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Esoterik im Wert einer Eigentumswohnung am Zürichsee
15. September 2018 Esoterik 5 min
Die Schweizerin Zoe Bee suchte zeit ihres Lebens in der Esoterik nach Erfüllung. Zuerst im Schamanismus, später auch als Lichtarbeiterin. Im Interview erzählt sie über ihren Ausstieg nach einem kompletten Zusammenbruch.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Esoterik und ist Teil 4 einer 5-teiligen Recherche.

Frau Bee, wie kamen Sie zur Esoterik? 

Zoe Bee: Ich wollte ein besserer Mensch werden, suchte die Erleuchtung, und wollte ein immer noch besserer Mensch werden. Meine Mutter hatte mit als Kind gesagt: „Weißt du, jeder Mensch muss sein Kreuz tragen.“ Wenn ich das schon hörte, da sträubte sich alles in mir. Ich wollte kein Kreuz tragen. Ich wollte ein Leben, in dem ich mein volles Potenzial ausschöpfe. Damit kam ich eher nach meinem Vater: Er sagte, dass wir da sind zum Suchen, das sei unsere Lebensaufgabe, nicht aber das Verharren in Fragen.

Mit 18 Jahren las ich dann ein Buch, der Titel war „Was sagen Leute vor dem Sterben über ihr Leben?“, irgendwie so. Diese meisten Sterbenden bedauerten ihren fehlenden Mut, das zu machen, was sie eigentlich gewollt hätten. Da habe ich mir früh gesagt: So will ich mal nicht auf dem Sterbebett liegen. Ich will gar nichts bereuen, ich mache alles. Das war der erste Motor, um Gas zu geben. Und ich habe dann auch alles gemacht. Im Schamanismus, auch nach dem Wechsel in die geistige Lichtarbeit und in meiner Zeit bei einem Guru.

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Besser als die anderen

Genau dieser Weg aber führte Sie ins Unglück?

Lange Zeit habe ich schon gedacht, dass es genau der richtige Weg ist, und es ist ja nicht so, dass ich nicht auch im Schamanismus viel lernte. Achtsamkeit gegenüber der Natur etwa. Letztlich aber wurde genau diese Suche auch nach Erleuchtung zur Sucht: Ich war ein echter Seminarjunkie, wollte immer mehr. Ich suchte die Erleuchtung und habe alles dafür getan, meine eigenen Schwächen und Fragezeichen zu überwinden. Dabei fühlte ich mich lange Zeit wie ein echter Gutmensch, besser als die anderen.

In Wirklichkeit war ich auf einem grandiosen Egotrip; angetrieben auch durch die Enttäuschung, dass mein Kinderwunsch unerfüllt blieb. Ich war zwar beruflich erfolgreich als Textildesignern, bin sehr glücklich verheiratet. Doch ich hatte das Gefühl, es fehlt etwas.

Ihr Mann begleitete Sie durch den Schamanismus, nach Ihrem Wechsel zu einer Sekte im Elsass hin zur geistigen Lichtarbeit jedoch stieg er aus. Scheute er die Kosten?

Nein, er stieg nicht nur aus, weil es sehr teuer war. Teuer waren ja auch die schamanischen Reisen etwa in die Mongolei, wo uns eine Schamanin vorführte, dass sie erst einmal einen Liter Wodka trinken musste, um anschließend in einer Zeremonie blutige Innereien aus einem Körper ziehen zu können, was natürlich nur Zaubertricks waren. Nein, mein Mann stieg dann aus, weil er das alles einfach vollkommen daneben fand. Er war überzeugt, dass das reiner Hokuspokus ist, dass das Augenauswischerei ist, dass mit diesem Guru und der Gruppe etwas nicht stimmt. Er sagte, das alles sei ein Lügengebilde, eine Fata Morgana, und dass ich mich wie alle anderen ausnehmen lasse. Ja, und natürlich haben wir uns auch über die Kosten gestritten, das hat ihn mächtig gestört. Denn es wurde ja immer teurer.

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Statt einer Eigentumswohnung am Zürichsee

Der Guru im Elsass hat gut an Ihnen verdient?

Sehr gut sogar. Bei jedem Anzeichen von Schwäche, von Zweifel musste man ja nachlegen. Bei der leisesten Kritik hieß es: Da musst du noch dieses und jenes Seminar machen. Und ich wollte in der Hierarchie natürlich aufsteigen, auch das ging nur über Seminare. Und jedes dieser Seminare wurde teurer als das vorhergehende. Mit all meinen Sachen, die ich gemacht habe, hätten wir locker eine schöne Eigentumswohnung hier am Zürichsee kaufen können. Es waren sehr stolze Beträge, die ich in all den Jahren in mich, in mein Heil und meine Erleuchtung investiert habe.

Sie haben als Lichtarbeiterin und Heilpriesterin aber auch selbst Geld damit verdient?

Ja, und ich war erstaunlich erfolgreich damit, was die Genesung anging. Alle waren wirklich immer sehr zufrieden, sagten Wochen später, dass ich ihre Zustände gelindert hätte – seien es psychische oder auch physische Probleme. Und das alleine über diese Heil-Energie, wie ich sie in meiner Ausbildung zur Essener Heilpriesterin gelernt hatte. In dieser Ausbildung war ich auf Menschen getroffen, die glaubten, Inkarnationen aus der Zeit von Jesus Christus zu sein. Die haben auch mir gesagt, dass ich ebenfalls damals schon gelebt hätte, weshalb auch ich die Gabe hätte, die Jesus-Heilenergie weiterzugeben.

Kamen zu Ihnen auch unheilbare Menschen?

Nein, ich habe nie jemanden mit Krebs behandelt. Das gab es nicht. Es kamen Menschen mit psychischen, meist ganz normalen Problemen, etwa in der Beziehung, mit Geld, Sorgen im Beruf, mit den Kindern. Viele klagten auch über Niedergeschlagenheit bis zu Depressionen; Menschen, die keine Perspektive mehr sahen. Ab und zu kamen auch Leute mit körperlichen Symptomen, aber da war nie etwas Lebensbedrohliches dabei.

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Krafttiere, Gott, Drachen

Wie liefen die Sitzungen ab? Etwa bei einem Mann mit Eheproblemen?

Das Vorgehen war immer dasselbe. Ich persönlich hatte keine Meinung. Ich habe zuerst gebetet – zu meinen Krafttieren, zu Gott, zu anderen Wesenheiten, die mir wichtig waren. Und auch zu meinen Drachen, die mir persönlich immer sehr, sehr wichtig waren. Dann habe ich den Göttern und Drachen die Situation geschildert und auf Antwort gewartet. Die habe ich dann weitergegeben.

Da ging es nicht konkret um Trennung oder Nicht-Trennung, sondern allgemein um etwas, was die Menschen in ihrem Leben lösen müssten. Oft ging es um einen Blickwinkel, auch um Konkretes. Eigentlich waren es oft kindliche Hinweise, etwas auch mal anders zu betrachten. Und das half dann, wie die Menschen mir berichteten.

Sie haben mit Energie geheilt?

So habe ich es kommuniziert. Wenn ich in dieser Sprache von damals rede, dann habe ich durch Energien Zugänge zu den Chakren geöffnet, habe sie lebendig werden lassen und Hilfe zur Selbstheilung aktiviert. So habe ich auch Nahrungsmittel energetisiert, indem ich einfach die Hände auflegte. Ja, solche Dinge habe ich gemacht.

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Entschuldigungsbriefe an Klienten

Wie teuer waren Sie als Heilerin?

Die Gutbetuchten zahlten mehr, Studenten und Pensionisten weniger. Ich habe immer geschaut: Was liegt drin und wie lange dauert es. Das war ja kein Gesetz. Manchmal habe ich umsonst behandelt, wenn mir jemand einen Flyer gemacht hat. Die Arten zu bezahlen waren vielseitig. In meinem Bereich gab es sicher teurere Anbieter, mehr als 80 bis 200 Franken die Stunde habe ich nie verlangt.

Oft wurde mir von „oben“ eine Summe eingegeben, die habe ich genannt, und es wurde akzeptiert. Ein schlechtes Gewissen habe ich aber deswegen auch heute nicht: Ich habe selbst Geld in meine Ausbildung investiert, für Sitzungen Geld erhalten. Das ist fair. Nach meinem Ausstieg aus der Esoterik habe ich dennoch allen meinen Patienten und Klienten einen Entschuldigungsbrief geschrieben. Denn aus heutiger Sicht als Christin war dies alles natürlich eine Sünde, nicht nur, weil ich dabei zu mehreren Göttern betete.

Die Patienten haben die Entschuldigung angenommen?      

Ja, meine Entscheidung, die esoterischen Pfade zu verlassen, haben die meisten dennoch nicht verstanden: Denn ich hatte ihnen ja geholfen. Und das zählte für sie.

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„Gott, wenn es dich wirklich gibt, rettest du mich“

Ihr Ausstieg aber verlief dramatisch, Sie wären fast gestorben?

Ja. Es ging mir immer schlechter. Ich sah ständig Geister, hatte Albträume und dachte, ich sei manisch-depressiv. Ein Wechsel zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Ich war nicht mehr ich, war wie fremdgesteuert. Ich habe mich selber nicht mehr verstanden und gekannt, ich war bloß noch die Hülle. Ich machte Sachen, die ich gar nicht wollte. Am Karfreitag 2011 saß ich vor meinem Altar, habe wie immer zu Jesus und vielen anderen Göttern und Geistern gebetet. Ich saß im Schneidersitz, und urplötzlich hatte ich einen Krampf auf meinem Brustkorb und in meinem Herz. Ich hatte riesige Schmerzen, konnte kaum mehr atmen. Ich hatte wirklich Todesangst, und ich hab gedacht: So, jetzt ist Schluss, jetzt stirbst du.

Und ich konnte mich nur noch nach hinten sinken lassen, konnte weder aufstehen noch nach meinem Mann nebenan um Hilfe schreien. In dem Moment habe ich gebetet, diesmal wirklich nur zu Gott: „Gott, Jesus, wenn es dich wirklich gibt, entweder nimmst du mich zu dir, oder du rettest mich.“ Der Schmerz ließ nach, ich habe mich beruhigt. Tage später diagnostizierte ein Arzt einen Herzkrampf, entstanden durch riesigen Stress. Ich hatte vor diesem Erlebnis immer öfter auch an Suizid gedacht. Über Jahre hatte ich mich immer mehr von mir selbst entfremdet. Mir war gar nicht mehr bewusst, in welch emotionalem Stress ich mich befand.

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Ein ständiger Kampf gegen sich selbst

Die Esoterik hat Sie nicht erfüllt, sie hat Sie krank gemacht? 

Sie hat mich von mir selbst entfremdet, von allem Menschlichem. Dazu zählt auch Schwäche, Zufriedenheit, das war verpönt in meinem Umfeld. Denn für Verharmlosung, Verdrängung, Ablenkung und Resignation gibt es in der Esoterik keinen Platz, so etwas wird unablässig bekämpft. Denn wer an die Wiedergeburt glaubt, muss sich in jeder Inkarnation jederzeit dazu berufen fühlen, sich ständig aus sich selber heraus weiterzuentwickeln. Das bedeutet letztlich einen ständigen Kampf gegen sich selbst, denn die Lösung für jedes Problem liegt ja aus esoterischer Sicht ebenfalls immer in einem selbst und nie außerhalb.

Schwäche war verboten, sowohl im Schamanismus wie bei Ihrem Guru im Elsass?

Ja. Im Schamanismus bedeutete Stärke, das glühende Stück Kohle möglichst lange im Bauchnabel zu belassen und drei Tage am Stück in der Schwitzhütte zu fasten, bis die Kronleuchter wackelten. Im Lichtarbeiter-Zentrum habe ich beim leisesten Anflug von Zweifel oder Schwäche sofort das nächste Seminar gebucht. Und zwar so viele, bis mich keine Emotionen mehr treffen könnten, bis ich in einer gleichmäßigen, guten Befindlichkeit wäre. Ohne dass ich mich aufrege, ohne Ängste, ohne Wut, was auch immer.

Heute weiß ich: Das war nicht das erfüllte Leben, das ich mir einst gewünscht hatte. Ich hatte mir ein Leben in Ehrlichkeit meinen Wünschen und Träumen gegenüber erhofft, und dass ich den Mut habe, meins zu leben. Das alles ist aber letztlich in Hedonismus ausgeartet. Platz für schwache Menschen, die nicht ihr volles Potenzial ausschöpften, hat es da nie gegeben. Diese Menschen habe ich sogar verachtet.

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Zufriedener und glücklicher als je

Sie engagieren sich heute in Ihrer Kirchengemeinde ehrenamtlich für Obdachlose oder auch hilfsbedürftige Alkoholiker?

In einem Befreiungsgebet habe ich mich komplett von meinem esoterischen Leben losgesagt, und ich bin heute zufriedener und glücklicher denn je. Gerade auch durch mein soziales Engagement für Menschen, die alleine nicht aus der Not herausfinden, die Mitmenschlichkeit benötigen. Das hatte in der Esoterik kaum einen Platz. Dort liegt der Schlüssel für die Erfüllung immer in einem selbst. Wer ein Ziel nicht erreicht, ist selbst schuld. Heute weiß ich, dass es zum Leben dazugehört, auch mal ein Kreuz zu tragen, für das man keine Verantwortung hat, und dass nicht jeder nach links oder rechts liegende Grashalm eine Bedeutung hat. Ich habe diese Zeit überlebt, mein Mann hat mich in all den Jahren nicht verlassen. Ich kenne Fälle, die hat es wesentlich härter getroffen. Die haben alles verloren. 

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