Was die Esoterik betrifft, bewegt sich das staatliche Handeln im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Glaube, Vernunft und Nachfrage. So gibt es keine wissenschaftliche Studie, die die Wirkung von energetischen Verfahren wie Handauflegungen etc. belegen würde. Trotzdem gibt es die Berufsgruppen Humanenergetiker oder Tierenergetiker in den Wirtschaftskammern. Aber auch die Heilkraft von homöopathischen Mitteln konnte bislang nie bewiesen werden, und trotzdem findet sich die Homöopathie im Arzneimittelgesetz.
Ein demokratisches Gemeinwesen einigt sich nicht immer auf das, was richtig ist, sondern vor allem auf das Mehrheitsfähige. Das kann freilich auch immanent falsch sein. Es kommt vor allem auf Interessen und die öffentliche Meinung an: Homöopathie ist ein Geschäft für Ärzte und Apotheken, und sie wird in der Öffentlichkeit weitgehend als alternative Behandlungsmethode akzeptiert. Ihre Unwirksamkeit ist für die rechtliche Einordnung in diesem Fall deshalb nur sekundär.
Von der Entscheidung, die wissenschaftliche Erkenntnis außen vor zu lassen, profitieren Staat und Unternehmer. Das gilt etwa für die Einbeziehung der Energetiker in die Struktur der Wirtschaftskammern. Die staatlichen Interessenvertretungen ziehen von den Unternehmen Umlagen ein, das jeweilige Gewerbe erfährt durch die offizielle Vertretung in der Kammer öffentliche Akzeptanz. Es ist ein zwangsläufiges Geben und Nehmen.
In Österreich, wo sich alle Gewerbetreibenden bei der Bezirksverwaltungsbehörde anmelden müssen, wäre eine wirtschaftliche Tätigkeit ohne Gewerbeschein nicht möglich. Die Republik kann die esoterischen Gewerbe also nur gesetzlich verbieten oder offiziell zur Gewerbeberechtigung zulassen.
Die behördliche Meldepflicht verschafft aber eben auch einen Anschein von Seriosität: „Die Astrologie kann wie kaum ein anderes Gewerbe auf eine lange Tradition verweisen“, preist etwa die niederösterreichische Wirtschaftskammer. Diese habe trotz der „Aufhebung des einstmals letzten Lehrstuhles im Jahre 1853 in Erlangen“ in den vergangenen Jahren „innerhalb der Kulturwissenschaften wieder akademischen Boden erobert“. Hinzu kommt, dass die Vernetzung innerhalb der Wirtschaftskammern dem Gewerbe politischen Einfluss sichert.
So wie die Energetiker betreiben auch die Astrologen ein freies Gewerbe, für das laut Gewerbeordnung „kein Befähigungsnachweis zu erbringen“ ist. Ansonsten müsste mangels einschlägigen Studiums ein Curriculum für den Ausbildungsberuf verordnet und im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden. Es würde also mitunter eine Lehre zum Astrologen oder Energetiker geben.
Die Wirtschaftskammer hat für die Astrologen trotzdem eine unverbindliche Ausbildungsempfehlung erlassen. Diese schlägt Unterrichtsinhalte wie „die Häuser und ihre Herrscher“ oder „die Planeten und ihre Würden“ vor. Weiters wird der Erwerb „astronomischer Grundlagen“ im Ausmaß von mindestens fünf Unterrichtseinheiten à 50 Minuten und 12 Einheiten in „Kinder Astrologie“ empfohlen. Entsprechende Ausbildungen bieten private Institute, etwa die „Astroakademie“ in Wien, an.
Dass der Erfolg esoterischer Methoden und Glaubensinhalte unmittelbar mit ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung und ihrer ökonomischen Stellung zu tun haben, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.
Um die Jahrhundertwende war das Wünschelrutengehen besonders populär, auch weil sich der Adel eingängig damit befasste. So ließ sich der deutsche Kaiser Wilhelm II. eine Wünschelrute vorführen und veranlasste die Entsendung eines Wünschelrutengängers in die deutschen Kolonien.
In Österreich stellte die Wünschelrutengeherei vor allem die Behörden vor eine Herausforderung: Das magistratische Bezirksamt für den 6. Wiener Gemeindebezirk beauftragte die Handelskammer 1915 mit einem Gutachten, um die gewerberechtliche Einordnung der Wünschelrutengeher vornehmen zu können.
Die Kammer wiederum holte sich Expertise bei der Genossenschaft der Brunnenmeister in Wien. Diese teilte mit, dass „nach ihrer Anschauung diese Tätigkeit überhaupt kein Gewerbe ist“. Die Kammer erklärte daraufhin die „Etablierung eines hydrotechnischen Bureaus auf der Grundlage der Wünschelrute für ein freies Gewerbe“.
Andererseits waren esoterische Gewerbe immer wieder behördlicher Verfolgung ausgesetzt, vor allem wenn sie von gesellschaftlichen Randgruppen ausgeübt wurden. So verbot der Landeshauptmann von Niederösterreich 1924 „die Ausübung der – sei es als Handlinienlesekunst, Graphologie, Kartenaufschlagen, Wahrsagerei, Sterndeuterei u.s.w., sei es unter einer anderen Bezeichnung betriebenen – Zukunftsdeutung“.
Einerseits verfolgt der Staat vermeintliche Hellseher strafrechtlich, wenn sie betrügerisch handeln, andererseits beschäftigten ASFINAG und der Wiener KAV Esoteriker für die Vornahme wissenschaftlich gesehen nicht erbringbarer Dienstleistungen. Johann Grander, der Erfinder des Granderwassers , dem keine über normales Leitungswasser hinausgehenden Eigenschaften nachgewiesen werden konnten, wiederum erhielt von der Republik das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.
Gleichzeitig betreibt man durch die Anerkennung aber auch Schadensbegrenzung. Nicht jeder kann als Homöopath ordinieren, man muss Arzt sein und somit ein grundsätzliches Verständnis für Medizin mitbringen. Die Energetiker in der Wirtschaftskammer wiederum schreiben ihren Mitgliedern vor, „keine irreführenden Angaben“ zu „komplementärmedizinischen Substanzen (Blütenessenzen, andere energetische Essenzen etc.)“ zu machen.
Außerdem dürfen Humanenergetiker keine Beratungen „im Zusammenhang mit Persönlichkeitsproblemen, Ehe- und Familienproblemen, Erziehungsproblemen, Berufsproblemen und sexuellen Problemen“ oder psychologische Beratungen anbieten.
Energetiker dürfen auch keine sexuellen Dienstleistungen anbieten – ein Abgrenzungsproblem, das sich dem Landesverwaltungsgericht Wien bereits gestellt hat.
Für die Astrologie wiederum hat die WKO eine Ethikrichtlinie erlassen. Demnach sollen Astrologen ihre Kunden nicht „durch Horoskop-Interpretationen unter Druck setzen oder ängstigen und im Bewusstsein der Grenzen astrologischer Aussagen darauf hinweisen, dass jede astrologische Konstellation auf vielerlei Arten und in hilfreicher Entsprechung ausgelegt werden kann“.
Letztlich sind Rechtsordnungen so aufgeklärt wie die Gesellschaften, deren Zusammenleben sie regeln. Österreich ist ein Land, in dem der staatliche Rundfunk eine Astrologiesendung ausstrahlt, der Vizekanzler eine Numerologin besucht und die Wirtschaftsministerin einen Gewerbeschein als Energetikerin besitzt.