„If all the women who have been sexually harassed or assaulted wrote „Me too“ as a status, we might give people a sense of the magnitude of the problem.“
Mit diesem Tweet von Alyssa Milano begann am 15. Oktober 2017 eine weitreichende Diskussion über sexuelle Belästigung, Gewalt und Diskriminierung, denen Frauen im Alltag ausgesetzt sind.
Die #metoo-Debatte hat auch in Österreich Auswirkungen gehabt: Der Chefredakteur der Wiener Zeitung, Reinhard Göweil, wurde fristlos entlassen, nachdem gegen ihn der Vorwurf erhoben worden war, er habe einer jungen Frau ein Job-gegen-Sex-Angebot gemacht. Peter Pilz trat zurück, nachdem ihm eine ehemalige Mitarbeiterin mehrfache sexuelle Belästigung vorgeworfen hatte. Die Ex-Rennläuferin Nicola Werdenigg stieß mit ihren Vorwürfen gegenüber dem ÖSV eine Diskussion an, im Zuge derer sich herausstellte, dass Missbrauch in vielen Bereichen stattgefunden haben dürfte.
Wie die Gesellschaft insgesamt mit Missbrauch, Gewalt und Diskriminierung umgehen soll, darauf konnte die Debatte keine Antwort liefern. Für Maria Rösslhumer von den autonomen Frauenhäusern waren #metoo und die #Aufschrei-Kampagne aus dem Jahr 2013 „sehr wichtig, weil Frauen ermutigt wurden und erkennen konnten, dass sie mit diesem Problem nicht alleine sind, sondern Belästigung und Gewalt gegen Frauen ein gesellschaftliches Problem sind“. Digitale Kampagnen wie #metoo oder #Aufschrei schaffen Bewusstsein und können so anderen betroffenen Frauen helfen, ihre Geschichten zu erzählen.
Auch wenn sie bisher nicht im Fokus der Öffentlichkeit standen, sind sexuelle Belästigung, Gewalt und Diskriminierung Themen, zu denen schon lange Daten erfasst werden und für die es Anlaufstellen gibt. So gibt es etwa die Gleichbehandlungskommission, die sich mit sexueller Belästigung im Berufsleben beschäftigt.
Die Grundlage für die Gleichbehandlungskommission wurde 1979 mit dem Bundesgleichbehandlungsgesetz geschaffen, 1991 wurde die Gleichbehandlungsanwaltschaft installiert. An sie können sich Männer und Frauen im Fall einer Diskriminierung wenden, sozusagen als Vorstufe eines Beschwerdeverfahrens bei der Gleichbehandlungskommission. Die Anzahl dieser Beratungen ist im Laufe der Jahre immer weiter gestiegen.
Nach zehn Jahren, 2001, waren von der Gleichbehandlungsanwaltschaft insgesamt 153 Fälle an die Gleichbehandlungskommission weitergeleitet worden. 2001 wurden 1.264 Beratungen durchgeführt, 2015 – in dem Jahr, in dem der letzte Bericht veröffentlicht wurde – waren es 3.576. Diese Beratungen und Anfragebearbeitungen machen aber nur einen Teil der Arbeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft aus; den Teil, in dem Orientierung und Information geboten werden. Erst wenn auch eine Intervention gewünscht ist, kann diese innerhalb des Betriebs gesetzt werden, oder der Fall wird an die Gleichbehandlungskommission weitergereicht.
Das macht einen Großteil der Fälle aus, die die Gleichbehandlungskommissionen in drei Senaten behandeln, für Bundesangestellte gibt es zwei weitere Senate. Die Aufgabenbereiche sind teilweise zwischen den Senaten aufgeteilt, gemeinsam behandeln sie Gleichbehandlung der Geschlechter (sexuelle Belästigung zählt in den Statistiken zu einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts) oder Fälle von Diskriminierung aufgrund von Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Weltanschauung, Religion oder sexueller Orientierung. Die Entscheidungen der Gleichbehandlungskommission sind rechtlich nicht bindend, sie stellen Antragstellern lediglich eine unabhängige Beurteilung des Sachverhaltes zur Verfügung. Die Entscheidung über allfällige Konsequenzen muss vom Antragsgegner beziehungsweise Arbeitgeber getroffen werden. Für die Antragstellerin besteht aber durch ein solches Vorgehen die Möglichkeit, Veränderungen zu erreichen, ohne rechtlich gegen den Arbeitgeber vorzugehen.
Seit 2014 werden die Entscheidungen der Gleichbehandlungskommission im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts veröffentlicht. Addendum hat die 273 Entscheidungen, die seitdem verfügbar sind, ausgewertet. Da noch nicht alle Entscheidungen veröffentlicht wurden, ist das Jahr 2017 darin voraussichtlich noch nicht vollständig erfasst. Nicht immer sind die Entscheidungen eindeutig, manche können nicht veröffentlicht werden, weil sonst Rückschlüsse auf Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Firmen möglich wären. Bei manchen handelt es sich um sogenannte Mehrfachentscheidungen, das heißt, dass in manchen Unterpunkten Diskriminierung, in anderen aber keine Diskriminierung festgestellt werden konnte.
Auffällig sind die unterschiedlichen Gründe für Antragstellungen. Es wurde zwar ungefähr gleich viele Anträge von Frauen und Männern gestellt, die Beschwerdegründe sind aber sehr unterschiedlich. Von 118 Beschwerden in vier Jahren, die von Männern eingebracht wurden, ist Mehrfachdiskriminierung mit 29 Fällen der häufigste Beschwerdegrund, wegen Diskriminierung nach Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Weltanschauung wurde rund 20-mal Beschwerde geführt. Bei den Frauen hingegen wurden 92 von 129 Beschwerden aufgrund von Diskriminierung wegen des Geschlechts eingereicht.
Jede Entscheidung wird mit einer ausführlichen Erklärung des Einzelfalls begründet, dabei werden der Sachverhalt, vorhandene Unterlagen und mögliche Befragungen berücksichtigt. Auch mehr als 25 Jahre nach der Einführung der Gleichbehandlungskommission ist geschlechtsbezogene Diskriminierung der häufigste Grund für Beschwerden – und für die Feststellung einer Diskriminierung. Dazu zählt auch sexuelle Belästigung.
An der Gleichbehandlungskommission wird auch Kritik geübt, zuletzt war sie wegen Anschuldigungen gegen Peter Pilz im Gespräch. Eine ehemalige Mitarbeiterin hatte in mehr als 40 Fällen Vorwürfe erhoben und von der Gleichbehandlungsanwaltschaft recht bekommen. Da die Unterlagen nicht weitergegeben werden durften – das geht nur mit Erlaubnis der Antragstellerin –, hatte Pilz eigenen Angaben zufolge nicht genügend Möglichkeiten zur Verteidigung gehabt. Das wird nur in Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission so gehandhabt, das ebenfalls nur von Antragstellern eingeleitet werden kann, nicht von Antragsgegnern. Die Empfehlungen und Beratungsergebnisse der Gleichbehandlungsanwaltschaft basieren oft also nur auf einseitigen Angaben, erst ein Verfahren vor der Kommission ermöglicht beiden Seiten eine Stellungnahme.
Problematisch soll auch die Besetzung sein. Nur Frauen würden über die Fälle entscheiden, eine Vorsitzende und sechs Entsandte von Kammern und Ministerien entscheiden über die Fälle. Tatsächlich sind auch Männer in den Senaten, in den Senaten zur Privatwirtschaft sind sie allerdings nicht namentlich aufgezählt. Auch bei den vier Regionalstellen der Gleichbehandlungsanwaltschaft und Gleichbehandlungssenaten der Länder gibt es unterschiedliche Transparenz-Levels. Offensichtlich ist aber, dass in den Senaten überdurchschnittlich viele Frauen sitzen. Ob und inwiefern das zu einer Bevorzugung von Beschwerden von Frauen führt, ist allerdings nicht nachvollziehbar.
Belegbar ist, dass die Senate für Entscheidungen oft lange brauchen. Schon 2007 war die Bearbeitungsdauer von mehr als einem Jahr für den Verein ZARA ein Grund, Beschwerde bei der Volksanwaltschaft einzureichen. Es kam zwar zu mehreren Gesetzesänderungen, dennoch wird auch im Evaluierungsbericht zu den Instrumenten des Gleichbehandlungsrechts 2016 eine zu lange Verfahrensdauer festgehalten.
Es gibt auch jenseits der Diskriminierung Fälle, in denen sich Ungleichbehandlung gravierend auswirken kann. Hier geht es vor allem um Sexualstrafdelikte, die durch die #metoo-Debatte ebenfalls in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückten. Wie in vielen anderen Bereichen hängt aber auch hier die Wirksamkeit des staatlichen Schutzes von Betroffenen von den finanziellen Mitteln ab.
Wie gut diese Präventions- und Gewaltschutzmaßnahmen in Österreich tatsächlich dotiert sind, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Das österreichische Frauenministerium sagt, dass 44 Prozent des Ressortbudgets in Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen fließen und 55 Prozent in Frauenberatungs- und -förderungsstellen. Laut einem Bericht von GREVIO – der europäischen Arbeitsgruppe zur Prävention von Gewalt gegen Frauen – gehen allerdings nur fünf Millionen Euro des jährlichen Budgets von 10 Millionen in die Gewaltprävention und Bekämpfung. Die Mittel für die neun Gewaltschutzzentren und Integrationsprogramme sind zweckgebunden, wodurch, so die Kritik des Berichts, „fast nichts“ für Präventivmaßnahmen, Gesetzesüberarbeitungen und Evaluation bisheriger Maßnahmen übrig bleibe.
Ein Gutteil des öffentlichen Geldes geht, fix gebunden, in Beratungen. Aus den Tätigkeitsberichten der Gewaltschutzzentren in allen Bundesländern geht hervor, dass jährlich 18.000 von Gewalt betroffene Personen Beratungen in Anspruch nehmen. Wenn es um sexuelle Gewalt geht, sind Frauenhäuser, die für Gewaltopfer sichere Räume schaffen, wichtiger als Beratungen. Denn statistisch gesehen ist die eigene Wohnung der Ort, an dem Frauen am häufigsten sexueller Gewalt ausgesetzt sind.
Wie wichtig sichere Räume sind, kann man an der Auslastung der Frauenhäuser ablesen. 2016 wurden in den 26 Frauenhäusern, die der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser erfasst, 33.963 Frauen vorübergehend aufgenommen, 336 mussten aus Platzmangel weggewiesen werden. Für die Geschäftsführerin der autonomen Frauenhäuser, Maria Rösslhumer, ist das Angebot der Frauenhäuser noch lange nicht ausreichend. Bedarf bestehe vor allem allem in Regionen, in denen es wenige Frauenhäuser gibt, wie in der Steiermark oder im Wald- oder Mühlviertel: „Dort sind Frauen wirklich alleine gelassen.“ Besonders der mangelnde Zugang zu Information, Internet, Hilfsstellen und die mangelnde Mobilität in ländlichen Gegenden führen laut Rösslhumer zu einer höheren Gefährdung und machen ältere, behinderte oder schwangere Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund zu Risikogruppen.
Was die Strafverfolgung von Sexualdelikten angeht, ergibt sich ein auf den ersten Blick leicht widersprüchliches Bild. Trotz einer relativ hohen Zahl von Anzeigen kommt es verhältnismäßig selten zu Verurteilungen. Zunächst hat das natürlich damit zu tun, dass nicht alle angezeigten Fälle aufgeklärt und den Anklagebehörden übergeben werden. Doch auch die Differenz zwischen Aufklärungen und Verurteilungen ist auffällig groß. Der rapide Anstieg von Anzeigen wegen sexueller Belästigung zwischen 2015 und 2016 liegt übrigens nicht an einem plötzlich gesteigerten Bewusstsein, sondern an der Einführung des sogenannten Pograpsch-Paragrafen, der auch medial für Diskussionen sorgte.
Die niedrige Verurteilungsrate liegt laut GREVIO auch an der hohen Zahl von Diversionen, also Verfahren, die auf Initiative der Staatsanwaltschaft außergerichtlich beigelegt werden. Für Maria Rösslhumer steckt darin ein grundlegendes Problem des Opferschutzes: „Die meisten Täter sind Wiederholungstäter, und wenn es keine Konsequenzen gibt, wiederholt sich Gewalt immer wieder.“ Gerade im Fall von schwerer Gewalt könne ein außergerichtlicher Ausgleich sehr negative Wirkungen entfalten, „und das geht besonders zulasten der betroffenen Frauen und Kinder.“
Wie viele Frauen betroffen sind, lässt sich aber nur ansatzweise aus der Anzeigenstatistik ablesen. 2016 waren 878 Frauen Opfer von geklärten gewaltsamen Sexualdelikten, 84 Opfer waren Männer. Bei Gewalt und besonders bei sexueller Gewalt liegt die Dunkelziffer oft höher, als die offiziellen Daten erfassen. Eine Prävalenzstudie zu Gewalt an Frauen und Männern der Universität Wien im Jahr 2011 ergab, dass nur acht von 91 vergewaltigten Frauen Anzeige erstatteten; von 14 Männern, die schon einmal vergewaltigt wurden, kein einziger.
2014 ergab eine EU-weite Studie der Grundrechteagentur FRA, dass insgesamt 20 Prozent aller Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr schon sexuelle und/oder körperliche Gewalt erfahren haben. Ebenfalls besorgniserregend ist der Gender Equality Index 2017, demzufolge 32 Prozent der Befragten in Österreich der Aussage zustimmen, dass es in gewissen Situationen – es werden etliche Beispiele angeführt – legitim sei, ohne Konsens Geschlechtsverkehr zu haben. Dennoch kommt der Gender Equality Index für Österreich auf eine Gewaltbereitschaft von nur 12 Prozent, ein niedriges Ergebnis im EU-Schnitt. Eine Ausnahme stellen aber auch hier ältere Frauen dar, die gemäß dem Index zu 24 Prozent von Missbrauch betroffen waren.
„Some people believe that having sexual intercourse without consent may be justified in certain situations. Do you think this applies to the following circumstances? Wearing revealing, provocative or sexy clothing; Being drunk or using drugs; Flirting beforehand; Not clearly saying no or physically fighting back; Being out walking alone at night; Having several sexual partners; Voluntarily going home with someone, for example after a party or date; If the assailant does not realise what they were doing; If the assailant regrets his actions; None of these; Refusal (SPONTANEOUS); Don’t know“
Trotz diverser Reformen – wie etwa im Strafrecht – gibt es in bestimmten Unterbereichen der Gewaltprävention weniger Bewegung als früher. 2013 wurde die Istanbul-Konvention unterschrieben und am Nationalen Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt gearbeitet. Dieser lief allerdings 2016 aus, einen Nachfolgeplan gibt es nicht. Auch Maria Rösslhumer sieht deshalb Lücken im Paket der Gesamtmaßnahmen: „Wir brauchen einen Plan beziehungsweise eine Gesamtstrategie, wie wir die Lücken und Defizite im Opferschutz verbessern können.“ Der nationale Aktionsplan zu Gewalt an Frauen der früheren Frauenministerin Heinisch-Hosek müsse fortgesetzt und verbessert werden. Zwar gebe es gute Gesetze, Probleme gebe es allerdings – Stichwort Anzeigen versus Verurteilungen – in der Umsetzung. Rösslhumer fordert „verpflichtende Schulungen für die Justiz, damit die verstehen, was sich in Gewaltbeziehungen abspielt, wie sich Gewaltdynamiken auswirken.“
Obwohl es noch keine konkreten Pläne gibt, hat die neue Regierung in ihrem Programm anklingen lassen, dass hier ein Schwerpunkt erhalten bleiben soll. So wurde festgehalten, dass Notunterkünfte ausgebaut werden sollen, Gewaltschutzzentren evaluiert und gegebenenfalls weiterentwickelt werden sollen und auch die Akutintervention bei Gewalt gegen Frauen und Kinder ausgebaut werden soll. Bedenkt man, dass laut dem Europäischen Institut für Gleichberechtigung (EIGE) jährlich in Europa 258 Milliarden Euro an Folgekosten wegen Gewalt gegen Frauen anfallen, kann man gespannt sein, wie zukünftige Budgets aussehen werden.