Volllaststunden und Stromgestehungskosten für die Berechnungen stammen aus der Publikation „Stromzukunft Österreich 2030“ der TU Wien und der Energy Economics Group. Die Flächenfußabdrücke in Quadratmeter pro Megawattstunde stammen aus der Publikation „Energy and Land Use“ der International Renewable Energy Agency. Die Daten bezüglich Atomkraft (Stromgestehungskosten, Volllaststunden und Anlagengröße) stammen von der Internationalen Atomenergieorganisation und der Europäischen Kommission. Da Österreich keine Historie über Atomstrom vorzuweisen hat, wurden Werte aus Deutschland als Vergleich herangezogen.

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Das Addendum-Team, September 2020