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Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Wo die Zeit stillsteht, wo es Fortschritte gibt
8. Januar 2018 Feminismus Lesezeit 8 min
In 99 Prozent aller österreichischen Gemeinden nehmen mehr Frauen am Arbeitsmarkt teil als noch vor 15 Jahren. Regional unterscheidet sich diese Entwicklung jedoch stark. Während der ländliche Raum große Sprünge gemacht hat, hinken urbane Zentren hinterher.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Feminismus und ist Teil 1 einer 10-teiligen Recherche.

Zwischen Kittsee im Burgenland und Dorfstetten in Niederösterreich liegen 200 Kilometer und eine Welt, wenn es um die Entwicklung des Arbeitsmarkts für Frauen geht: Im Waldviertel ist der Anteil erwerbsbeteiligter Frauen in 15 Jahren um 36 Prozentpunkte gestiegen – in der burgenländischen Gemeinde nahe Bratislava ist er um 17 Prozentpunkte gefallen.

Diese zwei Gemeinden sind Extrembeispiele. Sie zeigen aber, dass sich der Arbeitsmarkt für Frauen regional höchst unterschiedlich entwickelt hat, auch wenn die allgemeine Entwicklung positiv war. Insgesamt sind seit 2001 rund 300.000 Frauen und 100.000 Männer mehr in den Arbeitsmarkt eingestiegen. Aktuell sind 81 Prozent der Frauen entweder erwerbstätig oder arbeitssuchend. Das ist ein Plus von etwa neun Prozentpunkten. Besonders in ländlichen Regionen sind viele Frauen in den Arbeitsmarkt eingestiegen. In der Stadt war der Zustrom dagegen moderat – auch weil das Ausgangsniveau dort höher war.

Ländlicher Raum hat stärker profitiert

Auf dem Land war der Zuwachs dreimal so hoch wie in der Stadt – einem Plus von 13 Prozentpunkten steht eines von 4,7 Prozentpunkten gegenüber. In dieser Karte sehen Sie, wie sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Ihrer Gemeinde entwickelt hat und wie hoch sie aktuell ist:

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Hinter diesem Anstieg der Erwerbsquote stehen viele Faktoren. Die wesentlichsten sind

  1. Ein stark steigender Trend zur Teilzeitarbeit, sodass mehr Frauen in Beschäftigung stehen.
    Im Vorjahr haben mit 50,1 Prozent mehr Frauen Teilzeit als Vollzeit gearbeitet. 1994 lag die Teilzeitquote noch bei 29 Prozent. Besonders im ländlichen Raum ist der Trend stark ausgeprägt. „Weil hier viele Jobs entstanden sind, arbeiten nun viele Frauen, die früher nicht gearbeitet hätten“, sagt Helmut Mahringer, Arbeitsmarkt-Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). Das führt zu mehr Beschäftigung in absoluten Zahlen, aber das gesamte geleistete Arbeitsvolumen von Frauen ist nicht gewachsen. Die Arbeit verteilt sich auf mehr Personen.
  2. Der Wandel zu einer Dienstleistungsökonomie, in der Frauen besser zum Zug kommen.
    Der Weg zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft begünstigt den Einstieg von Frauen in den Arbeitsmarkt. Die seit 2001 entstandenen 300.000 Jobs sind fast ausschließlich im Dienstleistungssektor entstanden. In der Landwirtschaft und im industriellen Sektor gibt es Produktivitätsgewinne und keine bzw. sehr geringe Beschäftigungszuwächse. 84 von 100 Frauen arbeiten in der Dienstleistungsbranche. Auch hier gilt: Vor allem in Gemeinden mit niedriger Bevölkerungsdichte sind überproportional viele neue Beschäftigungsverhältnisse entstanden.
  3. Eine bessere Chance auf den beruflichen Wiedereinstieg nach der Karenz durch neue Modelle.
    Je länger Frauen nach der Geburt ihres Kindes dem Arbeitsmarkt fernbleiben, desto schwieriger ist der Wiedereinstieg. Das Modell mit der längstmöglichen Bezugsdauer (30 plus 6 Monate) hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren, wie das Wiedereinstiegsmonitoring der Arbeiterkammer zeigt. Mittlerweile ist das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (12 plus 2 Monate) die beliebteste Karenzvariante. Bei Frauen, die vor ihrer Karenz überwiegend gearbeitet haben, liegt die Wiedereinsteigsquote hier bei fast 90 Prozent nach zweieinhalb Jahren. Nach dem 30+6-Modell sind es im gleichen Zeitraum nur knapp 60 Prozent.
  4. Eine Bildungsexpansion, die vor allem im ländlichen Raum ein höheres Qualifikationsniveau mit sich gebracht hat. 
    Der Akademikeranteil von Frauen im Alter zwischen 25 und 60 Jahren hat sich in in den vergangenen 15 Jahren von 9 auf 20 Prozent mehr als verdoppelt. Das gilt für den städtischen und ländlichen Raum im gleichen Maß. Der Anteil von Frauen, die maximal einen Pflichtschulabschluss haben, ist von 26 auf 16 Prozent gefallen. „Je höher das Bildungsniveau, desto eher sind Frauen in Beschäftigung. Vor allem bei gering Qualifizierten sind viele Frauen entweder nicht am Arbeitsmarkt oder arbeitslos“, sagt Viktoria Spielmann*, Arbeitsmarktpolitik-Expertin für Frauen am Arbeitsmarktservice (AMS).
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Durch die starken Zugewinne arbeiten im ländlichen Raum nun mehr Frauen als in der Stadt.

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Das Bildkonzept

Die Titelbilderserie dieses Projekts zeigt eine Auswahl der berühmtesten Frauendarstellungen der Kunstgeschichte. So vielfältig wie die dargestellten Frauenbilder sind die Positionen im Feminismus.

Hintergrund für die niedrigere Erwerbsbeteiligung in der Stadt ist einerseits starker Zuzug aus den ländlicheren Räumen und dem Ausland – vor allem die Ostöffnung des Arbeitsmarkts hat die Konkurrenz verschärft. Andererseits ist der Anteil von Ausländerinnen in Städten höher als auf dem Land. Sprachliche Defizite, höhere Kinderzahl, niedriges Bildungsniveau, fehlende Anerkennungen von Qualifikationen und Diskriminierung sind Faktoren, die sich negativ auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Migrationshintergrund auswirken.

Große Unterschiede nach Nationalität

Innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe gibt es große Unterschiede von Nationalität zu Nationalität. So liegt die Erwerbsquote von Türkinnen bei 46 Prozent, jene von EU-15-Staatsbürgerinnen bei 84 Prozent, ist also gleich hoch wie bei Österreicherinnen. Diese Zahlen spiegeln sich auf ähnlichem Niveau auch in den Herkunftsländern wider: In der Türkei stehen dem Arbeitsmarkt gemäß Eurostat 42 Prozent der 25- bis 55-Jährigen Frauen zur Verfügung. In Deutschland liegt diese Quote für die gleiche Gruppe bei 83 Prozent.

Sondereffekte wie die erhöhte Zahl von Asylwerbern – besonders in Städten – drücken die Erwerbsbeteiligung zusätzlich. Diese Hintergründe führen zur niedrigeren Erwerbsquote in urbanen Zentren wie Wien, Graz und Linz. Wie hoch die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Ihrer Gemeinde ist, sehen Sie in dieser Karte:

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Offenlegung: Viktoria Spielmann hat in ihrer Funktion als Expertin des Arbeitsmarktservice mit Addendum gesprochen. Parallel dazu ist sie Mitinitiatorin des Frauenvolksbegehrens.

  • Im Umfeld der Landeshauptstädte ist die Erwerbsquote von Frauen mit 83,5 Prozent am höchsten. Beispielsweise nehmen in Glinzendorf im Nordosten von Wien, in St. Ulrich im Nordwesten von Linz sowie im Gnadenwald nordöstlich von Innsbruck mehr als neun von zehn Frauen am Arbeitsmarkt teil.
  • In urbanen Großzentren sind unterdurchschnittlich viele Frauen erwerbstätig oder auf der Suche nach Arbeit. Am deutlichsten ist das in Bregenz, Innsbruck (beide 72 Prozent) und Wien (73 Prozent).

Eine gleich hohe oder höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern ist in Österreichs Gemeinden eine Seltenheit.

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99 von 100 Gemeinden

haben nun eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt als vor 15 Jahren.

Höhere Erwerbsquote abzusehen

Ein Ende steigender Erwerbsquoten für Österreich im Allgemeinen sei noch nicht abzusehen, sagt WIFO-Experte Mahringer: „Der Effekt der Bildungsexpansion ist noch nicht ausgeschöpft.“ Aber: „In Österreich sind besonders die Erwerbsquoten Geringqualifizierter und Älterer gering. Wenn die Erwerbsbeteiligung gesteigert wird, dann führt das auch dazu, dass mehr dieser Personen auf den Arbeitsmarkt kommen oder wiedereinsteigen sollten. Dazu sind Begleitmaßnahmen erforderlich, beispielsweise im medizinischen Bereich ebenso wie bei Qualifizierung und Beschäftigungsförderung. Besonders bei älteren und gesundheitlich eingeschränkten Arbeitskräften sind präventive Maßnahmen besonders wirkungsvoll, die die Aufrechterhaltung der Beschäftigung erleichtern und einen Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt verhindern sollen.“

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Die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt hat sich also in den vergangenen 15 Jahren stark erhöht, wenn auch nicht überall. Dass sie aber in 99 Prozent aller Gemeinden gestiegen ist, ist ein Zeichen dafür, dass die Zeit nur in den wenigsten Gemeinden stillgestanden ist. 

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Methodik

Wie funktioniert diese regionale Typologie?

Diese Daten sind nach der Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria abgegrenzt. Dabei werden dicht besiedelte Gebiete abgegrenzt und regionale Zentren auf Gemeindeebene identifiziert. Vorhandene Infrastruktur fließt ebenso in die Bewertung mit ein. Außerhalb dieser Zentren werden Gemeinden auch auf Basis von Pendlerverflechtungen und der Erreichbarkeit von Zentren bewertet. Das Ergebnis sind zwei grobe Kategorien mit je zwei Klassen darunter: Stadt (darunter sind urbane und regionale Zentren zusammengefasst) sowie Land (also ländlicher Raum im Umland von Zentren und auch ländlicher Raum im Allgemeinen). Eine weitere Unterteilung passiert daraufhin anhand der Einwohnerzahl (Urbane Zentren) sowie der Erreichbarkeit von urbanen und regionalen Zentren.

Was ist die Datenquelle für die Berechnungen?
Die Daten für die Karte auf Gemeindeebene kommen aus der Abgestimmten Erwerbsstatistik der Statistik Austria. Stichtag für die Vollerhebung war Ende Oktober 2015. Einen aktuelleren Datensatz gibt es für Analysen auf dieser Detailebene nicht.

Für die Entwicklung der Erwerbsquoten je Gemeinde wurde die Volkszählung 2001 mit der Abgestimmten Erwerbsstatistik 2015 verglichen. Trotz unterschiedlicher Erhebungsmethoden – Befragung vs. Registerzählung – ist eine Vergleichbarkeit gegeben, auch weil sich die Definition von Erwerbstätigkeit (mehr als eine Stunde pro Woche erwerbstätig) nicht verändert hat. Eine Betrachtung mit vorhergehenden Daten aus der Volkszählung im Jahr 1991 wäre nicht möglich gewesen. Damals lag Erwerbstätigkeit erst ab zwölf Stunden wöchentlicher Arbeitszeit vor.

Wie lese ich die Farbskala in den Karten richtig?
Die Teilung in überdurchschnittlich, durchschnittlich, unterdurchschnittlich orientiert sich bei beiden Karten am Median aller Gemeinden. Bei der Karte zur Erwerbsquotenveränderung der Frauen sind Zuwächse unter 11 Prozentpunkten unterdurchschnittlich sowie über 14 Prozentpunkten überdurchschnittlich kategorisiert. Der Median aller Gemeinden lag bei 12,8 Prozentpunkten. Orientiert am halben Wert der Standardabweichung wurden die Grenzen gezogen. Bei der Erwerbsquote sind diese Bruchpunkte bei weniger als 81 Prozent für unterdurchschnittlich viele Frauen am Arbeitsmarkt und über 83 Prozent für überdurchschnittlich viele. Die Werte dazwischen sind jeweils als durchschnittlich eingeordnet. Die Farbintensität der jeweiligen Kategorisierung richtet sich nach der Zahl der Frauen im Alter zwischen 25 und 60 Jahren auf dem Arbeitsmarkt. Bei weniger als 300 Frauen ist es ein leichter Farbton, bei über 2.000 ein starker. Das verhindert, dass kleine Gemeinden in der Karte verhältnismäßig stark hervorgehoben werden.

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Das Addendum-Team, September 2020