Im Oktober 1970 haben die Vereinten Nationen (UN) als Kampfansage gegen die globale Armut das Ziel ausgegeben, dass reiche Industrieländer 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit einsetzen sollen. Es blieb jedoch bei der Ansage – keinem einzigen Land ist es seither gelungen, die Quote dauerhaft zu erfüllen, auch Österreich nicht.
So war auch die Aufregung in Österreich groß, als die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) Mitte April die öffentlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) für 2018 präsentierte. Grund war der neuerliche Rückgang der österreichischen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf 0,26 Prozent des Bruttonationaleinkommens – der niedrigste Wert seit 2004. Damit ist man international aber in guter Gesellschaft. Nur sechs Staaten erreichen aktuell die festgelegte Zielmarke.
Dänemark, Luxemburg, Norwegen, Schweden, Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate
Beim Bruttonationaleinkommen (BNE) – früher auch als Bruttosozialprodukt (BSP) bezeichnet – wird die Staatsbürgerschaft statt der Landesgrenze als abgrenzendes Kriterium verwendet. Das heißt, das Bruttonationaleinkommen misst den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die in einer Volkswirtschaft hergestellt wurden. Während in das BIP alle Güter einfließen, die auf dem Gebiet eines Staates erstellt wurden, umfasst das Bruttosozialprodukt alle Erwerbs- und Vermögenseinkommen, die von Inländern erstellt wurden, unabhängig ob im Inland oder im Ausland.
Die Official Development Assistance ist als Zuwendung in Form von Zuschüssen und Darlehen an die Entwicklungsländer definiert, die vom öffentlichen Sektor vergeben werden. Diese sollen in erster Linie der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Verbesserung der Lebensbedingungen dienen. Diese Definition wurde 1972 vom Development Assistance Committee, kurz DAC, der OECD entwickelt. In den folgenden Jahren wurden weitere Kosten als Official Development Assistance anerkannt. Seit 1979 Verwaltungskosten des Geberlandes, ab 1984 Kosten für Studienplätze von Studenten des Empfängerlandes im Geberland, und ab den 1980er Jahren Kosten für Flüchtlinge im Inland. Letztere Möglichkeit wurde erst seit 1991 in größerem Umfang genutzt. Auch der Erlass von Schulden kann als Official Development Assistance anerkannt werden.
Neben der Tatsache, dass es sich bei den Beträgen für 2018 um vorläufige Zahlen handelt, wurde seit diesem Jahr die Berechnungsmethode verfeinert, weshalb ein Vergleich mit früheren Jahren nicht besonders aussagekräftig ist. Um zu verstehen, wie sich die Beiträge der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) aufschlüsseln, ist ohnehin ein tieferer und differenzierter Blick in das System nötig.
Die öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen Österreichs betrugen 2017 1,11 Milliarden Euro. Diese Summe unterteilt sich in zwei etwa gleich große Bereiche: bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit.
Die multilateralen Mittel, 2017 waren es 577 Millionen Euro, werden an internationale Institutionen überwiesen und verteilen sich auf überregionale Projekte zur Bekämpfung der Armut. Der größte Anteil aus diesem Topf ging 2017 an die Europäische Union. Ein großes Projekt der EU-Entwicklungspolitik ist derzeit etwa ein Nahrungsmittelhilfsprogramm für die Länder der Sahelzone. Auch die Gelder für die Weltbank fließen zu einem Gutteil in Ernährungsprogramme sowie in Infrastruktur-Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern. Auch die Vereinten Nationen (UN) sind Empfänger von österreichischen multilateralen Mitteln. Diese Gelder werden über UN-Unterorganisationen wie das Kinderhilfswerk UNICEF in entwicklungsfördernde Programme investiert. In welche konkreten Projekte das Engagement Österreichs dabei fließt, ist nicht genau nachvollziehbar, da in einen gemeinsamen Finanz-Pool eingezahlt wird.
Anders ist es bei den bilateralen Mitteln. Diese betrugen 2017 533 Millionen Euro. Die Verwendung dieser Gelder ist in der Regel besser nachvollziehbar, sodass das österreichische Engagement in konkreten Projekten sichtbar wird. Zuständig für die Abwicklung und Förderung bestimmter Projekte ist die Austrian Development Agency (ADA), die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). Das ADA-Budget für 2018 beträgt wie 2017 92,5 Millionen Euro, die zu einem Gutteil in nationale und internationale Projekte fließen. Dabei handelt es sich meist um Entwicklungshilfe, wie man sie im klassischen Sinn versteht, zum Beispiel Projekte zur ländlichen Entwicklung in Äthiopien oder zur Unterstützung von Roma-Familien in Osteuropa.
Aktuell werden damit laut Eigenangaben weltweit rund 500 Projekte finanziert. Die ADA unterstützt aber auch zahlreiche Programme zur Bewusstseinsbildung in Österreich, etwa kulturelle Initiativen wie Afrikafeste oder entwicklungspolitische Filmfestivals.
Der Großteil der ADA-Gelder verteilt sich auf Projekte in den elf Schwerpunktländern. Besonders profitiert Uganda von der österreichischen Entwicklungshilfe. Dorthin sind seit der Gründung der ADA im Jahr 2004 mehr als 158 Millionen Euro an bilateralen Fördergeldern geflossen. Damit ist der ostafrikanische Staat, der von der OECD als eines der ärmsten Entwicklungsländer („least developed countries“) eingestuft wird, das größte Empfängerland der österreichischen Entwicklungshilfe. Die ADA fördert dabei vor allem Wasserversorgungsprojekte und Maßnahmen zur Demokratieförderung.
Auch wenn die demokratischen Verhältnisse in Uganda nicht den westlichen Idealvorstellungen entsprechen, gilt die politische Situation dort als weitgehend stabil. Neben den Projekten der ADA sind in Uganda auch eine Reihe von privaten Entwicklungshelfern vor Ort. Einer davon ist der Tiroler Stefan Pleger. Er gründete 2008 den Verein „Kindern eine Chance“, um benachteiligten Kindern in Uganda Zugang zu Bildung und Perspektiven auf eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet das langjährige Vorstandsmitglied von „Ärzte ohne Grenzen Österreich“ in der ugandischen Provinz Mityana eng mit lokalen Lehrern und Helfern zusammen und hat sich so ein großes Netzwerk und eine gute Infrastruktur geschaffen.
Im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Projekten wird sein Verein fast ausschließlich durch Spenden finanziert, öffentliche Förderungen gab es bisher kaum. Pleger sieht es sogar als Vorteil, unabhängig von staatlichen Entwicklungsförderungen zu sein. Diese teils hohen Geldsummen würden vielfach Eliten im NGO-Umfeld erzeugen, die abgeschottet von der Armut um sie herum in einer Art Parallelgesellschaft leben. Die wirklich Bedürftigen, vor allem in den ländlichen Regionen, würden viele dieser Projekte aber oft gar nicht erreichen, kritisiert Pleger. „Das halte ich für ein großes Problem bei staatlich finanzierten Projekten.“
Ein anderes Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ist das etwas weiter südlich gelegene Mosambik. Nach den verheerenden Verwüstungen, die der Zyklon „Idai“ Mitte März in Mosambik verursacht hat, stellte Österreich 500.000 Euro aus dem sogenannten Auslandskatastrophenfonds (AKF) bereit. Auch diese Gelder für die unmittelbare Bewältigung der Krisensituation sowie für Rehabilitationsmaßnahmen und Wiederaufbau fallen unter bilaterale Entwicklungshilfe.
Der sogenannte Auslandskatastrophenfonds (AKF) wurde in der Amtszeit von Sebastian Kurz als Außenminister von 5 Millionen Euro 2014 auf 20 Millionen Euro 2017 erhöht, wurde aber im Budget 2018 wieder auf 15 Millionen Euro gekürzt.
Auffällig ist freilich, dass ein konstant hoher Anteil der bilateralen Hilfsgelder in Österreich bleibt. In den Topf der bilateralen Gelder fallen auch Studienplatzkosten und Stipendien für ausländische Studierende aus Entwicklungsstaaten auf österreichischen Universitäten sowie Grundversorgungskosten für Asylwerber im Inland. Alleine diese beiden Kostenstellen machten 2017 250 Millionen Euro aus – das entspricht etwa einem Viertel der gesamten österreichischen Entwicklungsgelder. In den vergangenen fünf Jahren fielen so 1,6 Milliarden Euro an, die in Österreich blieben. Gelder, die offiziell aber als Entwicklungshilfe deklariert werden.
Dass Studienplatzkosten als Entwicklungshilfe gelten, scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, für den renommierten deutschen Entwicklungshelfer Kilian Kleinschmidt ist das aber eine der „nachhaltigsten Formen der Entwicklungshilfe“. Junge Menschen aus Afrika hätten dadurch die Chance, für einige Jahre in Europa zu sein und mit neuem Wissen in ihre Heimat zurückzukommen, wo sie ihr Know-how einsetzen und weitergeben können.
Auf wesentlich mehr Kritik stößt die Tatsache, dass auch die Kosten für Flüchtlingsbetreuung als bilaterale Entwicklungshilfe abgegolten werden. 2017 machte dieser Posten nicht weniger als 136 Millionen Euro aus. Budgetiert sind diese Mittel zu 60 Prozent auf den Konten des Innenministeriums bzw. zu 40 Prozent auf Gemeinde- und Landeskonten. 2016 betrugen die als Entwicklungsgelder deklarierten Kosten für Asylwerber sogar 539 Millionen Euro. Das entsprach 60 Prozent der gesamten bilateralen Entwicklungshilfe und zeigt deutlich, wie sehr die Flüchtlingskrise die offizielle Höhe der Entwicklungszusammenarbeit verzerrte. Dass diese Kosten in die offizielle ODA-Quotenberechnung miteinbezogen werden dürfen, zeige die Absurdität des Systems, kritisiert Hedwig Riegler, langjährige hochrangige OECD/DAC-Vertreterin. „Vor allem in Österreich sind diese Komponenten so überproportional groß im Vergleich zu den Gesamtausgaben, dass es wirklich ein Skandal ist“, sagt Riegler im Addendum-Interview .
In der öffentlichen Kommunikation wird insgesamt ein sehr einseitiges Bild der EZA gezeichnet. Dass ein erheblicher Teil der Hilfsgelder in Österreich bleibt, wird meist ausgespart. Wichtig sei es, „Hilfe vor Ort“ zu leisten und somit die „Fluchtursachen zu bekämpfen“, wird Bundeskanzler Sebastian Kurz schon seit seiner Zeit als Außenminister nicht müde zu betonen. Die dahinter stehende Grundannahme, Migrationsbewegungen durch Entwicklungshilfe steuern zu können, sei zumindest kurz- und mittelfristig nicht haltbar, schreibt Petra Dannecker, Institutsleiterin für Entwicklungssoziologie and der Universität Wien, in einem Bericht der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE): „Zweifelsfrei hängen ‚Entwicklung‘ und Migration zusammen, allerdings nicht in dieser von den politischen Akteuren im globalen Norden erwünschten Weise.“ Paradoxerweise führe wirtschaftliche Entwicklung, zumindest mittelfristig, sogar zu erhöhter Mobilität und Migration, wie eine Vielzahl von Studien der letzten Jahrzehnte zeige.
Dennoch gab es in den vergangenen Jahren vor allem in den ärmsten Regionen der Welt große Fortschritte, laut ADA-Geschäftsführer Martin Ledolter auch ein Verdienst der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. So konnte etwa die Zahl jener Menschen, die in extremer Armut leben, deutlich reduziert werden. Galt 1990 noch jeder dritte Mensch weltweit als extrem arm, ist es heute nur noch jeder zehnte. Auch die Kinder- sowie die Müttersterblichkeit haben sich in den vergangenen 25 Jahren halbiert. „Entwicklungsarbeit wirkt also“, ist sich ADA-Geschäftsführer Martin Ledolter sicher.
Entwicklungshelfer Kilian Kleinschmidt ist da anderer Meinung. Viele gut gemeinte Projekte würden an sich funktionierenden Strukturen oft mehr schaden, als sie der lokalen Bevölkerung an Nutzen bringen. „Um wirklich etwas bewirken zu können, brauchen wir völlig neue Strukturen in der Entwicklungshilfe, sonst sind die rund 200 Milliarden jährlich, die global für Entwicklungshilfe ausgegeben werden, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Kleinschmidt.
Dass es für eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit höhere finanzielle Mittel braucht, findet auch Stefan Pleger. Er bereitet gerade seine nächste Reise nach Uganda vor. Für die Kinder, die sein Verein betreut, wünscht er sich gute Ausbildungsbedingungen, die ihnen ein würdiges Leben ermöglichen. Dazu braucht es eben Geld. Ob staatlich gefördert oder über Spenden, sei letztlich egal.