Man stelle sich ein auf Bekleidung spezialisiertes Unternehmen vor. Erzeugt wird Trachtenmode – auch nach Maß, für Sie wie für Ihn. Eine der Schneiderinnen geht in Karenz, es wird Ersatz benötigt. Weil die Schneiderinnen bei den weiblichen Kundinnen Maß nehmen und die Schneider bei den männlichen Kunden, wird die Jobanzeige geschlechtsspezifisch geschaltet: Gesucht wird ausdrücklich eine Schneiderin – und kein Schneider. Weibliche Bewerber werden also gegenüber männlichen bevorzugt.
Das ist tatsächlich passiert.
Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um das, was Juristen als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bezeichnen. Um klarer zu sehen, muss mit einem weit verbreiteten Irrtum aufgeräumt werden. Nämlich jenem, dass Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen jedenfalls rechtswidrig sind. Das stimmt in dieser Absolutheit nicht.
Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich.
(1) Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.
(2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten sind zulässig.
(3) Amtsbezeichnungen können in der Form verwendet werden, die das Geschlecht des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin zum Ausdruck bringt. Gleiches gilt für Titel, akademische Grade und Berufsbezeichnungen.
(4) Den öffentlichen Bediensteten, einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres, ist die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte gewährleistet.
Verbot der Benachteiligung
Der Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ist ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.
Das österreichische Verfassungsrecht verbietet zwar zunächst ausdrücklich Diskriminierungen von Frauen und Männern gegenüber dem jeweils anderen Geschlecht. Die verfassungsrechtliche Basis dafür ist der sogenannte Gleichheitssatz, der sich aus dem Staatsgrundgesetz 1867 und dem Bundes-Verfassungsgesetz ergibt. Darüber hinaus enthält auch die Europäische Menschenrechtskonvention ein Diskriminierungsverbot – dieses bezieht sich allerdings nur auf die in der Konvention selbst geregelten Rechte.
In bestimmten Fällen sind aber gesetzliche Ausnahmeregelungen zulässig: Ist eine Differenzierung „sachlich gerechtfertigt“, so ist sie verfassungsrechtlich erlaubt. In solchen Situationen dürfen also Männer und Frauen laut Gesetz unterschiedlich behandelt werden.
Die Frage, wann eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt, hat die Höchstgerichte deshalb ähnlich oft beschäftigt wie die Frage, wann eine Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist.
Quelle: Gleichbehandlungsanwaltschaft
So entschied der Verfassungsgerichtshof bereits in den 90er Jahren, dass der Gesetzgeber unterschiedliche Belastungen im Arbeitsleben bei der Gestaltung des Leistungsrechts der Pensionsversicherung berücksichtigen kann. Nachteile von Frauen, die durch Beruf und Hausarbeit doppelt belastet sind, könnten also per Gesetz ausgeglichen werden.
Allerdings wäre mit dem VfGH eine Privilegierung von Frauen sehr wohl verfassungswidrig, wenn sie ganz allgemein geschieht und nur nach dem Geschlecht differenziert wird. Wie zum Beispiel dann, wenn Frauen generell früher in Pension gehen dürfen als Männer. Gerade jene Frauen, die durch Haushalt und Obsorge für Angehörige besonders belastet sind, könnten davon am wenigsten profitieren.
Eine derartige generelle Begünstigung von Frauen beim Pensionsantrittsalter wäre zu undifferenziert – und daher verfassungswidrig.
Warum die bestehende Rechtslage dennoch genau so aussieht? Weil laut VfGH auch das Vertrauen der Bevölkerung in eine lange Zeit bestehende Rechtslage geschützt werden muss. Der Gesetzgeber kann also das unterschiedliche Pensionsantrittsalter nicht von heute auf morgen abschaffen. Deshalb wurde ein eigenes Bundesverfassungsgesetz „über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten“ erlassen.
Dieses Bundesverfassungsgesetz stellt nicht nur klar, dass unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten im Gesetz zulässig sind. Sondern auch – und das ist entscheidend: Das Pensionsantrittsalter von Frauen wird im Lauf mehrerer Jahre nach und nach angehoben, beginnend ab 2024. Im Jahr 2033 wird schließlich das Antrittsalter für die Alterspension von Männern und Frauen angeglichen sein.
Bis dahin werden Frauen gegenüber Männern beim Pensionsantrittsalter bevorzugt. Ein Umstand, der immer wieder für Diskussionen sorgt.
Während also das unterschiedliche Pensionsantrittsalter während der nächsten eineinhalb Jahrzehnte abgeschafft werden wird, werden andere Bevorzugungen nach wie vor neu geschaffen. Unterschiedlichste Maßnahmen werden mit dem Ziel ergriffen, Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu beseitigen. Das betrifft unter anderem die Gehaltsschere – eine andere, diffizile Geschichte .
Das Bekenntnis von Bund, Ländern und Gemeinden zu einer aktiven Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter findet sich auch in Artikel 7 B-VG, und zwar im zweiten Absatz. Doch nicht nur das B-VG hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Auch die völkerrechtliche „Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau“ gestattet Österreich, vorübergehend solche sogenannten positiven Diskriminierungen vorzunehmen.
Ein Beispiel für positive Diskriminierungen von Frauen sind gesetzliche Quotenregelungen.
Derartige Regelungen finden sich etwa im Gleichstellungsgesetz von Männern und Frauen im Aufsichtsrat, das seit Beginn des Jahres gilt. Ähnliche Regelungen bestehen auch in Deutschland – dort forderte Bundesfamilienministerin Katarina Barley erst vor kurzem eine Quotenregelung auch für Vorstände.
Mit dem Gesetz sind bestimmte Unternehmen in Österreich verpflichtet, ihre Aufsichtsräte zumindest zu 30 Prozent mit jedem Geschlecht zu besetzen. Betroffen sind Gesellschaften, die börsenotiert sind oder in denen dauernd mehr als 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Außerdem muss der Aufsichtsrat aus zumindest sechs Kapitalvertretern und die Belegschaft zumindest zu 20 Prozent aus Männern beziehungsweise Frauen bestehen.
Die Regelungen gelten jedoch nur für Neubestellungen, weshalb es eine gewisse Zeit dauern kann, bis die Quote auch wirklich erfüllt sein wird. Wie berichtet wurde, entsprachen Ende des Vorjahres nur acht von 33 betroffenen, im Wiener Börse Index gelisteten, Unternehmen diesen Voraussetzungen.
Quotenregelungen gelten aber auch in anderen Bereichen – so etwa beim ORF (§§ 30c und d ORF-G) in Höhe von 45 Prozent bei der Aufnahme von Mitarbeitern ebenso wie bei deren beruflichem Aufstieg. Oder auch allgemein für staatsnahe Unternehmen: Dazu hat sich die Bundesregierung im Jahr 2011 verpflichtet. Doch das ist eine andere Geschichte .
Frauen werden aber auch auf andere Arten gezielt gefördert.
Kapitalvertreter sind die der Eigentümerseite zuzurechnenden Vertreter im Aufsichtsrat. Davon zu unterscheiden sind die Arbeitnehmervertreter.
Zum Beispiel aufgrund des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes. Es regelt die Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Bediensteten, freien Dienstnehmern, Lehrlingen, Bewerbern und anderen für den Bereich der „öffentlichen Hand“. Demnach sind bestehende Benachteiligungen von Frauen im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis zu beseitigen.
Das Gesetz geht noch weiter: Liegt der Frauenanteil in einem bestimmten Bereich unter 50 Prozent, so ist der jeweilige Dienstgeber – zum Beispiel ein Bundesministerium – verpflichtet, auf die Beseitigung dieser Unterrepräsentation hinzuwirken. Und zwar sowohl hinsichtlich der Gesamtzahl der dauernd Beschäftigten als auch der Funktionen.
Im Ergebnis bedeutet das vor allem eines: Weibliche Bewerberinnen werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt.
Dieses „Bundesgesetz über die Gleichbehandlung im Bereich des Bundes (Bundes-Gleichbehandlungsgesetz – B-GlBG)“ darf nicht mit dem für die – zusammenfassend gesprochen – „Privatwirtschaft“ geltenden „Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz – GlBG)“ verwechselt werden.
Anmerkungen: 1. Die Bezeichnungen der Bundesministerien entsprechen jenen zum Zeitpunkt des jeweiligen Erlasses des Frauenförderungsplans. 2. Der Frauenförderungsplan „des Justizressorts“ wurde vom Bundesminister für Justiz verordnet – die Bezeichnung wurde aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit beibehalten.
Die Umsetzung dieser Frauenförderung im öffentlichen Dienst geschieht insbesondere durch spezielle Pläne, die für das Bundeskanzleramt und die einzelnen Bundesministerien erlassen wurden. Aber auch für Präsidentschaftskanzlei, Volksanwaltschaft, Rechnungshof, Bundeskanzleramt, Verwaltungsgerichtshof und Parlamentsdirektion bestehen solche Frauenförderungspläne.
Daneben bestehen auch „Frauenförderpläne“ ausgegliederter Unternehmen wie der Bundesanstalt Statistik Österreich, des Arbeitsmarktservice (AMS), der Bundesrechenzentrum GmbH, der Österreichischen Nationalbank, der Österreichischen Nationalbibliothek, der Österreichischen Post AG und der Telekom Austria AG – sie sind hier gesammelt abrufbar.
Selbst im Hochschulgesetz, im Universitätsgesetz oder im bereits zitierten ORF-Gesetz finden sich Regelungen und Verpflichtungen zur Frauenförderung und Gleichstellung.
Neben der gezielten Förderung von Frauen bestehen in Österreich rechtliche Regelungen, die bereits per se Frauen bevorzugen. Zwei plakative Beispiele könnten den Eindruck erwecken, dass hier Rollenbilder „vergesetzlicht“ wurden.
Alle österreichischen Staatsbürger männlichen Geschlechts, die das 17. Lebensjahr vollendet und das 50. noch nicht vollendet haben, sind wehrpflichtig. Das sieht das Wehrgesetz vor (§§ 9 ff.). Volljährige Männer, die bei der Stellung als tauglich beurteilt werden, haben dann nach Einberufung ihren Präsenzdienst – oder den Zivildienst – abzuleisten.
Diese Pflicht besteht für Frauen in Österreich nicht: Ihr „Ausbildungsdienst“ ist freiwillig. Nicht so in anderen Ländern wie Norwegen. Das skandinavische Land führte ab 2016 eine Wehrpflicht für Frauen ein. Auch in Schweden können ab 2018 mit der wiedereingeführten Wehrpflicht Frauen zum Militärdienst verpflichtet werden. Das berühmteste Beispiel ist wohl Israel mit einer Wehrpflicht für Frauen von 24 Monaten (Männer: 36 Monate). Auch in einigen anderen Ländern, etwa in Nordkorea, ist das weibliche Geschlecht zum Dienst an der Waffe verpflichtet, wie die Central Intelligence Agency (CIA) gezeigt hat.
Das österreichische Bundesheer bemüht sich zwar vermehrt darum, auch Frauen für eine Karriere in ihren Reihen zu begeistern. Wie wir berichtet haben, liegt der Anteil der weiblichen Militärbediensteten jedoch im niedrigen einstelligen Prozentbereich.
Während also das österreichische Militär fest in Männerhand ist, gilt das Umgekehrte für einen anderen Bereich: das Bekommen von Kindern. Nicht nur die Biologie, auch das Gesetz unterscheidet hier zwischen den Geschlechtern.
Wer ein Kind erwartet, kann nicht gekündigt werden. Eine Entlassung bedarf der Zustimmung eines Gerichts. Dasselbe gilt jeweils bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Geburt oder vier Wochen nach der Fehlgeburt. Diese Regelungen finden sich im Mutterschutzgesetz (§§ 10 ff.). Dazu haben sich die Vertragsstaaten aber auch bereits mit der genannten Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung verpflichtet.
Werdende Väter und Jungväter genießen diesen absoluten Kündigungsschutz hingegen nicht. Sollten sie während der Schwangerschaft ihrer Partnerin gekündigt werden, käme es darauf an, ob das Motiv für die Kündigung die Schwangerschaft der Frau war. Nur dann bestünde Schutz. Sie stehen also auf den ersten Blick schlechter da als ihre weiblichen Pendants. Das kann allerdings mittelbar auch Frauen benachteiligen: nämlich dann, wenn das Einkommen des Partners wegfällt.
Eine Bevorzugung von Frauen war hingegen genau das, was die Gleichbehandlungsanwaltschaft dem Unternehmer des zitierten Eingangsbeispiels vorwarf: Indem er die Stelle einer Schneidermeisterin ausgeschrieben hatte, habe er gegen das Gebot der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung verstoßen.
Diese Vorschrift findet sich im Gleichbehandlungsgesetz. Jenem Gesetz, das, allgemein gesprochen, die Gleichstellung von Mann und Frau in der Privatwirtschaft gebietet und Diskriminierungen verbietet.
Allerdings sind Ausnahmen bei der Stellenausschreibung zulässig: nämlich dann, wenn „ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der vorgesehenen Tätigkeit ist“. Ein weiteres Bespiel dafür, dass Diskriminierungen ausnahmsweise erlaubt sein können.
Genauso argumentierte der betroffene Unternehmer: Zum Schutz der Intimsphäre der Kundinnen komme diese Ausnahmeregelung des Gleichbehandlungsgesetzes zur Anwendung. Es würde also nur eine weibliche Schneiderin für den vakanten Posten infrage kommen.
Weitere Informationen zur Gleichbehandlungsanwaltschaft und ihren Aufgaben finden Sie hier .
Der Fall inspirierte einige Nationalratsabgeordnete zu einem Entschließungsantrag. Die Kritik: Das Bundesgesetz über die Gleichbehandlungskommission und die Gleichbehandlungsanwaltschaft würde den Organen einen zu großen Spielraum gewähren, weshalb eine genauere Determinierung von Begriffen wie „Diskriminierung“ und „Gleichbehandlung“ sowie deren inhaltlicher Prüfung beantragt werde.
Wie die Geschichte des zitierten Modeunternehmers ausgegangen wäre, wird man nie erfahren. Die Causa landete nie vor Gericht. Eines kann man daraus allerdings lernen: Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts sind ein äußerst sensibler Bereich. Manchmal sind sie erlaubt – und manchmal sogar gesetzlich vorgesehen.
Dieses GBK/GAW-Gesetz wurde mit der Novelle BGBl. I Nr. 107/2013 umfassend geändert. Dies unter anderem auch mit dem in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage genannten Ziel, Verbesserungen des materiellen Rechts und von Verfahrensvorschriften zur effektiveren Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorzunehmen.